9.

[104] Es wogt ein Schiff auf ferner Meeresbahn,

Sein Bild, der Nautilus, schifft nebenan,

Bläht auch sein Segel, – doch kein Sturm zersprengt's!

Lenkt auch sein Schifflein, – doch kein Riff bedrängt's!


Ums Schiff Delphine gaukeln, nah und fern,

Wie treue Hund' am Wagen ihres Herrn;

Sie blasen lustig aufwärts Well' auf Well',

Des grünen Meeresgartens Springequell!


Wo steuert hin das Schiff im Wogentanz?

Mit Menschenfracht ist's überladen ganz!

Auswandrer sind's, die fern an Westens Strand

Jetzt suchen, was sie fliehn: ein Vaterland!


Sieh, da begab sich's, daß ein fremdes Weib

Von süßer Bürd' erleichtert fühlt den Leib,

Ein Kind gebärend in des Schiffes Raum,

In Meeres Mitt' ein fruchtbehängter Baum.


Der Kapitän, die Hände fromm erhöht,

Spricht ihm als Priester Segen und Gebet;

Ist eines Sonnenstrahles stiller Flug

Ins Menschenherz nicht Priesterweih' genug?
[105]

Es schöpft des Meeres Welle seine Hand

Und netzt dem Kind der heitren Stirne Rand:

»O Sohn des Meers, des Lebens wahrer Sohn!

Dich weiht's als Kind in seine Räthsel schon!


Sieh, dich gebar in Wind und Wellenreich

Dein Mütterlein, dem Sturmesvogel gleich,

Der unter'm Flügel, hoch ob weiter Fluth,

Im Flug ausbrütet seine junge Brut!


Nicht Spannen Erde nennst du Vaterland,

Die Scholl' ist nicht des Menschen Heimatstrand!

Dein erstes Lebensbild ist Well' und Wind,

Wie einst wohl auch dein letztes: Well' und Wind!


Die Riff' als Pathen in dein Wieglein sehn,

Der Sturm läßt drüber seine Locken wehn,

Das Meer als Amme wiegt's und singt zu Zeit

Das alte Weltlied: Unbeständigkeit!


So werden Wetterlaun' und Sturmesschein

Dir einst nur Märchen deiner Kindheit sein!

Ob's oben tobt, du wahrst dir, wie die Fluth,

Die Perle, die in deiner Tiefe ruht.


Ihr Andern, alte Kinder alter Welt,

Für euch auch ist das Weltmeer aufgestellt,

Das Becken eurer Taufe soll es sein,

Drin wascht euch von der alten Erbsünd' rein!


Knüpft auf den alten Hochmuth an den Mast!

Den alten Knechtsinn rasch kielholen laßt!

Den Haß und Neid, Habsucht und Glaubenswuth,

Senkt tief den alten Plunder in die Fluth!«
[106]

Und horch, da tönen Glocken fern im West,

Wohl ziemt ja Glockenläuten solchem Fest!

Sieh, Schmetterlinge schaukeln sich im Raum,

Wie Blüthen, losgeweht vom Frühlingsbaum!


Es wiegt als Kranz sich sanft zum Angebind'

Der Glocken Klang, der Falter Glanz ums Kind

Zugleich erschallt vom hohen Mastkorb da

Der Jubelruf: Land! Land! Amerika!


Da stürmen All' in Hast aufs Deck hinan,

Das Aug' will früher landen als der Kahn,

Es forscht und frägt den fernen, blauen Strand:

Was bringst du mir, du meiner Sehnsucht Land?


Der, dem die Heimat ein Stück Brod verwehrt,

Meint Fruchtbaumgärten, Felder, saatbeschwert,

Geräum'ge Keller zwischen Rebenhöhn

Und ries'ge Speicher voll des Korns zu sehn!


Der dort, dem Pfaffenwuth vergällt sein Land,

Ahnt ein gigantisch Pantheon am Strand,

Das aufgethan zu jener Eifrer Spott

Den Göttern allen in dem Einen Gott!


Und Jener, dem blutrünstig noch die Hand

Von Ketten, die er trug im Vaterland,

Will dort der Freiheit Siegesbogen sehn,

Rings freies Volk mit Lied und Tanz sich drehn!


Greis, der geflüchtet über Meeresfluth

Sein Restchen Leben, dieses winz'ge Gut,

Du ahnst dort Waldesstille blüthenvoll,

Draus bald dein Hügel sich erheben soll.
[107]

O Weib, du siehst ein Häuschen schimmernd weiß,

Darin einst walten soll dein stiller Fleiß,

Du hebst dein Kind, wie Mosen Nebo's Höhn,

Von ferne der Verheißung Land zu sehn!


Wohl ist's noch fern! Ein schmales, blaues Band

Liegt's auf des Horizontes weitem Rand;

Ein blauer Strich nur steigt daraus hervor.

Ragt Obelisk, Thurm oder Säul' empor?


Jetzt sind sie nah! Ein Baum ist's nur. Es steigt

Einsam sein Riesenschaft; hoch oben zweigt

Ein Dom von Laub, als sei gestellt hinauf

Ein Tempel auf des Obelisken Knauf!


Mauritia ist's, die Palm', im lauen Wind

Des Wipfels grüne Fächer wiegend lind,

Die Krone säuselt aus den luft'gen Höhn,

Wie Menschenwort, harmonisches Getön:


»Willkommen, Fremdling! Sprich, was thut dir noth?

Verlangst du Brod, sieh, meine Frucht ist Brod,

Und dürstet dich, trink' meinen Palmenwein,

Ich will dein Acker, Quell und Weinberg sein!


Bist nackt du, web' ein Kleid aus meinem Bast,

Und schläfert dich, ruh' unter mir, mein Gast,

Mein Schatten wirkt dir Decken leicht und nett,

Ich will dir Wollenheerde sein und Bett!


Willst beten du, wölb' ich dir grünen Dom,

Und willst du schaun auf Land und Meeresstrom,

Von meinen Höhn siehst du's in Fried' und Sturm!

Ich will dir Kirche sein und Wart' und Thurm!
[108]

Sieh hier wildfreie Söhne der Natur!

Ich bin ihr Reich, ihr Haus und ihre Flur.

Auf Wieg' und Brautbett senk' ich Palmenreis,

Ihr Sterblied säus'l ich einst als Glocke leis.


Schwämmst du als Diogen' im Fasse her,

Rasch schwing' ans Land den Fuß! Doch stoß' ins Meer

Dein Faß zurücke mit dem andern Fuß!

Denn deine Tonne selbst ist Ueberfluß.«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 104-109.
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Sämtliche Werke 6: Schutt. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
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