Zu Sneewittchen. [32] No. 53.

Dies Märchen gehört zu den bekanntesten, doch wird in Gegenden, wo bestimmt hochdeutsch herrscht, der plattdeutsche Namen beibehalten, oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Eingang fällt es mit dem Märchen vom Machandelbaum zusammen, noch näher in einer andern Recension, wo sich die Königin, indem sie mit dem König auf einem Jagdschlitten fährt, einen Apfel schält und dabei in den Finger schneidet. Noch ein anderer Eingang ist folgender: Ein Graf und eine Gräfin fuhren an drei Haufen weißem Schnee vorbei, da sagte der Graf: »ich wünsche mir ein Mädchen, so weiß als dieser Schnee.« Bald darauf kamen sie an drei Gruben rothes Bluts, da sprach er wieder: »ich wünsche mir ein Mädchen, so roth an den Wangen, wie dies Blut.« Endlich flogen drei schwarze Raben vorüber, da wünschte er sich ein Mädchen; »das Haare hat so schwarz, wie diese Raben.« Als sie noch eine Weile gefahren, begegnete ihnen ein Mädchen, so weiß wie Schnee, so roth wie Blut und so schwarzhaarig, wie die Raben und das war das Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die Kutsche sitzen und hatte es lieb, die Gräfin aber sah es nicht gern und dachte nur, wie sie es wieder los werden könnte. Endlich ließ sie ihren Handschuh hinausfallen, und befahl dem Sneewittchen ihn wieder zu suchen, in der Zeit aber mußte der Kutscher geschwind fortfahren: nun ist Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen u.s.w. In einer andern Erzählung, ist das bloß abweichend, daß die Königin mit dem Sneewittchen in den Wald fährt, und es bittet ihm von den schönen Rosen, die da stehen, einen Strauß abzubrechen, während es bricht, fährt sie fort und läßt es allein. Endlich kennen wir noch eine dritte Recension: Ein König verliert seine Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Sneewittchen hat und nimmt eine andere, mit der er drei Töchter bekommt. Diese haßt das Stiefkind, auch wegen seiner wunderbaren Schönheit, und[32] unterdrückt es, wo sie kann. Im Wald in einer Höhle wohnen sieben Zwerge, die tödten jedes Mädchen, das sich ihnen naht. Das weiß die Königin, und weil sie Sneewittchen nicht geradezu tödten will, hofft sie es dadurch los zu werden, daß sie es hinaus vor die Höhle führt und zu ihm sagt: »geh da hinein und wart bis ich wieder komme.« Dann geht sie fort, Sneewittchen aber getrost in die Höhle. Die Zwerge kommen und wollen es anfangs tödten, weil es aber so schön ist, lassen sie es leben und sagen, es solle ihnen dafür den Haushalt führen. Sneewittchen hatte aber einen Hund, der hieß Spiegel, wie es nun fort ist, liegt der traurig im Schloß, die Königin fragt ihn:


»Spiegel unter der Bank,

sieh in dieses Land, sieh in jenes Land:

wer ist die schönste in Engelland?«


Der Hund antwortet: »Sneewittchen ist schöner bei seinen sieben Zwergen, als die Frau Königin mit ihren drei Töchtern.« Da sieht sie, daß es noch lebt und macht einen giftigen Schnürriemen. Damit geht sie zur Höhle, ruft Sneewittchen, es solle ihr aufmachen. Sneewittchen will nicht, weil die sieben Zwerge ihm streng verboten, keinen Menschen hereinzulassen, auch seine Stiefmutter nicht, die es habe verderben wollen. Sie sagt aber zu Sneewittchen, sie habe keine Töchter mehr, ein Ritter habe sie ihr entführt, da wolle sie bei ihm leben und es putzen. Sneewittchen wird mitleidig und läßt sie herein, da schnürt sie es mit dem giftigen Schnürriemen, daß es todt zur Erde fällt, und geht fort. Die sieben Zwerge aber kommen, nehmen ein Messer und schneiden den Schnürriemen entzwei, da ist es wieder lebendig. Die Königin fragt nun den Spiegel unter der Bank, der giebt ihr dieselbe Antwort. Da macht sie ein giftiges Kopfband, geht mit dem hinaus und redet zu Sneewittchen so beweglich, daß es sie noch einmal einläßt: sie bindet ihm das Kopfband um, und es fällt todt nieder. Aber die sieben Zwerge sehen, was geschehen ist, schneiden das Kopfband ab und es hat das Leben wieder. Zum drittenmal fragt[33] die Königin den Hund, und erhält dieselbe Antwort. Sie geht nun mit einem giftigen Apfel hinaus, und so sehr Sneewittchen von den Zwergen gewarnt ist, wird es doch von ihren Klagen gerührt, macht auf und ißt von dem Apfel, da ist es todt, und wie die Zwerge kommen, können sie nicht helfen, und der Spiegel unter der Bank sagt der Königin sie sey die schönste. Die sieben Zwerge aber machen einen silbernen Sarg, legen das Sneewittchen hinein und setzen es auf einen Baum vor ihrer Höhle. Ein Prinz kommt vorbei und bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu geben, nimmt ihn mit und daheim läßt er es auf ein Bett legen und putzen, als wär es lebendig, und liebt es über alle Maßen, ein Diener muß ihm auch beständig aufwarten. Der wird einmal bös darüber: »da soll man dem todten Mädchen thun, als wenn es lebte!« giebt ihn einen Schlag in den Rücken, da fährt der Apfelbissen aus dem Mund, und Sneewittchen ist wieder lebendig.

Quelle:
Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. 2 Bände, Band 1, Berlin 1812/15, S. XXXII32-XXXIV34.
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