346. Der Schlangenkönig zu Lübbenau und das Wappen der Grafen von Lynar.

[396] (S. Büsching, Wöchentliche Nachr. f. Freunde d. Geschichte etc. Breslau 1817 Bd. III. S. 342 etc. Haupt Bd. I. S. 75.)


Das alte Schloß zu Lübbenau, das schon seit dem 15. Jhdt. steht, gehört den Grafen von Lynar, welche einst aus Toscana nach Deutschland gekommen sein sollen. Auf dem Schlosse befindet sich noch heute das Bild eines alten Ritters mit der Unterschrift: »Mit deme Grave Roch in Deutschland kommen.« Diese Grafenfamilie führt heute noch im Wappen eine gekrönte Schlange mit einer Mauer. Man erzählt sich nun aber die Ursache, weshalb die Lynar's zu diesem Wappen gekommen seien, also.

Es sind in und um Lübbenau in den vielen Armen der Spree unzählige Wasserschlangen, die aber gänzlich unschädlich sind und von Niemandem gefürchtet werden. Früher sollen dort auch geflügelte Schlangen existirt haben, allein jetzt hat schon lange Niemand mehr dergleichen gesehen. Wohl aber giebt es in jedem Hause eine sogenannte Hausschlange, d.h. eigentlich ein[396] Pärchen, eine männliche und eine weibliche, die man nur sieht, wenn der Hausherr oder die Hausmutter gestorben ist, denn da stirbt denselben stets diejenige des Paares nach, welche von demselben Geschlechte ist. Alle diese Schlangen hatten aber sonst einen König, den sogenannten Schlangenkönig. Dieses war eine große starke Schlange, welche oben auf dem Kopfe zwei gebogene Haken hatte, welche eine elfenbeinerne Krone trugen. Dieselbe war mit Diamanten besetzt und erbte von einem Schlangenkönig zum andern.

Als nun der erste Graf zu Lynar aus Italien vertrieben nach der Niederlausitz kam, um sich dort niederzulassen, da hörte er auch die Geschichte von dem Schlangenkönig und seiner unschätzbaren Krone. Weil er aber ein ebenso muthiger als schlauer Mann war, so sann er darüber nach, wie er sich wohl in den Besitz dieser Krone setzen könne. Nun hatte er gehört, daß der Schlangenkönig, wenn er mit seinen Kameraden im Sonnenscheine auf den Wiesen spielt, die Krone ablege und zwar gern auf weiße und saubere Sachen. Er begab sich also an einem schönen, sonnigen Maitage auf die Wiese, in deren Nähe jetzt das Schloß steht, breitete ein großes weißes Tuch auf dem Boden aus und versteckte sich dann, nachdem er zuvor ein kräftiges Roß bestiegen, um schnell fliehen zu können, hinter einem Erlengebüsch. Da kam nun auch richtig der Schlangenkönig und mit ihm ein Gefolge der größten und schönsten Schlangen, er legte seine Krone auf das Tuch und dann schlängelten sie sich alle den Berg hinan, wo jetzt die Eisgrube ist, und spielten dort oben nach Herzenslust. Kaum hatten aber die Schlangen den Plan verlassen, da war auch der Ritter zur Stelle, faßte das Tuch mit der Krone an seinen vier Zipfeln zusammen, schwang sich auf sein Roß und jagte auf und davon. Augenblicklich hörte er aber auch ein scharfes Pfeifen hinter sich, die Schlangen kamen vom Berge herabgeschossen und aus dem Wasser strömten noch viele andere zu Hilfe und alle eilten ihm nach und waren bald hinter ihm. Da kam der Ritter auf seiner Flucht auf einmal an eine große hohe Mauer, welche ihm den Weg versperrte. In Todesängsten hatte er keine Zeit zum Ueberlegen, er setzte seinem Pferde die Sporen ein und mit den letzten Kräften flog es über die Mauer und stürzte dann aber auch zusammen, er aber war gerettet, denn hierher konnten ihm die Schlangen nicht folgen. Er nahm nun die Krone und verkaufte sie, aus dem Erlöse aber kaufte er die Herrschaft Lübbenau und nahm zum ewigen Andenken für seine Nachkommen die Schlange mit der Krone und der Mauer in sein Wappen auf.

Seit dieser Zeit ist jedoch der Schlangenkönig selten mehr gesehen worden, überhaupt hat sich die Zahl der Schlangen in jener Gegend sehr gemindert. Indeß hat vor ohngefähr hundert Jahren ein Fischer, der in einem alten mit Weiden besetzten Graben, unweit des Schlosses an der sogenannten Schnecke, also an derselben Stelle, wo damals der Graf von Lynar den Schlangenkönig seine Krone ablegen sah, eine große Schlange mit etwas Weißem auf dem Kopfe unter einer Menge von Fischen mit aus dem Netze gezogen. Wie es nun dort die Leute in der Gewohnheit haben, daß sie jede Schlange tödten, welche sie finden, so schlägt er auch nach dieser mit seinem Steuer. Da giebt diese auf einmal einen gellenden Pfiff von sich und augenblicklich ist der ganze Graben schwarz von Schlangen, die sich an seinem Ruder in die Höhe schwingen und in seinen aus einem einzigen[397] Eichenstamme ausgehöhlten Kahn drängen. In Angst und Schrecken springt er aus dem Kahne aufs Land und läuft so schnell er kann davon, die Schlangen aber immer hinter ihm drein. Zum Glück fällt es ihm ein seine Jacke auszuziehen und von sich zu werfen. Auf diese stürzen sich die Schlangen wie rasend und inzwischen entkommt er. Die Jacke aber fand man nach mehreren Tagen in dem faulen Graben durch und durch zernagt, eine Warnung, wie es ihm ergangen sein würde, wenn sie ihn erwischt hätten. Er hat sich aber seit dieser Zeit wohl gehütet die unschuldigen Thiere zum Vergnügen zu tödten. Jene Schlange ist aber der Schlangenkönig gewesen, der nur noch die Haken am Kopfe, aber keine Krone mehr gehabt hat. Ob ihn übrigens der Schlag des Fischers getödtet hat, weiß man nicht, gesehen hat man ihn nicht wieder.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 396-398.
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