Zweiter Auftritt

[718] Sappho, köstlich gekleidet, auf einem mit weißen Pferden bespannten Wagen, eine goldne Leier in der Hand, auf dem Haupte den Siegeskranz. Ihr zur Seite steht Phaon in einfacher Kleidung. Volk umgibt laut jubelnd den Zug.


VOLK auftretend.

Heil Sappho, Heil!

RHAMNES sich unter sie mischend.

Heil Sappho, teure Frau![718]

SAPPHO.

Dank Freunde, Landsgenossen Dank.

Um euretwillen freut mich dieser Kranz,

Der nur den Bürger ziert, den Dichter drückt,

In eurer Mitte nenn ich ihn erst mein.

Hier, wo der Jugend träumende Entwürfe,

Wo des Beginnens schwankendes Bestreben,

Wo des Vollbringens wahnsinnglühnde Lust

Mit eins vor meine trunkne Seele treten,

Hier, wo Zypressen von der Eltern Grab

Mir leisen Geistergruß herüberlispeln,

Hier, wo so mancher Frühverblichne ruht,

Der meines Strebens, meines Wirkens sich erfreut,

In eurem Kreis, in meiner Lieben Mitte,

Hier dünkt mir dieser Kranz erst kein Verbrechen,

Hier wird die frevle Zier mir erst zum Schmuck.

EINER AUS DEM VOLKE.

Wohl uns, daß wir dich, Hohe, unser nennen!

Habt die bescheidne Rede ihr vernommen,

Mehr als ganz Griechenland hat sie ihr Wort geschmückt!

RHAMNES sich hinzudrängend.

Sei mir gegrüßt, gegrüßt, du Herrliche!

SAPPHO vom Wagen herabsteigend und die Umstehenden freundlich begrüßend.

Mein treuer Rhamnes sei gegrüßt! – Artander,

Du auch hier, trotzend deines Alters Schwäche?

Kallisto – Rhodope – Ihr weinet, Liebe! –

Das Auge zahlt so richtig als das Herz –

Für Tränen Tränen, seht! – O schonet mein!

EINER AUS DEM VOLKE.

Willkommen auf der Heimat altem Boden,

Willkommen in der Deinen frohem Kreis!

SAPPHO.

Umsonst sollt ihr die Bürgerin nicht grüßen,

Sie führt zum Dank euch einen Bürger zu.

Hier Phaon. Von den Besten stammet er

Und mag auch kühn sich stellen zu den Besten!

Obschon die Jahre ihn noch Jüngling nennen,

Hat ihn als Mann so Wort als Tat erwiesen.

Wo ihr des Kriegers Schwert bedürft,

Des Redners Lippe und des Dichters Mund,[719]

Des Freundes Rat, des Helfers starken Arm,

Dann ruft nach ihm und suchet länger nicht.

PHAON.

Du spottest, Sappho, eines armen Jünglings!

Wodurch hätt ich so reiches Lob verdient?

Wer glaubt so Hohes von dem Unversuchten?

SAPPHO.

Wer sieht, daß du errötest, da ichs sage.

PHAON.

Ich kann, beschämt, nur staunen und verstummen.

SAPPHO.

Du sicherst dir, was du von dir entfernst,

Geschwister sind ja Schweigen und Verdienst.

Ja, meine Freunde, mögt ihrs immer wissen,

Ich liebe ihn, auf ihn fiel meine Wahl.

Er war bestimmt, in seiner Gaben Fülle,

Mich von der Dichtkunst wolkennahen Gipfeln

In dieses Lebens heitre Blütentäler

Mit sanft bezwingender Gewalt herabzuziehn.

An seiner Seite werd ich unter euch

Ein einfach stilles Hirtenleben führen;

Den Lorbeer mit der Myrte gern vertauschend

Zum Preise nur von häuslich stillen Freuden

Die Töne wecken dieses Saitenspiels.

Die ihr bisher bewundert und verehrt,

Ihr sollt sie lieben lernen, lieben, Freunde.

VOLK.

Preis dir, du Herrliche! Heil, Sappho, Heil!

SAPPHO.

Es ist genug! Ich dank euch, meine Freunde!

Folgt meinem Diener, er wird euch geleiten,

Daß ihr bei Speis und Trank und frohen Tänzen

Die Feier unsers Wiedersehns vollendet,

Der Wiederkehr der Schwester zu den Ihren!


Zu den Landleuten, die sie begrüßen.


Lebt wohl – auch du – und du – ihr alle – alle!


Rhamnes mit den Landleuten ab.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 718-720.
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