52. Bey Ansehung der Sternen /Wunsch-Gedanken

[382] 1.

O Ihr Sterne / O ihr Strahlen /

die ihr an dem Himmel leucht /

wann die Sonne von uns weicht!

wie beliebt ihr mir vor allen!

es ist meiner Augen Liecht

schnurstracks gegen euch gericht.


2.

Euer Blitzen / euer Glitzen /

eure Hochheit liebt mir wol:

daß mein Geist verlangens voll

wünschet neben euch zu sitzen.

Daß ich nicht mehr Irdisch wär /

nicht aus Hoffart / ichs begehr.


3.

Ihr vollzieht des Höchsten heissen /

in gehorsams höchstem Grad:

bleibt in seiner Ordnung Pfad

mit dem Einfluß / Lauff / und gleissen.

eures Thun und Lassens Ziel

ist / vollbringen was Gott will.
[383]

4.

Könt solch heiliges Beginnen

auch in mir ereigen sich!

daß ich würkte stätiglich /

wie ihr auf den Himmels Zinnen /

was mein Gott erheischt von mir:

wolt ich mich noch dulden hier.


5.

Nur die Ketten / nur die Bande /

nur der Sünden-Strick beschwer

machen wünschen / daß ich wär

Engel-rein in Gottes Hande /

ganz befreyt der Eitelkeit:

nicht das Elend dieser Zeit.


6.

Zagen / ist bey feigen Herzen;

nur die Kleinmuht wünscht den Tod:

Dapfferkeit kan alle Noht

tragen / sonder Klag und Schmerzen,

Nur / der Sünden Todt zu sehn /

wünsch' ich in den Tod zu gehn.


7.

O ihr Sterne / O ihr Strahlen!

daß ich nicht / wie ihr / auch leucht!

daß der Tugend-Zwang nicht weicht[384]

dieser Leib / und ich in allen

durch der Tugend schönstes Liecht

werd' erhellt und auffgericht!


Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 382-385.
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