Vierter Aufzug

[154] Saal im königlichen Schlosse. Links und rechts Seitentüren. Im Hintergrunde links der Haupteingang, daneben ein alkovenartiger Raum, durch einen Vorhang bedeckt. Rechts im Vorgrunde ein Tisch und Stuhl.

Rustan, kostbar gekleidet, einen goldenen Reif im Haar, kommt hastig durch den Haupteingang. In demselben Augenblicke tritt Zanga durch die Seitentüre links ein. Rustan bedeutet ihm mit auf den Mund gelegtem Finger, umzukehren. Zanga zieht sich durch die Tür zurück. Rustan selbst tritt in den durch den Vorhang abgeschlossenen Raum.

Karkhan und zwei seiner Verwandten kommen durch den Haupteingang.


KARKHAN.

Hierher kommt und folgt mir, Freunde!

Was ich längst bei mir beschlossen,

Jetzt und jetzo führ ichs aus.

Könnt ihr länger es mit ansehn,

Wie der eingedrungne Fremde

Eurer und der Euren spottet,

Jeden Tag an Kühnheit wachsend,

Jede Stunde an Gewalt?

Schwinden täglich nicht die Besten,

Denen seine Furcht mißtrauet,

Unbemerkt aus unsrer Mitte?

Wie? Wohin, wer kann es wissen?

Und sein Helfer, jener Schwarze,

Den der Abgrund ausgespieen,

Stachelt tückisch seine Kühnheit

Bis zu selbstvergeßner Wut.

Wo ist Recht noch und Gericht?

Schmachtet nicht mein alter Ohm,

Er, der sprachlos Unglückselge,

Schwarzer Frevel falsch beschuldigt,

Ungehört und unvernommen,

Rechtlos hinter schwarzen Mauern,

Überwiesen, weil verklagt?

O, daß ein gerechter Richter

Mit den Augen, statt den Ohren,

Hörte seine stumme Sprache,

Die er spricht, der Unglückselge,

Statt mit Lippen, mit der Hand.[155]

Manche Zweifel würden schwinden,

Manche Rätsel würden klar;

Die jetzt, richtend, andre binden,

Stellten selbst sich schuldig dar.


Ha, ihr schweigt? Blickt auf den Boden?

Seid ihr Männer, wagts zu sein!

Folgt mir! Hier der Fürstin Zimmer,

Wir zu drei, wir treten ein,

Klagen ihr des Landes Nöten,

Klagen ihr die eigne Not,

Zeigen ihrem Schamerröten,

Wie so machtlos ihr Gebot.

O, ich weiß, sie seufzet selber

Unter jener Ketten Last,

Die der Fremde um sie herschlingt,

Wie um eine Sklavin fast.

Laßt uns auf die Hohe richten,

Meinem Oheim werde Recht.

Frei und laut vor allem Volke

Tue sich Verborgnes kund,

Und wer schuldig und wer schuldlos,

Richte weiser Richter Mund.

Einen Schritt schon tat ich selber,

Einen schon hab ich gewagt.

Doch ein Tor, der früher sagt,

Was getan erst nützt und frommt.

Kommt und folget mir zur Fürstin,

Dort allein ist Schutz und Halt;

Dieser Tag, er sei der letzte

Eingedrungner Machtgewalt.


Sie gehen auf die Seitentüre rechts zu. Rustan, der während der letzten Worte hinter dem Vorhange hervorgetreten ist, verstellt ihnen den Weg.


RUSTAN.

Halt noch erst! Gebt euch gefangen!

KARKHAN.

Welchen Rechtes?

RUSTAN.

Hochverräter!

Zanga! Wachen! Wachen! Zanga!


Die drei ziehen die Dolche.


RUSTAN.

Zieht nur aus die feigen Waffen![156]

Nicht ein Heer von euresgleichen

Fürcht ich, einzeln, wie ich bin.


Aus der Seitentüre links kommt Zanga, durch die Mitteltüre ein Hauptmann mit Soldaten.


RUSTAN.

Schafft sie fort, die Hochverräter!

KARKHAN.

Hochverräter, wir?

RUSTAN.

Ihr leugnets?

Blinkt nicht noch in euren Händen

Der Empörung frecher Stahl?

O, ich kenne euer Treiben.

In dem Innern eurer Häuser

Lauern meine wachen Späher,

Was ihr noch so leis gesprochen,

Reicht von fern bis an mein Ohr.

Fort mit ihnen, ohne Zaudern!


Ich will dieses Land durchflammen

Wie ein reinigend Gewitter,

Niederschmettern seine Stämme,

Aus dem Grund die Wurzeln haun

Und dem Boden, wenn gereutet,

Neue Samen anvertraun.

Fort mit ihnen!


Der Hauptmann hat sich Karkhan genähert, der mit einer bittenden, stummen Gebärde, auf die Tür der Königin zeigend, ihn einzuhalten bittet.


RUSTAN zu Zanga im Vorgrunde, leise.

Aber du

Geh zum Kerker jenes Alten,

Den ich selbst dem Licht erhalten,

Die Notwendigkeit gebeut,

Schaff ihn fort.

ZANGA.

Wohl, Herr! doch wie?

EIN KÄMMERER kommt aus der Seitentüre rechts.

Herr, die Königin läßt fragen,

Welch Geräusch in ihren Zimmern –?

RUSTAN.

Früh genug soll sies erfahren,

Wenn getan, was not zu tun.


Der Kämmerer geht wieder ab.


RUSTAN zu Zanga leise.

Schaff ihn fort aus diesen Mauern.[157]

Laß mit vorgehaltnem Dolch

Ihn geloben teure Eide,

Aber, von Gefahr bedrängt,

Besser er, als – merk! – wir beide!


Zanga zieht sich zurück. Während des Folgenden geht er leise fort.


RUSTAN die Gefangenen erblickend.

Ihr noch hier? Fort mit den Frevlern!

HAUPTMANN.

Herr, die Königin naht selber!


Er zieht sich zurück.

Zwei Kämmerlinge haben die Seitentüre geöffnet. Gülnare tritt heraus mit Begleitung.


GÜLNARE.

Man verweigert die Erklärung

Dem von mir gesandten Diener;

Hier bin ich, mein eigner Bote,

Um zu fragen, was geschah.

RUSTAN auf Karkhan zeigend.

Führt sie fort!

GÜLNARE.

Wer sind die Leute?

RUSTAN.

Hochverräter!

KARKHAN.

Unterdrückte,

Die zu deinen Füßen flehn.


Die drei knieen.


GÜLNARE.

Laßt sie sprechen!

RUSTAN.

Einverstanden

Mit dem alten, grauen Frevler,

Der nur allzu leicht gebüßt –

KARKHAN.

Einverstanden, wenn er schuldlos,

Doch sein Feind, wenn er der deine.

Nicht Verzeihung und nicht Schonung,

Nur Gehör bitt ich für ihn,

Was Verbrechern selbst zuteil wird,

Eines Richters Aug und Ohr.

GÜLNARE.

Billig scheint, was sie begehren.

RUSTAN.

Wär es so, würd ichs gewähren.

GÜLNARE.

Und wenn ichs nun selber wünsche?

RUSTAN.

Wünsche! wünsche!

GÜLNARE.

Und befehle![158]

RUSTAN.

Ließe gleich sich mancherlei

Noch entgegnen diesem Spruche,

Der ein Wunsch und ein Befehl,

Doch, gefällig gegen Damen,

Füg ich gern mich unbedingt.

Und schon sandt ich meinen Diener,

Der den vielbesprochnen Alten

Hin vor seine Richter bringt.

KARKHAN.

Trifft ihn der, ist er verloren.

Sende selbst nach seinem Kerker,

Leih ihm selbst ein gnädig Ohr.

GÜLNARE zum Kämmerer.

Geh denn hin und führ ihn vor.

RUSTAN.

Halt.


Dem Kämmerer den Weg vertretend.


GÜLNARE.

Ich sprach!


Der Kämmerer geht ab.


RUSTAN.

Nun wohl, ich sehe,

Was ein Bund mir schien der Kleinen,

Und ein Anschlag in geheim,

Ist ein offenkundig Bündnis

Zwischen Hohen, zwischen Niedern,

Gift von Schlangen und Insekten,

Auf des Leuen Untergang.

Und auf nichts Geringres zielt man,

Als den überlästgen Vormund,

Der mit seines Armes Walten

Weiberhafter Launen Willkür

Fern von diesem Reich gehalten,

Einzuschüchtern, wenn nicht mehr.

GÜLNARE.

Was es sei, es wird sich zeigen,

Bringt man erst den Alten her.

RUSTAN.

Eines nur hast du vergessen:

Daß des weiten Landes Beste

Meinem Arm ihr Heil vertraun.

Meinem Rufe folgt dein Krieger

Und dein Höfling meinem Wort.

Zutraunsvoll der stille Bürger

Sieht nach mir, als seinem Hort.[159]

Ja, der Diener, den du sandtest,

Jenen Alten zu befrein,

Kehrt erfolglos von der Pforte,

Läßt nicht mein Geheiß ihn ein.

Denn des festen Turmes Wache

Steht in meiner Fahnen Eid.

Mit dem Kopf bezahlt der Schwache,

Der ihn ohne mich befreit.

Längst schon dieses Tags gewärtig,

Sah ich so mich weise vor,

Wer von Gnade lebt, ist zaghaft,

Wer auf Dank zählt, ist ein Tor.

GÜLNARE.

Wie nur allzu schnell enthüllst du,

Was die Ahnung längst befürchtet.

Vater, Vater, welchem Schützer

Gabst dein Liebstes du in Haft.

RUSTAN.

Er wohl wußte, wem zu trauen.

Nicht der blöden Scheu, der Kraft.

KARKHAN.

Fürstin, sei du nicht beklommen,

Noch ist alles nicht verloren,

Mancher Helfer bleibt dir noch.

Meine Freunde stehn in Waffen,

Und was lange still beschlossen,

Frei und offen künd ichs nun.

Während hier zu dir ich spreche,

Sprechen sie zu deinem Volke,

Schütteln ab das feige Joch.

Und schon, dünkt mich, hats begonnen,

Denn der Helfer seiner Taten,

Sieh, verschüchtert, stumm, beklommen,

Wie nach schlecht vollbrachtem Auftrag

Kehrt er wieder, ist er da.


Zanga ist mit allen Zeichen der Verwirrung eingetreten und hat sich in Rustans Nähe gestellt.


KARKHAN.

Und herauf die weiten Stiegen

Dringt ein buntverworrnes Rauschen

Wie von Tritten, wie von Stimmen.

Ja, dein Volk führt deine Sache,[160]

Und es kam der Tag der Rache.

Siehst du dort? mein Ohm ist frei!


Der alte Kaleb erscheint an der Türe. Bewaffnetes Geleite hinter ihm.


RUSTAN zu Zanga.

Tor und Schurke!

ZANGA.

Herr, gar alt

Ist der Spruch: vor Recht Gewalt.


Der alte Kaleb ist eingetreten. Da er Rustan erblickt, will er wieder zurück.


GÜLNARE.

Bleib du nur und fürchte nichts.

Ich bin hier zu deinem Beistand.

Ja, man braucht dein einfach Zeugnis

Über einen wichtgen Punkt,

Den noch Nebel dicht umwallen

Und nur dir bekannt von allen:

Deut uns deines Königs Tod.

RUSTAN.

Er ihn deuten? Raserei!

Er, der selbst der Tat verdächtig,

Überwiesen wohl sogar?

Der in jener grausen Stunde

Schuldig hieß in jedem Munde,

Stellt sich jetzt, ein Kläger, dar?

GÜLNARE.

Der Verdacht der ersten Stunde

Ist darum nicht immer wahr.

Wohl hab ich seitdem vernommen,

Daß der König, als er hinging

In den letzten, tiefen Schlaf,

Diesen hier als Freund umfangen,

Ihm vertraut die letzten Worte,

Und er wußte, wer ihn traf.


Der alte Kaleb ist auf die Kniee gesunken und streckt flehend die Hände empor.


RUSTAN.

Ha, vortrefflich ausgesonnen,

Nur nicht auch so leicht vollbracht.

Du vergißt, daß hier dein Zeuge,

Daß er lautlos wie die Nacht,

Und mit Blicken und mit Mienen,

Die ihr schlau ihm beigebracht,

Kann vor Kindern er bestehen,

Nicht vor der Gesetze Macht.

GÜLNARE.

Und du selber hast vergessen,[161]

Daß der Mensch in seiner Weisheit

Längst ein Mittel ausgedacht,

Zu verkörpern seine Laute,

Festzuhalten, was gedacht.

Dort ein Tisch, Papier und Feder,

Mit zwei Zügen ists vollbracht,

Und ein ärmlich Blatt erhellet

Des Geschehnen dunkle Nacht.

Setzt ihn hin und laßt ihn schreiben,

Ihn beschützet meine Macht.


Der Alte ist von seinen Verwandten an das Tischchen rechts im Vorgrunde gesetzt worden. Man hat ihm Schreibgeräte gegeben.


RUSTAN.

Mag er schreiben, mag er lügen,

Gleichviel wen, ob mich es trifft.


Den Säbel in der Scheide emporhaltend.


Meine Feder birgt die Scheide,

Blutge Wunden meine Schrift.

Geifre Wurm, ich geh, zu ordnen,

Was unschädlich macht dein Gift.


Er geht nach dem Hintergrunde zu, bleibt aber in der Mitte, halb gegen den Alten gewendet, erwartend stehen.


KARKHAN zu dem Alten.

Zittre nicht, sei nicht beklommen,

Ist es doch schon halb vollbracht,

Silben bilden sich und Worte.


Lesend.


»Eures Königs Mörder«

RUSTAN mit heftiger Bewegung, den Säbel halb aus der Scheide gezogen.

Halt!


Der Alte fährt erschreckt empor und hält sich zitternd am Tische fest, die Feder entsinkt seiner Hand und fällt auf der rechten Seite des Tisches zur

Erde.


RUSTAN.

Ich verbiete, daß er schreibe.

GÜLNARE.

Ich befehle, daß ers soll.

RUSTAN.

Stellt ihn mir. Mir fest ins Auge

Mag er schauen und vergehn.

Oder ihr, die ihr so eifrig

Seine Meuterkünste fördert.

Ist hier Landes denn nicht Sitte,[162]

Daß in Fällen dunklen Rechts,

Wos an Licht fehlt und Beweisen,

Beide Teile sich zum Zweikampf

Stellen mit geschärften Eisen?

Auf! Wer ficht für diesen Alten?

Ich will Gegenpart ihm halten.

GÜLNARE.

Nicht wer stärker, wer ihm Recht,

Zeige Einsicht, statt Gefecht.

Schreib du nur. Wo ist die Feder?

Er verlor sie. Bringt ihm neue!

ZANGA der während des Vorigen, in Absätzen sich von seinem Herrn entfernend, von rückwärts auf die rechte Seite des Vorgrundes gekommen ist.

Neu ist gut, doch alt ist besser.


Er hebt die am Boden liegende Feder auf.


Hier die Feder.


Rasch nach dem Eingange blickend.


Doch wer naht?


Die Blicke der Nächststehenden folgen den seinigen und wenden sich nach der Türe.


ZANGA.

Alter, hier!


Er reicht ihm die Feder mit der linken Hand. Während der Alte zögernd darnach greift, fährt Zanga mit der Rechten, in der er den Dolch verborgen hält, ihm entgegen und verwundet ihn.


Doch sieh dich vor.


Der Alte sinkt mit einem unartikulierten Schmerzenslaut in den Stuhl zurück, die verwundete Rechte mit der Linken, später mit einem Tuche bedeckend.


GÜLNARE nach dem Alten blickend.

Ha, was ist? Du bist verwundet!


Zanga hat die Hand, in der er den Dolch hält, rasch auf den Rücken gelegt und sucht den Hintergrund und die Seite zu gewinnen, wo sein Herr steht.


GÜLNARE.

Wo der Täter? Schließt die Türen.

KARKHAN.

Dieser wars. Seht ihr das Blut?

Seht den Dolch in seinen Händen.

Greift ihn!

ZANGA.

Herr, errett, beschütze!

GÜLNARE.

Schütz ihn, ja, und habs nicht Hehl!

War die Tat doch dein Befehl!

RUSTAN.

Mein Befehl? der ich vor allen

Wünschen muß, daß dieser Mann,[163]

Der allein den giftgen Argwohn

Mir vom Haupt entfernen kann,

Daß er lebe, daß er fähig –

Mit der Hand, wenn stumm sein Mund –

Auszusagen, was ihm kund?

Und ich sollt ihn selbst verletzen,

Selbst Unmöglichkeit mir setzen,

Mich zu reinen hier zur Stund?

Hat ihn dieser hier verwundet,

Steh dafür er selber ein.

Wer des Zeugen Worte scheuet,

Fühlt am mindesten sich rein.

War denn er nicht auch zugegen,

Als der alte Fürst erblich.

Warum einen nur beschuldgen,

Teilt der Schein in viele sich.

Hat sein Arm es nicht vollzogen,

Tats vielleicht sein Wort, sein Rat.

O, es gibt der Arten viele,

Zu begehen eine Tat.

Und so kehr ich ihm den Rücken,

Wende ab von ihm den Blick,

Ist er schuldlos, seis zum Glücke;

Schuldig, hab ihn sein Geschick.

ZANGA.

Herr!

RUSTAN.

Umsonst! Der Alte zeugte.

ZANGA.

Das mein Dank?

RUSTAN.

Verräter, Dank?

Warst nicht dus, der mich verleitet,

Aus der Heimat mich gerissen,

Mich umgarnt, umsponnen mich?

ZANGA.

Wohl! Nur eins dient dir zu wissen:

Stumm der Alte, doch nicht ich!

Sammelt euch! Ich will verkünden,

Wie man Reich und Krone finden,

Heben kann vom Staube sich.

RUSTAN.

Zanga!

ZANGA.

Nun?[164]

RUSTAN.

Du wolltest?

ZANGA.

Will!

RUSTAN.

Du hast recht, und wir sind töricht,

Aus dem dunkeln Werk der Lügen,

Unsrer Feinde Trug zu fügen,

Nun, da ihre List zerstört.

Jener Zeuge, dem sie trauten,

All ihr Treiben auf ihn bauten,

Ihres Hoffens einzig Pfand,

Stumm an Zunge, tot die Hand.

Bleib bei mir, ich will dich schützen,

Ewig sei der Treue Band!


Fürstin, ist dir sonst ein Mittel,

Muß zum letztenmal ich fragen,

Zu beweisen deine Klagen?

Noch ein Zeuge? Bring ihn her.

GÜLNARE.

Niemand, nein, als Gott und er.

RUSTAN.

Gott ist endlich über allen,

Aber nicht nur, was begangen,

Sieht das wie auch, das warum.

Nein, dein Zeuge hier vor Menschen,

Zeuge jetzt zum letzten Male,

Schweige dann auf immerdar.


Er ist zum Tische getreten und hat den darauf liegenden Zettel ergriffen, sich damit vor den Alten hinstellend.


»Eures Königs Mörder« – Wer?

Warst dus selbst? Du wirsts nicht sagen!

War es jener dort, dein Neffe,

Er, ein Heuchler und mein Feind?

Wars des Königs eigner Mundschenk?

Oder sie, des Fürsten Tochter,

Die nach Reich und Krone lüstern,

Vorgriff seinem trägen Ende?


Nicht mit Winken und Gebärden,

Deutlich zeug vor dem Gesetz.


Mit steigender Schnelligkeit.
[165]

Wars mein Diener, den ich selber

Angeklagt im Taumelwahn?

Wars ein Zufall? wars natürlich?

Warens Krieger, warens Bürger?


Einzelne mit dem Finger bezeichnend.


Jener? Der dort? Dieser?

DER ALTE der sich während des Vorigen emporgerichtet und mit blitzenden Augen und hocharbeitender Brust dagestanden hat, stammelt jetzt in höchster Anstrengung nach einigen unartikulierten Lauten.

D-U!

GÜLNARE.

Spricht er?

RUSTAN.

Torheit! Aberwitz!

Abgebrochne Schmerzenslaute,

Formt ihr euch zu Sinn und Worte?

Kannst du zeugen, wohl, so zeuge,

Breche dann der Himmel ein!

Gib den Namen und vollende.


Den Zettel hinhaltend.


»Eures Königs Mörder«

DER ALTE nach einigen heftigen Bewegungen plötzlich die verwundete rechte Hand aus der sie haltenden Linken loslassend und mit gebrochenen Gliedern in die Arme der Umstehenden sinkend, leise, aber schnell.

Rustan!

KARKHAN.

Gott, er stirbt!

GÜLNARE.

O ewge Vorsicht.


Alle um den Alten beschäftigt. Pause.


RUSTAN.

Zanga!

ZANGA.

Herr!

RUSTAN.

Hast du vernommen?

ZANGA.

Wohl!

RUSTAN.

Es ist nichts Wirklichs, sag ich.

Truggestalten, Nachtgebilde,

Krankenwahnwitz, willst du lieber,

Und wir sehens, weil im Fieber.


Es schlägt die Uhr.


Horch, es schlägt. Drei Uhr vor Tage.

Kurze Zeit, so ists vorüber.

Und ich dehne mich und schüttle.

Morgenluft weht um die Stirne.

Kommt der Tag, ist alles klar,[166]

Und ich bin dann kein Verbrecher,

Nein, bin wieder, der ich war.


Eine Dienerin der Königin, die sich früher entfernt, kommt mit einem Fläschchen zum Beistande des Verwundeten zurück.


RUSTAN.

Sieh, ist das nicht Muhme Mirza? –

Auch ein Nachtgebild, wie jene,

Die dort um den Alten stehn.

Sieh, ich hauche. Sie vergehn.


Wie? sie bleiben? Nahen? Dräuen?

Eingetaucht denn nur von neuen –

Laß uns nach dem Weitern sehn!

GÜLNARE sich von dem Alten emporrichtend.

All umsonst, die Pulse stocken.

Nur zu sicher, er verging.


Rustan erblickend.


Du noch hier? noch immer trotzend?

RUSTAN.

Fürstin, halt! und ohne Hast!

Was hier wirklich, was geschehen,

Wieviel mir dran fällt zur Last,

Laß uns rechnen, laß uns abziehn,

Mir, was mein, dir, was du hast.

Manchen Dienst bist du mir schuldig,

Manches Gute dies dein Land,

Und doch schenk ich dirs zur Stunde,

Lasse los all, was dich band.

Wähle von den reichsten Schätzen,

Nimm die köstlichsten Provinzen,

Kleinod, Perlen, Edelstein.

Mir laß eine leere Wüste,

Wo Verlangen buhlt mit Armut,

Wo kein Gold als Sonnenschein.

Doch die Herrschaft, sie sei mein.

GÜLNARE.

Dir die Herrschaft? Herrsch in Ketten.

Nehmt gefangen ihn!

RUSTAN.

Bedenk!


Der Hintergrund hat sich nach und nach mit Soldaten gefüllt.


Nur ein Wort, und diese Krieger,

Deren Abgott ich in Schlachten –[167]

GÜLNARE.

Für mich, doch nicht gegen mich.

Schau, sie fliehen deine Reihen,

Kommt zu mir her, meine Treuen.


Die Krieger, die auf Rustans Seite gestanden haben, schließen sich, einer nach dem andern, samt den

Anführern der gegenüberstehenden Reihe an.


RUSTAN ihnen zurufend.

Halt!

GÜLNARE.

Verlaßt ihn, der mein Feind.


Alle, bis auf einige wenige, sind übergetreten.


RUSTAN den Säbel ziehend.

Nun wohlan, so gilts zu fechten.

Hier mein Säbel, Zanga, bind ihn,

Bind ihn fest mit ehrnen Ketten.

Will den Kampfplatz denn betreten,

Erst im Tod laß ich den Stahl.

ZANGA vor sich hin.

Hier wirds heiß nun allzumal.


Er entfernt sich hinter Rustans Rücken durch die Seitentüre links, die offen stehenbleibt.


RUSTAN in Fechterstellung.

Kommt nur an ihr, alle, alle!

GÜLNARE ihm entgegentretend.

Diese nicht, sie sind nur Diener.

Triff mich selber, hast du Mut.

RUSTAN zurückweichend.

Alle, nur nicht dich!

GÜLNARE.

Ei, Kühner,

Trafst den Vater, scheust du Blut?

RUSTAN sich vor ihr zurückziehend.

Zanga! Zanga!

GÜLNARE.

Nun mags gelten.

Nun an euch! Nun nehmt ihn fest.


Sie tritt nach der rechten Seite des Vorgrundes. Die dort Aufgestellten, Karkhan an ihrer Spitze, wenden sich nach dem Hintergrunde. Gefecht.


RUSTANS STIMME.

Zanga, Zanga! Meine Pferde!

EINE DIENERIN.

Fürstin, schau dort durch die Zimmer,

Wo der Schwarze kaum entwich.

Sieh mit hellentflammter Fackel

Ihn das weite Schloß durcheilen,

Und ich sorg, er steckts in Brand.[168]

GÜLNARE.

Mag das Schloß, ich selbst vergehen –

Fällt nur er von ihrer Hand.


Sie eilt mit ihren Dienerinnen durch die Seitentüre rechts ab. Der Alte ist schon früher weggebracht worden. Das Gefecht hat sich zur Türe des Hintergrundes hinausgedrängt. Waffenlärm. Kurze Pause. Dann ertönen aus der Türe links einige Harfen-Akkorde, dazwischen Rustans Stimme, die

wiederholt »Zanga!« ruft. Die Szene schließt.

Kurzes ländliches Zimmer, mit einer Türe im Hintergrunde und einer Seitentüre rechts. Dichtes Dunkel.


MIRZA tritt mit einer Lampe, vom Hintergrunde her, auf.

Horch! war das nicht seine Stimme?

Übrall, dünkt mich, hör ich ihn,

Hilfeflehend, Beistand rufend,

Wie in tödlicher Gefahr.


An der Türe links horchend.


Und ich bin allein, und niemand

Hört mich an und tröstet mich,

Schilt mich töricht, nennt ihn sicher,

Wahrhaft nichts als meinen Schmerz.


Nein, ich kann es nicht ertragen.

Muß ein nahes Wesen suchen,

Auszuschütten meinen Kummer,

Zu erleichtern dieses Herz.


An der Türe rechts.


Vater, kannst du ruhig schlafen,

Denkst nicht mein und meiner Angst?

MASSUDS STIMME aus der Seitentüre rechts.

Mirza, du?

MIRZA.

Ich bins, bins selber.

Wachst du, so wie ich, in Kummer,

Bist besorgt um ihn, gleich mir?

MASSUD von innen.

Ists schon spät?

MIRZA.

Drei Uhr vor Tage.

MASSUD.

Tritt nur ein.

MIRZA.

Zu dir?

MASSUD.

Ja wohl.

Gehn zusammen dann hinüber.

MIRZA.

Wirklich, o mein guter Vater.[169]

Sieh, ich komme. Und ihr Götter,

Euch sei er indes vertraut.

Während ich auf andres denke,

Während ich von anderm spreche,

Schützet ihr den teuren Mann.

Nicht vor Leiden nur und Nöten,

Auch vor Wünschen und Gedanken,

Daß kein Unheil mir ihn anficht,

Bis mein Innres wieder bei ihm,

Und ich wieder beten kann.

MASSUDS STIMME.

Kommst du nicht?

MIRZA.

Sich nur, hier bin ich.


Die Türe öffnend.


Schon vom Lager? Schon gekleidet?

O, mein Vater! O, wie gut!


Sie geht hinein.

Waldgegend. Rechts im Vorgrunde der hereinspringende Fels, im Hintergrunde die Brücke, wie zu Anfang des zweiten Aufzuges. Dunkel.

Ferner Schlachtlärm, der sich allmählich verliert.

Dann kommt Rustan, verwundet, auf Zanga gestützt.


RUSTAN.

Zanga, schau! wie steht das Treffen?

ZANGA.

Treffen? Sag vielmehr die Flucht!

Rings verlassen dich die Deinen,

Und der Rest, er liegt erschlagen

Unter Feindesschwerter Wucht.

RUSTAN.

Dahin kam es? Das das Ende?

ZANGA.

Ei, verklage deine Hände!

Wie man schlägt, so fliegt der Ball.

Hättest du, so wie ich wollte,

Als der Feind uns hart bedrängte

In der buntverworrnen Stadt,

Wenn du damals mir vergönntest,

Feuerbrände einzuschleudern

In die schreckgeleerten Gassen,

In der Häuserreihe Zahl;

Hätten uns wohl ziehen lassen,

Stünde besser allzumal.[170]

RUSTAN.

Ungeheuer! So viel Leben! –

Und wer weiß, ob es gelang?

ZANGA.

Obs gelang? Da sitzt der Knoten!

Nicht weils Frevel, weils gefährlich,

Machts der frommen Seele bang?

Und mit also schwankem Gang,

Mit so ärmlich halbem Mute

Wolltest du der Herrschaft Sprossen,

Du den steilen Weg zum Großen,

Du erklimmen Macht und Rang?

Bunt gemengt aus manchen Stoffen

Ist das Roherz der Gewalt.

Kaum der Brand von zehen Reichen

Gnügt, die Mischung auszugleichen,

Die im Tiegel kocht und wallt.

Doch ein Säkul erst im Nacken,

Dem Vergangnen ist man hold,

Feuer reint Metall von Schlacken,

Und der König glänzt wie Gold.

Doch du konntests nicht ertragen,

Eng der Sinn, das Aug nur weit,

Willst du siegen, mußt du wagen:

Kehre denn zur Niedrigkeit!

RUSTAN.

Das zu hören von dem Diener,

Von der Frevel Stifter, Helfer!

ZANGA.

Helfer? Stifter? Das vielleicht!

Aber Diener? Laß mich lachen!

Wessen Diener? Wo der Herr?

Bist du nicht herabgestiegen,

Nicht gefallen von der Höhe,

Die mein Finger dir gewiesen,

Weil dem mächtgen Willensriesen

Fehlte Mut zur kühnen Tat?

Gleich umfängt uns Schuld und Strafe,

Gleich an Anspruch, Rang und Macht,

Und wie gleich im Mutterschoße,

Schaut als Gleiche uns die Nacht.

RUSTAN.

Nun wohlan, so rett uns beide![171]

Sinn auf Mittel! Steh bei mir!

Denn welch Ausweg bliebe dir,

Der gewußt um solche Taten?

ZANGA.

Welcher Ausweg? Dich verraten!

Oder glaubst du, kleinen Sold

Zahlt man dem, der aus dich liefert?

Ei, dein Kopf ist eitel Gold!

RUSTAN einen Hieb nach ihm führend.

Teufel! Ungeheuer!

ZANGA mit dem Schwert, das er entblößt unter dem Mantel getragen, den Streich auffangend und ihm den Säbel aus der Hand schlagend.

Halt!

Darauf war ich vorbereitet.

Vorsicht übt man mit euch Herrn,

Die Verzweiflung schlägt gar gern.

Und was hält mich nun noch ab,

Dir den langgedehnten Stahl

Gradaus in die Brust zu stoßen,

Übend so die eigne Rache,

Des zertretnen Landes Sache

Eines Streichs mit einem Mal?

Und doch nein! schrick nicht zurück!

Warst du gleich ein schwacher Schüler,

Warst mein Schüler immer doch.

Das Gebilde meiner Hände

Ehr ich selbst zerschlagen noch.

Fliehe du, ich bleibe hier.

Sammle deines Glückes Trümmer,

Sonne mich in neuem Schimmer.

Du giltst tot. Der Lohn wird mir.


Nach dem Hintergrunde zeigend.


Dort dein Weg. Nach dorthin flieh.

RUSTAN.

Zanga, noch zum letzen Male:

Geh mit mir! Denk, was ich war,

Wie die Menschen mir gehuldigt.

Denk der Gnaden, die ich häufte

Auch auf dich, ob deinem Haupt!

ZANGA.

Als du mich des Mords beschuldigt,

Weil du hilflos mich geglaubt?

RUSTAN.

Eins und alles sei vergessen![172]

Bin verwundet, steh mir bei.

Nicht des Pfads, der Gegend kundig.

ZANGA.

Nicht der Gegend! Ha, ha, ha!

Sieh um dich, es ist dieselbe,

Wo den König du gerettet,

Du und einer noch zumal;

Wo du jenen andern trafst.

Siehst du dort die dunkle Brücke?

Sie, der erste Weg zum Glücke,

Sei nun auch des Unheils Pfad.

RUSTAN.

Weh mir, weh.

ZANGA auf die Brücke zeigend.

Nach dorthin flieh.

RUSTAN.

Nimmermehr betret ich sie.

Dort hinaus!


Nach der rechten Seite gewendet.


ZANGA.

Ei ja! ei ja!

Doch bemerk nur erst die Flämmchen,

Die die Gegend rings durchziehn.

Sind nicht Geister der Erschlagnen,

Krieger sinds, die Fackeln tragen,

Suchend dich.

RUSTAN nach links gekehrt.

Nun denn, zurück!

Rück den Weg, auf dem wir kamen.


Entfernte Trompetenklänge von der linken Seite.


ZANGA.

Horch! Was dünkt dir von dem Klang?

Die Verfolger auch im Rücken,

Eingeengt bist du, umgarnet,

Traust du noch nicht dem, der warnet?

Dort dein Weg!

RUSTAN der den emporsteigenden Weg betreten hat, der zur Brücke hinanführt, stehenbleibend.

Ich kann nicht, kann nicht!

Daß ich jemals dir getrauet!

ZANGA.

Fühlst dus jetzt erst, da 's zu spät.

RUSTAN.

O, mir schwindelt, o, mir grauet.

Fahles Licht zuckt durch die Gegend,

Fieber rasen im Gehirne,

Und die schwankenden Gestalten,[173]

Nicht zu fassen, nicht zu halten,

Drehen sieh im Wirbeltanz.

Feind! Versucher! Böser Engel!

Wohin schwandst du? Bist so dunkel.

ZANGA der Mantel und Kopfbedeckung weggeworfen hat und in ganz schwarzer Kleidung dasteht.

Mir ist warm, und ich bin schwarz.

RUSTAN.

Schlangen scheinen deine Haare.

ZANGA zwei flatternde Streifen, die sein Haupt umschlingen, aus den Haaren ziehend.

Bänder! Bänder! nichts als Bänder!

RUSTAN.

Und das Kleid auf deinem Rücken

Dehnt sich aus zu schwarzen Flügeln.

ZANGA.

Böse Falten, und doch gut auch.

So trägt mans bei uns zu Lande.

RUSTAN.

Und zu deinen Mörderfüßen

Leuchtets fahl mit düsterm Glanz.

ZANGA einen gestielten, kolbenartigen Körper aufhebend, der schon früher am Boden lag, aber erst jetzt zu leuchten anfängt.

Faules Holz und Moderschwamm.

Doch zu brauchen, dient als Leuchte,


Den Körper emporhaltend, der ein stärkeres Licht gibt.


Leuchtet dir hinab zum Abgrund!

Dort hinauf, dort nur ist Rettung.

Bist umsponnen, siehst du, Feinde.


Auf der rechten Seite des Vorgrundes treten Gewaffnete auf.


ANFÜHRER.

Ja, er ists! Gib dich gefangen!

RUSTAN.

Weh!

ZANGA.

Hinauf.


Auf der linken Seite, hinter Zangas Rücken, erscheinen Krieger.


ANFÜHRER.

Hier ist der Frevler.

ZANGA.

Nur hinauf!


Rustan eilt den Weg zur Brücke hinauf.


ANFÜHRER der auf der linken Seite stehenden Krieger.

Verrennt den Weg ihm.


Einige folgen ihm.


RUSTAN erscheint neben der Brücke.

Zanga!

ZANGA.

Nur die Brücke frei noch!


[174] Rustan hat die Brücke betreten. Auf der rechten Seite der Anhöhe erscheint Gülnare mit Gefolge und Fackeln.


GÜLNARE.

Halt, du Blutger!

ZANGA.

Willst du fallen

Von des Henkers Hand, ein Feiger?

Nun stehst du am rechten Platze,

Stürz hinab dich in die Fluten,

Stirb als Krieger, fall als Held.

GÜLNARE.

Gib dich! gib dich!


Von allen Seiten sind Krieger mit Fackeln aufgetreten. Die Gewaffneten dringen näher.


ZANGA.

Mir! Verloren.


Eine Rustan ähnliche Gestalt stürzt sich in den Strom. In demselben Augenblicke bricht der Fels rechts im Vorgrunde zusammen. Rustan, auf seinem Bett liegend, wird sichtbar, die beiden Knaben, wie am Schluß des ersten Aufzuges, ihm zur Seite. Ein Schleier zieht sich über die Gegend, ein zweiter, ein dritter. Die Gestalten werden undeutlich. Zanga versinkt. Wolken bedecken das Ganze.


RUSTAN sich im Schlafe bewegend.

Weh mir, weh, ich bin verloren!


Der zu Füßen des Bettes stehende, dunkelgekleidete Knabe zündet seine Fackel an der brennenden des zu Häupten stehenden, buntgekleideten an, der dafür die seine gegen den Boden auslöscht. Rustan erwacht. Die Knaben versinken. Die Wolken rückwärts verziehen sich. Das Innere der Hütte erscheint wie im ersten Aufzuge.


RUSTAN emporfahrend und seine Arme befühlend.

Leb ich noch? Bin ich gefangen?

So verschlang mich nicht der Strom?

Zanga! Zanga! O mein Elend!

ZANGA in seiner Haustracht, wie im ersten Aufzuge, tritt ein mit einer Lampe, die er hinsetzt.

Endlich wach! Der Morgen graut,

Und die Pferde stehn bereitet.

RUSTAN.

Unhold, Mörder, Schlange! Teufel!

Kommst du her, um mein zu spotten?

Sind gleich Vipern deine Haare,

Flammen deiner Augen Sterne

Und ein Blitz in deiner Hand,

Doch, ein Sterblicher, Verlockter,

Will ich kühlen meine Rache,

Und der Dolch hier soll versuchen,[175]

Ob dein Leib von gleichem Erz

Als die Stirn, der Grimm, das Herz.


Er hat den Dolch ergriffen, der neben seinem Bette hängt, im Begriff, ihn zu schleudern.


ZANGA.

Hilfe! Weh! Er ist von Sinnen!

Mirza! Massud! Hört denn niemand?


Er entflieht.


RUSTAN.

Er entfloh! Ich bin nicht Macht-los,

Seine Macht nicht unbezwinglich.

Und nun fort aus diesen Räumen,

Rings umstellt mit Todesgrauen.


Nur noch erst verlöscht das Licht,

Das mich kund gibt meinen Feinden.


Er bläst die Lampe aus. Durch das breite Bogenfenster, das die größere Hälfte des Hintergrundes einnimmt, sieht man den Horizont mit den ersten Zeichen des anbrechenden Tages besäumt.


Wo die Türe? Ist kein Ausgang

Aus den Schrecken dieser Orte?

Muß ich hier denn untergehn?

Horch, man kommt! So will ich teuer

Nur verkaufen dies mein Leben,

Tod empfangen, doch erst geben.


Er ergreift den neben seinem Bette stehenden Säbel.

Massud und Mirza kommen.

Letztere trägt eine hellbrennende Leuchte in der Hand.


RUSTAN.

Ha, der König? und Gülnare?

Nicht der König! – Wär es möglich? –

Du scheinst Massud. – Mirza! Mirza!

Seid ihr tot, und bin ichs auch?

Wie kam ich in eure Mitte,

Sehe wieder diese Hütte?


O, verschwende nicht dein Anschaun,

Diese liebevollen Blicke

An den Dunkeln, den Gefallnen.

Denn was mir die Liebe gibt,

Zahl ich rück mit blutgem Hasse.

Und doch nein, dich haß ich nicht.[176]

Nein, ich fühls, dich nicht! Und dich nicht.

Haß? O, mit welch warmem Regen

Kommt mein Innres mir entgegen!

Hasse euch nicht! Hasse niemand.

Möchte aller Welt vergeben,

Und mit Tränen, so wie ehmals,

In der Unschuld frommen Tagen,

Fühl ich neu mein Aug sich tragen.

MIRZA.

Rustan!

RUSTAN.

Nein, bleib fern von mir!

Wüßtest all du, was geschehn,

Seit wir uns zuletzt gesehn.

MIRZA.

Uns gesehn?

RUSTAN.

Den Tagen, Wochen –

MIRZA.

Wochen? Tagen?

RUSTAN.

Weiß ichs? Weiß ichs?

Furchtbar ist der Zeiten Macht.

MIRZA.

Wars denn mehr als eine Nacht?

ZANGA in der Türe erscheinend.

Herr, befiehlst du nun die Pferde?

MIRZA.

Ach, erinnre dich doch nur.

Gestern abends – Sag ihms, Vater,

Mir wird gar zu schwer dabei.

MASSUD.

Gestern abends? Weißt du nicht?

Wolltest du von uns dich trennen,

Du befahlst für heut die Pferde.

Es ist Tag, und sie sind hier.

RUSTAN.

Gestern abends?

MASSUD.

Wann nur sonst?

RUSTAN.

Gestern abends? Und das alles,

Was gesehen ich, erlebt,

All die Größe, all die Greuel,

Blut und Tod und Sieg und Schlacht –

MASSUD.

War vielleicht die dunkle Warnung

Einer unbekannten Macht,

Der die Stunden sind wie Jahre

Und das Jahr wie eine Nacht,

Wollend, daß sich offenbare,[177]

Drohend sei, was du gedacht,

Und die nun, enthüllt das Wahre,

Nimmt die Drohung samt der Nacht.

Brauch den Rat, den Götter geben,

Zweimal hilfreich sind sie kaum.

RUSTAN.

Eine Nacht? und war ein Leben!

MASSUD.

Eine Nacht! es war ein Traum.

Schau, die Sonne, sie, dieselbe,

Älter nur um einen Tag,

Die beim Scheiden deinem Trotze,

Deiner Härte Zeugnis gab,

Schau, in ihren ewgen Gleisen

Steigt sie dort den Berg hinan,

Scheint erstaunt auf dich zu weisen,

Der so träg in neuer Bahn.

Und, mein Sohn auch, willst du reisen,

Es ist Zeit, schick nur dich an.


Die durch das Fenster sichtbare Gegend, die schon früher alle Stufen des kommenden Tages gezeigt hat, strahlt jetzt in vollem Glanze des Sonnenaufgangs.


RUSTAN auf die Kniee stürzend.

Sei gegrüßt, du heilge Frühe,

Ewge Sonne, selges Heut!

Wie dein Strahl das nächtge Dunkel

Und der Nebel Schar zerstreut,

Dringt er auch in diesen Busen,

Siegend ob der Dunkelheit.

Was verworren war, wird helle,

Was geheim, ists fürder nicht.

Die Erleuchtung wird zur Wärme,

Und die Wärme, sie ist Licht.


Dank dir, Dank! daß jene Schrecken,

Die die Hand mit Blut besäumt,

Daß sie Warnung nur, nicht Wahrheit,

Nicht geschehen, nur geträumt,

Daß dein Strahl in seiner Klarheit,

Du Erleuchterin der Welt,[178]

Nicht auf mich, den blutgen Frevler,

Nein, auf mich, den Reinen, fällt.


Breit es aus mit deinen Strahlen,

Senk es tief in jede Brust:

Eines nur ist Glück hienieden,

Eins, des Innern stiller Frieden

Und die schuldbefreite Brust.


Und die Größe ist gefährlich,

Und der Ruhm ein leeres Spiel.

Was er gibt, sind nichtge Schatten,

Was er nimmt, es ist so viel.


So denn sag ich mich auf immer

Los von seiner Schmeichelei,

Und von dir, noch auf den Knieen,

Fleh ich, Ohm, der Gaben drei.

MIRZA.

Rustan! Vater!

RUSTAN.

Erst verzeih.

Nimm, geneigt der heißen Bitte,

Wieder auf in deine Hütte

Den Verirrten, seine Reu.

MIRZA.

Hörst du, Vater?

MASSUD.

O, wie gerne.

RUSTAN.

Dann gib dem Versucher dort,

Ihm, vor dem gewarnt die Sterne,

Gib die Freiheit ihm, gib Gold,

Laß ihn ziehn in alle Ferne.

ZANGA.

Herr!

RUSTAN zu Zanga.

Ich wills – Ich bitte, Vater.

MASSUD.

Du begegnest meinen Wünschen!


Zu Zanga.


Ziehe hin, denn du bist frei.

Nimm dir eins der beiden Pferde.

Was des Säckels Inhalt faßt,

Den ich gab als Reisezehrung,

Es sei dein, nur aber scheide.[179]

ZANGA.

Wirklich frei?

MASSUD.

Du bists.

ZANGA gegen Rustan.

Was sag ich?

RUSTAN.

Zeig den Dank, indem du gehst.

ZANGA.

Ich benütz die erste Freude.

Lebt denn wohl ihr Guten beide.

Schöne Jungfrau, seid bedankt.

Und nun fort durch Busch und Heide!


Mit einem Sprung zur Türe hinaus.


RUSTAN der aufgestanden ist.

Nun zur letzten meiner Bitten.

Gestern abend noch, beim Scheiden,

Ließest du mich hoffen, glauben,

Daß hier diese, deine Tochter –

MASSUD.

Davon schweig und sprich nicht weiter.

Dies mein Haus und jede Gabe

Teil ich mit dem Reu'gen gern.

Doch was mehr als Haus und Habe,

Meines Lebens tiefsten Kern,

Damit laß für jetzt mich sparen,

Bis die Zeiten offenbaren,

Ob, was floh, auf immer fern.

RUSTAN.

Oheim, wie? und du kannst zweifeln?

MASSUD.

Nicht, daß jetzo du so fühlst.

Doch vergiß es nicht, die Träume,

Sie erschaffen nicht die Wünsche,

Die vorhandnen wecken sie,

Und was jetzt verscheucht der Morgen,

Lag als Keim in dir verborgen.

Hüte dich, so will auch ich.

RUSTAN.

Oheim, höre!

MIRZA.

Hör ihn, Vater!

MASSUD.

Du auch trittst auf seine Seite?

MIRZA.

Ist er doch so mild und gut!


Leise Klänge lassen sich hören.


MASSUD.

Horch!

MIRZA.

Mein Vater.

MASSUD.

Leise Töne.[180]

MIRZA.

Sprich ein Wort.

MASSUD.

Sie kommen näher.


Zanga und der alte Derwisch gehen außen am Fenster vorüber. Der Alte spielt die Harfe, Zanga bläst auf der Flöte dazu. Es ist die am Ende des ersten Aufzuges gehörte Melodie.


MASSUD.

Ist das Zanga nicht, der Schwarze?

Und der Greis an seiner Seite –

RUSTAN.

Weh! Entsetzen!

MIRZA.

Und warum?

Ist es doch der gütge Derwisch,

Er, der wundertätge Mann,

Der mit Raten und mit Lehren

Vatergleich an mir getan.

RUSTAN.

Nun hinab ihr dunkeln Träume.

Vater, sprich ein gütig Wort.

MASSUD.

Schau, sie nahen, schau, sie kommen,

Neigen nun sich vor der Sonnen.

MIRZA.

Vater, sprichst du nicht?

MASSUD leise.

Ei, später.

Laß uns horchen jetzt, nur leis.

RUSTAN ebenso.

Aber dann –

MIRZA ebenso.

Versprich es.

MASSUD.

Stille.

RUSTAN UND MIRZA sich umfassend.

Vater! Oheim!

MASSUD noch immer nach außen hinhorchend, mit der linken Hand das Zeichen der Einwilligung gebend, leise.

Ja doch, seis!


Die beiden sinken, ihn und sich umfassend, auf die Kniee. Die Töne klingen noch immer fort.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 154-181.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Traum ein Leben
Der Traum Ein Leben
Der Traum Ein Leben (Dodo Press)
Der Traum ein Leben: Dramatisches Märchen in vier Aufzügen

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon