Das 6. Kapitel

[505] Wie Julus und Avarus nach Paris reisen, und dort ihre Zeit vertreiben


Der gnädige Herr, das ist Herr Julus, übernachtet' an demjenigen Ort da wir angelandet, und verblieb den andern Tag und die folgende Nacht noch dazu daselbsten, damit er ausruhen, seinen Wechsel empfangen, und Anstalt machen möchte, von da durch die spanischen Niederland nach[505] Holland zu passieren, welche vereinigten Provinzen er nicht allein zu besehen verlangte, sondern auch, daß er solches tun sollte, von seinem Herrn Vater ausdrücklichen Befehl hatte; hierzu dingte er ein sonderbare Landkutsche, zwar nur allein für sich und seinen Diener Avarum, aber beides Hoffart und Verschwendung samt dem Geiz und ihrer aller Anhänger wollten gleichwohl nicht zurück verbleiben, sondern ein jeder Teil setzte sich wohin er konnte, Hoffart oben an die Decke, Verschwendung an des Juli Seiten, der Geiz in des Avari Herz, und ich hockte und behalf mich auf dem Narrenkistlein, weil Demut nicht vorhanden war, denselbigen Platz einzunehmen.

Also hatt ich das Glück im Schlaf viel schöne Städt zu beschauen, die unter tausenden kaum einem wachend ins Gesicht kommen, oder zu sehen werden; die Reis ging glücklich ab, und wennschon gefährliche Ungelegenheiten sich ereigneten, so überwand jedoch des Juli schwerer Säckel solche all, weil er sich kein Geld dauren ließ, und sich um solches (weil wir durch unterschiedliche widerwärtige Garnisonen reisen mußten) aller Orten mit notwendigen Convoyen und Paßbriefen versehen ließ; ich achtet derjenigen Sachen, die sonst in diesen Landen sehenswürdig sind, nicht sonderlich, sondern betrachtet nur, wie beide Jüngling nach und nach von den obgemeldten Lastern je mehr und mehr eingenommen wurden, zu welchen sich je länger je mehr sammelten; da sah ich wie Julus auch von dem Vorwitz und der Unkeuschheit (welche dafür gehalten wird, daß sie eine Sünd sei, damit die Hoffart gestraft werde) angerannt und eingenommen wurde, weswegen wir denn oft an den Örtern, da sich leichte Dirnen befanden, länger stilliegen mußten und mehr Gelds vertaten als sonst wohl die Notdurft erforderte; andernteils quälte sich Avarus Geld zusammenzuschrapen wie er mochte; er bezwackte nicht allein seinen Herren, sondern auch die Wirt und Gastgeber wo er zukommen mochte; gab mithin einen trefflichen Kuppler ab, und scheute sich nicht hie und da unterwegs unsere Herberger zu bestehlen, und hätte es auch nur ein silberner Löffel sein sollen. Solchergestalt passierten wir[506] durch Flandern, Brabant, Hennegau, Holland, Seeland, Zutphen, Geldern, Mecheln, und folgends an die französische Grenz, endlich gar auf Paris, allwo Julus das lustigste und bequemste Losament bestellte, das er haben konnte; seinen Avarum kleidet' er edelmännisch und nannte ihn einen Junker, damit jedermann ihn selbst desto höher halten und gedenken sollt, er müßte kein kleiner Hans sein, weil ihm einer von Adel aufwartete, der ihn einen gnädigen Herren hieß, maßen er auch für einen Grafen gehalten wurde; er verdingte sich gleich einem Lautenisten, einem Fechter, einem Tanzmeister, einem Bereiter und einem Ballmeister, mehr sich sehen zu lassen als ihnen ihre Künste und Wissenschaften abzulernen; diese waren lauter solche Käuz, die dergleichen neu ausgeflogenen Gästen das Ihrig abzulaufen für Meister passierten; sie machten ihn bald beim Frauenzimmer bekannt, da es ohne Spendieren nicht abging, und brachten ihn auch sonst zu allerlei Gesellschaften, da man dem Beutel zu schröpfen pflegte, und er allein den Riemen ziehen mußte; denn die Verschwendung hatte bereits die Wollust mit allen ihren Töchtern eingeladen, disen Julum bestreiten, und kaputt machen zu helfen.

Anfänglich zwar ließ er sich nur mit dem Ballschlagen, Ringelrennen, den Komödien, Balletten und dergleichen zulässigen und ehrlichen Übungen, denen er beiwohnet' und selbst mitmachte, genügen; da er aber erwarmet' und bekannt wurde, kam er auch an diejenigen Ort, da man seinem Geld mit Würfeln und Karten zusetzte; bis er endlich auch die vornehmsten Hurenhäuser durchschwärmte; in seinem Losament aber ging es zu, wie bei des Königs Arturi Hofhaltung, da er täglich viel Schmarotzer nicht schlechthinweg mit Kraut oder Rüben, sondern mit teuren französischen Potagen und spanischen Olla Potriden köstlich traktierte; maßen ihn oft ein einziger Imbiß über 25 Pistolen gestand, sonderlich wenn man die Spielleut rechnete, die er gemeiniglich dabei zu haben pflegte; über dieses brachten ihn die neuen Moden der Kleidungen, welche geschwind nacheinander folgten und aufstanden, und sich bald wieder veränderten, um ein großes Geld, mit welcher[507] Torheit er desto mehr prangte, weil ihm als einem fremden Kavalier keine Tracht verboten war; da mußte alles mit Gold gestickt und verbrämt sein, und verging kein Monat in dem er nicht ein neues Kleid angezogen, und kein Tag daran er nit seine Perücke etlichmal gepudert hätte; denn wiewohl er von Natur ein schönes Haar hatte, so beredet' ihn die Hoffart doch, daß er solches abschneiden, und sich mit fremdem zieren lassen, weil es so der Brauch war; denn sie sagte, die Sonderling, so sich mit ihrem natürlichen Haar behelfen, wenn solches gleichwohl schön sei, geben damit nichts anders zu verstehen, als daß sie arme Schurken seien, die nit so viel vermöchten, ein kahl hundert Dukaten an ein paar schöne Perücken zu verwenden. In Summa es mußte alles so kostbarlich hergehen und bestellt sein, als es die Hoffart immermehr ersinnen, und ihm die Verschwendung eingeben konnte.

Ob nun zwar dem Geiz, welcher den Avarum schon ganz besaß, ein solche Art zu leben durchaus widerwärtig zu sein erschien, so ließ er, Avarus, sich jedoch solche wohlgefallen, weil er sie sich wohl zunutz zu machen gedachte; denn Mammon hatte ihn allbereit bewegt, sich der Untreu zu ergeben, wenn er anders etwas prosperieren wollte; weswegen er denn keine Gelegenheit vorüberlaufen ließ, seinem Herrn, der ohnedas sein Geld so unnützlich hinausschleuderte, abzuzwacken was er konnte; im wenigsten bezahlte er keine Näherin oder Wäscherin, der er ihren gewöhnlichen Lohn nicht ringerte, und was er denen abbrach, heimlich in seine Beutel steckte; kein Kleidflicker- oder Schuhschmiererlohn war so klein den er seinem Herrn nicht vergrößerte und den Überfluß zu sich schob; geschweige wie er in großen Ausgaben per fas & nefas zu sich rappte und sackte, wo er nur konnt und möchte; die Sesselträger, mit denen sein Herr viel Geld hinrichtete, verändert' er gleich, wenn sie ihm nit Part an ihrem Verdienst gaben; der Pastetenbäck, der Garkoch, der Weinschenk, der Holzhändler, der Fischverkäufer, der Bäck und also andere Viktualisten mußten beinahe ihren Gewinn mit ihm teilen, wollten sie anders an dem Julo länger einen guten[508] Kunden behalten; denn er war dergestalt eingenommen, seinem Herrn durch Besitzung vieles Gelds und Guts gleich zu werden, als etwa hiebevor Luzifer, da er wegen seiner vom Allerhöchsten verliehenen Gaben erkühnete, seinen Stuhl an den mächtigen Thron des großen Gottes zu setzen. Also lebten beide Jüngling ohne alle anderen Anfechtungen zwar dahin, ehe sie wahrnahmen wie sie lebten; denn Julus war an zeitlicher Hab ja so reich als Avarus bedürftig, und deswegen vermeinte jeder er verfahre seinem Stand nach gar recht und wohl, ich will sagen, wie es eines jeden Stand und Gelegenheit erfordere; jener zwar seinem Reichtum gemäß sich herrlich und prächtig zu erzeigen, dieser aber seiner Armut zuhilf zu kommen und etwas zu prosperiern und sich der gegenwärtigen Gelegenheit zu bedienen, die ihm sein vertunlicher Herr an die Hand gab; jedoch unterließ der innerliche Wächter, das Licht der Vernunft, der Zeug der nimmer gar stillschweigt, nämlich das Gewissen indessen nicht, einem jeden seine Fehler zeitlich genug vorzuhalten, und ihn eines andern zu erinnern.

»Gemach! gemach!« wurde zu dem Julo gesprochen, »halte ein dasjenig so unnützlich zu verschwenden, welches deine Vorderen vielleicht mit saurer Mühe und Arbeit, ja vielleicht mit Verlust ihrer Seligkeit erworben, und dir so getreulich vorgespart haben; vielmehr lege es also an, damit du künftig deswegen beides vor Gott, der ehrbarn Welt, und deinen Nachkommen bestehen und Rechenschaft darum geben mögest!« etc. Aber diesem und dergleichen heilsamen Erinnerungen oder innerlichen guten Einsprechung die Julum zur Mäßigkeit reizen wollten, wurde geantwortet: »Was! ich bin kein Bärnhäuter noch Schimmeljud sondern ein Kavalier; sollte ich meine adeligen Exercitia in Gestalt eines Bettelhunds oder Schurken begreifen? nein das ist nit der Gebrauch noch Herkommens, ich bin nit hier Hunger und Durst zu leiden, viel weniger wie ein alter karger Filz zu schachern, sondern als ein rechtschaffner Kerl von meinen Renten zu leben!« Wenn aber die guten Einfäll, die er melancholische Gedanken zu nennen pflegte, auf solche Gegenwürf dennoch nit ablassen wollten, ihn aufs[509] beste zu ermahnen, so ließ er sich das Lied ›Laßt uns unser Tag genießen, Gott weiß wo wir morgen sein‹ etc. aufspielen, oder besuchte das Frauenzimmer, oder sonst ein lustige Gesellschaft, mit der er ein Rausch soff, wovon er je länger je ärger, und endlich gar zu einem Epikurer ward.

Nicht weniger wurde andernteils Avarus von innerlichen Zusprechen erinnert, daß dieser Weg, den er zum Besitz der Reichtum' zu gehen antrete, die allergrößte Untreu von der Welt sei; mit fernerer Ermahnung, er sei seinem Herrn nit allein mitgeben worden ihm zu dienen, sondern auch durchaus seinen Schaden zu wenden, seinen Nutzen zu fördern, ihn zu allen ehrlichen Tugenden anzureizen, vor allen schändlichen Lastern zu warnen und vornehmlich sein zeitliche Hab nach möglichstem Fleiß zusammenzuheben und beobachten, welche er aber im Gegenteil selbst zu sich reiße und ihn, Julum, noch dazu in allerhand Laster stürzen helfe; item auf was Weis er wohl vermeine, daß er solches gegen Gott, dem er um alles Rechenschaft geben müßte, gegen des Juli fromme Eltern, die ihm ihren einzigen Sohn anvertraut und getreulich zu beobachten befohlen, und endlich gegen den Julum selbsten zu verantworten getraue, wenn derselbe zu seinen Tagen kommen, und heut oder morgen verstehen werde, daß aus seiner Verwahrlosung und Untreu beides seine Person zu allem Guten verderbt, und sein Reichtüm' unnützlich verschwendet worden? »Hiemit zwar, o Avare, ists noch nicht genug! denn über solche schwere Verantwortung, die du dir des Juli Person und Gelds wegen aufbürdest, besudelst du dich selbst auch mit dem schändlichen Laster des Diebstahls und machst dich des Strangs und Galgens würdig; du unterwirfst deine vernünftige ja himmlische Seel dem Schlamm der irdischen Güter, die du ungetreuer und hochsträflicher Weis zusammenzuscharren gedenkest, welche doch der Heid Krates Thebanus ins Meer warf, damit sie ihn nit verderben sollten, wiewohl er solche rechtmäßig besaß; wieviel mehr, kannst du wohl erachten, werden sie dein Untergang sein, indem du solche im Gegenspiel aus dem großen Meer deiner Untreu erfischen willst![510] solltest du dir wohl einbilden dürfen, sie werden dir wohlgedeihen?«

Solche und dergleichen mehr guter Ermahnungen beides von der gesunden Vernunft und seinem Gewissen empfand zwar Avarus in sich selbsten; aber es mangelt' ihm hingegen mitnichten an Entschuldigungen, sein böses Beginnen zu beschönen und gut zu sprechen. »Was?« sagte er mit Salomone, Proverbior. 26 wegen des Juli Person, »was soll dem Narren Ehr, Geld und gute Tage? sie könnens doch nicht brauchen! zudem hat er ohnedas genug! und wer weiß wie es seine Eltern gewonnen haben? ists nicht besser, ich packe selbst dasjenige an, das er doch sonst ohne mich verschwendet, als daß ichs unter Fremde kommen lasse?«

Dergestalt folgten beide Jüngling ihren verblendten Begierden, und ersäuften sich mithin in Abgrund der Wollust, bis endlich Julus die lieben Franzosen bekam, und eine Woch oder vier schwitzen, und beides seinen Leib und Beutel purgiern lassen mußte, welches ihn drum nit besser machte, oder ihm zur Warnung gedieh; denn er machte das gemeine Sprichwort wahr: ›Da der Krank wieder genas, je ärger er was.‹

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 505-511.
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