Erste Szene

[253] Abend. Stube des Schulmeisters, von einer Lampe erhellt.

Der Schulmeister und der Schmied im Gespräch.


SCHMIED. Ja, Herr Schulmeister, er hatte einen Pferdefuß mitsamt einem Fersenbüschel!

SCHULMEISTER. Es ist der Teufel, Konrad, es ist der Teufel! Ihr könnts in jeder Naturgeschichte lesen, daß der Teufel einen Pferdefuß hat.

SCHMIED. Er rief mir auch nach, daß er der Satan wäre und drohte mir den Hals umzudrehen, wenn ich es ausplauderte.

SCHULMEISTER. Hoho, deshalb seid ohne Sorgen! Ich habe ganz andre Absichten mit ihm vor! – Was meint Ihr, wenn wir den Herrn Urian einfingen, ihn in einen Käfig sperrten, mit ihm auf Messen und Jahrmärkten herumzögen, ihn für eine Seejungfer, oder um den Anschlagszettel noch auffallender zu machen, für eine Seewitwe ausgäben, und uns den Titel zweier Professoren der Seejungferei beilegten?

SCHMIED. Wir würden steinreiche Leute!

SCHULMEISTER. Oder wir könnten ihn auch gleich als das, was er ist, als den Teufel dem Publico produzieren. Dann tränkten wir ihm das Tanzen ein, ließen ihn nach der Melodie »wie schön leucht't uns der Morgenstern« am Stocke springen und steckten ihm alle Viertelstunde zur Verwunderung der Zuschauer wie einem abgerichteten Löwen den Kopf in den Hals.

SCHMIED. Das Kopfindenhalsstecken möchte ihm schwer beizubringen sein; er hat ein ziemlich kleines Maul.

SCHULMEISTER mit stolzen Schritten in der Stube auf und ab. Ihr mitleidswerter, ungläubiger Thomas! Ich brachte meinen Zöglingen schon weit schwierigere Sachen bei!

SCHMIED. Na, das habe ich an meinem Jürgen wenigstens[253] noch nicht gemerkt!

SCHULMEISTER. Euer Jürgen! Der stupide Kartoffelbauch! Bei dem hätte sogar der weise Konfuzius, ohngeachtet er niemals Hopfen und Malz besaß, dennoch einige Fuder Hopfen und Malz verlieren müssen! – Im Vertrauen, woran hat Eure Frau gedacht, als sie mit dem Jungen schwanger war? Der Bengel trägt 'ne Art Pferdekopf!

SCHMIED. Das tut der vermaledeite Hengst, welcher sich beim Beschlagen losriß und meiner Frau, die in der Stube stand und Essig auf den Salat goß, plötzlich durch das Fenster ins Gesicht kuckte!

GRETCHEN tritt ein. Guten Abend, Herr Schulmeister! Die Frau Gerichtshalterin hat mir befohlen, Sie einen unverschämten Ochsen zu nennen und Ihnen die Kodons wieder ins Gesicht zu schmeißen!

SCHULMEISTER indem er die Kodons aufhebt. Hm! hm! kann die Madam diese Dinger also nicht in der Haushaltung gebrauchen?

GRETCHEN. Ach, Herr Schulmeister, wie ist Er dumm! Daß solche Ware nicht für die Haushaltung gemacht ist, spürt jede Christenseele auf eine Meile Weges. Madam ist außer sich vor Zorn!

SCHULMEISTER. Hm! hm! hier sind aber nur sechzehn Stück und ich hatte der Madam doch zwanzig überschickt, – wo sind die vier andren hingekommen?

GRETCHEN. Ja, als Madam recht im ärgsten Schimpfen war, steckte sie die vier besten geschwind in ihren Strickbeutel.

SCHULMEISTER. Im ärgsten Schimpfen in den Strickbeutel? Ei ei, welche verzwickte Inkonsequenz!

GRETCHEN. Adies, Herr Schulmeister!


Ab.


SCHULMEISTER. Schmied, Schmied, jetzt ists gefunden wie wir den Teufel in unsre Hände kriegen! Könnt Ihr ein Vogelbauer verfertigen?

SCHMIED. Ich denke, ja.

SCHULMEISTER. So lauft, lauft, und macht mir noch heute nacht eins von Menschengröße, mit einer zwei Ellen hohen Tür. Dieses setze ich morgen abend in den Wald, lege die Kodons hinein und verstecke mich im Gebüsch. Nun ist bei einem Kerl, wie der Teufel, immer zu präsumieren, daß er aufs Holzstehlen ausgeht; wenn er demnach herannaht, so hoffe ich, daß die Kodons, welche der Gerichtshalterin[254] zufolge, die vier davon in den Strickbeutel gesteckt hat, etwas absonderlich Sündhaftes sein müssen, ihn vermöge der magnetischen Kraft, womit das Böse den Satan anzieht, unwiderstehlich in den Käfig locken werden. Dann eile ich hervor, schlage die Tür hinter ihm zu und flöte in die Finger!

SCHMIED indem er dem Schulmeister ein verbindliches Kompliment machen will. Ei, Herr Schulmeister, das haben Sie ja ordentlich philo – philum – ja, wie ein Klumpfisch auskalmüsert!

SCHULMEISTER klopft ihm wohlgefällig auf die Achseln. Philosophisch heißt es, mein Lieber, philosophisch! Die Etymologen leiten es von »viele Strohwisch'« ab. Man darf auch nur das letzte »e« in dem »viele« mit einem »o« vertauschen, die Silbe »stroh« wie ein »so« aussprechen, statt des »w« ein »f« lesen, und das Wort philosophisch ist höchst unphilosophisch, aber echt philologisch expliziert und deduziert.

SCHMIED als wenn er ihn verstände. Sehr richtig, Herr Schulmeister! Deduziert! Da sitzt der Hase im Pfeffer, da kuckt die Katze in den Topf! Offizier ist wieder davon verschieden! – O, o, wir Schmiede sind nicht dumm, wir Schmiede sind nicht dumm! Ab.

SCHULMEISTER indem er seinen Schlafrock anzieht. 's ist schon spät, – ich will mir noch ein Gläschen Magenstärkung einschenken und mich dann sputen, daß ich in die Federn komme. – Doch, wer klopft da noch? Herein!


Rattengift und Mollfels treten in die Stube.


RATTENGIFT. Tut uns leid, Herr Schulmeister, daß wir Sie beim Schlafengehen stören! – Wissen Sie nichts gegen das Totschießen? Der Herr Mollfels laboriert daran!

SCHULMEISTER. Wenn ich raten dürfte, so würde ich mit acht bis zwölf Flaschen Wein dagegen quacksalbern; die würden mindestens das Übel ein wenig verschieben!

RATTENGIFT. Bene, Herr Schulmeister! Ein Dutzend Flaschen Wein! Hurtig! Die Fensterladen vorgeschoben! Wir wollen uns eine lustige Nacht ma chen! Nicht wahr, Herr Mollfels?

MOLLFELS. Nun, es sei, im Namen der Hölle! Qual ist die Folie der Freude, und dazu will ich die meinige benutzen! Hier ist Geld! Wein herbeigeschafft, Schulmeister! Wenn ich dessenohngeachtet beim Erschießen beharren sollte, so habe[255] ich morgen Zeit genug es nachzuholen!

SCHULMEISTER ist in die lebhafteste Beweglichkeit geraten. Juchhei! Dudeldumdei! Das war eine männliche Sprache, Herr Mollfels, und Wein herbeischaffen ist meine Losung! Er springt an die Kammertür. Gottliebchen, Gottliebchen! aus dem Bette! aus dem Bette! Zieh die Laterne an, zünde die Hosen an! aus dem Bette, aus dem Bette! Du mußt mit mir ins Wirtshaus und mir Wein hiehertragen helfen!

GOTTLIEBCHEN kommt im halben Schlafe, mit blinzelnden Augen und im tiefsten Negligé aus der Kammer; greinerlich. Hih, hu, hih! Die Stube dampft! Die Türken trommeln!

SCHULMEISTER. Schlingel, rappelst du? Da! schmier Wasser in die Augen! schnell! schnell! schnell! Wo hast du deine Hosen, dein Kamisol? Hier! zieh meinen Rock an! So! er sitzt dir majestätisch! wie ein schwarzsamtnes Schleppkleid! siehst aus wie eine Theaterkönigin! Komm, komm, komm!


Mit Gottliebchen ab.


MOLLFELS. Ha! ha! Herr Rattengift, diese Szene könnten Sie unbedenklich in eins Ihrer Lustspiele einfügen!

RATTENGIFT. I du mein Gott, Herr Mollfels, sind Sie bei Trost? Solch einen grobkomischen Auftritt! Heutzutage muß die Komik fein sein, so fein, daß man sie gar nicht mehr sieht; wenn dann die Zuschauer sie dennoch bemerken, so freuen sie sich zwar nicht über das Stück, aber doch über ihren Scharfsinn, welcher da etwas gefunden hat, wo nichts zu finden war. Überhaupt ist der Deutsche viel zu gebildet und zu vernünftig, als daß er eine kecke starke Lustigkeit ertrüge.

MOLLFELS. Ja ja, er lacht nicht eher, als bis er sicher ist, daß er sich nachher wird förmliche Rechenschaft zu geben vermögen, warum er gelacht hat!

RATTENGIFT. Glauben Sie mir, wenn auch jemand wirklich ein Lustspiel schriebe, welches bis in die unbedeutendsten Teile auf höhere Ansichten gegründet wäre, und er wagte es seine Ideen frei und eigentümlich durchzuführen, so würde ihn eben deswegen der überwiegendere Teil des Publikums verkennen und vor Bäumen den Wald nicht schauen!

MOLLFELS lachend. Sie sind gewiß mit einem in höheren Ansichten[256] geschriebenen Lustspiele durchgefallen!

RATTENGIFT. Ach, sagen Sie nicht »durchgefallen!« es klingt so hart! »durchgesunken« lautet schon weit sanfter!

MOLLFELS. Soll ich Ihnen was vorschlagen? Dichten Sie künftig nichts als Trauerspiele! Wenn Sie denselben nur die gehörige Mittelmäßigkeit verleihen, so ist es unmöglich, daß Sie nicht den rauschendsten Applaus einernteten! Sie müssen insbesondere den Plan der Stücke hübsch winzig und flach gestalten, sonst möchte ihn nicht jeder kurzsichtige Schafskopf überblicken können, – Sie müssen dem Verstande und dem Forschungsgeiste der Leser nicht das geringste zumuten und wenn durch ein Unglück eine hervorstechende Szene mit unterlaufen sollte, sorgfältig hinterdrein bemerken, was sie abzwecke und in welcher Beziehung auf das Ganze sie zu nehmen sei, – Sie müssen beileibe alles hinlänglich weich kneten, denn das Weiche gefällt, und wenn es auch nur nasser Dreck wäre, – vorzüglich aber müssen Sie stets den Geschmack der Damen im Auge behalten, denn diese, welche noch niemals von einem wahren Dichter als berufene Richterinnen anerkannt sind, gelten jetzt im Reiche der Kunst als oberste Appellationsinstanz; ob man sie entweder wegen ihrer kränklichen Nerven oder wegen ihrer Geschicklichkeit im Scharpiezupfen dazu erwählt hat, ist eine unentschiedene Frage. Desto entschiedener ist es, Herr Rattengift, daß man Sie, wenn Sie Gewalt genug besitzen, um diese Regeln zu verachten, als einen blindlaufenden, verrückten, rohen Phantasten verschreit, der Schönheiten und Erbärmlichkeiten wild nebeneinanderkleckst. Ständen Homer oder Shakspeare erst jetzt mit ihren Werken auf, so wären Beurteilungen zu erwarten, in denen die Iliade ein unsinniges Gemengsel und der Lear ein bombastischer Saustall genannt würde; ja, manche Rezensenten gäben vielleicht dem Homer einen wohlgemeinten Fingerzeig, sich nach der Bezauberten Rose emporzubilden, oder geböten dem Shakspeare, fleißig in den Romanen der Helmina von Chezy oder der Fanny Tarnow zu studieren, um daraus Menschenkenntnis zu lernen.

RATTENGIFT hat während Mollfels' Worten mehrmals gehustet und Zeichen der Mißbilligung geäußert. Meine Grundsätze erlauben mir nicht, Ihren satirischen[257] Angriffen auf die Regeln völlig beizustimmen. Die Regel scheint mir vielmehr unerläßlich; sie ist gleichsam das Beinkleid des Genies. Woran sollte der Künstler sich halten, woran erkennen, wenn ihm nicht vermittelst seines Verhältnisses zu den Kritikern –

MOLLFELS. Der Künstler soll sich an seinem eignen Genius halten, sich an seinem eignen ruhigen, klaren Bewußtsein erkennen, und was sein Verhältnis zu den Kritikern anbelangt, so ist es folgendes: die Kritiker ziehen mühselig die Schranken und machen sie just so weit wie ihr Gehirn, also sehr enge; das Genie tritt herein, findet sie jämmerlich schmal, zerbricht sie und wirft sie den Kritikastern an den Kopf, daß sie lautheulend aufschreien; wenn dann der gemeine Haufe dies Gezeter hört, so sagt er in der Einfalt seines Herzens: sie kritisieren!

RATTENGIFT. Hm, hiernach wird jeder schlechtrezensierte Dichter meinen, daß Sie von seiner Partie sind.

MOLLFELS. Davon bin ich in dem Grade entfernt, daß ich den Regierungen schon oft ihre Grausamkeit gegen das Publikum vorgeworfen habe, indem sie noch immer zaudern endlich einmal ein Schock Poeten wegen ihrer elenden Gedichte hinzurichten.

RATTENGIFT in unbegreiflicher Unruhe. Nein! nein! das wäre doch zu stark! zu stark! Hinzurichten! Gütiger Himmel, welche schauderhafte Idee! Heinrich Döring, Friedrich Gleich, Wilhelm Blumenhagen, Methusalem Müller – O mir klappern die Zähne, mir klappern die Zähne! Aufatmend. Ah, da kommt der Schulmeister mit Wein!


Schulmeister und Gottliebchen treten ein, jeder mit Weinflaschen bepackt.


SCHULMEISTER singt.

Vivat Bachus, Bachus lebe,

Bachus war ein braver Mann!


Zu Gottliebchen.


Du alberner Pinsel, sing doch mit!

GOTTLIEBCHEN quäkt.

Vivat Bachus, Bachus lebe,

Bachus war ein braver Mann!

MOLLFELS. Gottliebchen, du krächzest ja, daß sich die Steine Ohren wünschen, um sie sich nur zustopfen zu können![258]

SCHULMEISTER. Hähä? Hat der Bube nicht 'ne allerliebste Stimme? Ich habe schon 22 Briefe von den Sirenen in meinem Pulte liegen; sie wollen ihn durchaus unter sich engagieren, allein ich antworte ihnen jedesmal, daß er noch zu jung ist.

RATTENGIFT. Langnasiger Knittelmagister, laß das Windbeuteln und setz Gläser auf den Tisch!

SCHULMEISTER sie daraufsetzend. Da stehen sie!

RATTENGIFT. Rasch denn, eingeschenkt!

SCHULMEISTER. Geduld! Geduld! 'ne halbe Minute!


Er eilt an das Bette, reißt ein Bettlaken herunter und

wickelt es sich um den Kopf.


MOLLFELS. Donnerwetter, Herr Schulmeister, was ist das für eine tolle Verkappung?

SCHULMEISTER. Bloße Vorsicht, Herr Mollfels, bloße Vorsicht! Wegen des Umfallens besaufe ich mich gerne mit verbundenem Kopfe!

MOLLFELS. O du weiser, erfahrener Praktikus! Als dein demütiger Schüler ahme ich dir stracks in deiner Vorsichtsmaßregel nach!

RATTENGIFT. Und ich desgleichen!


Sie reißen zwei Bettlaken los und umwickeln sich ebenfalls die Köpfe.


SCHULMEISTER. Wahrhaftig, ihr Herren, unsre drei Köpfe nehmen sich in den ungeheuren Bettlaken wie drei unglückliche, in die Mitte des Milcheimers gefallene Fliegen aus!

MOLLFELS. Schulmeister, erzählen Sie uns während des Zechens eine Geschichte aus Ihrer Jugendzeit!

RATTENGIFT. Ja ja, aus Ihrer Jugendzeit!


Sie setzen sich um den Tisch und schenken ein.


SCHULMEISTER trinkend. Fuimus Troes, die goldnen Flegeljahre sind dahin! – Gottliebchen, wo bist du? Sperr die Schnauze auf, Flegel! Ein Schluck germanisierten Champagners wird deinem Patriotismus nicht schaden! – – Also, meine Herren, mit den Erzählungen aus jenen tempi passati ists für einen Schulmeister, der sich bei seinen Eleven den Respekt bewahren muß, und für einen Ehemann der seine Frau mit Eifersucht plagt, ein kitzliches Unterfangen!

MOLLFELS. Keine Vorreden! Sie sind verliebt gewesen! Von Ihrer ersten Liebe sollen Sie uns Bericht abstatten!

RATTENGIFT. Hu, wie es den ausgemergelten, pädagogischen[259] Ziegenbock durchzuckt, da er von seiner ersten Liebe hört!

SCHULMEISTER. O ihr schönen, schwärmerischen, unwiederbringlich verschwundenen Stunden, wo ich – Stoßen Sie an, meine Herren! Hannchen Honigsüß soll leben!

MOLLFELS UND RATTENGIFT. Sie lebe!

SCHULMEISTER. Verzeihen Sie, ich schätze dieses Mädchen so unendlich, daß ich mich unmöglich mit einem einzigen Glase auf seine Gesundheit begnügen kann!


Er säuft in einer Reihe sechs Gläser aus.


RATTENGIFT UND MOLLFELS. Bravo, Herr Schulmeister! Auch wir wissen Ihr Hannchen zu schätzen!


Sie saufen gleichfalls sechs Gläser aus.


SCHULMEISTER. Nachdem wir also allesamt Hannchen gehörig geschätzt haben, will ich in meiner Historie fortfahren. Das holde Kind war ein Engel, und ihr Vater, der Konrektor an der Stadtschule, ein schäbiger filou. Er trug eine Beutelperücke, welcher die Hunde und Katzen von frühmorgens bis Mitternacht nachstellten, weil sie dieselbe für ein Wasserrattennest hielten, und seine ledernen, lebenssatten Hosen wurden einstmals von einem unserer Geschichtsschreiber in einer gelehrten Disputation über die ältesten Spuren des Verkehrs der Deutschen mit fremden Völkern, für ein Trauermonument der Phönizier ausgegeben.

MOLLFELS UND RATTENGIFT. Hohoho! ein Trauermonument!


Sie trinken.


SCHULMEISTER zu Gottliebchen, der müßig in einer Ecke steht. Du hämischer, neidischer, kaltblütiger, heimtückischer Racker, weswegen stehst du dort im Winkel und rührst keine Lippe? Du willst wohl nüchtern bleiben und dich über unsre Schlemmerei mokieren? Sauf mir stante pede diese Bouteille aus oder ich beiße dir den linken Daumen ab!


Gottliebchen ergreift die Bouteille und macht sich mit vielem Vergnügen darüber her.


SCHULMEISTER wieder zu Rattengift und Mollfels. Der Konrektor war also ein Harpax und wir Schüler haßten ihn ebenso sehr, als wir seine Tochter liebten. Weil ich jedoch ein aufgeweckter Bursche war und er in den langen Winterabenden, an welchen er niemals ein Licht brannte, zeitverkürzender Gesellschaft bedurfte, so hatte ich bei ihm einen guten Stein im Brette und mußte ihn[260] regelrecht mit eintretender Dämmerung besuchen. Da saß ich denn mit ihm und seiner Tochter in der dunklen Stube, er zu meiner Linken, sie zu meiner Rechten. Indem ich nun ihm von seinen Editionen des Plinius vorplapperte, pflegte ich ihr verstohlen das Patschhändchen zu drücken, und wenn ich einen Gegendruck fühlte, so ging ich weiter, schlang allmählich den Arm um ihren zierlichen Nacken, zupfte ihr am Busenwärzchen, und krabbelte ihr zuletzt ohne Umstände im Schoße. Doch zu meinem Malheur hatte sich eines Abends der Alte an ihren Platz gesetzt; ich, dem die Verwechslung unbemerkt geblieben war, fing wie gewöhnlich an zu krabbeln; zwar fiel mir Hannchens sonderbares, lederartiges Kleid auf, allein ich ließ mich, bei meiner verliebten Blindheit, dadurch nicht stören; – dem Herrn Konrektor selber, welchem die Frau schon lange tot war, mochte meine Zärtlichkeit gar nicht übel behagen, denn er regte keinen Finger und schwieg mäuschenstill; – endlich aber, als ich ihm ins Ohr flüsterte: »Hannchen, Hannchen, was bist du heute häßlich!« empörte ihn diese Beleidigung seiner Schönheit zu einer solchen Wut, daß er mir eine Maulschelle ins Gesicht bombardierte, welche mich nicht bloß aus meiner Täuschung herausriß, sondern mir auch seine Faust so kräftig in die Backen prägte, daß mich am andren Tage alle Leute fragten, ob ich mir die natürlichen Ohrfeigen hätte einimpfen lassen!

MOLLFELS halb berauscht. Köstlich, Schulmeisterchen, köstlich! Hast 'nem alten Konrektor an den Lederhosen gekrabbelt! O Wonne! Wonne! Wonne!

SCHULMEISTER. Das Krabbeln soll leben!

MOLLFELS. Es lebe!


Sie saufen unmäßig.


SCHULMEISTER. Jemine, Herr Mollfels, was bekommt der Rattengift für dicke Augen!

RATTENGIFT packt in der Betrunkenheit dem Schulmeister an die Brust. Nicht wahr? nicht wahr? Sind meine Gedichte nicht das abgedroschenste, schalste, anspeiungswerteste Geschmiere?

SCHULMEISTER. Sie sind grade so gut wie die Poesien der Elise von Hohenhausen, geborenen von Ochs.

RATTENGIFT. Zermalme mich, Schulmeister, zertritt mich! Ich bin ein Wurm, ich bin ein ärmlicher Tropf, meine Verse[261] haben keinen Saft, meine Gedanken haben keinen Sinn! Ich bin ein Wurm, ein Wurm, ein winziger Wurm! Schmeiß mich in den Sumpf, schmeiß mich in den Sumpf!

SCHULMEISTER immer trinkend und allmählich ebenfalls besoffen werdend. Weine nicht, Rattengiftchen, und sprich leise, damit es der Nachtwächter nicht hört! Du bist in der rage! Dir fließt das Herz über! – Ists nicht so, Herr Mollfels?

MOLLFELS den Schulmeister umhalsend. Ach, meine Liddy, meine Liddy!

SCHULMEISTER jüngferlich. Zerzausen Sie mir nicht das Busentuch, bester Karl! Auf Gottliebchen deutend, der seine Flasche geleert hat, und taumelnd aus der Ecke hervorkommt. Aber verstecken Sie sich, teuerster Freund, verstecken Sie sich! Dort kommt mein Vater!

MOLLFELS. Du bist wohl ein bißchen betrunken, Liddy!

SCHULMEISTER. Leider, liebster Karl, habe ich etwas zu tief ins Glas geguckt!

RATTENGIFT an den Boden stürzend. »Unsinn, du siegst, und ich muß untergehn!« Er schläft ein.

GOTTLIEBCHEN klettert dem Schulmeister ins Gesicht. Du schlechter Schulmeister, du! Hast mich prügelt! hast mich schlagen! hast mich schimpft! Bin betrunken! Prügle dich wieder! schlage dich wieder!

SCHULMEISTER. O mein verehrtester Vater! Vergebung! Vergebung! Ich kann einmal nicht anders, – ich muß meinen Karl heiraten oder ich muß sterben! Sein Sie nicht so grausam, großmütigster der Väter! Kniebeugend bitte ich Sie, sein Sie nicht so grausam gegen Ihre unglückselige Tochter! Pardonnez moi, Monsieur!

MOLLFELS. Ja, Herr Baron, verzeihen Sie uns, hindern Sie nicht unser zeitliches und ewiges Glück!


Gottliebchen purzelt auf die Erde.


SCHULMEISTER froh. Sieg, Sieg! er verzeiht, er purzelt auf die Erde! Karl, Karl, in meine Arme! Wir dürfen uns lieben!

MOLLFELS besieht Gottliebchen. Wenn ich Ihren Herrn Vater näher betrachte, schönste Liddy, so scheint er mir gegen sonst verdammt klein geworden zu sein!

SCHULMEISTER. Er hat die Masern gehabt, mein Trauter.

MOLLFELS. Uh! Uh![262]

SCHULMEISTER. Gott! was seufzest du?

MOLLFELS. Wehe, Wehe! ich fürchte, daß ich vom Tische falle!

SCHULMEISTER. Da ist freilich nichts zu raten, als daß du daraufsteigst!


Mollfels steigt auf den Tisch, damit er nicht herunterfällt, und fällt herunter.


SCHULMEISTER erhebt ein schreckliches Geschrei und schlägt die Hände über dem Kopfe zusammen. O Schicksal, Schicksal, unerflehliches Schicksal! Keine menschliche Klugheit vermag dir vorzubeugen, kein Sterblicher dir zu entrinnen! Ohngeachtet Mollfels auf den Tisch klettert, muß er dennoch herunterfallen! O du grimmiges, marmorhartes Untier! Er knirscht mit den Zähnen.

MOLLFELS. Hilft mir denn niemand, daß ich aufstehe? Schulmeister! Liddy! wo seid ihr beiden?

SCHULMEISTER. Zayre, vous pleurez? Das schmerzt mich, auf Parole, das schmerzt mich! – Venez, ma chère! 's ist draußen pechrabenschwarz! Wollen in die Kirche gehen und auf der Orgel spielen! Er faßt Mollfels unterm Arm und wackelt mit ihm ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 253-263.
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