Das 4. Kapitel

[106] Vom Mann der Geld gibt, und was für Kriegsdienste Simplicius der Kron Schweden geleistet, wodurch er den Namen Simplicissimus bekommen


Wie man nun also schlampamte und wieder wie gestern gut Geschirr machen wollte, meldet' die Wacht mit Einhändigung eines Schreibens an den Gouverneur einen Commissarium an, der vor dem Tor sei, welcher von der Kron Schweden Kriegsräten abgeordnet war, die Garnison zu mustern, und die Festung zu visitieren. Solches versalzte allen Spaß, und alles Freudengelach verlummerte wie ein Sackpfeifen-Zipfel, dem der Blast entgangen: Die Musikanten und die Gäst zerstoben wie Tabakrauch verschwindet, der nur den Geruch hinter sich läßt; mein Herr trollte selbst mit dem Adjutanten, der die Schlüssel trug, samt einem Ausschuß von der Hauptwacht und vielen Windlichtern dem Tor zu, den Plackschmeißer, wie er ihn nannte, selbst einzulassen: Er wünschte, daß ihm der Teufel den Hals in tausend Stück breche, ehe er in die Festung käme! Sobald er ihn aber eingelassen, und auf der innern Fallbrücken bewillkommte, fehlte wenig oder gar nichts, daß er ihm nicht selbst an Stegreif griff, seine Devotion gegen ihn zu bezeugen, ja die Ehrerbietung wurde augenblicklich zwischen beiden so groß, daß der Commissarius abstieg, und zu Fuß mit meinem Herrn gegen sein Losament fortwanderte, da wollte jeder die linke Hand haben, etc. »Ach!« gedachte ich, »was für ein wunderfalscher Geist regiert doch die Menschen, indem er je den einen durch den andern zum Narren macht.« Wir näherten also der Hauptwacht, und die Schildwacht rief ihr ›Wer da?‹ wiewohl sie sah, daß es mein Herr war; Dieser wollte nicht antworten, sondern jenem die Ehr lassen, daher stellete sich die Schildwacht mit Wiederholung ihres Geschreis desto heftiger. Endlich antwortet' er auf das letztere ›Wer da?‹: »Der Mann ders Geld gibt!« Wie wir nun bei der Schildwacht vorbeipassierten und ich so hinten nachzog, hörete ich ermeldte Schildwacht, die ein neugeworbener[107] Soldat, und zuvor ihres Handwerks ein wohlhäbiger junger Bauresmann auf dem Vogelsberg gewesen war, diese Wort brummeln: »Du magst wohl ein verlogener Kund sein; ›ein Mann ders Geld gibt!‹ Ein Schindhund ders Geld nimmt! das bist du; Soviel Gelds hast du mir abgeschweißt, daß ich wollte, der Hagel erschlüg dich, ehe du wieder aus der Stadt kämest.« Von dieser Stund an faßte ich die Gedanken, dieser fremde Herr im sammeten Mutzen müsse ein heiliger Mann sein, weil nicht allein keine Flüch an ihm hafteten, sondern dieweil ihm auch seine Hasser alle Ehr, alles Liebs und alles Gutes erwiesen, er wurde noch dieselbe Nacht fürstlich traktiert, blind vollgesoffen, und noch dazu in ein herrlich Bett gelegt.

Folgende Tage gings bei der Musterung bunt über Eck her, ich einfältiger Tropf war selbst geschickt genug, den klugen Commissarium (zu welchen Ämtern und Verrichtungen man wahrlich keine Kinder nimmt) zu betrügen, welches ich eher als in einer Stund lernete, weil die ganze Kunst nur in fünf und neun bestand, selbige auf einer Trommel zu schlagen, weil ich noch zu klein war, einen Musketierer zu präsentieren. Man staffierte mich zu solchem End mit einem entlehnten Kleid, und auch mit einer entlehnten Trommel (denn meine geschürzten Pagehosen taugten nichts zum Handel), ohne Zweifel darum, weil ich selbst entlehnt war, damit passierte ich glücklich durch die Musterung. Demnach man aber meiner Einfalt nicht zugetraute, einen fremden Namen im Sinn zu behalten, auf welchen ich antworten und hervortreten sollte, mußte ich der Simplicius verbleiben, den Zunamen ersetzte der Gouverneur selbsten, und ließ mich Simplicius Simplicissimus in die Roll schreiben, mich also wie ein Hurenkind zum ersten meines Geschlechts zu machen, wiewohl ich seiner eigenen Schwester, seinem Selbstbekenntnis nach, ähnlich sah. Ich behielt auch nachgehends diesen Namen und Zunamen, bis ich den rechten erfuhr, und spielte unter solchem meine Person zu Nutz des Gouverneurs und geringen Schaden der Kron Schweden ziemlich wohl, welches denn alle meine Kriegsdienste sind, die ich derselben mein Lebtag geleistet, derowegen denn ihre Feinde mich deswegen zu neiden kein Ursach haben.

Quelle:
Grimmelshausen, [H. J. Christoffel von]: Der abenteuerliche Simplicissimus. München 1956, S. 106-108.
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