Sechster Auftritt

[755] Phaon. Vorige


PHAON.

Wer ruft hier? – du Melitta, fort den Dolch!


Pause.


PHAON.

Was war hier? Sappho, du? –

SAPPHO.

Frag diese hier!

PHAON.

Melitta, hättest du? –

MELITTA.

Die Schuld ist mein,

Ich sprach, wie es der Sklavin nicht geziemt!

SAPPHO.

Du sollst mit falscher Schuld dich nicht beladen,

Zu drückend liegt die wahre schon auf dir.

Weh mir, bedürft ich jemals deiner Großmut!


Mit starkem Ton.


Die Rose von der Brust hab ich begehrt,

Und sie verschmähte zu gehorchen! –

PHAON.

Tat sies?

Bei allen Göttern, sie hat recht getan,

Und niemand soll der Blume sie berauben![755]

Ich selber gab sie ihr, als Angedenken

An eine schöne Stunde, als ein Zeichen,

Daß nicht in jeder Brust das Mitgefühl

Für unverdientes Unglück ist erloschen,

Als einen Tropfen Honig in den Becher,

Den fremder Übermut ihr an die Lippen preßt,

Als Bürgen meiner innern Überzeugung,

Daß stiller Sinn des Weibes schönster Schmuck,

Und daß der Unschuld heitrer Blumenkranz

Mehr wert ist, als des Ruhmes Lorbeerkronen. –

Sie weint! – O weine nicht, Melittion!

Hast diese Tränen du auch mitbezahlt,

Als du sie von dem Sklavenmäkler kauftest?

Der Leib ist dein, komm her und töte sie,

Doch keine Träne sollst du ihr erpressen!

Schaust du mich mit den milden Augen an,

Um Mitleid flehend für die Mitleidlose?

Du kennst sie nicht, du kennst die Stolze nicht!

Schau hin, blinkt nicht ein Dolch in ihrer Hand

Und noch zwei andre liegen tiefversteckt

Dort unter den gesenkten Augenlidern?


Den Dolch aufraffend, der Sapphon entglitten ist.


Mir diesen Stahl! Ich will ihn tragen

Hier auf der warmen, der betrognen Brust,

Und wenn mir je ein Bild verfloßner Tage

In süßer Wehmut vor die Seele tritt,

Soll schnell ein Blick auf diesen Stahl mich heilen!

SAPPHO ihn starr anblickend.

Phaon!

PHAON.

O höre nicht den süßen Ton,

Er lockt dich schmeichelnd nur zu ihrem Dolch!

Auch mir ist er erklungen! Lange schon

Eh ich sie sah, warf sie der Lieder Schlingen

Von ferne leis verwirrend um mich her,

An goldnen Fäden zog sie mich an sich,

Und mocht ich ringen, enger stets und enger

Umschlangen mich die leisen Zauberkreise.

Als ich sie sah, da faßte wilder Taumel[756]

Den aufgeregten Sinn, und willenlos

Stürzt ich gebunden zu der Stolzen Füßen.

Dein Anblick erst gab mich mir selber wieder,

Erbebend sah ich mich in Circes Hause

Und fühlte meinen Nacken schon gekrümmt!

Doch war ich nicht gelöst, sie selber mußte,

Sie selber ihren eignen Zauber brechen!

SAPPHO noch immer starr nach ihm blickend.

Phaon!

PHAON.

O hör sie nicht! Blick nicht nach ihr,

Ihr Auge tötet so wie ihre Hand.

MELITTA.

Sie weint!

PHAON.

Fort, weinend spinnt sie neuen Zauber!

MELITTA.

Soll ich die Teure leidend vor mir sehn?

PHAON.

Auch mich ergreift sie, darum eilig fort!

Eh sie noch ihre Schlingen um dich wirft.


Er führt sie fort.


MELITTA.

Ich kann nicht! – Sappho!

SAPPHO mit aufgelöster Stimme.

Melitta, rufst du mir?

MELITTA umkehrend und ihre Kniee umfassend.

Ich bin es, Sappho! Hier, die Rose, nimm!

Nimm ihn! Mein Leben nimm! Wo ist dein Dolch?

PHAON herzu eilend, die Rose, die beide halten, wegreißend und Melitten aufhebend.

Dein ist sie, dein, kein Gott soll dir sie rauben!


Melitten fortziehend.


Komm! Schnell aus ihrer Nähe! Fort!


Führt sie ab.


SAPPHO mit ausgestreckten Armen, verhallend.

Phaon!


Der Vorhang fällt.
[757]

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 755-758.
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