Dritter Auftritt


[210] Molière im Kostüm eines italienischen Nobile. Die Vorigen. Dann Armande.


MOLIÈRE tritt langsam und erschöpft herein. Ah! Setzt sich. Wo ist Armande?

MADELEINE. Sie wollte sich für das letzte Stück umkleiden – Hat das Zwischenballett schon begonnen? Da ist sie!

ARMANDE als arkadische Schäferin. Ah, Molière! Wie geht's heut abend? Meine Szenen waren zu kurz, um die Köpfe der Zuschauer zu zählen.

MOLIÈRE stützt den Kopf. Es tanzen eben mehr Beine auf der Bühne, als Personen im Theater sind. Ein trauriger Abend! Noch nie hab' ich ein so leeres Haus gesehen.

ARMANDE. Es schien mir doch nicht zu schlecht besetzt –

MOLIÈRE. Freibilletts. Nicht eines ist bezahlt. Ich kenne meine Einnahmen.

LA ROQUETTE beiseite. Auch ich habe ein Freibillet, aber ich muß es teuer bezahlen.

MADELEINE fängt wieder an, an den Kleidern zu bessern. Beiseite. Ich stehe auf Kohlen – Warum verbirgt er sich nur so? Bei alledem muß ich ihn schonen, weil er meinen richtigen Namen weiß –!

MOLIÈRE. Die Nachteile eines verbotenen Stückes sind unberechenbar. Die Neugier des Publikums setzt sich auf einen einzigen Gegenstand fest und wird für alles andere interesselos.

LA ROQUETTE beiseite. Er sucht seine Gefühle durch Monologe zu betäuben.

MOLIÈRE. Setzte dich zu mir, Armande! Ha, der Beruf des Dramatikers! Welch ein Gemisch von Freude und Schmerz, von Wonnen und namenlosen Verzweiflungen! Jedem soll man es[210] recht machen, und wie verschieden sind die Menschen! Die Gebildeten verlangen andere Kost als der große Haufe, und ohne die Massen gibt es keine Einnahmen, keine Ermunterungen. Der Neid der Theaterdichter untereinander ist schon an sich beschämend. Hunderte strecken ihre Produktionen in die Höhe und rufen: Ich, ich, mein Stück! Nein, mein Stück! Und von diesen Hunderten kann man des Jahres möglicherweise nur zwölf geben! Was tun die Abgewiesenen? Sie rächen sich! Sie gruppieren sich in den gelehrten Gesellschaften, in den Zeitschriften, in den Kaffeehäusern, in den Korridoren der Bühne, im Parterre, und wehe den Mängeln, die sie in dem Werk ihres glücklicher gewesenen Nebenbuhlers entdecken! Bah! Das ertrüge sich noch, weil uns oft des Publikums gesunder Sinn zu Hilfe kommt. Aber wie reizbar ist dies oft nicht selbst! Mit Riesenanstrengungen muß sich ein neues Stück seinen Weg bahnen. Akt für Akt, Szene für Szene muß es sich durchkämpfen, und ist es zu Ende, dann kann ein einziger Feind des Verfassers die mühevolle Arbeit eines ganzen Abends umstürzen.

ARMANDE näht noch einiges mit Hilfe Madeleines an ihrem Kostüm. Molière, du siehst zu schwarz –

LA ROQUETTE beiseite. Schreib du keine Tartüffes wieder!

MOLIÈRE steht auf. Ist es denn nicht wahr, daß ich Fälle erlebt habe, wo Leute meine Stücke auspfiffen, weil ich vergessen hatte, sie zu grüßen? Gibt es nicht Menschen, die sich ärgern daß ich einen andern Hut trage als sie, und denen meine Nase nicht an der rechten Stelle sitzt? Das Alltäglichste an mir hassen sie, meinen Gang, meine Kleider, meine Mienen, die sie für menschenfeindlich erklären. Und dann zu all dem Kummer kommt noch die plumpe Hand eines solchen Verbots! Die schönsten Ideen werden dir abgeknickt von einem gefühllosen, lächerlichen Vorurteil! Das Mittelmäßige, das lassen sie so hinschleichen über die Oberfläche eines Interesses, das nicht kalt, nicht warm ist; aber was zünden könnte, was wahrhaft gelungen ist, woran unsere Seele hängt, das vertilgen sie mit einem einzigen Strich und sagen: Bah, es soll nicht sein! Geht mir, wenn man unsere Nation eine geistreiche und edle nennt und unsere Literatur eine klassische schimpft, geht mir, wenn ihr nicht einmal den Mut habt, im Vorsprung eurer Reichtümer, eurer Würden und Schergen, eurer Hilfsmittel tausendfacher Art mit dem Dichter euch auf gleiche Rapierlänge zu stellen und mit dem einfachen, hilflosen Wort einen ehrlichen Kampf zu bestehen!

LA ROQUETTE beiseite. Wenn er mich in dieser Wut entdeckt, bin ich verloren.[211]

MADELEINE. Sie werden sich zu einer andern Arbeit sammeln und das Verbot des Tartüffe vergessen.

MOLIÈRE. Mein gutes Kind, über Leichen hinweg kann man nicht fröhlich sein –

LA ROQUETTE beiseite. Leichen? Er wird mich noch umbringen.

MOLIÈRE zu den Kleidern. Was sind das für Kostüme? Ich besinne mich. Die Trauerkleider zu Tartüffes Leichenbegängnis!

MADELEINE beiseite. Er wird ihn entdecken. Mein Gott – jetzt – jetzt –

EIN THEATERDIENER ruft durch die Tür schnell herein. Eben ist Se. Majestät in die Loge getreten Ab.

ALLE. Der König?

MOLIÈRE. Hahaha! bei dem leeren Hause! Nun, da mag er selbst sehen, was aus seinem Theater wird, wenn er sich den Einflüsterungen der Heuchler preisgibt. Oder Beiseite. Armande – –? Nein, nein, ich mag nicht daran denken – Lachen müssen bei Herzeleid, unter Tränen Späße machen, das gehört auch zu jenen Kunstleistungen, für welche man an der Kasse kein Entree bezahlt, und zu jenen Geheimnissen der Schauspielkunst, die noch kein Kritiker ergründet hat. Will ab. Es klopft. Klopft es nicht?

ARMANDE bittend. Molière!

LA ROQUETTE beiseite. Mein Himmel. Die Gesellschaft vergrößert sich – Es klopft wieder.

ARMANDE beiseite. Eine Ahnung! – Madeleine, sieh nach, wer es ist!

MADELEINE. Es ist mir so – ängstlich – zumute ...


Es klopft.


MOLIÈRE. Armande? Wer überrascht dich mit so geheimnisvollem Besuch –?

ARMANDE beiseite. Wenn es – Laut entschlossen. Molière! Ich wünschte, es wäre einer meiner früheren Bewunderer –

MOLIÈRE. Armande!

ARMANDE. Warum nicht? Lionne oder Lefêvre!

MOLIÈRE. Oder – der König?!

LA ROQUETTE beiseite. Gerechter Gott!

ARMANDE. Um dich für deine Eifersucht zu strafen, wünscht' ich, ja, der König! Ich würde dich hier hinter meine Kleider verstecken –

LA ROQUETTE beiseite. Ich krieche in einen dieser unheiligen Röcke –

MOLIÈRE. Armande? Also immer noch! – immer noch –!

ARMANDE. Madeleine, öffne, und verlaß uns! Deine nie[212] endende Eifersucht – Molière, ich muß dich endlich heilen –


Sie drängt Molière hinter die Kleider links.


MOLIÈRE zögernd. Nun wird mir alles klar!

ARMANDE. Madeleine, öffne, und verlaß uns!

MADELEINE geht zögernd und sich umblickend und öffnet. Wenn jetzt die Kleider hier zu sprechen anfingen!


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 210-213.
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