Sechste Szene

[455] Heerstraße vor dem Hause Belle Alliance.


NAPOLEON mit den Garden im Vorüberziehen. Graf Lobau ist bereits von den Preußen aus Planchenoit geworfen – Er soll sich auf uns zurückziehen, und einige Kompanien seiner Arrièregarde in dieses Haus werfen, um den verfolgenden Feind aufzuhalten und zu necken.


Adjutanten ab. Napoleon und die Garden marschieren weiter. – Das Korps des Grafen Lobau, im Gefecht mit den Pommern unter Bülow, rückt allmählich über die Szene, dem Kaiser nach. Graf Lobau erscheint selbst.


LOBAU. Verwünschte Übermacht – kann denn weder Geist noch Verzweiflung gegen sie retten?

BÜLOW mit den Pommern. Jungen, das Pulver nicht geschont – – Das ist heut ein herrlicher Tag!

LOBAU. Immer wieder vor, alle Regimenter!

BÜLOW. Immer ihnen entgegen, alle Pommern! – –

LOBAU. Feuer!

BÜLOW. Gleichfalls!

LOBAU. Unmöglich sich gegen diese Unzahl zu halten – – Drei Kompanien in jenes Haus – – Alle Übrigen mit nach Mont Saint Jean!

BÜLOW. Vier Bataillone stürmen jenes Haus, – alle Übrigen hinterdrein nach Mont Saint Jean!


Das Bülowsche Korps folgt dem des Grafen Lobau, – nur vier Bataillone bleiben zurück, und erstürmen, ungeachtet der heftigen Gegenwehr der Franzosen, welche aus Türen und Fenstern schießen, während des Folgenden Belle Alliance.


ZIETHEN mit zahllosen Reiterscharen. Bülow, gegrüßt! Es geht gut – wir sind Ihm von hier bis Mont Saint Jean im Rücken und in der Seite, und die Engländer klopfen Ihm auch schon vor die Brust!

BÜLOW. Ja, Victoria, Ziethen! Höre, wie er auf dem Berge mit all seinen Kanonen noch einmal aufschreit von wegen des Rücken-, Seiten- und Brustwehs!

ZIETHEN. He, welch Geschrei: »die Garde flieht! Rette sich, wer sich retten kann!«

BÜLOW. Der ganze Mont Saint Jean wankt unter flüchtig werdenden Franzosen![455]

ZIETHEN. Wie sich das Volk durcheinanderwälzt – Kavallerie, Infanterie, Artillerie – ein verwirrter, unauflösbarer Knäuel!

BÜLOW. Na, englische und preußische Geschütze lösen tüchtig am Knäuel, – ich will auch von dort ein paar passable Batterien hineinspielen lassen –

ZIETHEN. Tu es, und ob auch einige von deinen Kugeln in meine Reihen schlagen werden, – ich stürze mich doch mit der Kavallerie unter den Feind, ihn so eher zu vertilgen.

BÜLOW. Pommern, die Gewehre verkehrt genommen – zur Abwechslung! – Warum grade immer das Bajonett obenan? – Die Franzosen zu Brei!

EINE MASSE FRANZÖSISCHER REITER im Vorbeisausen. Alles verloren – der Kaiser tot! die Garden tot! – zurück nach Genappes, nach Genappes!

EINE MASSE FRANZÖSISCHER INFANTERIE noch etwas geordnet. Zurück nach Genappes! nach Genappes!

EINE MASSE FRANZÖSISCHER REITTENDER ARTILLERIE. Fußvolk Platz da, Platz!

EIN FRANZÖSISCHER INFANTERIEOFFIZIER. Es geht nicht – Bajonette vor gegen die Unsinnigen!

ARTILLERISTEN. Was Bajonette! Pferde und Kanonen darüber weg!


Sie fahren über einen Teil der Infanterie.


BÜLOW. Pommern, können wir die Kanonen nicht nehmen? Sind denn unter euch nicht einige ehemalige Ackerknechte, die besser als jene feindlichen Infanteristen ein paar Pferde aufzuhalten und ein paar Räder zu zerbrechen wissen?


Viele Soldaten seines Korps springen vor, und nehmen die Kanonen.


Recht so! – Dreißig treffliche Zwölfpfündner! – Laßt sie ihren alten Herren mit ihren Kugeln Valet sagen! – Und, Burschen, läuft, springt, reitet und stürzt da nicht das bonapartische Heer soweit man in der Dämmerung sehen kann – Dahin, wo es am dicksten ist!


Ab mit seinem Korps.
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Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 455-457.
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