Erster Tag

[343] Morgen. die Legionen in Marsch. Varus und Hermann zu Pferde vor ihnen. Die deutschen Hülfstruppen rechts auf den Bergen.


VARUS. Da blitzt?

HERMANN. Die Weser.

VARUS. Jüngst trug ihr Rücken noch die mächtigsten Eisblöcke. Jetzt ist alles aufgelöst.

HERMANN. Es löst sich bei uns manches ehe man daran denkt. Das Wetter ist hier zu Lande launisch. Er sieht den Varus starr und trüb an.

VARUS. Du bist ersichtlich nicht wohl.

HERMANN. Ein unbedeutender Fieberschauer. Die Luft ist zu regnicht, und naßkalt.

VARUS. Der Feldarzt!

DER FELDARZT tritt vor. Ich bin allemal derjenige, welcher in deiner Nähe harrt, Herr, und freue mich unendlich, wenn ich jetzt Gelegenheit gefunden haben soll, an dir meine Kunst zu praktizieren und dir meinen guten Willen zu zeigen.

VARUS. Kuriere den Herrn da.

FELDARZT. Was fehlt ihm?

VARUS. Sklav, weiß ichs? Siehe zu.

FELDARZT. Ja so. – – Er leidet offenbar an Magenbeschwerden und ist zu vollblütig. Ein Klystier und ein Aderlaß werden ihn bald restaurieren – Zu Hermann. Erlaube mir, deinen Puls zu fühlen. – Sehr stark – 150 Schläge in der Minute. Meine Lanzette soll ihn besänftigen. Er zieht sein Besteck heraus.

HERMANN. Pfuscher, hüte dich vor der meinigen, dieser hier: Er rüttelt seine Streitaxt. Ich habe mich erholt.

VARUS. So schnell und stark, daß der Sklav davonläuft.

HERMANN. Weswegen nennst du ihn Sklav, und zwar mit einer gewissen Geringschätzung?

VARUS. Musikanten, Mimen, Astrologen, Astronomen, Mediziner,[343] und andere Land- und Leutebetrieger, sind bei uns nur Sklaven.

HERMANN. Und einen dieser saubren Herrn berufst du, daß er mich heile?

VARUS. Ich dachte man tut des Guten nicht zuviel. Nützt der Kerl nicht, so schadet er doch auch nicht.

HERMANN. Freilich, ja. Ich danke dir. Für sich. Fast hätt ich geglaubt er wäre aus echter Freundschaft so besorgt um mich gewesen, und ich wäre fast empfindsam geworden. Doch ihm saß wohl nur im Kopf, daß er an mir einen guten Wegweiser verlieren möge. Laut. Die Truppen sind eingeschifft. Unzählige Boote tanzen auf den Wellen. Treten wir in das unserige. Während des Einsteigens, für sich. Bin ich Charon?

VARUS. Die Weser hat fast die Größe des Tiberstroms.

HERMANN. Ihr Busen hat noch kein Rom aufgesäugt, sonst mein' ich unmaßgeblich, daß sie viermal so breit ist als euer Fluß.

VARUS. Holla, das Boot stürzt um!

HERMANN. Wir sind in der Mitte des Wassers, – da reißt es, – aber nicht bang: es reißt nicht ab wie ein Zwirnfaden, die Schiffer müssen nur mächtiger rudern.

VARUS. Außer der Zwirn-, Garn- und Leinewandfabrikation habt ihr wohl wenig Manufakturen im Lande?

HERMANN hört nicht auf den Spott. Wir sind am Ufer. – Steigen wir aus.

EIN VEXILLAR. Beim Pluto, gibts denn in dieser Gegend keinen besseren Weg für uns als just diesen? Bald schwellende Bäche, bald klebrigter Sand, regentriefende Wälder und morastige Wiesen? Die Germanen oben auf den Bergen habens zehnmal so gut als wir.

ZWEITER VEXILLAR. Frag den Hermann. Er reitet dem Varus zur Linken und flüstert immer in sein Ohr als war er sein Orakel! Guck, da hat er ihm wieder was Angenehmes gesagt: der Prokonsul lächelt.

ERSTER VEXILLAR. Er sollte dem glatten Ohrwurm weniger trauen.

VARUS. Der Scherz, den du mir erzählst, ist allerliebst. Er bezeugt, welche Naivität auch unter Naturmenschen, woraus doch meistenteils dein Volk besteht, wohnen kann. Er in wäre was für Theokrit, für unseren feineren, ausgebildeteren[344] Virgil freilich nicht. – Wie? – Fürst, links so weit mein Auge blickt, niederbrennende Dörfer und daraus eilende Einwohner?

HERMANN. Die Memmen sind bang vor der Ankunft unsres Heers, und haben aus Angst die Kohlen zu löschen vergessen.

VARUS. Alle Bergkuppen hinter uns, vor uns, um uns, werden lebendig!

HERMANN. Von den Flüchtlingen.

VARUS. Flüchtlinge? In Waffen?

HERMANN. Gönn ihnen die. Sie retteten das Beste was sie hatten, ihren letzten Schutz und ihre letzte Wehr.

VARUS. Dein Hülfsvolk weicht zu ihnen!

HERMANN. Es will sie verjagen.

VARUS. Ohne meinen Befehl?

HERMANN. Der Deutsche tut des Guten gern zuviel, auch unangefragt.

VARUS. Der Germane ist noch viel zu dumm, als daß er nicht anfragen müßte, eh er etwas beginnt. Hole die Leute sofort von den Bergen zurück, und ich will ihnen diesmal ihren Subordinationsfehler verzeihen.

HERMANN. Quintilius Varus, das Verzeihen ist an uns, das heißt: an meinen Landsleuten und an mir! Er sprengt auf die zur rechten Hand liegende Dörenschlucht, welche von Deutschen wimmelt. Werden wir endlich eine Faust, und sind wir nicht mehr die listig vom Feinde auseinander-gestückelten Fingerchen? – Marsen, Cherusker, Brukterer, ihr Nationen alle, die ich um mich sehe – Heil uns, es gibt noch genug Brüder und Genossen in des Vaterlandes weiten Auen! – – Ihr breitschulterigen Enkel der Cimbern, Ambronen und Teutonen, vergaßet ihr so leicht und so lange die Gefilde von Aquä Sextiä und Verona? Soll das Blut eurer Großeltern ungerächt ewig dort die Äcker düngen? Rüttelte mein Ahn, der Teutobach vor Freude an seinen Ketten als ihn Marius durch die Straßen der Tiberstadt führte, wie ein wildes Tier, das man dem Pöbel zu seinem Zeitvertreib zeigt? Würd's mir und euch nicht bald eben so oder gar noch schlimmer ergehen? – Schämt euch vor meinem Pferde. Ihr zaudert und überlegt. Es schäumt bereits vor Zorn!

EIN ALTER CHERUSKER. Drück auch dem Vieh nicht so hart[345] die Sporen in den Balg. Das Luder fühlt wie ein anderer Mensch.

HERMANN. Er ist da, der Tag der Rache und Roms Siegestraum ist aus! Ihr, meine Untertanen, leidet keine Willkür von mir, euerm angeborenen Herrscher und duckt euch nun unter fremde Tyrannen? Pfui!

VIELE CHERUSKER. Er wird wieder unser!

HERMANN. Wars immer! Welch ein Dummbart war ich, wollt ich was sein ohne mein Volk? Kein Joch, und war es sterngeschmückt oder wetterleuchtend, wie der Himmelsbogen, soll fortan uns niederzwängen oder einschüchtern. – Jene Ratten da unten sind in der Falle unsrer Täler und Gebirge. Und hinter ihnen die Männer des Harzes, welche sie selbst aufstöberten, hier auf der Höhe wir, Cherusker, Brukterer, Marsen, Tenkterer und viele andre edle Stämme – gegenüber blitzen von der Elbe die blutlechzenden Speere unserer Verbündeten, und dort im Mittag regen sich auf den Hügeln schon die vorschnellen chattischen Reiter, um den Rest der systematisierten, einexerzierten, betitulierten Raubhorden, wenn wir etwas davon entlassen sollten, mit Schwertern in vernichtenden Empfang zu nehmen. Nur der Gewaltige, welcher über Böhmen seinen Herrscherstab gelegt hat, bleibt trotz allem Freiheitsschrei taub, und nur aus Eifersucht auf mich. Marbod, kämst du nur, ich begnügte mich gern mit der zweiten Stelle. Doch kämpfen wir mit doppelter Kraft, so haben wir allein Ehre!

INGOMAR. Wärst du nicht mein Neffe, und schickte es sich für einen Oheim, sein Schwesterkind zu loben, ich sagte: Junge, du hast es klüger eingerichtet als ich getan hätte.

EIN ALTER. Aber, aber –

HERMANN. Was hast du auf der Zunge?

DER ALTE. Du hast den Kaiser jahrelang getäuscht und betrogen!

HERMANN. Betrog er uns nicht auch? Ich gebrauchte gleiche Waffen gegen gleiche. Macht ihr mit eurem Messer es anders, wenn euch ein Bär mit seinen Zähnen packt?

DER ALTE. Ein Kaiser und ein Bär ist ein Unterschied. Ich sage nichts. Nur dieses: besser und ehrlicher ist auch besser und ehrlicher als –

HERMANN. Halts Maul mit deinen kleinlichen Bedenklichkeiten. Geh in deine Rotte!


[346] Der Alte entfernt sich. Hermann faßt an seinen Panzer.


Erz der Cäsaren, unter die Füße!


Er löst die Spangen.


Kerker, springe auf! Er zertritt die Rüstung.

Tyranneneis! Ich fror nur zu lang in dir! –


Sein Schwert wegwerfend.


Fort meuchelmörderischer Dolch, ich will ein deutsches Schwert, breit und hell, und dreimal so lang als dieser Skorpionsstachel! – O hätt ich meinen Hermelin und meine alten Waffen.

EIN GRAUER KNECHT. Hier ist alles, Mantel, Schild und Degen.

HERMANN. Was?! – Arnold, mein alter, treuer Bursch, wie kommt das?

ARNOLD. Das kommt so: als du abfielst und von uns gingest, dacht ich, er kehrt schon wieder, wird unter dem fremden Volk schon zur Besinnung gelangen, – er hat mir seine Kleidung und seine Waffen anvertraut, um sie zu putzen, und bei seiner Abreise zwar vergessen nach ihnen zu fragen, ich aber will jeden Morgen daran bürsten und glätten wie sonst, er könnte jeden Nachmittag zurück sein und sich hinein stecken wollen.

HERMANN. Daß du dich fleißig gequält hast, sieht man. Der Schild ist abgeschabt als war er zehntausendmal umgeschruppt, und der Hermelin hat fußlange Zasern. – – Graukopf, werde nicht böse über meinen Scherz. Du hast es gut gemeint. Fürerst nimm diese Rolle Gold, und meine Liebe.

ARNOLD. Wenn du erlaubst, so teil ich das alles mit meinen Gefährten.

HERMANN. Das sei. Nächstens mehr.


Sich den Mantel umlegend.


Ha, wie warm werd ich!


Schild und Speer ergreifend.


Rom, sieh zu, wie wir Germanen zu siegen oder zu fallen wissen!

DIE DEUTSCHEN untereinander. Auch in unsren Kleidern wieder? Nun ist er auch in unsren Seelen. Hoch Hermann!


Sie stoßen in ihre Stierhörner.


HERMANN. Bin ich in euren Seelen, braucht ihr das nicht auszublasen. Behaltets lieber bei euch, so bleib ich einheimischer. – Aber kommt der Feind, so wird Musik beim[347] Kampf nicht schaden. Und er naht!

VARUS. Verräterei, die schwärzeste Verräterei! Links, rechts, hinten, vorn, überall empörte Germanen! – Legat, wie sind wir von dem Hermann betrogen!

EGGIUS. Du vielleicht, ich nicht, denn ich hatte nichts mit ihm zu schaffen, und tat nur, was du gebotest. Indes dein Irtum kann den Besten treffen. Ich zähle jetzt achtzig Jahre, werde auch noch immer, ungeachtet meiner Erfahrungen, Tag für Tag mehr überlistet und getäuscht.

VARUS. Über den Bach hier und dann bergauf! Sturm! Du voraus mit deiner Legion.

EGGIUS. Neunzehnte! 'nen Keil gebildet! Vorwärts!

HERMANN. Reiterei der Marsen, eil entgegen, wehr ihnen den Übergang über die Werre.


Die marsischen Reiter galoppieren hinunter, werden aber zurückgeworfen. Hermann zu den wieder ankommenden Marsen.


Schön! Ihr wißt, daß man euch wie alles Gute für die günstigste Gelegenheit sparen und nicht unnütz verquackeln muß. – Ihr solltet die Römer zurückweisen und statt dessen holt ihr sie her!

DER MARSENHÄUPLING. Ehre deinen Befehlen. Doch das Unmögliche vermochten wir gegen die Übermacht nicht zu leisten. – Hör und siehe, was wir können: Marsen, der Cheruskafürst hat uns beleidigt und verkannt, rächen wirs durch Heldentod! Er stürzt mit den Marsen unter die Römer und fällt mit seinen Leuten nach einem heftigen Gefecht.

HERMANN hat ihnen nachgesehen, und faßt an seine Augen. Das regnet, – man wird ganz naß – Laut. Cheruskas Reiterei!


Diese Reiterei sprengt heran.


Was sollen jene elenden welschen Turmen und Krippenreiter um das feindliche Heer stolzieren?

EIN CHERUSKISCHER REITER. Sie sitzen zu Pferd als wären Katzen auf Hunde gebunden.

HERMANN. Lehrt sie den Tod, und fangt ihre schönen Hengste und Stuten.


Die cheruskische Reiterei sprengt hinunter, zerstreut die Turmen, von deren Mitgliedern indes sich viele hinter die Legionen flüchten, und kehrt mit gefangenen Pferden zurück.


EIN RÜCKKEHRENDER CHERUSKER. Kein Gott!

ZWEITER. Bei Gott nicht![348]

ERSTER. Rettet das Volk noch einige der besten Stücke seines Getiers!

ZWEITER. Was erwischtest du?

ERSTER. Diesen Rappen, mit zwei weißen Flecken an jedem Fuß, die ihn zieren möchten, wären sie nicht ungleicher Größe.

ZWEITER. Ich erbeutete gar nichts.

ERSTER. So brauchst du dich auch nicht um eine schlechte Beute zu ärgern.

EGGIUS rückt mit der neunzehnten Legion herauf. Besser Schritt gehalten!

HERMANN beiseit. Stirn, bleib mir kalt! Es wird ungeheure Gefahr! Laut, zu seiner Vorhut. Sacht! Weicht nicht zu geschwind! Beim Weichen ist man nie zu langsam!


Thusnelda, in einem Wagen, dessen braune Renner sie selbst lenkt, erscheint auf der Höhe.


DAS DEUTSCHE HEER sich umblickend. Eine Walküre über uns!

HERMANN. Viel Besseres: mein Weib, bei mir in der Stunde der Gefahr! – – Und fürchtest du nicht vor den römischen Geschossen?

THUSNELDA. Du bist ja mit mir unter ihnen. – Ich bring euch Speis und Trank und zwanzigtausend Mann. – Laß das zürnende Rütteln an meinem Wagen. Die Speichen könnten leicht auseinandergehen. Zu Haus ist alles, ungeachtet meiner Abwesenheit in Ordnung.

HERMANN. Kein Zorn, nur Freude rüttelt an dem Wagen.

THUSNELDA. Nimm dieses Tuch und trockne deine Stirn, du bist erhitzt. Das darf ein Feldherr nicht sein, wie ich glaube.

HERMANN. Zu Zeiten wohl!

INGOMAR. Neffe –

HERMANN. Oheim?

INGOMAR. Deine Frau ist kein Weib.

HERMANN. Alle Wetter, was denn?

INGOMAR. Kanns nicht recht sagen. Doch gegen ihre Stirn tausch ich nicht die Sonne, nicht den Blitz gegen ihr Lächeln, und ihren Mut und Verstand betreffend –

THUSNELDA. Schon zuviel, Oheim.

INGOMAR. Nun spricht sie gar mit mir!

HERMANN. Werde nicht verliebt, Alter, und mache mich nicht eifersüchtig.

INGOMAR. Wie ihre Augen durch das Heer rollen! Wer das[349] aushält, hat statt des Herzens, noch weniger als einen Kiesel im Leibe, denn selbst der Kiesel sprühte Funken! – Ich will, Ihr zu Ehren, Feindesleichen machen, und mich darunter zerstreuen!

HERMANN. Warte bis die vorderste Neunzehnte an jene schmale Wegstelle kommt und ihre alte vierschrötige Taktik dünn und einfach machen muß.

INGOMAR. Mit dem Warten gewann ich mein Lebstag noch keinen Pfennig. – Trabanten, folgt mir!

HERMANN. Bergunter ist er. Wenn da nur nicht schon die Sigambrer sich in seine Seiten schwenkten, und seine Nachhut mordeten.

THUSNELDA. Sind die Sigambrer nicht Deutsche?

HERMANN. Dermalen Römlinge. Blätterabfall der Eiche, die in Europas Mitte prangt. Sie kann viel entbehren, und bleibt stark.

THUSNELDA. Das sage nicht. Man muß haushälterisch sein, und sei man überreich.

INGOMAR aus der Tiefe. Kerle, seid ihr toll? Laßt euch abschlachten wie das liebe Vieh?

INGOMARS TRABANTEN. Wehren wir uns nicht noch im Sinken?

EINER DER TRABANTEN verwundet, im Todeskrampf. Bengel, den ich am Kragen habe, Specht, der du weither flogst, du fliegst nicht so weit zurück! Er stürzt mit einem erdrosselten Römer zur Erde, und stirbt gleich darauf selbst.

HERMANN. Ihr Reitertrupps der Tenkterer rettet Ingomar und die Trümmer seiner Scharen, der Gedanke an euren Rhein dabei nicht zu vergessen!

DIE TENKTERER. Der Rhein! Sie stürmen hinunter und bringen nach einer Pause Ingomar und zwei seiner Trabanten herauf.

HERMANN. Umgesehen: rechts und links nisten sich Veliten ins Buschwerk ––Brukterer, jetzt beweist, daß ihr abgefeimte Wilddiebe seid, und mir manches Stück wegschosset – ihr kennt hier jeden Baum und jeden Schleichweg

DIE BRUKTERER. Herr?

HERMANN. Tuts nicht wieder und säubert heute das Holz von den zweibeinigen Ebern in Menschengestalt.

DER HÄUPTLING DER BRUKTERER pfeift mehrmals durch die Finger. Tuwith![350]

ERSTER BRUKTERER. Die Zeichen! – Ich muß auf jenen Anstand.

ZWEITER. Ich in dieses Gesträuch.

DRITTER. Wir müssen hinter jene Lärchtannen.


Der Anführer pfeift noch einmal mit hellerem Ton.


DIE BRUKTERER. Ha, nun dran und drauf!


Die Bruckterer verbreiten sich im Walde. Bald darauf stürzt der Rest der Veliten blutend aus ihm zu den Legionen.


HERMANN. – – Oheim, wo sind deine übrigen Trabanten?

INGOMAR. Schaust du endlich nach mir um?

HERMANN. Ich hatte bislang nach was anderem zu sehen.

INGOMAR. Meine Leute liegen unten, sind auch nicht gefangen worden, vielmehr gottlob! auf ehrliche Art mausetot.

HERMANN. Opfere künftig deinem unüberlegtem Mut nicht tapfere Männer.

INGOMAR. Unüberlegt? Schrie und schreit der greise Eggius nicht schon an diesen Höhen? Hielt ich ihn nicht auf und macht ich ihn nicht verdutzt?

HERMANN. Damit er, über deine Niederlage ermuntert, nun desto trotziger den Berg ersteigt? – Da tut ers schon.

INGOMAR um den sich neue Waghälse gesammelt haben. Das halte ein Verräter aus! Stürzen wir ihm entgegen, das Heer uns nach, und mein Hals der erste, welcher aufs Spiel gesetzt wird!

HERMANN zu seinem Heer, welches sich in Bewegung setzen will. Wer ohne meinen Befehl den Fuß bewegt, dem tanzt der Kopf vom Rumpf! Den Ingomar vom Pferde reißend. Und du, alter Fasler, geh künftig zu ebener Erde, daß man weniger dich sieht und hört, und du dein edles Roß nicht zu Torensprüngen mißbrauchst.

INGOMAR. Das deinem Mutterbruder?

HERMANN. Allgemeine Blutsverwandschaft, nicht Mutterbruderei gilt in der Schlacht!

INGOMAR. Zuweilen sagst du ein wahres Wort, aber den Schimpf, den du mir angetan, vergeß ich in meinem Leben nicht. Du sollst sehen!

HERMANN. Vergiß die vermeintliche Beleidigung nur so lange, bis wir den Feind vernichtet haben. Dann will ich deine Rache erwarten. – – Du schläfst, Thusnelda?

THUSNELDA senkt ihr Haupt noch tiefer, blickt ihn bedeutungsvoll an, und schließt die Augenlider fester als zuvor.[351]

HERMANN. Ich verstehe. Laut. Die Fürstin, welche euch im Kampfe Lebensmittel brachte, schläft im Vertrauen auf eure Waffen – Wer stritte nicht für ihren Schlaf und ihren Schutz?

DIE DEUTSCHEN. Wir alle!

EGGIUS voran mit der neunzehnten Legion, Varus aus der Mitte der achtzehnten sein ganzes Heer leitend, hinten die zwanzigste. Fünffingrige Manipelzeichen, weist dorthin auf die Höhe, und den Adler der bis heute alle Berge überflügelte, auch auf sie getragen!

HERMANN. Dicht und dichter drängen sie sich mit ihren toten Vögeln heran! Meine Leute, nur getrost, und schaut auf: da über euch steigen unsre lebendigen Adler empor, schütteln Regen und Unwetter von ihren Fittigen, uns zum Heil, dem nicht daran gewöhnten Feinde zum Verderb, und zucken von Nord nach Süd und von Süd nach Nord, wie die grimmig bewegten die Welt durchrollenden Augenwimpern des Wodan!

EGGIUS fast auf der Höhe. Sturm!

HERMANN. Wind heißt es! Er wirft seinen Wurfspieß und einer der vordersten Römer stürzt von demselben durchbohrt zur Erde. Die Legionare starren einen Augenblick.

INGOMAR. Den hast du niet- und nagelfest gemacht. Er macht sich nicht los, wie sehr er sich auch um den Speer windet.

EGGIUS. Was ist das für ein Zaudern wegen eines einzigen Gefallenen? Vor!

HERMANN. Wir stehen hier an Deutschlands Pforten – Sei'n wir wackre Riegel – Brechen die Römer durch und erreichen ihre siebentürmige Feste Aliso, dort hinter uns, so sammeln sie sich da von neuem, erwarten Hülfe vorn Rhein, uns zum zweiten Mal zu unterdrücken!

EIN CHERUSKER zu einem anderen. Bartold.

BARTOLD. Fritze, zupfe mir nicht den Ärmel entzwei. Er ist schon mehr als mürb, und ein neuer kostet Geld.

FRITZE. Tauschen wir uns um.

BARTOLD. Schmachtlappen, bleibe mir meilenweit vom Leib.

FRITZE. Höre doch – Laß mich an deine Stelle in die vorderste Reihe. Beim Leinweben hab ich mich hager gesponnen –

BARTOLD. Wahr, Hemdsfaden!

FRITZE. Du dagegen bist vierschrötig vom Pflugtreiben, und[352] ich kann mich mit dem Rücken auf deine Brust stützen, trifft mich vorn ein Puff. Denn ich möchte auch gern einen von den Advokatenknechten auf meinen Spieß laufen lassen, um meiner Frau davon zu erzählen.

BARTOLD. Was hast du in dem dicken Schnappsack?

FRITZE. Brot, Wurst, Speck, Schinken und geräuchert Fleisch.

BARTOLD. Gib mir ab.

FRITZE. Nimm.

BARTOLD essend. Teufel, deine Frau will dich fett füttern. So wie dich mästet man kaum ein Schwein.

FRITZE. Friß mir nur nicht auch den Schnappsack auf. Den muß ich ihr zurückbringen, oder –

BARTOLD. – das Weib haut dir hinter die Ohren. Er hat den Schnappsack so ziemlich geleert. Tritt nun vor, und verlaß dich auf mich.

EGGIUS. Wir sind auf der Spitze!

HERMANN. Und müßt wieder hinunter oder euch den Weg über Leichen von Fürsten und Völkern bahnen!


Zu seinem Heer.


Jetzt greift an, ihr alle! Vorn, zu den Seiten, und horcht! in dem Feinderücken kommen die Harzer an, und grüßen uns mit ihrer lustigen Bergmusik!

DAS HEER. Heil dir, alter Blocksberg, und deinen Söhnen!


Es stürzt auf die Römer.


VARUS. Die Zwanzigste hat sich gegen die Wilden vom Harze zu wenden!

EGGIUS. Wir aber fassen diese Berge bei ihren Schöpfen, wie ihre Bewohner bei ihren Haarbüscheln.


Allgemeiner Kampf um die Höhe der Dörenschlucht.


HERMANN. Deutschland!

EINIGE IN SEINEM HEER. Er spricht oft davon. Wo liegt das Deutschland eigentlich?

EINER. Bei Engern, wie ich glaube, oder irgendwo im kölnischen Sauerlande.

ZWEITER. Ach was! es ist chattisches Gebiet.

HERMANN. Und kennst du deinen Namen nicht, mein Volk?

STIMMEN. O ja, Herr – wir sind Marsen, Cherusker wir – wir Brukterer, Tenkterer –

HERMANN. Schlagen wir jetzt und immer nur gemeinsam zu und die verschiedenen Namen schaden nicht. Für sich. Ich muß mit geringeren aber näheren Mitteln wirken. Laut.[353] Grüttemeier, deine beiden schwarzen Ochsen – denkst du noch an sie?

GRÜTTEMEIER Tränen in den Augen. Ja wohl, mein Vater empfahl sie mir im Sterben.

HERMANN. Eine Manipel stürmte in dein Haus, schlachtete, s briet und fraß sie, und gab dir nichts ab!

GRÜTTEMEIER. Abgeben? Was von dem Fraß übrig blieb, traten sie mit den Füßen, oder schmissens an die Wand. Ich hätte auch nichts davon essen mögen.

VIELE DEUTSCHE. Wie dem gings uns!

EGGIUS sehr laut. Rom!

HERMANN noch lauter. Alle übrigen von den Römern gestohlenen und liederlich verschwelgten Gottesgaben: Linsen, Kohl, Erbsen und große Bohnen! Widersteht, auf daß ihre Fäuste nicht zum zweiten Mal in eure Töpfe greifen!

VARUS. Legat, wie lange währts daß du die Höhe ganz in der Gewalt hast? Man wird hier ungeduldig.

EGGIUS für sich. Das glaub ich. Ich und meine Leute sinds schon längst.


Er ruft dem Varus zu.


Man hat hier zuviel mit Linsen, Erbsen und verdammt saurem Kohl zu tun! – Doch ich wags drauf von neuem, und will, wenn ich gewinne, in Rom der Ceres einen Tempel weihen, als Beschützerin der Hülsenfrüchte! Drum Göttin der Getreide, wende dich ab von deinen germanischen Anbetern, und hilf mir!

HERMANN. Ziegen, Schafe, Hühner, Tauben, Hechte, Forellen, alles was sie ergreifen konnten, nahmen euch die Schufte, ohne zu bezahlen. Kerbt ihnen mindestens die Rechnungen ins Gesicht, zum Andenken bei ihrem Abzug!

EGGIUS. Der Kaiser!

HERMANN. Denkt der in seinem Namen gestohlenen Runkelrüben, und seiner Sachwalter, Advokaten, und, schlimmer als beide, seiner Gesetze und Richter!

DIE DEUTSCHEN. Ha! Sie stürzen mit einem furchtbaren Anprall auf die Römer.

EGGIUS zu einem Unterlegaten, leise. Sag dem Prokonsul, wir erzwängen dermalen nichts mehr. Ich müßte umwenden und er möchte mit seiner unversehrten Achtzehnten es auch tun. Die Zwanzigste wird es schon getan haben, da sie genug[354] mit den ihr im Rücken hervorbrechenden Harzkerlen zu schaffen hat.


Der Unterlegat ab. Eggius laut.


Das war ein sieg-, ein höchst glorreicher Angriff, Krieger! Ihr überwandet die Natur und die Menschen! Indes, es dunkelt, ruhen wir bis morgen in einem Nachtlager, und machen wir dann beim Tagslicht den Aufrührern das Garaus!


Die Römer ziehen bergunter zurück.


THUSNELDA. Er schlägt sie in die Flucht! O Ich! Was bin ich? Siegesfreude!

HERMANN. Ihnen nach! Stoßt sie, daß sie übereinanderpurzeln wie Kraut und Rüben!

VARUS. Ruhig, Eggius. Die Achtzehnte nimmt euch in ihre Zwischenräume auf, und wird euch zu decken wissen.


Die neunzehnte Legion marschiert durch die Lücken der en echiquier aufgestellten achtzehnten, und

diese steht plötzlich statt ihrer in Schlachtordnung vor den Deutschen.


HERMANN. Laßt euch nicht durch Kriegskünsteleien verblüffen. Hinunter und noch tiefer müssen sie doch!


Er greift mit der Reiterei die achtzehnte an, wird jedoch abgewiesen. Die neunzehnte Legion rückt so unter dem Schutz der achtzehnten mit derselben in das Tal, und wirft die Lagerwälle auf.


HERMANN. Stört sie bei ihrem Nestermachen!

VARUS unter heftiger Gegenwehr seiner Truppen. Heut gehts noch nicht!

HERMANN. Es ist auch noch nicht aller Tage Abend! Zu seinen Leuten. Vergeudet euer Blut nicht, laßt sie bauen, sie müssen doch bald aufbrechen oder verhungern. Einer vom Harz meldet mir eben, daß seine wackeren Kameraden ihnen allen Proviant genommen. Umstellen wir sie nur mit Beobachtungsposten, und feiern wir oben auf unsren Gebirgen unter Feuer und Met seit langen Jahren unsren ersten freien Jubel wieder, wie ringsum unsre Bundsgenossen auch tun. Die Fortsetzung des Blutbades folgt morgen.


Er stellt Posten aus und begibt sich mit seinen Heerhaufen auf die Höhen der Dörenschlucht und

der umliegenden Berge.


Wo ist meine Gemahlin?

EINER SEINES GEFOLGS. Sie hat sich entfernt, – der Anblick[355] des Kampfes hätte sie zu heftig erschüttert, sagt sie, – auf dem Siegesfelde sähe sie dich wieder.

HERMANN für sich. Das kann noch lange währen – –
[356]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 343-357.
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