Erster Auftritt

[731] PHAON kommt.

Wohl mir, hier ist es still. Des Gastmahls Jubel,

Der Zimbelspieler Lärm, der Flöten Töne,

Der losgelaßnen Freude lautes Regen,

Es tönt nicht bis hier unter diese Bäume,

Die leise flüsternd, wie besorgt zu stören,

Zu einsamer Betrachtung freundlich laden.


Wie hat sich alles denn in mir verändert,

Seit ich der Eltern stilles Haus verließ

Und meine Renner gen Olympia lenkte?

Sonst konnt ich wohl in heiterer Besinnung

Verworrener Empfindung leise Fäden

Mit scharfem Aug verfolgen und entwirren,

Bis klar es als Erkennen vor mir lag.

Doch jetzt, wie eine schwüle Sommernacht,

Liegt brütend, süß und peinigend zugleich[731]

Ein schwerer Nebel über meinen Sinnen,

Den der Gedanken fernes Wetterleuchten,

Jetzt hier, jetzt dort, und jetzt schon nicht mehr da,

In quälender Verwirrung rasch durchzuckt.

Ein Schleier deckt mir die Vergangenheit,

Kaum kann ich heut des Gestern mich erinnern,

Kaum in der jetzgen Stund der erst geschiednen.

Ich frage mich: warst dus denn wirklich selber,

Der in Olympia stand an ihrer Seite,

An ihrer Seite in des Siegs Triumph?

War es dein Name, den des Volkes Jubel

Vermischt mit ihrem in die Lüfte rief?

Ja sagt mir alles und doch glaub ichs kaum.

Was für ein ärmlich Wesen ist der Mensch,

Wenn, was als Hoffnung seine Sinne weckte,

Ihm als Erfüllung sie in Schlaf versenkt.

Als ich sie noch nicht sah und kannte, nur

Die Phantasie ihr schlechtgetroffnes Bild

In graue Nebel noch verfließend malte,

Da schien mirs leicht, für einen Blick von ihr,

Ein gütges Wort, das Leben hinzuwerfen;

Und jetzt, da sie nun mein ist, mir gehört,

Da meiner Wünsche winterliche Raupen

Als goldne Schmetterlinge mich umspielen,

Jetzt frag ich noch und steh und sinn und zaudre!


Weh, ich vergesse hier mich selber noch

Und sie und Eltern und –

O meine Eltern!

Muß ich erst jetzt, jetzt eurer mich erinnern!

Konnt ich so lang euch ohne Botschaft lassen?

Vielleicht beweint ihr meinen Tod, vielleicht

Gab des Gerüchtes Mund euch schon die Kunde,

Daß euer Sohn, den ihr zu lieben nicht,

Den ihr zum Kampfe nach Olympia sandtet,

In Sapphos Arm –

Wer wagt es, sie zu schmähn!

Der Frauen Zier, die Krone des Geschlechts![732]

Mag auch des Neides Geifer sie bespritzen,

Ich steh für sie, seis gegen eine Welt!

Und selbst mein Vater, sieht er sie nur erst,

Gern legt er ab das alte Vorurteil,

Das frecher Zitherspielerinnen Anblick

Mit frommer Scheu ihm in die Brust geprägt.


In Gedanken versinkend.


Wer naht? – der laute Haufen dringt hierher.

Wie widerlich! – Schnell fort! – Wohin? – Ah hier!


Geht in die Grotte.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 731-733.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sappho
Sappho
Sappho
Sämtliche Werke: Dritter und vierter Band: Gedichte, Die Ahnfrau, Sappho

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon