Zweite Szene

[337] Paris. Große Galerie in den Tuilerien.

Gedränge von Volk, viele altadelige Herren und Damen darunter. Schweizergarden stehen auf Wache Kammerherren und Kammerdiener eilen auf und ab.


MADAME DE SERRÉ. Gleich kommt er, kommt er aus der[337] heiligen Messe, hier vorbei, er, das Glück Frankreichs! – Amme halte meine kleine Enkelin hoch empor, daß sie ihn ja recht sieht! Und bestecke sie mit Lilien, – hier sind noch vier!

DIE AMME hält ein Mädchen auf dem Arme. Madame, Mademoiselle Victoire ist mit den weißen Kokarden schon über und über geschmückt und ich kann ihr keine mehr anheften.

MADAME DE SERRÉ. Tut nichts – Hefte, hefte – Versuch's! – Das Weiße! welch eine Farbe – welche Reinheit, welche Tugend schimmert aus ihm. – Ach, es ist ja auch das bourbonische Abzeichen.

EIN ALTER MARQUIS. Madame, treten Sie vor – der König kommt mit seinem Hause.

SCHWEIZERGARDIST. Zurück!

DER ALTE MARQUIS. Wir sind treue Untertanen Sr. Majestät, wünschen gern Sein Antlitz zu sehen – Laß mindestens diese Dame vor.

SCHWEIZERGARDIST. Zurück!

MADAME DE SERRÉ. Das ist ein nordischer Bär! Er droht uns schon mit dem Bajonett!

DER ALTE MARQUIS. Da ist die königliche Familie!


König Ludwig mit dem Herzog, der Herzogin von Angoulême, dem Prinzen Condé und Gefolge tritt auf.


MEHRERE STIMMEN. Monsieur und der Herzog von Berry fehlen!

DER ALTE MARQUIS. Wir sehen ja hier der Erlauchten genug – Es lebe der König!

MANCHE DER ANWESENDEN. Es lebe der König!

MADAME DE SERRÉ. Enkelin, rufe, ruf: es lebe der König!

EIN BÜRGER. Das »lebe der König« tönt sehr dünn!

EIN ANDERER BÜRGER. Dafür kommt es aber aus adeligen Kehlen.

MADAME DE SERRÉ. Welch ein Mann! Das ist, Herr Marquis, das ist noch ein König! Ein geborner! Diese heitere Miene, dieser Adel im Antlitz –

DER ALTE MARQUIS. Die unwillkürliche Grazie –

MADAME DE SERRÉ. Selbst in dem scheinbar nachlässigen Gange –

ERSTER BÜRGER zu dem andern. Der dicke Herr König hinkt ja wie der Teufel –

ZWEITER BÜRGER zum ersten. Das kommt vom Podagra.[338]

ERSTER BÜRGER. Und das Podagra kommt vom Saufen, Fressen und –

ZWEITER BÜRGER. Sieh einmal, welch ein ernsthaftes Bocksgesicht gehe ihm zur linken Seite –

ERSTER BÜRGER. Still, still! Die hagere Dame auf der rechten Seite ist Frau des Bocksgesichts, – sie selbst steht unter der Jesuitenkutte, er steht unter ihrem Pantoffel, der König steht unter ihm, und Frankreich unter allen zusammen.

ZWEITER BÜRGER. Mönchskutte also unsre Krone, Weiberpantoffel unser Szepter, und Schwächlinge, die sich davon beherrschen lassen, unsere Tyrannen! – – – Diese Prozession mit ihren Pfaffen, – und der Kaiser mitten unter dem Generalstabe zu Pferde an den Linien der Sieger dahinfliegend – Vergleiche!

DER ALTE MARQUIS zu der Madame de Serré. Die Herzogin von Angoulême ist wirklich noch immer sehr schön.

MADAME DE SERRÉ. Wahr, Marquis! Habsburgs Adler scheint über den Lilien Bourbons zu schweben, sieht man den erhabenen Zug ihrer Nase und den blendenden Teint ihrer Wangen!

DER ALTE MARQUIS. Sehr fein ausgedrückt, Madame – Wie fröhlich der König dasteht und in seiner treuen Nation sich umschaut.

ZWEITER BÜRGER. Nation? Höre doch, Nachbar! die paar alten, der Guillotine entlaufenen Weiber und Herren nennen sich Nation!

MADAME DE SERRÉ. Wie sollte er nicht heiter sein, Marquis? – Wir alle, alle, sind ja seine Kinder.

ERSTER BÜRGER für sich. Ja, ihr seid alte Kinder, – junge hat er nicht und kann sie auch nicht mehr machen.

ZWEITER BÜRGER. Komm, laß uns fortgehen. Ich kann dies nicht mehr hören und anschauen. Dieses Geschlecht ist schlimmer als schlimm, es ist ekelhaft!

MADAME DE SERRÉ. Was seh ich? Der König winkt mir, tritt auf mich zu!

SCHWEIZERGARDIST zum Könige. Zurück!

DER KÖNIG. Ich bin der König, Freund.

SCHWEIZERGARDIST. Und dies ist mein Posten, auf den mich mein Offizier gestellt hat und für den ich bezahlt werde. Zurück, oder –

DER KÖNIG. Schon gut, gut, braver Krieger –


[339] Für sich.


Was für ein treues, dummes Tier!


Laut.


Madame de Serré, ich kenne Sie, und wünschte Sie zu grüßen – aber Sie sehen, meine Krieger sind so felsentreu, daß sie auch mich nicht zu Ihnen kommen lassen und im Stande wären, mich gegen mich selbst zu schützen.

MADAME DE SERRÉ. Sire, dieses ist der größte Tag meines Lebens – Ich –


Der König mit seiner Begleitung ab.


DER ALTE MARQUIS. Sie fällt in Ohnmacht –

MADAME DE SERRÉ. O seliger Tod! Könnt ich jetzt sterben!

CHORUS DER ALTADLIGEN EMIGRANTEN, DAMEN UND HERREN DURCHEINANDER. O welch ein Monarch! – Welche Worte: »ich kenne Sie, wünschte Sie zu grüßen!« »So felsentreu, mich gegen mich selbst zu schützen!« – – Man sollte sie in Erz graben, – hier ein Monument errichten! – Wie groß ist er! wie huldvoll! – O kennte ihn die Kanaille! begriffe sie diesen Geist! diesen Adel! – Aber wir wollen sie zügeln, und will sie nicht begreifen, so wollen wir es sie lehren!

EIN KLEINER OFENHEIZER kommt aus dem Winkel. Ihr?

MEHRERE. Wer sprach das?

DER ALTE MARQUIS. Ein kleiner Ofenheizer – da springt er mit seiner Gabel davon.

VIELE STIMMEN. Der elende Junge! – Doch der König »ich kenne Sie«, »felsentreu« – ungeheure Worte!

DER ALTE MARQUIS. Erholen Sie sich wieder, Madame de Serré!

MADAME DE SERRÉ. Mir ists noch immer, als wär ich im Himmel.

DER ALTE MARQUIS. Ich bitte, sehen Sie auf! Da geht der königliche Oberzeremonienmeister mit dem uralten Speisenapfe der Bourbons, mit dem Nef vorbei.

MADAME DE SERRÉ. Mit dem Nef! – O Gott, auch das Nef ist wieder da! Ja, Christus ist erstanden! jetzt erst glaub ich es recht!

CHORUS DER ALTADLIGEN EMIGRANTEN, DAMEN UND HERREN DURCHEINANDER. Das Nef, das Nef! O Frankreich ist gerettet!


Alle ab bis auf die Schweizergardisten.
[340]

EIN HAUPTMANN DER SCHWEIZERGARDE tritt vor. Rudi, du hast den König zu barsch behandelt.

DER SCHWEIZERGARDIST. Dem Kanton Luzern hab ich geschworen, dir muß ich gehorchen, und solang du es nicht befiehlst, ist es mir eins, ob ich für oder wider dieses schnatternde Gesindel jemand totschlage.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 337-341.
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