1352. Die Zauberinnen in Ostfriesland.

[1093] (S. Der Lappenkorb S. 321.)


In Friesland giebt es viele Zauberinnen, ihr Haar ist schwarz und hängt lose und lang am Rücken, ihre Haut und Zähne sind gelb, ihre Augen sind wild und dunkel, sie sind garstig und manchmal bärtig, und man erkennt sie vornehmlich an den Augen. Sie können sich in Vieh- und Vogelgestalt und andere Gestalten verwandeln, in Katzen und Pferde, wie in Schwäne und Adler. In ihren Zusammenkünften jedoch sind sie unverwandelt und tanzen dann zuweilen nackt einen Reigentanz. Am Freitag Abend findet man sie nicht zu Hause, denn das ist eine Zaubernacht, dann geschehen grauenhafte Dinge, und wer hernach bei Tage an solche nächtliche Versammlungsörter kommt, sieht wunderbare Ueberbleibsel, Lumpen allerlei Art und Farbe, Fetzen und Bandstücke, Nadeln, womit sie in Zauberwachs Manchem das Herz durchstachen, Blut und Eiter etc. Wollte man sich gegen diese Zauberinnen schützen, so begrub man eine lebendige Eidechse unter der Schwelle der Außenthüre des Stalles oder man steckte auch Messer um den Deckel des Butterfasses, wenn keine Butter kommen wollte, und wer dann zuerst hereintrat, war die Zauberin. Gegen die Zaubermacht half auch Gebet und Kreuzschlagen. K.J., der gegen hundert Jahre lebte, ward, wie er selbst erzählt, durch solche Zauberweiber lahm. Um zehn Uhr Abends klopften einmal zwei an seiner Thür, wurden seiner habhaft, und kratzten ihm beinahe die Augen aus, auch manchmal plagten sie ihn sehr.

Ein gewisser Mann, welcher viele Plage von Zauberinnen hatte, sollte auf die Jagd. Da saß ein Vogel mit wunderschönen Federn; er legte an und siehe da, aus der Vogelgestalt ward eine Frauensperson. Auch hat man erlebt, daß Männer bei Nacht nach Hause kamen und die Hausthür nicht erreichen konnten, weil das Haus im Augenblick nicht vorhanden war.

Zwei Brüder, welche um zwei Schwestern freiten, besuchten eines Tages ihre Bräute, und der eine wollte die seinige nicht länger haben, sondern nahm sich eine andere. Als er nun einst bei ihr war und Abends nach Hause wollte, kam er an ein Geheg und begann zu taumeln und hörte nicht auf zu taumeln, bis er sein Haus erreichte. Das that seine vorige Braut, welche eine Zauberin war.

Eine Frau war sehr von Zauberei geplagt. Da gab man ihr den Rath, nach dem Kirchhofe zu gehen und Erde von einem Grabe in die Tasche zu nehmen. Nachdem sie solches gethan, erschien das Zauberweib und sprach: »Was hast Du vor?« Sie antwortete nicht, weil es dann nicht gut ist zu antworten. Aber die Zauberin bemächtigte sich der Erde der Frau und machte sie wieder ohnmächtig. Endlich erhielt sie Hilfe vom Arzt und trug beständig Zauberarznei bei sich. Nun vermochte die Zauberin nichts. Da kam sie mit ihren Gefährtinnen um Mittag vor die Fenster der Frau, sie heulten und hatten ihre Schürzen über den Kopf, zuletzt aber nahmen sie die Gestalt von vier blankschimmernden Hunden an und kratzten an der Hausthür. Sie konnten aber nichts mehr thun. Wenn die Zauberweiber sausend heranfliegen, können sie öfter ihren Flug[1093] nicht hemmen und fliegen gegen die Kirchthürme an, wo sie sich zuweilen selbst verletzen.

Dem S.B. starb seine Kuh, er glaubte durch Zauberkunst. Er verschloß die Thüren und that das Herz mit andern Eingeweiden aufs Feuer, denn wenn das kocht, muß die Zauberin erscheinen.

Man darf den Zauberweibern ja keine Scheeren, Nadeln, Messer, überhaupt keine scharfen Instrumente leihen, am wenigsten Nadeln.

K.J. Br. freite um ein Mädchen im andern Dorfe. Er kam in der Nacht daher, und als er halbwegs war, begegnete ihm eine Schaar Zauberinnen mit fliegenden Haaren, diese pfiffen greulich. Als er eben vorbei war, sprang eine ihm von hinten auf die Schultern, denn das war seine Braut, die er verlassen hatte. Sie saß fest und drückte ihm die Arme zusammen, so daß er sein Messer nicht aus der Tasche ziehen konnte. Endlich ward er dessen habhaft, stach zu und traf die Zauberin. Da mußte sie ihn verlassen, sagte aber: »Stich noch einmal!« – »Davor will ich mich schon hüten«, erwiderte er. Am folgenden Tage zeigte es sich, daß es seine gewesene Braut war. Der zweite Stich hätte sie wieder heil gemacht, darum stach er nicht zweimal.

G.N. war Abends bei schlechtem Wetter in Merham, um Torf zu holen. Da kam ein Dünenstrauch herangefallen, als er schon auf seinem Fuder saß. »Den kannst Du noch mitnehmen«, sprach er bei sich selbst, stieg also ab und warf ihn auf den Wagen. Eine Weile nachher auf dem Wege sah er sich um und siehe da, es war kein Dünenstrauch, sondern der alte Mann, Namens P., war es.

Jemand wollte einst nach einem andern Hause gehen, als die Nacht bereits angebrochen war. Da bekamen ihn zwei Zauberweiber zu fassen und drehten ihm sein Halstuch um, um ihn zu erwürgen. Er aber entschlüpfte. Des andern Abends kam er wieder und hatte sein Kind auf dem Arme. Nun hatten sie keine Macht über ihn. »Das war Dein Glück!« sprachen sie.

Ein Brautpaar kam einem Wasser in der Nähe des Dorfes D. vorüber, in diesem Wasser segelten Schwäne. Da sprach die Braut: »Ich will ein Weilchen zu dem Wasser gehen« und sie ging und fand ihre Schwestern, die Schwäne. Nun ward auch sie ein Schwan. Und alle flatterten und schlugen mit den Flügeln. So mußte denn der Bräutigam allein nach Hause.

Ein anderer Bräutigam wollte seine Braut besuchen. Sie hatte ihm gesagt, er möge ja nicht am Freitagabend kommen. Er that es aber doch und nahm Jemand anders mit sich. Als sie ankamen, lag ein weißes Pferd in der Thür, wo die Braut wohnte, und sie war nicht zu Hause. Er ging weg und besuchte sie nie wieder. Seitdem hatte er keinen gesunden Tag mehr.

B.E. ward von seinem Vater E.B.T. in der Nacht in einem schweren Wetter nach dem Hafen von St. geschickt, um nach seines Vaters Fahrzeug zu sehen. Auf dem Wege kam er an einem Hause im Dorfe N. vorbei, wo Licht brannte. Er trat unter die Fenster und sah drinnen einen Zauberweibertanz, und die vielen Weiber tanzten in blauen Wämmsern. Er sprang über den Steinwall und sie ergriffen ihn und sprachen, wenn er nachsage, wer hier gewesen, solle er keinen gesunden Tag mehr haben. Nach dieser Zeit war er ein ganzes Jahr krank vor Schreck.

E.B.T. saß auf Thangwall am Wasser und zog sich einen Stiefel an, denn er sollte an Bord. Da kam ein Sausen bei ihm vorüber und als er nach[1094] dem andern Stiefel langte, saß er auf der höchsten Düne, 1/4 Stunde Weges weiter westwärts.

Die alte W. ging mit ihrem Sohne M. nach den Sanddünen, um Feuerung zu holen. Auf dem Hinwege begegnete ihnen ein Weib. »Nun geht's uns wohl nicht gut«, sprachen sie zu einander, denn sie kannten dieses Weib und waren bange vor ihr. Sie kamen aber glücklich mit ihrer Tracht zurück, so weit als ganz nahe am Dorfe, nur eine kleine Strecke von ihrem Hause. »Was ist das?« sprach die Alte, »da wird es ja ganz nebelig!« Und sie standen auf einmal in dickem Nebel, nicht am Dorfe, sondern 1/4 Meile nördlich davon, in Grasthal und hatten ein großes Wasser vor sich. Es war ein kalter Tag und sie mußten durch das Wasser waten, und das Wasser war kalt und tief.

B.V. lag lange krank und ward todt gezaubert, so sagte man im Dorfe. Der Friese S., der die Bibel auswendig wußte, und einen besondern Abscheu vor dem neuen Gesangbuch hatte, war sein bester Freund. Eines Tages ging S. zu dem Kranken mit der Hälfte eines Dreschflegels in der Faust. »Jetzt sag' es nur«, sprach S., »wer Dir solches anthut«, und drohte der Höllenmacht mit seinem Flegel. B.V. aber durfte es nicht entdecken. Es hieß, seine eigenen Leute thäten ihm sein Elend. Als der Gestorbene in den Sarg gelegt ward, fiel sein Bein ab. Die Zauberei sollte in seinem Kopfkissen sein. Es ward geöffnet und es fand sich ein Hexenkranz von Federn aller Art und Farbe darin. Der Kranz ward im Ofen verbrannt.

B.P. war ein Jahr krank, er ging nach dem Tode, hieß es, um. Der Müller sah vor seiner Mühle tagtäglich, während jener krank war, ein Weib in den Vordünen. Einst verfolgte er ihre Spur, grub und fand das Bild eines Mäuschens mit einer Stecknadel im Herzen im Sande. Er zog die Nadel aus, nahm das Hexenbild mit nach Hause und verbrannte es. Als nach seinem Tode seine Güter vertheilt wurden, ging die Theilung unrecht, darum ging er wieder um.

Einem Manne starben Kuh, Schwein und Pferd, natürlich durch Hexenwerk. Er erhielt den Rath, das todte Pferd Nachts unter der Stallthür zu begraben, mit den Beinen nach oben, ohne daß Jemand solches sehe. Dies geschah, und seitdem starb kein Vieh mehr.

Der Pastor Jacob Boethius war gut Freund mit Buh Karstens Frau, welche sehr schön war. Da kam das Dorf zusammen und beschloß einmüthiglich den Priester wegzujagen. Und er ward von Amrum verbannt. Das war Anno 1693. Er that seine Abschiedsrede in seines Nachbars Hause. Da wünschte er, so lautete die priesterliche Sage, auf daß seine verdächtige Unschuld gerettet werde, daß hinführo keine Krähen auf Amrum übernachten möchten, und seither übernachten dort wirklich keine Krähen mehr.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1093-1095.
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