ee) Rübezahl predigt als ein Dorf-Präceptor.

[325] Es begiebt sich einsmahls, daß Rübenzahl zu einem Dorf-Priester an einem Freytag in Gestalt eines armen Studenten kommt, und umb eine oder drey Nacht-Herberge anhält, so ihme denn auch nicht versaget worden. Als nun die Essens-Zeit herbei kommen, der Tisch gedecket, und die Speisen aufgesetzt worden, heißet ihn der Priester nebenst seinen eigenen Leuten mit hinzusitzen, bittend, mit der wenigen Speise vorlieb zu nehmen. Worauf er sich nicht lange bedacht, sondern alsbald hinzugegessen, da denn über dem Essen viel Discurse vorgelauffen, unter welchen auch dieses gewesen, da ihn der Priester gefraget, was er studiret, er geantwortet: Theologiam; und sich darneben gerühmet, wie er in zwey Stunden eine gute Predigt verfertigen, und alsbald verrichten könte. Weil denn nun der Priester ein guter fauler Geselle war, denckt er bei sich: Wenn dem also wäre, woltest du ihm freyen Tisch geben, und alles Gutes erzeigen, damit er mein Substitut seyn könte. Spricht ihn alßbald an umb die folgende Sonntags-Predigt zu verrichten, welches Rübenzahl mit Hand und Mund versprochen, ihm auch zu mehrerm Glauben von Stund an die Disposition der Predigt vorgesaget, also, daß der Priester nicht anders gemeynt, es wäre ein so gelehrter Studiosus. Des Sonntags nun, als er auf die Kanzel kommet, hebet er so starck an zu predigen, als wenn viel hundert Menschen schrieen, daß alle, so in der Kirche gewesen, auß Furcht und Erschröcknüs haben müssen heraußlauffen, welchen er in weissen Kohr-Rocke nachgefolget, und etliche von denselben weidlich umb den Kirch-Hof gejaget, biß er endlich den Rock außgezogen, solchen hinweggeworfen, und seinen Weg weiter vorgenommen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 325.
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