555. Der verlorene Sohn zu Königsberg.

[548] (S. Hennenberger a.a.O. S. 225-230.)


Es wohnte ein reicher Pfarrer unter dem Herzoge von Kurland zu Durben, Johann Diemler genannt. Derselbe hatte einen einzigen Sohn ohngefähr von 16 Jahren, auch Hans genannt. Den hat er im Jahre 1573 nach Königsberg einem vornehmen Manne, Christoph Ungermann genannt, welcher der Universität in die 30 Jahre als Secretair gedient, in die Kost gethan, daß er ihn zur Schule anhalten und derselbe fleißig studiren sollte. Als er nun ins andere Jahr bei Ungermann gewesen war, so ist der Knabe muthwillig, und deshalb von seinen Lehrern etwas scharf gehalten worden, worüber er oft auch um die Schule gegangen. Endlich hat er seinen Kopf aufgesetzt und ist am 10. Julius 1575 davongelaufen. Weil nun der Knabe aus dem Hause war, haben sich die guten Leute, wo er in Kost gewesen, sehr bekümmert, weil er sich auch nach etlichen Tagen, wie sonst seine Gewohnheit war, nicht wieder eingestellt hat. Also schreibt Ungermann dem Pfarrer, sein Sohn sei abermals davongelaufen, er glaube auch, er werde nicht wiederkommen, denn er habe, wie er vom Gesinde gehört, zwei Hemden über einander gezogen; der Pfarrer aber antwortete, dies hoffe er nicht, er werde schon wiederkommen. Weil es sich nun aber lange verzogen, daß der entlaufene Junge nicht wieder gekommen ist, läßt der Pfarrer durch seinen Schwager, einen von Adel, der die Schwester der Frau des Pfarrers zur Ehe hatte, Bartholomäus von Hohenhusen genannt, einen Kürschner Namens Max Hecht, auf dem Steindamm zu Königsberg wohnhaft, und der stets in Ungermanns Hause aus- und eingegangen, auch sein Gevatter war, nach Kurland zu sich holen, um sich bei demselben zu erkundigen, wo doch der Knabe geblieben. Dieser Kürschner hat sich sonst allerwegen für einen Schwarzkünstler und Schatzgräber ausgegeben. Dieser hat ihm gesagt, der Knabe wäre todt, der Küchenmeister Matz Reuttel mit Namen, so damals zur Zeit der Entfernung des Jungen auch bei Ungermann in der Herberge gewesen, nachher aber seiner Mißhandlung wegen, mit dem Strang hingerichtet worden ist, habe ihm die Kehle abgestochen und ihn ins Secret geworfen, dort liege er noch und gar nicht tief, so daß man ihn fast bei den Füßen greifen könne. Darauf ist der Pfarrer nach Königsberg zu Ungermann gekommen, hat ihn zur Rede gestellt und dieser wieder hat dem Kürschner vorgehalten, wie er solche Lügen aussprengen könne. Dieser aber hat geantwortet, es sei ihm im Traume offenbart worden und er wolle dies beschwören. Darauf ist zu dem Scharfrichter M. Peter in Königsberg geschickt und von diesem das Secret geöffnet und aufgegraben, aber nichts gefunden worden, der Kürschner aber, nach dem man die Stadtdiener geschickt, ist flüchtig geworden. Später ist derselbe aber wieder zurückgekehrt und hat den Ungermann beim Hofgericht verklagt, der Knabe sei wirklich im Secret gewesen, der Scharfrichter aber habe ihn im Keller durch die Mauer herausgehauen, ihn in ein Faß verspündet und in die See fahren lassen. Darauf ist Ungermann, der Scharfrichter, sowie die Familie Ungermanns und sein Gesinde gefänglich eingezogen und vor Gericht gestellt worden, obgleich es sich herausgestellt, daß es gar nicht möglich gewesen, die starke Mauer, welche einen Theil der Stadtmauer gebildet, durchzuschlagen. Es sind nun aber verschiedene falsche Zeugen aufgetreten, so[549] hat Jacob Gottermann der Heerpauker bezeugt, er habe das Blut des Knaben auf den Steinen einen Tisch breit gesehen, welches sich nicht habe abwaschen lassen; eine Seifensiedersfrau auf dem Steindamm, die Bralische genannt, hat gesagt, sie habe die blutigen Kleider gesehen, welche der Junge, als er ermordet worden, getragen, habe auch solches von Ungermanns Magd gehört; endlich hat der Hofkaplan Werner, an welchen sich des Knaben Vater gewendet, damit er es dahin bringe, daß Ungermanns Knecht und Magd gefoltert würden, so wie der Procurator Hans Braun, der falsche Zeugen herbeigeschafft hatte, thätig gewesen den unschuldigen Mann zu verderben. Indeß ist Letzterer doch von den Richtern auf das Versprechen hin, daß er dem Pfarrer seinen Sohn wiederschaffen wolle, freigesprochen worden, die falschen Zeugen aber hat Gott gestraft. Der Kürschner ist im Gefängniß gestorben, nachdem ihn die Maden angefressen und er so gestunken hat, daß Niemand hat bei ihm bleiben können. Als der Heerpauker Gottermann hat sterben sollen, ist ihm die Zunge kohlschwarz geworden und hat er die zwei Finger, mit welchen er den falschen Eid geschworen, nicht zuthun mögen. Die Bralische hat der Schlag gerührt, ehe sie aber gestorben, hat sie den Ungermann um Gottes willen um Verzeihung bitten lassen; Hans Braun, welchem Letzterer früher viel Gutes gethan und der sich statt schuldiger Dankbarkeit doch gegen ihn in dieser ungerechten Sache hatte brauchen lassen, ist zu Riga geviertheilt worden; der Kaplan Werner endlich hat seinen Herrn bestohlen und als es an den Tag gekommen, hat er sich mit Gift vergeben und ist also unter dem Galgen begraben worden.

Nach sieben Jahren aber hat einmal der Pfarrer von Perßken im Hofe der Wittfrau des Simon Pohl am Fenster einen Vers angeschrieben gefunden und gefragt, welcher solches geschrieben. Da hat die Bäuerin gesagt, es habe ihr Knecht dies gethan und als er weiter in Gutem nachgefragt, hat dieser bekannt, er sei derselbe Knabe, um dessen willen Ungermann und seine Frau also in Noth gekommen seien. Darüber hat sich der Pfarrer sehr entsetzt und es Ungermann mitgetheilt und dieser hat den Jungen während des Nachts am 28. August 1582 durch einen Schotten, Thomas Guttri, entführen und nach Königsberg bringen lassen. In seinem Hause hat derselbe aber nicht bleiben können, ein solcher Zudrang und Zusammenlauf des Volkes ist entstanden, um den Burschen, der so viel Unheil angerichtet, zu sehen, er ist allso ins Collegium gebracht und dort festgesetzt worden. Mittlerweile hat er bekannt, daß er unter dem Namen Hans Funk die ganze Zeit unter den Bauern gedient und Alles gethan hat, was ein Knecht machen muß, er ist sogar oft mit Getreide in die Stadt gefahren und hat beim Gerichtshause zuweilen mit angehört, wie man Ungermann vorgehabt, allein er war so verbauert, daß ihn Niemand erkannt hat. Während er aber sich so versteckt gehalten, hat sich in Kurland bei seinem Vater ein anderer Junge an seiner Statt für ihn ausgegeben, ist aber, nachdem er auf solchen Lügen betroffen, enthauptet worden. Ungermann hat nun aber dem Pfarrer zu wissen gethan, sein Sohn sei wiedergefunden, und dieser hat ihn durch seinen Schwager und dessen Frau in Königsberg recognosciren und abholen lassen (24. Oktober 1582), an Ungermann aber 800 polnische Gulden für die Noth, die er seinetwegen erlitten, bezahlen müssen. Der Bursche aber hat sich nachmals in Kurland mit einer Vornehmen von Adel verheirathet, es ist aber nie[550] herausgekommen, warum er eigentlich so lange Zeit sich versteckt gehabt und weshalb sein Vater und dessen Anwälte also eifrig den angeblichen Meuchelmord verfolgt haben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 548-551.
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