15. Widertritt

[294] 1.

Unglück ist mein täglichs Brod:

Ach was Freuden-Hungets-Noht /

lieber litt' ich Hungers-Noht /

Als ich iß solch täglich Brod.


2.

Täglich stürmen auf mich ein /

Boßheit / Unlust / einsam-Pein:

doch versüsst die einsam-Pein /

was mir gibt der Himmel ein.


3.

Offt treibt mir / das Ungelück /

alle Lust und Freud zurück:

doch treibt wider offt zurück /

Herz und Muht / das Ungelück.


4.

Wann ich so viel leiden muß /

ist mir Tugend offt ein Buß:

leid doch willig solche Buß /

die mich letzlich krönen muß.


5.

Ich lig' / als ein Tugend-Held /

mit der Boßheit offt zu Feld /[295]

wann ich dann behalt das Feld /

krönt sie mich als einen Held.


6.

In dem sauren Unglücks-Meer /

wird mir offt das Schiffen schwer:

Ich stürz mich / wird mir's zu schwer /

aus in Gottes Gnaden-Meer.


7.

Wann die Trübsal-Wolken sehn /

ob sie wolten nider gehn:

kan ein Freuden-Sonn' aufgehn /

wann wir schon kein Anzeig sehn.


8.

Wann mir wanket Muht und Herz /

und mich brennt die Kummer-Kerz:

kan mir doch / die Geistes Kerz'

Krafft-auflammen Muht und Herz.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 294-296.
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