Fünfter Aufzug

[76] Platz vor Heros Turm, wie zum Schluß des vorigen Aufzuges. Es ist Morgen.

Beim Aufziehen des Vorhanges steht Hero in der Mitte der Bühne, den herabgesunkenen Kopf in die Hand gestützt, vor sich hinstarrend Janthe kommt.


JANTHE.

Stehst du noch immer da, gleich unbewegt

Und starrst auf einen Punkt? Komm mit ins Wäldchen!

Die Luft hat ausgetobt, die See geht ruhig.

Doch hörtest du den Aufruhr heute nacht?

HERO.

Ob ich gehört?

JANTHE.

Du warst so lang hier außen.

Zwar endlich hört ich Tritte über mir.

Doch leuchtete kein Licht aus deiner Kammer.

HERO.

Kein Licht! Kein Licht!

JANTHE.

Dich martert ein Geheimnis.

Wenn dus vertrautest, leichter trügest dus.

HERO.

Errietst dus etwa schon und frägst mich doch?

Ich sollte wachen hier, doch schlief ich ein.

Es war schon Nacht, da weckte mich der Sturm.

Schwarz hing es um mich her; verlöscht die Lampe.

Mit losgerißnem Haar, vom Wind durchweht,

Flog ich hinan. Kein Licht! nicht Trost und Hilfe,

Lautjammernd, auf den Knien, fand mich der Tag.-

Und doch, und dennoch!

JANTHE.

Arme Freundin!

HERO.

Arm?

Und dennoch! Sieh! die Götter sind so gut!

Ich schlief kaum ein, da löschten sie das Licht.

Beim ersten Strahl des Tags hab ichs besehn,

Mit heißem, trocknem Aug durchforscht die Lampe:

Kein Hundertteil des Öles war verbrannt,

Der Docht nur kaum geschwärzt. Klar war es, klar:

Kaum schlief ich ein, verlöschte schon das Licht.

Die Götter sind so gut! Geschah es später,


Von ihr wegtretend, vor sich hin.


So gab der Freund sich hin dem wilden Meer,

Der Sturm ereilte ihn, und er war tot.[77]

So aber blieb er heim, gelockt von keinem Zeichen,

Und ist gerettet, lebt.

JANTHE.

Du scheinst so sicher.

HERO.

Ich bin es, denn ich bin. Die Götter sind so gut!

Und was wir fehlten, ob wir uns versehn,

Sie löschen es mit feuchtem Finger aus

Und wehren dem Verderben seine Freude.

Ich aber will, so jetzt als künftge Zeit,

Auch ihnen kindlich dankbar sein dafür;

Und manches, was nicht recht vielleicht und gut

Und ihnen nicht genehm, es sei verbessert;

Zum mindesten entschieden, denn die Götter,

Sie sind dem Festen, dem Entschiednen hold.

Nun aber, Mädchen, tritt dort an die Anfurt.

Sieh, ob dein Aug die Küste mir erreicht,

Das selge Jenseits, wo – Schau gen Abydos!

Ich habs aus meinem Turm nur erst versucht,

Doch lagen Nebel drauf. Nun ists wohl hell.

Willst du?


Sie setzt sich.


JANTHE nach dem Hintergrund gehend.

Doch sieh! es brach der Sturm den Strauch,

Der dort am Fuße wächst des Turms, und, liegend,

Verwehren seine Zweige mir den Tritt.

HERO.

Erheb die Zweige nur! Bist du so träg?

JANTHE.

Noch Tropfen hängen dran.


Mit dem Fuße am Boden hinstreifend.


Auch Tang und Meergras

Warf aus die See. – Ei, Muscheln, buntes Spielzeug!

Es pflegt der Sturm die Trümmer seines Zorns

Hierher zu streun. – Das Ende eines Tuchs.

Es ist so schwer. Ein Lastendes von rückwärts

Hält es am Boden fest. – Fürwahr ein Schleier!

Fast gleicht es jenen, die du selber trägst,

Zu Schleifen eingebunden beide Enden,

Nach Wimpelart. Sieh zu! vielleicht erkennst dus.

Doch ist es feucht, sonst würf ich dirs als Ball.

HERO.

Laß das Getändel, laß! Erheb die Zweige.[78]

JANTHE.

Sie sind so schwer. O weh, mein gutes Kleid!

Nun, denk ich, halt ich sie. Ei ja! sie weichen.

Tritt selber nur herzu! Ich halte. Schau!


Sie hat die auf den Boden herabhängenden Zweige zusammengefaßt und emporgehoben. Leander liegt tot auf der Anfurt.


HERO aufstehend.

Ich komme denn! – Ein Mann! – Leander! – Weh!


Nach vorn zurückeilend.


Betrogne und Betrüger, meine Augen!

Ists wirklich? wahr?

JANTHE die mit Mühe über die Zweige nach rückwärts geblickt.

O mitleidsvolle Götter!


Der Priester kommt von der rechten Seite.


PRIESTER.

Welch Jammerlaut tönt durch die stille Luft?

HERO zu Janthen.

Laß los die Zweige, laß!


Janthe läßt die Zweige fallen, die Leiche ist bedeckt.


HERO dem Priester entgegen und bemüht, ihm die Aussicht nach rückwärts zu benehmen.

Mein Oheim, du? –

So früh im Freien? – Doch der Tag ist schön.

Wir wollten eben beide – freudig – froh! –


Sie sinkt von Janthen unterstützt zu Boden.


PRIESTER.

Was war? Was ist geschehn?

JANTHE mit Hero beschäftigt, nach dem Strauche zeigend.

O Herr! mein Herr!

PRIESTER.

Erheb die Zweige! Schnell!


Es geschieht.


Gerechte Götter!

Ihr nahmt ihn an. Er fiel von eurer Hand!

JANTHE noch immer die Zweige haltend.

Erbarmt sich niemand? Nirgends Beistand, Hilfe?

PRIESTER.

Laß dort und komm!


Indem er sie anfaßt.


Hörst du? und schweig! Entfällt

Ein einzig Wort von dem, was du vernahmst –


Sich von ihr entfernend, laut.


Ein Fremder ist der Mann, ein Unbekannter,

Den aus das Meer an diese Küste warf,[79]

Und jene Priestrin sank bei seiner Leiche,

Weil es ein Mensch, und weil ein Mensch erblich.


Der Tempelhüter und mehrere Diener sind von der rechten Seite gekommen.


PRIESTER.

Am Strande liege ein Toter. Geht, erhebt ihn!

Daß seine Freunde kommen und ihn sehn.


Diener gehen auf den Strauch zu.


PRIESTER.

Nicht hier. Den Turm herum. Rechts an der Anfurt.


Diener auf der linken Seite ab. In der Folge sieht man durch die Blätter Anzeichen ihrer Beschäftigung. Endlich wird der Strauch emporgehoben und befestigt, wo dann der Platz leer erscheint.


TEMPELHÜTER leise.

So ists denn –?

PRIESTER.

Schweig!

TEMPELHÜTER.

Nur, Herr, um dir zu melden:

Der ältre jener beiden Jünglinge,

Die du wohl kennst; wir fanden ihn am Strand,

Trostlosen Jammers, suchend seinen Freund.

Die Diener halten ihn.

PRIESTER.

Führt ihn herbei.

Hat er die Freiheit gleich verwirkt und mehr,

Seis ihm erlassen, bringt er jenen heim.


Tempelhüter nach der rechten Seite ab.


PRIESTER zu Hero, die sich mit Janthens Hilfe aufgerichtet und einige Schritte nach vorn gemacht hat.

Hero!

HERO.

Wer ruft?

PRIESTER.

Ich bins. Du höre mich!

HERO scheu nach rückwärts blickend, zu Janthe.

Wo ist er hin? Janthe, wo?

JANTHE.

O mir!

PRIESTER.

Da' s nun geschehn.

HERO.

Geschehen? Nein!

PRIESTER.

Es ist!

Die Götter laut das blutge Zeugnis gaben,

Wie sehr sie zürnen und wie groß dein Fehl;

So laß in Demut uns die Strafe nehmen;

Das Heiligtum, es teile nicht die Makel,

Und ewges Schweigen decke, was geschehn.

HERO.

Verschweigen ich, mein Glück und mein Verderben,

Und frevelnd unter Frevlern mich ergehn?[80]

Ausschreien will ichs durch die weite Welt,

Was ich erlitt, was ich besaß, verloren,

Was mir geschehn, und wie sie mich betrübt.

Verwünschen dich, daß es die Winde hören

Und hin es tragen vor der Götter Thron.

Du warsts, du legtest tückisch ihm das Netz,

Ich zog es zu, und da war er verloren.

Wo brachtet ihr ihn hin? ich will zu ihm!


Der Tempelhüter und mehrere Diener führen Naukleros herbei. Der Hüter geht gleich darauf nach der linken Seite ab.


HERO.

Ha, du! o Jüngling! Suchst du deinen Freund?

Dort lag er, tot! Sie trugen ihn von dannen.

NAUKLEROS.

O Schmerz!

HERO.

Ringst du die Hände, da's zu spät?

Du staunst? Du klagst? Ja, läßger Freund!

Er gab sich hin dem wildbewegten Meer,

Beschützt von keinem Helfer, keinem Gott,

Und tot fand ich ihn dort am Strande liegen.

Und fragst du, wers getan? Sieh! dieser hier

Und ich, die Priesterin, die Jungfrau – So? –

Menanders Hero, ich, wir beide tatens.

Mit schlauen Künsten ließ er mich nicht ruhn,

Versagte mir Besinnen und Erholung;

Ich aber trat in Bund mit ihm und schlief.

Da kam der Sturm, die Lampe löscht' er aus,

Das Meer erregt' er wild in seinen Tiefen,

Da jener schwamm, von keinem Licht geleitet.

Die schwarzen Wolken hingen in die See,

Das Meer erklomm, des Schadens froh, die Wolken,

Die Sterne löschten aus, ringsum die Nacht.

Und jener dort, der Schwimmer selger Liebe,

Nicht Liebe fand er, Mitleid nicht im All.

Die Augen hob er zu den Göttern auf,

Umsonst! Sie hörten nicht, wie? oder schliefen?

Da sank er, sank. Noch einmal ob den Wogen,

Und noch einmal, so stark war seine Glut.

Doch allzumächtig gegen ihn der Bund

Von Feind und Freund, von Hassern und Geliebten.[81]

Das Meer tat auf den Schlund, da war er tot.

O, ich will weinen, weinen, mir die Adern öffnen,

Bis Tränen mich und Blut, ein Meer, umgeben;

So tief wie seins, so grauenhaft wie seins,

So tödlich wie das Meer, das ihn verschlungen.

NAUKLEROS.

Leander, o, mein mildgesinnter Freund!

HERO.

Sag: er war alles! Was noch übrig blieb,

Es sind nur Schatten; es zerfällt; ein Nichts.

Sein Atem war die Luft, sein Aug die Sonne,

Sein Leib die Kraft der sprossenden Natur,

Sein Leben war das Leben, deines, meins,

Des Weltalls Leben. Als wirs ließen sterben,

Da starben wir mit ihm. Komm, läßger Freund,

Komm, laß uns gehn mit unsrer eignen Leiche.

Du hast zwei Kleider, und dein Freund hat keins,

Gib mir dein Kleid, wir wollen ihn bestatten.


Naukleros nimmt seinen Überwurf ab, Janthe empfängt ihn.


HERO.

Nur einmal noch berühren seinen Leib,

Den edlen Leib, so voll von warmem Leben.

Von seinem Munde saugen Rat und Trost.

Dann – Ja, was dann? – Zu ihm!


Zum Tempelhüter, der zurückgekommen ist.


Verweigerst dus?

Ich will zu meinem Freund! Wer hinderts? du?


Sie macht eine heftige Bewegung, dann sinken Haupt und Arme kraftlos herab. Janthe will ihr beistehen.


HERO.

Laß mich! Der Mord ist stark. Und ich hab ihn getötet.


Ab nach der linken Seite.


PRIESTER zu Janthen.

Folg ihr!


Janthe geht.


PRIESTER zu Naukleros.

Du bleib! Dein Leben ist verwirkt,

Doch schenk ich dirs, bringst heim du jenen Toten

Und schweigst dein Leben lang. Kamst du allein?

NAUKLEROS.

Mir folgten Freunde von der Küste jenseits.

PRIESTER.

Halt sie bereit. – Wo brachtet ihr ihn hin?

TEMPELHÜTER.

Zum Tempel, Herr.

PRIESTER.

Warum zum Tempel? sprich!

TEMPELHÜTER.

So wills der Brauch.[82]

PRIESTER.

Wills so der Brauch, wohlan!

Die Bräuche muß man halten, sie sind gut.

Und nun zu ihr! Entfernt die Störung erst,

Legt mild die Zeit den Balsam auf die Wunde.

Ja, dies Gefühl, im ersten Keim erstickt,

Bewahrt vor jedem zweiten die Verlockte,

Und heilig fürderhin – Komm mit! Ihr folgt!


Alle ab.

Das Innere des Tempels. Der Mittelgrund durch einen zwischen Säulen herab – hängenden Vorhang geschlossen. Auf der rechten Seite des Vorgrundes eine Bildsäule Amors, an deren Arm ein Blumenkranz hängt.

Mädchen kommen, mit Zurechtstellen von Opfergefäßen und Abnehmen von Blumengewinden beschäftigt. Zwei davon nähern sich dem Vorhange.

Janthe kommt.


JANTHE.

O laßt sie, laßt! Gönnt ihr die kurze Ruh!

Wie mag sie trauern um den Teuren, Guten.

Sie fand den Ort, wo man ihn hingebracht,

Blindfühlend aus, von niemanden belehrt,

Und stürzte auf die Knie und weinte laut,

Mit ihres Atems Wehn, mit ihren Tränen

Zum Leben ihn zu rufen ohne Frucht bemüht.

Doch als er des nicht achtet, weil er tot,

Da warf sie sich auf den Erblaßten hin,

Die teure Brust mit ihrer Brust bedeckend,

Den Mund auf seinem Mund, die Hand in ihrer.

Seitdem nun ist ihr Klagelaut verstummt.

Doch, fürcht ich, sammelt sie nur neue Kraft

Zu tieferm Jammer. – Nun, ich will auch nimmer

Ein Lieb mir wünschen, weder jetzt, noch sonst.

Besitzen ist wohl schön, allein verlieren!


Der Priester kommt mit dem Tempelhüter und Naukleros, dem mehrere Freunde folgen, von der rechten Seite.


PRIESTER.

Wo ist sie?

JANTHE.

Dort!

PRIESTER.

Zieht auf den Vorhang!

JANTHE.

Herr!

PRIESTER.

Auf, sag ich, auf! Und haltet fern das Volk!


Der Vorhang wird aufgezogen, die Cella erscheint, zu der viele breite Stufen emporführen. Leander liegt querüber auf einem niedern Tragbette. Hero in[83] einiger Entfernung auf den Stufen, halb liegend auf den rechten Arm gestützt, wie neugierig nach dem Toten hinblickend.


PRIESTER.

Hero!

HERO.

Wer ruft?

PRIESTER.

Ich bins. Komm hier!

HERO.

Warum?


Sie steht auf und tritt zu Füßen der Tragbahre, den Toten immerfort betrachtend.


PRIESTER.

Genug ward nun geklagt ob jenem Fremden!

Was schaffst du dort?

HERO.

Ich sinne, Herr!

PRIESTER.

Du sinnst?

HERO.

Was nur das Leben sei?

Er war so jugendlich, so schön,

So überströmend von des Daseins Fülle,

Nun liegt er kalt und tot. Ich habs versucht,

Ich legte seine Hand an meine Brust,

Da fühlt ich Kälte strömen bis zum Sitz des Lebens,

Im starren Auge glühte keine Sehe.

Mich schaudert. Weh!

PRIESTER.

Mein starkes, wackres Mädchen.

So wieder du mein Kind!


Zu Naukleros.


Du tritt hinzu!

Erkennst du deinen Freund?

NAUKLEROS.

Er ists, er wars.

PRIESTER.

Nun komm!

HERO.

Warum?

PRIESTER.

Sie tragen ihn nun fort.

HERO.

Schon jetzt?

PRIESTER.

So ists.

HERO.

Wohin?

PRIESTER.

Nach seiner Heimat.

HERO.

Gebt einen Mantel mir!

PRIESTER.

Wozu?

HERO.

Ihm folgen.

Ist er gleich tot, so war er doch mein Freund.

Am Strande will ich wohnen, wo er ruht.

PRIESTER.

Unmöglich! Du bleibst hier![84]

HERO.

Hier?

PRIESTER.

Priestrin, hier.

HERO.

So laßt an unserm Ufer ihn begraben,

Wo er verblich, wo er, ein Toter, lag,

Am Fuße meines Turms. Und Rosen sollen

Und weiße Lilien, vom Tau befeuchtet,

Aufsprossen, wo er liegt.

PRIESTER.

Auch das soll nicht.

HERO.

Wie? Nicht?

PRIESTER.

Es darf nicht sein.

HERO.

Es darf nicht?

PRIESTER stark.

Nein.

HERO.

Nun denn, ich hab gelernt, Gewaltigem mich fügen!

Die Götter wolltens nicht, da rächten sies.

Nehmt ihn denn hin. Leb wohl, du schöner Jüngling!

Ich möchte gern noch fassen deine Rechte,

Doch wag ichs nicht, du bist so eiseskalt.

Als Zeichen nur, als Pfand beim letzten Scheiden,

Nimm diesen Kranz, den Gürtel lös ich ab

Und leg ihn dir ins Grab. Du schönes Bild,

All, was ich war, was ich besaß, du hast es,

Nimm auch das Zeichen, da das Wesen dein.

Und so geschmückt, leb wohl!


Einige nähern sich der Leiche.


HERO.

Und dennoch, halt!

Seid ihr so rasch? – Und dennoch, dennoch, nicht!


Zur Bahre tretend.


Nie wieder dich zu sehn, im Leben nie!

Der du einhergingst im Gewand der Nacht

Und Licht mir strahltest in die dunkle Seele,

Aufblühen machtest all, was hold und gut;

Du fort von hier an einsam dunkeln Ort,

Und nimmer sieht mein lechzend Aug dich wieder.

Der Tag wird kommen und die stille Nacht,

Der Lenz, der Herbst, des langen Sommers Freuden,

Du aber nie. Leander, hörst du? nie!

Nie, nimmer, nimmer, nie!


Sich an der Bahre niederwerfend und das Haupt in die Kissen verbergend.
[85]

NAUKLEROS.

Hab Mitleid, Herr!

PRIESTER.

Ich habe Mitleid,

Deshalb errett ich sie.


Zu Hero tretend.


Es ist genug.

HERO mit Beistand sich aufrichtend.

Genug?

Meinst du? genug! – Was aber soll ich tun?

Er bleibt nicht hier, ich soll nicht mit.


Ich will mit meiner Göttin mich beraten.

Janthe, leite mich zu ihrem Thron.

Solang berührt ihn nicht.


Zu Naukleros.


Versprich es mir!

Gib mir die Hand darauf. – Ha, zuckst du? Gelt!

Das tat mir der, dein Freund! – Du bist so warm.

Wie wohl, wie gut! – Zu leben ist doch süß! –

Nun aber laß! – Wer wärmt mir meine Hand?

Janthe, komm! – Doch erst zieh mir den Schleier

Hinweg vom Aug!

JANTHE.

Kein Schleier deckt dein Haupt.

HERO.

Ja so! – Komm denn! – Und ihr berührt ihn nicht!

JANTHE die Heron angefaßt hat, zum Priester.

O Herr, der Frost des Todes ist mit ihr!

PRIESTER.

Ob Tod, ob Leben, weiß der Arzt allein.

JANTHE Heron leitend.

Sieh hier! – Heb nur den Fuß! – Du wankst. Nur hier!


Hero besteigt, von Janthen geführt, die Stufen. Ein Teil der Jungfrauen folgt ihr, sich in einer herablaufenden Reihe auf der rechten Seite aufstellend, die übrigen treten unten auf die linke Seite, so daß die Tragbahre von ihnen verdeckt wird.


PRIESTER halblaut.

Ihr bringt indes ihn fort.

NAUKLEROS.

Bedenk!

PRIESTER.

Es muß!

Kehrt sie zurück, sei jede Spur verschwunden.

Dein Leben gilts.

NAUKLEROS.

Wohlan!


Seine Begleiter gehen von hinten herum und fassen die Tragbahre.
[86]

HERO die von Janthen unterstützt, bereits die obern Stufen erstiegen, ruft in demselben Augenblicke, das Gesicht noch immer gegen die Cella gerichtet.

Leander!


Rasch umgewendet, Haupt und Arme in die Luft geworfen.


Leander!

JANTHE sie umfassend zu den Trägern.

Halt!

PRIESTER.

Nur fort!

JANTHE.

Sie gleitet, sinkt!

Setzt ab! in Doppelschlägen pocht ihr Herz!

PRIESTER.

Des Herzens Schlag ist Leben, Doppelschlag

Verdoppelt Leben denn. Ihr tragt ihn fort!

Der ist kein Arzt, der Krankendrohung scheut.


Man hat die Leiche zu der links gegen den Hintergrund befindlichen Pforte hinausgetragen.

Der Priester folgt.


JANTHE bei Hero auf den Stufen knieend.

Ist hier nicht Hilfe, Rettung? Sie vergeht.


Den Trägern nachsehend.


Schon nimmt sie auf die Wölbung. Die sein warten,

Von jenseits kommen sie. Gedränge, Fackelglanz.

Die äußre Pforte tat sich auf. Weh uns,

Sie donnert zu. Der Gang hüllt sich in Dunkel.

Sie haben, halten ihn. Er kommt nicht wieder.


Hero, die bisher halb sitzend an Janthes Knie gelehnt, gleitet jetzt herab und liegt auf den Stufen.


JANTHE.

Hero! O mir! wer steht der Ärmsten bei?

PRIESTER zurückkommend.

Sie führen ihn mit sich, sie rudern fort.

Bald trennt das Meer die unheilvoll Vereinten.

JANTHE nach einer Pause aufstehend und herabkommend.

Es braucht kein Meer, der Tod hat gleiche Macht,

Zu trennen, zu vereinen. Komm und schau,

So sehn die Toten aus in diesen Landen.

PRIESTER.

Spricht das der Wahnsinn?

JANTHE.

Nein, er hörts.

Vorsichtger Tor, sieh deiner Klugheit Werke!

PRIESTER.

Und gälts ihr Leben! Gäb ich doch auch meins,

Um Unrecht abzuhalten. Doch es ist nicht.


Er eilt die Stufen hinauf, vor der Hingesunkenen knieend.
[87]

JANTHE.

Heißt nur die Männer, die den Jüngling tragen,

Drauß harren, es bedarf noch ihres Amts.

Zwei Leichen und ein Grab. O gönnt es ihnen!


Zum Priester, der die Stufen herabkommt.


Nun, Mann, du gehst? So gibst du sie denn auf?

Bleib! Eine Dienerin begehrt der Freiheit,

Ich kehre heim zu meiner Eltern Herd.


Der Priester geht, sich verhüllend, ab.


Du gehst und schweigst? Sei Strafe dir dies Schweigen!


Ihr sorgt für sie, wie sonst ich selbst getan.

Mich duldets länger nicht in eurem Hause.


Sie nimmt den Kranz von Amors Bildsäule.


Hier diesen Kranz tragt mit der Bleichen fort.


Den Kranz nach der um Hero beschäftigten Gruppe hinwerfend, gegen die Bildsäule sprechend.


Versprichst du viel und hältst du also Wort?


Der Vorhang fällt.


Ende.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 76-88.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Meeres und der Liebe Wellen
Des Meeres Und Der Liebe Wellen
Des Meeres Und Der Liebe Wellen (Dodo Press)
Des Meeres und der Liebe Wellen
Hamburger Lesehefte, Nr.90, Des Meeres und der Liebe Wellen
Des Meeres Und Der Liebe Wellen: Trauerspiel in Fünf Aufzügen (German Edition)

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon