324. Der Klötzelmönch zu Görlitz.

[379] (S.d. Görlitzer Wegweiser 1832 S. 106. Haupt Bd. I. S. 79.)


In der Fleischergasse zu Görlitz gewahrt man an dem Hause der neuen Apotheke das in Stein gehauene Bild einer Frau, welche gleichsam wie aus einem Fenster aus der Mauer herausschaut, als wolle sie sich nach etwas umsehen. An derselben Wand gegenüber ist aber noch ein zweites Bild, das Gesicht eines häßlichen Mönchs. Mit diesen zwei Köpfen hat es nun aber folgende Bewandniß.

Eines Tages wanderte ein junger Handwerksgesell in die Stadt Görlitz ein, als er bei der offenen Klosterkirche vorbeikam, läutete eben das Minoritenglöcklein zur Messe, der fromme Jüngling trat in die heiligen Räume, legte in einer Ecke der Kirche sein Ränzlein ab, knieete nieder und betete inbrünstig. Da überfiel ihn eine plötzliche Müdigkeit, er lehnte seinen Kopf an eine nahe Bank und schlief ein. Als die fromme Handlung vorüber war und Alles die Kirche verließ, schloß der Pförtner, der den Schlafenden nicht bemerkt hatte, die Kirchenthüren. Der junge Mann erwachte erst gegen[379] Mitternacht und erschrack nicht wenig, als er sich in tiefer Finsterniß ganz mutterseelenallein in der öden Kirche wiederfand. Er sprang auf und näherte sich der ewigen Lampe, welche auf dem Hochaltar brannte, um wenigstens in der schauerlichen Einsamkeit etwas sehen zu können; da hörte er auf einmal schlürfende Schritte aus der Ferne kommen, er versteckte sich daher eilig in einen der gothischen Chorstühle, welche den Altarplatz umgaben, und kaum hatte er sein Versteck erreicht, da öffnete sich ihm gegenüber die eiserne Thüre, welche die Kirche mit dem Minoritenkloster (daraus ward nach der Reformation ein Gymnasium gemacht, das aber 1853 weggerissen ward um dem neuen Schulhaus Platz zu machen) verband. Heraus trat aber ein Mönch, dessen häßliche Züge eine Blendlaterne hell beleuchtete; er schleppte eine schlanke Frauengestalt, die offenbar nicht mehr am Leben war, an ihren langen blonden Locken hinter sich her und klapperte dabei recht unheimlich mit seinen Holz- oder Klötzelpantoffeln. Vor dem Altar angekommen, arbeitete er eine Steinplatte aus dem Fußboden heraus und ließ den Leichnam, den das darauf fallende Licht der Blendlaterne jetzt als den eines schönen jungen Mädchens kennzeichnete, hinab in die Tiefe, schloß dann die Platte wieder und verließ mit demselben schlürfenden Gange die Kirche wieder.

Dem Handwerksburschen zitterten ob diesem grausigen Anblick alle Glieder, er mußte jedoch ruhig ausharren, bis die Thüren zur Frühmesse geöffnet wurden, da schlich er sich unbemerkt hinaus und glaubte, es habe ihn ein böser Traum geäfft. Allein auf der Herberge angelangt, hörte er, daß man seit gestern die schöne Tochter einer armen Wittwe vermisse, die in die Messe gegangen, aber von da nicht wieder nach Hause zurückgekehrt war. Da begab er sich flugs zum Bürgermeister und erzählte, was er in der vorigen Nacht erlebt hatte. Dieser ließ sofort die Kirche und das Kloster mit Wachen umstellen, den Handwerksburschen in die Kirche führen und dort durch diesen die Steinplatte suchen. Dieselbe war bald gefunden, man hob sie in die Höhe, stieg in die Gruft hinab und fand dort die Vermißte als Leichnam. Nun wurde das Mönchscapitel versammelt und leicht fand der Handwerksgesell unter den zitternden Mönchen den heraus, dessen häßliche Züge ihn in der vorigen Nacht so erschreckt hatten. Derselbe gestand nun, daß er das Mädchen in seine Zelle gelockt, dort gemißbraucht, dann ermordet und in der Mitternachtstunde am Altar der Klosterkirche verscharrt habe. Seine Strafe war die, lebendig eingemauert zu werden. Aber seine Seele hatte keine Ruhe, sowohl im Kloster als in den dazu gehörigen Gebäuden hörte man ihn oft auf seinen hölzernen Schlapppantoffeln herumklappern, noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erschreckte er einen Barbierjungen, der sich in den Kreuzgängen des Klosters verlaufen hatte, so mit seiner Blendlaterne, daß derselbe am andern Tage gestorben ist. Erst nachdem man zu Anfange dieses Jahrhunderts beim Wegreißen des zu den »drei Eichen« gehörigen, mit dem Kloster verbundenen Gebäudes seine eingemauerten Gebeine fand und in geweihter Erde begrub, hat er sich nicht wieder sehen lassen. Das Bild des Mönchs aber und das der ängstlich nach ihrer Tochter ausschauenden Mutter ließ ein Görlitzer Bürger an dem Hause, wo das Mädchen gewohnt hatte, anbringen.

Von diesem Minoritenkloster führte übrigens der Sage nach ein unterirdischer Gang nach der Landskrone, einmal drangen drei Schüler hinein,[380] gingen eine Viertelstunde weit darin fort, kamen aber dann an eine eiserne Thüre, die sie nicht zu öffnen vermochten. Später ward der Eingang vermauert.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 379-381.
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