Dritte Scene.

[110] (Mordi's Garten.)


Mordi im Grase liegend, Roselinde ihn suchend, Misekätzchen hinter ihr.


Roselinde.


Wo er ist, der arme Mordi?


(ruft.)


Mordi! – Bin den ganzen Garten

Jetzt schon nach ihm durchgelaufen,

Habe laut und oft gerufen.


(ruft wieder:)


Mordi! Mordi! lieber Mordi!

– Ei, was liegt denn da im Grase?

Ist er das? – Ach, ja! das ist er.

Ach, wie klein ist er geworden!

Oder ist er gar gestorben?


(sie geht hin.)


Nein er lebt, denn sichtbar dehnet

Sich der Leib – das kommt vom Athmen.

Aber, ach, wie muß er krank sein!

Denn er ist so abgezehret,

Eingeschrumpft fast bis zur Hälfte.


(Sie kniet nieder zu ihm.)


Wie er jetzt die Augen wendet,

Und mich ansieht! Armer Mordi![111]

Ach, wie trüb sind deine Augen!

Sag, was fehlt dir?


Mordi gibt einige schwache Laute von sich.


Roselinde.


Wie, du kannst auch nicht mehr sprechen?

Ach, du wirst mir doch nicht sterben?

Soll ich dir vom Balsam geben?


(Indem sie das sagt, streichelt sie ihm mit der Hand über den Kopf und weint.)


Mordi

wird in diesem Augenblick in einen Menschen verwandelt, und liegt in prächtigen Königskleidern

aber eben so schwach und krank vor ihr. Misekätzchen wird Miß Käthchen.


Roselinde.


Ei, was war das? Wo ist Mordi?

Wie ist das denn zugegangen?

Mordi ist ja ganz verschwunden,

Und da liegt ein Mensch im Grase!


Miß Käthchen.


Das ist unser König, Herrin.


Roselinde.


Ei, wer spricht da? du, Miß Käthchen?

Und ist dieser Prinz Herr Mordi?


Mordi schwach.


Ja!


[112] Roselinde.


Bist Du wirklich mein Herr Mordi?


Mordi.


Gib mir schnell vom Lebensbalsam,

An dem Herzen sitzt der Tod mir.


Roselinde hält ihm die Balsamflasche an die Lippen.


Da! da! trinke!


Mordi trinkt.


Ach, wie heilsam!


(Er trinkt mehr, steht auf.)


Liebe, liebe Roselinde,

Sieh schon bin ich ganz genesen.


Roselinde.


Ach, wie bin ich nun so glücklich,

Daß Du jetzt ein Mensch geworden,

Aber wirst Du auch nicht wieder

In ein Ungeheu'r verwandelt?


Mordi.


Sei nicht bange, Roselinde.

Du hast mir mit Deinen Händen

Freundlich meinen Kopf gestreichelt,

Der so furchtbar häßlich aussah,

Und das lös'te allen Zauber.


[113] Roselinde.


Dürfen jetzt auch Menschen kommen?


Mordi.


Alles, Alles ist nun anders.

Ich bin kein verwünschter Prinz mehr,

Meine Diener sind nun Menschen,

Und so dürfen denn auch künftig

Menschen ohne Furcht sich nahen.

– Aber wie kann ich Dir's danken!

Sieh, in Zukunft bin ich König,

Herrsche über all die Länder,

Welche hier uns rings umgeben,

Und durch Dich bin ich so glücklich

– Bleibe bei mir Roselinde,

Sei die Königin des Landes.


Roselinde.


Ei, das will ich herzlich gern.


Mordi.


Willst Du? liebe Roselinde?

O, dann komm, dann komm geschwind.

Laß uns zu dem Schlosse eilen,

Daß man schnell ein Fest bereite,

Unsre Hochzeit bald zu feiern;

Daß ich schnell an Deinen Vater[114]

Einen meiner Diener sende,

Der ihn zu uns her geleite,

Daß ich all den bittern Kummer,

Den ich ihm gemacht, vergüte,

Daß er jetzt in seinem Alter

Frohe Tage bei uns lebe.


Roselinde.


Ach, Du bist so gut, Herr Mordi!

Komm, ja, komm denn schnell zum Schlosse. –

Aber laß auch Besenstielchen

Mit dem Vater zu mir kommen,

Daß ich ihre treue Liebe,

Die sie mir als Kind bewiesen,

Wie es billig ist, vergelte.


Mordi.


Ja, sie soll als Deine Freundin

Künftig immer um Dich bleiben,

Und soll die Gemahlin eines

Meiner ersten Räthe werden –

Komm, laß uns das all bestellen.


(Er bietet ihr den Arm, sie gehn ab.)


Miß Käthchen folgt.


Diener, Läufer, Kutscher, Koch und viele andere Hofbedienten kommen.


[115] Läufer tanzt herum.


Heisa, lustig! heisa, lustig!

Meine langen Storchenbeine

Sind doch wieder menschlich worden.


Diener.


Und die langen Zottelhaare

Sind mir auch doch abgefallen.


Andrer Diener.


Was warst du denn für ein Thierchen?


Diener.


Ich? ein Pudelhund.


Andrer.


– Ich aber

War ein Affe.


Koch.


Dank dem Himmel!

Ich muß jetzt doch nicht mehr bellen,

Und kann wieder deutlich reden.


Kutscher.


Unser Herr ist auch ein Mensch.


Koch.


Der war noch am allerschlimmsten

Dran, der war verzweifelt garstig.


[116] Diener.


Dem wirds auch ganz wohl sein endlich.

Wie ist's aber zugegangen?


Andrer Diener.


Wau! wau! – Ach, wie dumm! ich meinte

Ich sei noch ein Hund, und müßte

Auch, wie sonst, noch immer bellen.


Läufer.


Juchhe! meinetwegen sei es

Zugegangen, wie es wolle! –


Diener.


Kommt! der Herr wird auf uns warten,

Eben ging er aus dem Garten.


Alle springend.


Juchhe! Kommt! Juchheisasa!


Mordi ruft.


Diener!


Alle.


Herr, wir kommen! ja!


Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 1, Grimma 21837, S. 110-117.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Suttner, Bertha von

Memoiren

Memoiren

»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.

530 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon