223. Das todte Kind.

[259] (S. Gödsche S. 331.)


Auf einem adeligen Schlosse in der Nähe von Schweidnitz zeigt sich ein seltsamer Spuk. Einst sitzt dort eine Frau Abends ganz allein und hat die Thüre des Zimmers, die auf einen langen Gang führt, offen stehn. Da geht plötzlich die Pforte gegenüber auf und ein wunderschöner Knabe von etwa 7 Jahren, barfuß und mit gefalteten Händen, sonst aber blos mit einem weißen Hemdchen bekleidet, tritt heraus und kommt auf sie zu, sie springt erschrocken auf und will ihn mit den Händen von sich abwehren, da sieht er sie traurig an, und geht den Weg wieder zurück den er gekommen, die Frau aber bleibt vor Furcht ganz starr stehen, ohne ihm zu folgen. Dieser Knabe soll hier vor mehreren Jahren, weil man ihn so um sein Erbe bringen wollte, ermordet worden sein, er erscheint nur alle 50 Jahre. Man muß ihn anreden und ihm zu der Stelle folgen, wo er in ungeweihter Erde begraben ist.

Einem Verwalter begegnete einmal des Abends spät in einem der Gänge desselben Schlosses ein großes schwarzes Pferd, das fast den ganzen Gang versperrte. Es hatte keinen Kopf und schüttelte den blutigen Rumpf, daß die Blutstropfen umherflogen. Auf der Brust trug es ein hellglänzendes goldnes Schild, aber der Verwalter konnte aus Furcht nicht lesen, was darauf stand.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 259.
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