701. Der Hausen.

[636] (S. Reusch S. 56.)


Der Hausen, ein Berg von ohngefähr 250 Fuß Höhe, liegt im Kirchspiele Germau. Auch ihn umschließen Wälle und Gräben und auf ihm soll[636] ebenfalls ein verwünschtes Schloß gestanden haben, welches wie das auf dem Galtgarb zuweilen eine schöne Jungfrau aus seinen Eingeweiden ans Tageslicht sendete, die dem Muthigen dasselbe Mittel zu ihrer Erlösung an die Hand gab, wie ihre beiden Leidensschwestern auf jenem, aber eben solches Mißgeschick hatte. In diesem Schlosse liegt aber ein großer Schatz begraben. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts ward eine Magd in Germau nebst einem Knechte von ihrem Herrn auf den Hausen geschickt um Pilze zu suchen. In dem dicken Gestrüpp verloren sich beide von einander. Auf einmal gewahrte der Knecht einen großen Haufen Gold, der im Sonnenscheine herrlich wiederglänzte, ganz offen vor sich liegen. Im Kreise herum aber streckte sich ein schwarzer dicker Wurm, doch reichte er nicht völlig herum, sondern ließ zwischen Kopf und Schwanz ohngefähr noch eine Spanne frei. Der Wurm sah den Knecht aber immer so an, als wollte er sagen: »Nimm doch das Gold, nimm doch das Gold!« Endlich konnte dieser der Lust zuzugreifen nicht widerstehen, stellte sein Pilzkörbchen an die Stelle des Schatzes, welche der Wurm nicht umschlang, hinein und scharrte es ganz voll. Für den Knecht war dies schon sehr viel, für den Schatz aber sehr wenig, und da der Knecht nicht sah, daß derselbe abgenommen hatte, zog er auch noch sein Oberhemde aus und sackte es ebenfalls voll. Nun konnte er aber nicht mehr fortschleppen und dachte bei sich: »Das arme Mädchen hat noch nichts bekommen, du willst sie rufen, daß sie sich das Uebrige einsackt!« Kaum aber fing er an nach seiner Begleiterin zu schreien, so erhob sich ein solches Brausen und Sausen auf dem Berge, daß seine Stimme kraftlos verhallte, aber aus den dicken Wolken kreischte es zu ihm herab: »Schütt' aus das Gold, schütt' aus das Gold!« Darüber erschrack der Knecht sehr und nachdem er eine Weile bald das Gold, bald die Wolken angeglotzt hatte, warf er Alles, das Gold aus dem Körbchen und das Gold aus dem Hemde wieder auf den Haufen. Augenblicklich war der Sturm vorüber, der Wurm senkte sich mit dem Schatze wieder in den Berg hinab und die Erde schloß sich über demselben. Daß aber ein Schatz dagewesen war und die ganze Erscheinung kein Traum, ging daraus hervor, daß einige Goldstücke beim Ausschütten über den Schlangenring hinausgeflogen und dort liegen geblieben waren.

Später ist wieder einmal ein Knecht auf dem Hausen gewesen, der stolperte beim Gehen, wie er meinte, über einen Wachholderstrauchast, als er aber näher hinsah, war dies kein Ast, sondern ein köstliches Trinkhorn an einem zierlichen Bande, wie es die alten Heiden zu führen pflegten, er hob es auf und schickte es nach Berlin, wo es noch sein soll.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 636-637.
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