Achter Auftritt

[769] Sappho. Vorige.


SAPPHO.

Welch Schreckenslaut tönt durch die stille Nacht

Und greift dem Schlafverscheucher Kummer in sein Amt?

Wer hat hier noch zu klagen außer mir?

RHAMNES.

Ich, o Gebieterin!

SAPPHO.

Du, Rhamnes, hier?

Und wo ist sie?

RHAMNES.

Melitta?

SAPPHO.

Ja doch!

RHAMNES.

Fort!

SAPPHO.

Sie fort und du doch hier!

RHAMNES.

Entflohen mit –

SAPPHO.

Halt ein!

RHAMNES.

Entflohn mit Phaon!

SAPPHO.

Nein!

RHAMNES.

Es ist so!

Er überwältigte mein schwaches Alter,

Und in demselben Kahn, der mir bereitet,

Führt er nun seine Beute durch die Wogen!

SAPPHO.

Du lügst!

RHAMNES.

O daß ich löge – diesmal löge![769]

SAPPHO.

Und wo blieb euer Donner, ewge Götter!

Habt ihr denn Qualen nur für Sapphos Herz?

Ist taub das Ohr und lahm der Arm der Rache!

Hernieder euern rächerischen Strahl,

Hernieder auf den Scheitel der Verräter,

Zermalmt sie, Götter, wie ihr mich zermalmt! –

Umsonst! kein Blitz durchzuckt die stille Luft,

Die Winde säuseln buhlerisch im Laube,

Und auf den breiten Armen trägt die See

Den Kahn der Liebe schaukelnd vom Gestade!

Da ist nicht Hilfe! Sappho, hilf dir selbst!


Die Bühne hat sich nach und nach mit Fackeln tragenden Sklaven und Landleuten angefüllt.


Ha, diese hier! Habt Dank, ihr Treuen, Dank!

Gebt, Menschen! was die Götter mir verweigern!

Auf, meine Freunde, rächet eure Sappho!

Wenn ich euch jemals wert, jetzt zeigt es, jetzt!


Unter ihnen herumgehend.


Du, Myron, schwurst mir oft und du, Terpander –

Gedenkst du, Lychas, noch des Liedes – Pheres –

Und du, Xenarchos – alle meine Freunde!

Hinunter zum Gestad! Bemannet Schiffe

Und folget windschnell der Verräter Spur!

Denkt, daß ich eurer hier in Qualen harre

Und jeder Augenblick, bis ihr zurückkehrt,

Mir hundert Dolche in den Busen bohrt!

Wer mir sie bringt, wer mir die Wonne schafft,

Daß ich die Augen bohren kann in seine,

Ihn fragen kann: Was hab ich dir getan,


In Tränen ausbrechend.


Daß du mich tötest? – Nein, nur Wut und Rache!

Wer mir sie bringt, er nehme all mein Gold,

Mein Leben – fort! Auf Windesfittig fort!

EIN LANDMANN.

Mit ihm nur kehren wir zurück.

SAPPHO.

Ich dank euch,


Zu den Abgehenden.


Mein Leben ist gelegt in eure Hand![770]

Laßt meine Wünsche euern Fuß beflügeln,

Und meine Rache stärke euren Arm –

Nur schnell, nur schnell! Bei allen Göttern, schnell!


Diener und Landleute ab.


SAPPHO die Hände über die Brust gelegt.

Sie gehn! Nun ist mir wohl! – Nun will ich ruhn!

EUCHARIS.

Du zitterst!

RHAMNES.

Weh, du wankst! – o, Sappho!

EUCHARIS die Wankende in ihre Arme fassend.

Götter!

SAPPHO in Eucharis Armen.

O, laß mich sinken! Warum hältst du mich?


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 769-771.
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