V.

König Prusias

[144] Hauptstadt Bithyniens.

Thronsaal im Palast des Königs Prusias.

Der König Prusias kommt mit seinem Gefolg und setzt sich auf den Thron. Tiefe Stille. Ein Höfling niest.


PRUSIAS. Was vernehm ich?

HÖFLING. Großer Monarch, verzeihe – Ich – ein unwiderstehlicher Drang –

PRUSIAS mit gedämpfter Stimme. Jeden Drang der Natur kann die Kunst besiegen, wie Du in den Schulen zu Byzanz, wohin ich Dich auf meine Kosten gesandt, hättest erlernen können. Dein Prusten, gar klingend wie eine Anspielung auf meinen und meiner Ahnen Namen –

HÖFLING. Behüten mich die Götter vor solchem Frevel – Ich prustete nicht, ich nieste nur.

PRUSIAS. Der Verdacht schon gilt bei Königen für ein Vergehen, denn wir können bei der Menge unsrer Schmeichler und unsrer heimlichen Feinde nicht erraten, ob ein Narr lobhudeln, ein Feind uns ausspotten will. Entferne Dich, und erscheine nicht eher, als bis zwanzig Jahre abgelaufen sind und Du Deine Sitten gebessert hast, wieder vor meinem Hof.


Der Höfling ab.


Protovestiarios – Wartet Hannibal draußen?

PROTOVESTIAR. Er harret auf die Audienz.

PRUSIAS. Ist er audienzmäßig gekleidet, Protovestiarios?

PROTOVESTIAR. Einfach, doch anständig, wie es Schutzflehenden geziemt.

PRUSIAS. Er hat mich in einiger Hinsicht verletzt. Warum kam er nicht gleich zu mir, sondern ging erst zum syrischen[144] Antiochus, der seine Ratschläge ohne Umsicht zum eignen Schaden benutzt, und ihn dann verlassen hat?

PROTOVESTIAR. Im Unglück wählt der betäubte Mensch oft ganz verkehrt.

PRUSIAS. Es freut mich, daß auch die Arbeiten meiner Erholungsstunden Früchte bringen, und Du diesen Spruch aus meinem Trauerspiele Sesostris Dir gemerkt. – Ruf und führe den Hannibal bis an den Rand des Purpurteppichs vor der Estrade meines Throns.


Zu den Höflingen.


Erstaunt nicht – Merkt euch vielmehr, ich habe mich von allen Seiten her unterrichtet, und gefunden, daß Hannibal zwar keine erlauchte, aber doch eine edle Person ist, der in Betracht seiner Taten als Krieger und der langen Reihe seiner Vorfahren auch erlaucht wäre, wären die letzteren nicht Kaufleute gewesen. Darum darf er kommen grad bis an des Teppichs goldfranzigen Rand.

HANNIBAL vom Protovestiar begleitet, tritt ein. Er verbeugt sich ehrfurchtsvoll dreimal gegen den König, der sich dabei auf dem Thron noch steifer sitzen macht, und knieet mit dem rechten Knie an dem Rande des Teppichs. Tiefe Stille.

PRUSIAS der sehr ernst zugesehen, nach einer Pause. Stehe auf! Hannibal erhebt sich. Du begehrst?

HANNIBAL. Hoher Herr, ich habe nichts zu begehren, nur zu bitten In sich. Dieser Mensch hat eine knisternde Stimme, als ginge am Festtag ein banger Dienstbote über den Sand des Hausflures!

PRUSIAS für sich. Sein Benehmen nicht übel –

HANNIBAL. Ich biete mich zu Deinem Krieger an.

PRUSIAS. Das kann ich noch nicht gewähren – Zu einem Höfling. Gib!


Der Höfling überreicht ihm ein Konvolut Landkarten, Prusias entfaltet sie und zeigt passenden Orts sie dem Hannibal.


Ich habe Deine Kriegszüge genau durchstudiert, und finde, Du hast oft recht unvorsichtig gehandelt.

HANNIBAL. Unvorsichtig, Herr?


Für sich.


Eher hätte ich vermutet, daß er mir übertriebene Vorsicht vorgeworfen – Doch er und diese Höflinge – eine neue Art Schlachtfeld! Wir wollen mit andren Waffen, mit[145] Verbeugungen und dergleichen uns darauf versuchen – Laut. Belehre mich, König.

PRUSIAS. Das will ich. – Dein ganzer Feldzug fing quer an –

HANNIBAL für sich. Werd ich ein Schuljunge?

PRUSIAS. Weshalb das gefährliche Abenteuer versucht, über Pyrenäen und Alpen zu steigen, da Du weit rascher, weit ungefährdeter über das Meer nach Italien eilen konntest?

HANNIBAL für sich. Eine blinde Sau findet auch eine Eichel! Er hat recht!


Laut.


Mein damals jugendlicher Geist verlockte mich.

PRUSIAS. Und Du hast, wie ich erfahren, an Deinem Bruder Hasdrubal den ähnlichen Übergang streng getadelt.

HANNIBAL. Das tut mir leid.

PRUSIAS. So der Mensch – Er sieht die fernsten Nebelsterne eher, als seine eigenen Fehler. – Dann, Bester, ist in Deinen Schlachten durchaus kein System. Bisweilen hast Du Deine Reiter rechts, bisweilen links, bald in der Mitte, und mit Deinem Fußvolk gehts ebenso.

HANNIBAL. Meine Entschuldigung sei, daß ich mich nach Zeit- und Ortsgelegenheit richten mußte –

PRUSIAS. Die gilt nicht, weder in der Kunst noch im Krieg: das System nur ist ewig und nach dieser Richtschnur müssen sich Heere richten, Gedichte ordnen, und das System stirbt nicht, geschäh ihm auch ein Unfall.

HANNIBAL. Hoher Herr, Dein Wissen scheint aus einer so tiefdurchdachten Praxis –

PRUSIAS. Ja wohl. Mein Vater ließ mich am byzantinischen Hof als Ehrenoffizier bei der Leibwacht erziehen. Er erhebt sich. Pantisaalbaderthilphichidis!

DER LEIBPAGE vorstehenden Namens, tritt vor. Herr?

PRUSIAS. Geleite Hannibal zu der ihm bestimmten Wohnung. Mit Wohlbehagen. Hörst Du, Pantisaalbaderthilphichidis?


Alle außer Prusias entfernen sich

Ein Maler tritt aus dem Hintergrunde.


Hast Du sie entworfen, die zwischen mir und dem Hannibal vorgefallene, denkwürdige Szene?

MALER. Wie Du befahlst, und unbemerkt – Hier ist die Skizze –[146]

PRUSIAS hält sie ins gehörige Licht. Im ganzen gut – Dein Stift ist indes noch hier und da zu scharf – Mein Haar hat daher etwas Dürres, als trüg ich trocknes Heu auf dem Kopf, – das tut Deine ängstliche Hand, gewöhne Dir sie ab. Ununterbrochene Übung das beste Mittel dagegen. – Das Knieen Hannibals brav – etwas zu lang hast Du ihn zu meinen Füßen hingereckt, jedoch das ist byzantinischer Stil, und schadet meiner Würde nicht, welche in allen Stücken die Hauptsache bleibt.


Karthago.

Nacht. Große Halle im Palast des Barkas, festlich mit Ampeln und Lichtern erhellt.


BARKAS auf ein Ruhekissen das Haupt gesenkt, erwacht aus dem Schlummer. Himmel, was hat Alitta mit leisem Tritt veranstaltet, während ich schlief? – Die Halle schimmert von goldenen Ampeln und Leuchtern und blendendem Licht! Duftet von Ambra! Ist heute ein Familienfest?


Römische Tubatöne, erst in weiter Ferne, dann immer näher und stärker, von allen Seiten

herüberschwellend.


O Meer, bedecke mich vor diesen Tag für Tag furchtbarer, näher werdenden Klängen! Sich erhebend. Was da? – Diese Halle ist hundert Stiegen hoch, und welche Riesenweiber schauen da in ihre Fenster – und – spalten sich die Mauern vor meinem Blick? – fegen die Gassen aus, die Gassen selbst fort? – Da, Du, du Eine, höher als alle, was weinst Du in mein Haus? Ich bedarf Deiner Tränen nicht, habe schon Grams genug – Eine funkelnde Königskrone auf dem Haupt? – – Elissa – Dido – bist Du es, die vor meinem Fenster steht? Standest Du auf, um Deine Stadt noch einmal vor ihrem Untergange zu sehn? Wehe Karthago! sie nickt, verdeckt ihr Haupt, und verschwindet mit ihren Gefährtinnen im Meer! – – Träum ich? Nein, dazu ists zu furchtbar!


[147] Alitta tritt ein mit den vornehmsten der jungen Karthagerinnen, alle im glänzendsten Schmuck, lodernde Fackeln in der Hand.


BARKAS. Mädchen, Myrten im Haar? Mit Diamanten und Perlen beschneit? In jetziger Bedrängnis?

ALITTA. Teuerster Ahn, wir alle haben Tag und Nacht gearbeitet, unsre Krieger zu bewaffnen – Sie sind nun bis auf wenige gefallen, und denen kann unsre Arbeit nicht mehr fruchten – Was hilft nun der Gram? Wir wollen unsren Schmerz erleuchten und Hochzeit feiern, darum ließ ich Ampeln und Fackeln anzünden!

BARKAS. Hochzeit? Dein Brasidas liegt tot.

ALITTA. So feiern wir nicht die irdische, aber bald die schönere himmlische! Hört! wie sie den Reihen dazu spielen!

BARKAS. Das ist der Sturmalarm des feindlichen Heeres!

ALITTA. Desto besser! Der Feind spielt selbst zu unsrem Fest und die Musik scheint kräftig! – Greis, Karthagos Jungfrauen und Matronen wissen, daß die Römer die Mauern erbrechen, obgleich der in seinen letzten Tagen so edle Gisgon sie mit seinem Todesblut versiegelt hatte, – sie wissen, daß alle Gegenwehr vergeblich ist, darum sind sie alle, keine ausgenommen, (sieh nur, wie es auch in den nachbarlichen Häusern und Palästen hell wird) entschlossen –

BARKAS. Doch nicht – ?

ALITTA fest. Die Stadt und sich zu verbrennen!

BARKAS Pause. – – Gebt mir auch eine Fackel!

TURNU sich vordrängend. Da!

ALITTA. Ha, der Mohr, welcher nach Zamas Schlacht hier Hannibal suchte, und den ich beschützte – Du bleibst leben!

TURNU. Muß ich?

ALITTA. Um Dich durch die Römer zu schleichen, und dem Hannibal zu berichten, was hier geschehen.


Turnu ab.


Und nun Freundinnen, Gespielinnen, besser, wir werden heiße Asche, als blühende Sklavinnen! – Ich beginne!


Sie wirft ihre Fackel an die Tapete; die Übrigen ebenso; der Palast beginnt zu brennen, die Nachbarwohnungen lodern auf dieses Zeichen auch auf. Alle umarmen sich.


ALITTA. Urvater, wie ist Dir?

BARRAS. Wohler als je!


[148] Hauptstadt Bithyniens.

Ein Zimmer im Palast Königs Prusias.

Prusias und ein Höfling.


PRUSIAS. Also ein römischer Gesandter?

HÖFLING. Er bittet um Gehör.

PRUSIAS. Kommt der Mensch allein?

HÖFLING. Er hat nur einige Diener bei sich. Aber an unseren Küsten kreuzen sechs bis zehn römische Kriegsschiffe.

PRUSIAS. Lächerlicher Pomp! – Was wünscht das römische, so trotzig angekommene Bürgersubjekt?

HÖFLING. Die Auslieferung Hannibals.

PRUSIAS. Wird nimmer bewilligt. Er ist mein Gastfreund.


Der Prätor Titus Flamininus tritt ein. Prusias für sich.


Er beugt sich nicht? Öffnet nicht einmal den Mund zum Reden? – Ich muß wahrhaftig anfangen – Laut. Wer bist Du?

FLAMININUS. Ein Prätor Roms, an Dich gesandt.

PRUSIAS. Was bittet Rom?

FLAMININUS. Es will, daß Du mir auf der Stelle den Feldherrn des untergegangenen Karthagos, jetzt Provinz Afrika geheißen, den Hannibal, auslieferst.

PRUSIAS. Ein eigener Antrag – Zu dem Höflinge. Bemerk ihn Dir einstweilen zu den Akten.

FLAMININUS. Damit ist mir nicht gedient.


Er entfaltet seine Toga und legt sie wieder zusammen.


Wähle! hier Krieg oder Frieden!

PRUSIAS. Rasche Leute, ihr! Zu dem Höfling. Was meinst Du?

HÖFLING leise. Unsrer Truppen sind jetzt eben wenig –

PRUSIAS. – Mein braves Volk wegen des Heimatlosen in Krieg stürzen? Wär es recht, billig, weise? Nein, spricht auch manches bei mir für ihn, ich muß es bezwingen, denn höhere Verhältnisse sind gegen ihn! Ja, so ists.


Zu dem Höfling.


Überliefere dem Prätor den Hannibal. – Ich gehe auf die Hirschjagd.


[149] Villa vor Bithyniens Hauptstadt.

Zimmer.


HANNIBAL sitzt an einem Tische. Wollt es der Prusias, Kleinasiens winzige Staaten wären bald überrumpelt, doch ich bin ihm zu dumm – – Karthago – sei wie du willst, doch meine Vaterstadt, und mir doppelt teuer, weil du jetzt so unglücklich sein wirst! –


Aufstehend.


Heimliches Geschleich? – Es kriecht! Ohr, trügst du mich? Es ist Turnu! Von Karthago! – – Hannibal, mach Dich gefaßt, sei stärker als die Eiche, und schaudre nicht mit allen Blättern, wenn die Wetter herannahen! Er öffnet die Tür. Komm!

TURNU. O Herr! Du!

HANNIBAL. Mäßige Dich!

TURNU. Kanns nicht, Herr, Fürst, Vater, Mutter, Du mir alles!

HANNIBAL. Welche Nachricht bringst Du?

TURNU. Mich schickt Alitta.

HANNIBAL für sich. Ah, nun steht es noch gut mit Karthago. Die hätte seinen Untergang nicht überlebt.

TURNU. Sie trug mir auf, Dir zu erzählen, wie alles geschehen.

HANNIBAL. Erzähle.

TURNU. Die Scipionen haben lang genug an Karthago vergeblich erobern wollen.

HANNIBAL für sich. Also endlich abgezogen! Laut. Meld es mir, so viel Du kannst, nach der Reihe.

TURNU. Als die Römer vor die Stadt kamen, machten sie einen Höllenlärm, daß einem Ohr und Auge weit wurden! Brandschiffe zischten auf den Hafen los –

HANNIBAL. Und?

TURNU. – platzten! – Dann kamen sie mit hölzernen Türmen an die Mauern gewackelt, große Eisenbalken daraus hervor, wir aber missen Pechkränze darauf und Turm und Mannschaft verbrannten!

HANNIBAL. Ihr habt euch brav gewehrt.

TURNU. Das mein ich. – Leider waren unsre Waffen bald zerfetzt, unsre Munition erschöpft – Da kam (in Nubien glaubts niemand!) das Weibervolk und brachte neue!

HANNIBAL. Weiter![150]

TURNU. Schrecklich wars: jeder Tempel summte von ihm wie ein Wespennest, wie ein Ehebett, Tag und Nacht keine Ruh: die eine zupfte Verband für Wunden, die andere behämmerte die Schilde, die dritte schliff Speere und so alle – Nur Alitta stickte bloß Ehrenzeichen für die Heldentaten der Männer, und sie tat klug, denn hatte sie so einem Firlefanz eins angeheftet, ging er tausendmal tapferer fort, als er gekommen war.

HANNIBAL. Die Römer?

TURNU. Waren nicht müßig. Sie dämmten unsren Hafen zu.

HANNIBAL. Ihr?

TURNU. Gruben in einer einzigen Nacht einen neuen, rechts ab vom alten. – Da fingen die Scipionen wieder zu Lande an – Schlaf, Essen, Trinken, Unterschied von Tag und Nacht hörte auf vor Kampf und Blut, bis –

HANNIBAL. Die Scipionen ermatteten?

TURNU. Bewahre! Sie brachen endlich Bresche!

HANNIBAL. Hölle!

TURNU. Wurden auch höllisch betrogen!

HANNIBAL. Ich atme wieder!

TURNU. Als Gisgon und Brasidas gefallen –

HANNIBAL. Die sind tot?

TURNU. Es kräht kein Hahn fürder nach ihnen. – Und als sonst kein waffenfähiger Mann sich noch wehren konnte, erhoben sich abermals die Weiber, Alitta an ihrer Spitze.

HANNIBAL freudig. Ah!

TURNU. Weiberlist ist unergründlich, Herr. Die Römer wurden schmählich betrogen. Sie wähnten schon Karthago mit seinen Schätzen in der Hand zu haben, da sammelt sich das Weibszeug in den Palästen, und verbrennt sich, Deinen Großvater, der ganz lustig dabei wurde, und die Stadt mit Haut und Haar. Siebenundzwanzig Tage brannte Karthago, Alitta warf die erste Fackel! Hat man es auch gesehn, man glaubts kaum! Bald wogten die Flammen hin und her, als wäre aus allen Löwen Afrikas Einer geworden, und spiegelte er sich mit seinen Mähnen im Meer! Die betrogenen Römer mußten lange warten, eh sie einrücken konnten, und fanden nur – Asche, die der Wind noch heute in die See weht.

HANNIBAL kalt. Wie kamst Du aus der Stadt?

TURNU. Da Alitta mir zu flüchten und zu Dir zu eilen gebot,[151] schlich ich mich zu den Römern und tat, als gehört ich zu Massinissas Negern – Das ging durch, denn wenn auch Massinissa Weiße, Gelbe und Schwarze hat, seine Zucht ist eben nicht sonderlich.

HANNIBAL. Laß die!

TURNU. Ach, und da erst sah die brennende Stadt prächtig aus! Bei Tag schien die Sonne gelbrot durch den Dampf, bei Nacht wurden die rotfunkelndsten Sterne bleich vor dem Feuer, wie das Weiß meiner Augen – Und die Paläste donnerten einer nach dem anderen ein, die Flammen reckten sich nach dem Himmel, als wollten sie ihn mitverbrennen.

HANNIBAL will etwas sagen, und kann es nicht.

TURNU. Die Gipfel des Atlas standen immer taghell vor dem sie durchfunkelnden Brand, mit ihren Klippen, Felsen und Waldungen! Es erschienen die Tiere der Gebirge und Wüsten: entsetzliche Schlangen ringelten sich auf an den Bäumen, Löwenaugen, Hyänen starrten in das Feuer –

HANNIBAL. Die Scipionen?

TURNU. Die hatten es gut. Sie kamen zu Zeiten, und es sah prächtig aus, wenn die brennende Stadt in dem Brustharnisch des Jüngeren, der auf einer Anhöhe des Lagers stand, sich abspiegelte. Er wußte sich auch so zu drehen, daß jedermann das sah, und kam oft. Als er aber in der siebenundzwanzigsten Nacht kam, wurde er wehmütig – die Stadt erlosch just, und es fielen ihm mit ihren letzten Funken Tränen aus dem Auge.

HANNIBAL. Gut weinen, ihr Römer! Zur bequemsten Zeit, wenn ihr alles gewonnen habt!

TURNU. Herr, laß mich abtrocknen – Du bekommst da ein Tierchen ins Auge –

HANNIBAL. Laß! Ein altes Augenübel.

TURNU. Habe das früher an Dir nicht bemerkt. – Dann sprach der jüngere Scipio auch Verse – ein schmächtiger Kerl, der immer hinter ihm scherwenzelte, wie ein Katzenschwanz (sie nannten ihn auch so mit einem »Z«, ich glaube Terenz), schrieb sie in eine Wachstafel, die stahl ich ihm aber, als er in tiefen Gedanken sie seitwärts, lose in der Hand hielt!

HANNIBAL. Zeig. – 's ist griechisch. Liest.

»Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilios hinsinkt, Priamos auch, und das Volk des lanzenkundigen Königs.«[152] Macht der Bube aus Karthago eine homerische Reminiszenz!

EIN SKLAV eilt herein. Herr, guter Herr, verrate mich nicht – Es kommt ein Fremdling, weiß gekleidet, mit purpurner Verbrämung, vor ihm sechs Männer mit Äxten, mit ihm viele Krieger unsres großen Königs, und die ganze Villa ist schon umstellt!

HANNIBAL. Auch meine unterirdischen Ausgänge?

SKLAVE. Sind verraten! Ab.

HANNIBAL nachdem er einen Augenblick an ein Fenster getreten. Turnu, es kommen Römer. Prusias hat mich ihnen feig übergeben.

TURNU. Kein Mittel, daß ich dem Prustian an den Hals komme?

HANNIBAL. Überlaß ihn nur sich. Daran hat er Strafe genug. – Er zieht die Giftflasche hervor. Also –

TURNU. Müssen wir daran?

HANNIBAL. Du bist es nicht, den sie verfolgen – Rette Dich!

TURNU. Ohne Dich? Ich häute mit Dir.

HANNIBAL. Häuten?

TURNU. Wir werfen das alte Fell ab, wie die Schlangen im Frühjahr, und sollst sehen, wir bekommen anderswo ein anderes.

HANNIBAL. Ja, aus der Welt werden wir nicht fallen. Wir sind einmal darin. – Trink!

TURNU nachdem er getrunken. Da, nimm den Rest – Es schmeckt kräftig – Teufel, was wird? Dreh ich mich um die Welt, oder die Welt sich um mich? Ich schwitze, und – Sich matt an die Stirn fühlend. es – ist heißes Eis – Feldherr – ? –


Stirbt.


HANNIBAL. Du hast überwunden. – Nun, Römer, entzieht sich euch ein verbannter, greisender Mann, vor dem ihr gebebt, bis sein letzter Atem dahin –


Er trinkt den Rest des Giftes.


Gift zu eurer Gesundheit! – Ei, wirkt es noch nicht bei mir? Das währt lange! – Ha, da – es kommt – Schwarzer Pilot, wer bist Du? – – Er stirbt.


König Prusias kommt mit Gefolg und Flamininus.


PRUSIAS. Hier triffst Du ihn.

FLAMININUS sieht Hannibals und Turnus Leichen. Ja, tot.

PRUSIAS. Tot? – Kannst Du mehr verlangen?[153]

FLAMININUS. Ja, wir wollten ihn lebendig vor dem Triumphwagen.

PRUSIAS. Wär ich nicht auf der Jagd gewesen, hättet ihr ihn vielleicht auch lebendig –

FLAMININUS. Du hättest die Jagd unterlassen sollen. Ich werde alles in Rom anzeigen, und der Senat wird entscheiden, wie man Dich bestraft. Ab.

PRUSIAS. Was – – ? Doch das hat Zeit und dagegen wird Rat sein.


Mit sehr gedämpfter und feierlicher Stimme.


Jetzt ist der Moment in das Leben getreten, wo es das zu tun gilt, was ich in mancher Tragödie ahnungsvoll hingeschrieben: edel und königlich sein gegen die Toten!


Er nimmt seinen roten Mantel ab.


Hannibal war, wie ich oft gesagt, ein zu rascher, unüberlegsamer Mann, – hart kam mir die Gastfreundschaft zu stehen, welche ich ihm erwies, – aber er war doch einmal mein Gastfreund, und darum seien seine Fehler, seine Abstammung vergessen, ihn und sie deck ich zu mit diesem Königsmantel! Grad so machte es Alexander mit Dareios!

DAS GEFOLG will Beifall jubeln. O –

PRUSIAS. Wartet – diese Falte am Zipfel des Mantels liegt nicht reche – Auch sie zu bessern, sei mir nicht zu niedrig!

DAS GEFOLG. Hoch Prusias, größter der Könige!

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 144-154.
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