Siebenter Auftritt.


[104] Ritter Hotham. Kamke. Dann der Erbprinz.


HOTHAM tritt leise und horchend durch die Mitteltür auf. Ein Saal mit vier Türen? Richtig! Dort die Zimmer der Prinzessin? Hier die der Königin? Danke, guter Freund! Kamke ab. Ritter Hotham hält sein Inkognito aufrecht bis zur völligen Unsichtbarkeit. Von London über Hannover hab' ich mich ins Land geschmuggelt wie eine verbotene Ware. Trocknet sich die Stirn. Der Henker hole diese reitenden Staatsgeschäfte, wo man die Salonroutine des Dandy mit dem gefühllosen Knochenbau eines Postillions vereinigen muß! Seit vier Tagen bin ich nicht vom Pferde gekommen – ah! – Wirft sich in einen Sessel. Wenn die Nationen wüßten, daß man sich zur auswärtigen Politik durch mehrjährige Kurierdienste vorbereiten muß, so würden sie den Staatsmännern nicht übelnehmen, wenn sie im Alter keine Galoppaden mehr tanzen! – Wie schwer das in den Taschen liegt, wenn man ein Königreich mit sich bringt! Schlägt auf die rechte Rocktasche. Hier die Krone von England, Auf die linke. da die von Schottland und in der Westentasche die von Irland. Was werd' ich mitnehmen? Sieht sich um. Ob wohl die Vergoldungen echt sind? Sieht alles verdammt knapp und sparsam aus! Raum genug in den großen Sälen; aber ich glaube, es wohnen viele Mäuse drin – alles ist still wie ein englischer Sonntag. Erhebt sich. Ich höre kommen –

ERBPRINZ reißt die Tür auf und bleibt in verzweifelter Stellung stehen.

HOTHAM beiseite. Nun?

ERBPRINZ tritt wieder leidenschaftlich einen Schritt vor und hält sich die Hand vor die Stirn.

HOTHAM beiseite. Ich glaube gar, der macht Verse?

ERBPRINZ will in gleicher Art zu den Zimmern der Prinzessin und erblickt Hotham. Wie? Wen seh' ich?

HOTHAM überrascht. Täusch' ich mich?

ERBPRINZ. Hotham? Ist es möglich? Freund, Sie in Berlin?

HOTHAM. Prinz, was ist Ihnen nur?

ERBPRINZ. In einem Augenblick, wo ich der Verzweiflung nahe bin, treff' ich Sie, Hotham, herrlicher, trefflicher Mensch! Ist es denn möglich! Wo kommen Sie her? Aus Paris?

HOTHAM. Aus England. Prinz! Mit den besten Grüßen[104] von unsern Freunden und dem Auftrag, Sie womöglich einzufangen und wieder zurückzubringen in unsere Wettrennen, Fuchsjagden und Boxvergnügungen, deren leidenschaftlicher Verehrer Sie waren.

ERBPRINZ. Hotham, für mich sind diese Freuden vorüber.

HOTHAM. Hat Sie Ihr Vater von der Thronfolge ausgeschlossen?

ERBPRINZ. Berühren Sie mich nicht an dem wundesten Fleck meines Daseins? Verschaffen Sie mir das Kaisertum von Marokko!

HOTHAM. Sie haben Fieberträume oder – einen Beistand nötig, der Ihnen die gesunde Vernunft ersetzen muß?

ERBPRINZ. Hotham, Sie sind ein Genie, ein Kopf, an dem noch manche Intrige der Feinde Ihres Vaterlandes scheitern wird – aber mir können Sie nicht helfen.

HOTHAM. Ich wünschte es, Prinz! Ich bin Ihnen verpflichtet, ich bin Ihr Schuldner für tausend Dienste, die Sie mir bei Ihrer Anwesenheit in England geleistet haben. Sie haben mich durch Ihren Einfluß in die Nähe der ersten Staatsmänner gebracht. Sie haben mir meine Karriere als Diplomat erschlossen. Ihnen verdank' ich, was ich bin und habe – befehlen Sie über meinen Verstand, er soll für Sie denken, über meinen Arm, er soll für Sie handeln.

ERBPRINZ. Hotham, ich bin in einer eigentümlichen Lage –

HOTHAM. Ich widme Ihnen mein Leben. Was wär' ich ohne Sie? Durch Sie bin ich mit ehrenvollen Missionen beauftragt. Durch Sie bin ich hier.

ERBPRINZ. Was tun Sie hier?

HOTHAM sich umsehend. Eine Sache von Diskretion, die ich indessen, wenn Sie verlangen, nicht Anstand nehme, Ihnen mitzuteilen.

ERBPRINZ zerstreut. Ich bin nicht neugierig. Wird Ihr Auftrag lange währen?

HOTHAM. Hängt von den Umständen ab. Diese Umstände sind zarter Natur.

ERBPRINZ. Eine Ehrenfache?

HOTHAM leise. Es ist eine Unterhandlung wegen eines abzuschließenden Ehevertrags – zwischen Prinzessin Wilhelmine und dem Prinzen von Wales.

ERBPRINZ außer sich. Sie, Sie sind der Gesandte, von dem soeben der König mit mir gesprochen hat –?

HOTHAM. Wäre der König schon unterrichtet?[105]

ERBPRINZ. Sie, Sie der unwiderstehliche, geniale Diplomat, den man hier mit offenen Armen erwartet?

HOTHAM. Der Heirat des Prinzen von Wales wäre in der Tat auch der König schon günstig?

ERBPRINZ. Entsetzlich! Ich habe diesen Mann als ein Genie unter Tausenden herausgefunden, ich hab' ihn von Paris aus in die englische Verwaltung gebracht, und nun muß ich selbst darunter leiden, daß er mir Ehre macht! So wissen Sie denn, daß König und Königin, ohne ihr Einverständnis zu ahnen, dieser Heirat mit allem, was drum und dran hängt, beide von Herzen zugetan sind, zugleich aber auch, daß Prinzessin Wilhelmine, ein unglückliches Opfer eurer Politik, von einem Fürsten geliebt wird, der sich zwar nicht an Macht und Größe mit eurem Prinzen von Wales messen kann, der aber an Hingebung, Liebe, Leidenschaft alle nur möglichen gekrönten Bewerber um die Hand dieses Engels himmel-, ja paradiesischweit hinter sich läßt, von einem Prinzen, der ich selber bin.

HOTHAM. Das ist eine Entdeckung, die ich nicht ahnen konnte, und, wie ich leider hinzufügen muß, keine erfreuliche. Aber sollte man Ihnen, wenn Sie sich darum bewerben, nicht die Hand der Prinzessin gewähren?

ERBPRINZ. Einem kleinen deutschen Duodezprinzen! Wenn man die Wahl zwischen künftigen Königen und Kaisern hat! Sprechen Sie mit der Königin von mir, und Sie werden finden, daß sie regelmäßig Ansbach mit Baireuth verwechselt.

HOTHAM. Diese Entdeckung ist um so unerfreulicher, als ich allerdings als Bevollmächtigter des Ministeriums alles aufbieten muß, das Projekt dieser Ehe zustande zu bringen.

ERBPRINZ. Natürlich, Sie müssen ja meiner Empfehlung Ehre machen!

HOTHAM. Und dennoch wag' ich's auszusprechen, daß vielleicht unter gewissen Verhältnissen – möglicherweise – diese Heirat mit England nicht zustande kommen dürste. In der Tat, Prinz, fassen Sie Mut! Es können Umstände eintreten, wo ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hätte, jeden weitern Gedanken an diese Ehe aufzugeben.

ERBPRINZ. Sie geben mir das Leben wieder!

HOTHAM. Der Prinz von Wales, Hoheit, ist nicht derjenige, in dessen Auftrag ich hier erschienen bin. Mich schickt die englische Nation, das Ministerium, das englische Parlament! Sie wissen, Prinz, und haben sich bei Ihrer Anwesenheit in England selbst davon überzeugt, daß das Haus Hannover auf den Thron von England unter Umständen berufen wurde, die ihm zur Pflicht[106] machen, seinen persönlichen Willen dem allgemeinen Interesse des Staats unterzuordnen. Auf eine persönliche Neigung des Prinzen von Wales zu seiner Cousine, Prinzessin Wilhelmine, wird wenig ankommen. Lieben sie sich, lieben sie sich nicht, dem Parlament ist darüber nichts zu Protokoll gegeben. Der Prinz von Wales wird als künftiger König von England jede Verbindung eingehen, die ihm das Nationalinteresse als wünschenswert andeuten wird. Eine solche ist nun unter den gegenwärtigen politischen Konstellationen die mit der Dynastie des jugendlich aufstrebenden Königreichs Preußen.

ERBPRINZ. Und das enthielte eine Hoffnung für mich?

HOTHAM. Nicht liegt sie in diesem meinem unglücklichen Auftrage, wohl aber in einer Klausel desselben – diese Ehe, und war' ihr alles günstig, nur unter der Bedingung abzuschließen, Sich umsehend. daß die bisher von Preußen ausgeschlossen gewesenen englischen Waren aufs neue unter annehmbaren Bedingungen Leise. wieder eingelassen werden können.

ERBPRINZ. Und in dies kaufmännische Projekt mischt sich eine Frage der Liebe, eine Angelegenheit des Herzens?

HOTHAM. Ich vertrete die Herzen unserer Kaufleute, die heiß für den Thron, aber noch heißer für ihre Rimessen schlagen. Haben unsere Fabriken nichts zu hoffen, dann Reicht dem Erbprinzen die Hand. Prinz, mein Beschützer, mein Beförderer, bin ich der Ihrige, und Sie sollen sehen, daß ich noch mancherlei Talente besitze außer denen eines Diplomaten.

ERBPRINZ. Hoffnungen zu wecken, denen die bitterste Täuschung folgen wird!

HOTHAM. Warten Sie ab, Prinz, und vertrauen Sie!

ERBPRINZ. Einer Merkantilfrage!

HOTHAM. Warum nicht? Und wenn ich mich Ihnen in dem Falle, daß sich der König zu dem Handelstraktate nicht versteht, ganz gewidmet habe, wenn Sie werden gesehen haben, Prinz, daß gegen einen Fürsten, dem ich durch einen Zufall bekannt wurde und der sich als mein Wohltäter bewährte, in mir ein Herz voll Dankbarkeit schlägt, wenn Sie endlich Herz und Hand der Prinzessin wirklich werden erobert haben – dann erbitt' ich mir von Ew. Hoheit, als deutschem Fürsten, am Reichstage von Regensburg – mitten im Herzen von Deutschland – Ihren Beistand zu einer kleinen Stipulation – mit dem deutschen Reiche über unsere harmlosen, unschuldigen Fabrikerzeugnisse.

KAMKE öffnet die Tür zur Rechten.

HOTHAM. Alles übrige wird sich finden. Einstweilen vertrauen Sie! Dort sind die Zimmer der Königin. Leben Sie wohl! Ab.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 104-107.
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