Achtes Capitel
Eine Maurerarbeit und ihre Folgen

[3403] Die Kunde von der endlichen Lösung eines seit so langen Jahren schwebenden Rechtsverhältnisses hatte sich mit Blitzesschnelle verbreitet. Alle Stände nahmen Antheil. Jeder war von der unerwarteten Wendung überrascht, ja sogar befriedigt. Man war durch das strenge Regiment des Fürsten von Hohenberg geneigt, diesem drakonischen Systeme denn auch nicht jeden Erfolg zu wünschen. Die Kommune war unbeliebt ihrer immer schmeichlerischen, gesinnungslosen, im Glücke übermüthigen, in der Gefahr feigen Haltung wegen. Diese städtische Verwaltung hatte nichts gemein mit jenem festen, sichern Bürgertrotz, jener unwandelbaren Selbstgenüge, an der im Mittelalter die Willkür der Fürsten sich öfters tüchtig den Schädel einrannte. Die Schöffen und Bürgermeister zerflossen in Versicherungen einer Ergebenheit, die doch in keiner wahren Prüfung Stand hielt, sondern in Augenblicken der Gefahr die persönliche Selbsterhaltung zum einzigen Ziele steckte. Warum sollte man das Ergebniß jener zweihundertjährigen Streitfrage nicht zweien jungen Männern wünschen, die allerdings die öffentliche[3403] Meinung in bedenklichster Art in Anspruch genommen hatten? Waren ihre Unternehmungen für den Bestand der Ruhe und Ordnung, wie man im Kreise der Begüterten sagte, gefährlich, so hatten sie sich doch mitten in ihren verbrecherischen Handlungen vom Arme der Gerechtigkeit schon müssen aufhalten lassen. Man verrieth auch darin die sich immer gleichbleibende Thatsache des menschlichen Gemüthes, daß man Dem, der auf irgend eine Art das öffentliche Urtheil befriedigt hat, die ganze Herbigkeit der Sühne gern erläßt, sich mit seiner allgemeinen Demüthigung begnügt und noch mehr von ihm einzufordern zuletzt sogar eine beklommene Scheu hat. Dies plötzliche nun in die Verbannung und in einen Kerker gerufene Glück hatte sogar etwas Romantisches für die Welt, die im Grunde das Regelwidrige dem Regelmäßigen vorzieht, nur darf sie es in ihren nächsten Interessen nicht berühren und ihr nicht irgend welche Opfer auferlegen.

Noch eine größere Genugthuung der öffentlichen Meinung, von der Freude der Partheigenossen der Brüder nicht zu sprechen, lag in der Verkürzung der den Erben des Komthurs Hugo von Wildungen zahlbaren Summe. Das Obertribunal hatte im ermuthigenden Gefühle seiner Beweisauffindung doch die Grenze der Mäßigung nicht überschritten. Es hatte durch eine Verringerung der beanspruchten Summen jenem Verlangen nach dem Mittelweg entsprochen, das sich niemals abweisen läßt, wenn man erhitzte Gegner lange und hartnäckig auf ihre vermeintlichen[3404] Rechte bestehen sieht. Die Gründe, die das Obertribunal für seine Ermäßigung der streitigen Werthe auf eine Million, allerdings jenes schweren im Norden üblichen Geldes, anführte, konnten von keiner billigen Einsicht getadelt werden. Man schlug vor allen Dingen nicht nur den Genuß eines dreihundertjährigen Besitzes, sondern ebenso auch die Mühewaltung an, die diesen Besitz doch immer zusammengehalten hatte. Man konnte zwar nicht in Abrede stellen, daß die Liegenschaften der St.-Johanniter von Angerode, wenn man die Güter und Gebäude nach ihrem jetzigen Werthe veranschlagte – denn eine Entäußerung der Besitzungen selbst war kaum möglich – eher im Preise zu vergrößern, als zu vermindern waren; dennoch brachte man rechtliche Bedenken genug vor, die erwiesen, daß eine fast in Verjährung gekommene Erbschaft aufhöre, ihre ursprüngliche Integrität zu behalten, wenn ihre Erträgnisse öffentlichen Zwecken zugeflossen waren, bei denen, wie z.B. die Armenpflege, es unmöglich war, sich an Die zu halten, die eben entweder todt waren oder, wenn sie lebten, nur das Beneficium inventarii, Schulden, Kummer und Elend anbieten konnten. Diese beweiskräftige Verringerung der Summe auf eine Million war in der That eine Versöhnung mit allen Partheien und trug nicht wenig dazu bei, die fast abgöttische Verehrung vor den Entscheidungen des höchsten Gerichtshofes zu erhalten und den erschreckten, in dieser Zeit der Willkür und der Rechtsverfälschung über des Lebens allgemeine unsichere Schwankung zitternden[3405] Gemüthern das Hochgefühl zu erhalten, daß es in allen diesen Wirren doch noch einen festen Anker der Hoffnung, ein unentweihtes, den Himmelswolken näher als dem Erdendunst thronendes Asyl des Rechtes gäbe. Niemand war befriedigter als der Hof und in der That konnte man Egon von Hohenberg und etwa den Probst Gelbsattel nur die einzigen Widersacher nennen.

Egon's mathematische Natur sträubte sich gleich anfangs gegen das Vorhaben der Brüder Wildungen, noch als sie ihm befreundet waren. Seinen Studien zufolge weniger Jurist als Kameralist äußerte er oft, daß nichts so sehr die Auflösung der Gesellschaft und den Theorieenschwindel befördere als die Vorstellung, daß es ein ewiges, der Zeit und ihren Bedingungen völlig entrücktes Recht gäbe. Er hatte in seinem »Jahrhundert«, dem er die schärfsten Dialektiker gewann und aus Staatsfonds theuer bezahlte, oft genug schon gegen die Juristen polemisiren lassen, als diese kalten, aalglatten Zwischenwesen, die nicht Fisch nicht Schlange wären und doch auf dem Lande und im Wasser zugleich leben könnten. Fiat justitia, pereat mundus, war ihm die Devise einer Welt, die für jedes Verbrechen einen Entschuldigungsgrund und wenn auch nur aus der Sentimentalität herzuleiten wisse, und von den Juristen stand ihm die Gesinnungslosigkeit vollends so fest, daß er bei jedem Morde, bei jeder Cause célèbre, die zur öffentlichen Debatte kam, wettete, die Advokaten würden doch wieder Alles thun, um dem einfachsten nächsten sittlichen Gefühle mit Hundert Truggründen[3406] sein Sühnopfer zu entreißen. Er war deshalb sonderbarerweise ein Freund der Geschwornengerichte, selbst wenn sie politische Verbrecher freisprachen. Er sagte sich wohl, daß es schlimm in den Gemüthern aussehen müsse, wenn man Feinde der öffentlichen Ruhe straflos haben wolle, aber er hob doch die Wohlthat hervor, wenn sich die Gesellschaft das Recht erhielte, selbst zu bestimmen, was ihr Recht schiene. Er bewies, daß die Abschaffung der Todesstrafe immer nur von Grüblern, nie von diesem Volksgefühle der Selbsterhaltung und des Rechtes als Nothwehr gegen Verbrecher wäre beantragt worden. Diese Entscheidung des Obertribunals, grade in ihrer Unabhängigkeit von den Persönlichkeiten der Gewinner so bewundert, schien ihm im Gegentheil das verderblichste Zeichen einer Zeit, die selbst nicht wisse, was sie wolle und in der Vergötterung von Abstraktionen an den faktischen Beständen zu Grunde gehen müsse. Bitter genug war auch die Art, wie er den Vorfall an die von ihm und der Hofpolitik in's Leben gerufene Volksvertretung brachte und die Ermächtigung verlangte, der Residenz die Anfertigung von einer Million Stadtkämmereischeinen zu gestatten.

Die Freude, die alle Welt theilte, daß zwei halbblinde Augen zwei kleine Punkte in einer alten Urkunde entdeckt haben konnten, kannte der Fürst nicht. Er war eines Abends empfindlich genug, sein Erstaunen auszudrücken, als er Propst Gelbsattel in den kleinen Cirkeln des Hofes eingeladen fand und er von diesem die Auseinandersetzung[3407] hören konnte, um derentwillen er grade auf Veranlassung des Generals Voland citirt worden war. Man hatte in Erfahrung gebracht, daß die alte Excellenz grade an dem Tage des Urtheilsspruches seit Jahren zum ersten Male wieder die Loge besucht hatte. Die junge Excellenz, die gleichfalls anwesend war, (man gab im Hoftheater ein klassisches Stück) wußte den Tag anzugeben, wo Papa vor zehn Jahren zum letzten Male in die Loge fuhr. Das Ereigniß schien so mystisch, daß man den Vorschlag des Generals annahm und den seit Jahren fallengelassenen Propst zum Thee befahl. Man denke sich Gelbsattel's Entzücken! Hätte man ihn gradezu um eine Enthüllung angegangen, er würde das ganze Handwerkszeug seiner Tempelbauten an den Stufen des Thrones oder auf die Präsentirteller des etwas spärlich dargereichten mürben Gebäckes niedergelegt haben. So aber sprach er, da man grade wie immer nur ein leises Lüften des Isisschleiers wünschte, etwa nur andeutend Folgendes:

Dieser Rechtsfall hat den würdigen Mann wie um zwanzig Jahre verjüngt. Ich will nicht die Gewissenhaftigkeit des Obertribunals antasten, aber ein so genaues Studium des vorliegenden Falles war nur möglich, wo die Lieblingsideen des Präsidenten mit ihm in Berührung kamen. Er hat die Geschichte der Maurerei bis in die kleinsten Details erforscht und leitet sie von den ältesten Tagen her. Es ist ihm die Geschichte der Geheimbünde derselbe Strom, der bald offen bald versteckt unter Felsen, bald[3408] gar durch Felsen selber hindurch Allen unsichtbar dahinflösse. Wie Seen auf Meilenweite mit den Wasserfällen eines großen Gebirgskammes zusammenhingen, so wäre auch die Maurerei derselbe Gedanke, der schon den Geheimbünden Indiens, Egyptens, Großgriechenlands zum Grunde gelegen hätte. Die Menschen hätten sich immer aus den herrschenden Thatsachen und deren Zwangsverbande in einen freien unsichtbaren Verband höherer Wahrheiten geflüchtet. Wie die Naturreligion ihn auf die Thierwelt führte, ist bekannt. Er sieht in den Thieren, die am Basler, Freiburger, Strasburger Münster in der Architektur angebracht sind, Symbole der Maurer und Architekten, die über ihrer Zeit gestanden hätten, wie gleichsam alle Künstler, ja besonders die Dichter und Schauspieler gewissermaßen ein Arbeiten vor und eines ja auch hinter den Coulissen hätten ...

Man blickte lächelnd auf den geschmeichelten Sohn des Vaters, der für Tempelheide nicht existirte, und sich, weil es der alte Herr wünschte, nur jährlich einmal, nämlich an dessen Geburtstage dort sehen ließ ...

Gelbsattel fuhr nach diesem theatralischen Seitenblicke fort:

Man hat in Böhmen Tempelherrnburgen und Tempelherrnkirchen gefunden, bei denen eine fast egyptische Thiersymbolik als Verzierung angebracht war. Im Prozeß gegen Jakob Molay wurden als Beweismittel seiner Ketzerei Spuren von Thierverehrung der Templer gebraucht und unwiderleglich ist die Geschichte von dem Idol, einem[3409] Kopfe, den man im Tempel zu Paris fand, einem Amuleth ohne Zweifel, das man Bafomet nannte, Mahomet's Name in syrischer Aussprache. Die Templer brachten orientalische Verwilderung mit und wurden sogar beschuldigt, der Lehre von der Seelenwanderung zu huldigen. Der Präsident läugnet diesen Götzendienst und vertheidigt die Templer nur als Anhänger der Lehre von der Duldung, die durch diese Orientalismen bewiesen wäre. Nach ihm flüchteten sich die Templer nach England und erwachten im Jahrhundert der Toleranz zum öffentlichen Leben als Freimaurer. Die Templer wurden in Deutschland Johanniter. Den Tempelstein bei Buchau, den Herr von Dystra wunderbar schön ausbauen lassen soll ...

Man bestätigte dies Urtheil und hatte seine Freude an der Nachbarschaft einer neuerstehenden Burgruine ...

Den Tempelstein warfen vielleicht die Bannbullen des Papstes nieder; doch in's Innere Deutschlands zogen die Erben der Templer. Über Angerode machte der Präsident seit Jahren Forschungen. Als die Gebrüder Wildungen in erster Instanz verloren hatten und die dunkle Kunde des wieder aufgenommenen Prozesses an den Präsidenten kam, soll er gesagt haben: Der Staat hat nicht Recht, die Kommune hat nicht Recht, schafft die Cessionsurkunden des Komthurs Hugo von Wildungen und seiner Erben, diese können den Ausschlag geben! Und grade beide hatten sich gefunden. Dennoch trug die eine Cessionsurkunde in keiner Instanz den Sieg davon, da die Interpretation des scharfsinnigen Herrn Justizraths Schlurck ...[3410]

Fürst Egon von Hohenberg ertrug ruhig, aber finsterblickend die flüsternde Wirkung dieser Namensnennung ...

Es zu beweisen schien, daß Hugo von Wildungen entweder für sich die ihm gemachte Quote der Theilung antreten wollte oder für seine »nächsten Ritter« propinqui equites entsagte, worunter man auch seine Verwandten hätte verstehen können, wenn sich Verwandte des Komthurs unter den Rittern gefunden hätten. Dankmar Wildungen, ein Abentheurer wie er ist, reiste in Folge dieser Interpretation nach Angerode, hoffte dort die Verzeichnisse der Ordensmitglieder vom Jahre 1550 zu finden, kehrte aber unverrichteter Sache zurück. Er wagte nun die letzte Instanz. Wie groß war das allgemeine Erstaunen, als der Präsident sich dieses Prozesses mit Liebe annahm! Den Gedanken an die Beziehungen seiner Familie, besonders der herrlichen Anna von Harder zu den Wildungen, muß man ganz fallen lassen, ihn trieb zum Studium dieser Sache nur seine Schwärmerei für die Geschichte der geheimen Toleranzbünde ...

Und ist es wahr, sagte die Königin, die von der Toleranz nichts wissen wollte, ist es wahr, daß zwei Interpunktionszeichen den Ausschlag gegeben haben?

Allerdings, Majestät! erklärte Propst Gelbsattel und fiel dem General Voland in's Wort, dem der Propst in seiner offenbar etwas ausgeplauderten späteren Maurerrede des Präsidenten fast schon zu lange sprach. Allerdings! Die Stelle in der Originalurkunde, datirt aus Venedig,[3411] lautet: Ich bekenne, daß ich die mir bestimmte Theilung in Besitz nehmen werde, adhuc vivus, so lange ich lebe, oder wenn ich früher sterben sollte, bewillige ich sie, cedo propinquis equitibus, wie man bisher übersetzte, den nächsten Rittern, d.h. den mir an Range Nächsten, also dem Orden wieder selbst, das heißt, den Erben von Angerode, Staat oder Stadt. So Justizrath Schlurck. Dankmar Wildungen aber sagte: die Stelle hieße: meinen anverwandten Rittern! Er forschte in allen möglichen Annalen, ob die Wildungen verwandte Ritter im Kapitel gehabt hätten, würde aber auch selbst, wenn er deren gefunden hätte, nicht durchgedrungen sein, da doch immer wieder dann die Ordenseigenschaft über die Berechtigung zur Beerbung entschieden hätte. Auf eine andere Erklärung konnte Dankmar Wildungen nicht kommen, da er die Abschrift, die er von der Urkunde nahm, zu flüchtig gefertigt hatte und sie für gleichlautend mit der Urschrift hielt. Der Präsident erst entdeckte in dem ächten Original zwei Punkte vor und nach equitibus und erläutert: Ich cedire meinen Verwandten, Rittern, d.h. Adligen, die das Recht der Ritterguts- und Dominialerbschaft haben und demnach vollkommen berechtigt waren, in meine Rechte einzutreten, diese Theilungsquote. Er wies aus gleichzeitigen Quellen nach, daß der Ausdruck equites für nobiles öfter vorkäme, wenn unter ihm adlige Patrizier der Städte und Grundbesitzer des flachen Landes zusammengefaßt wurden, und an Beweisen, daß die Agnaten der Wildungen grade in den Städten[3412] Thüringens als Patrizier wohnten, fehlte es nicht. Eben durch ihre Wohnsitze in Bürgerkommunen verlor sich mit der Zeit ihr Adel. Die Entscheidung ist nun völlig klar, hängt mit dem Sinne der ganzen Urkunde zusammen und es fehlt jetzt nur noch das baare Geld, wofür die Stadt und ihr Credit, Se. Durchlaucht Fürst Hohenberg und ein guter Kupferstecher zu sorgen haben.

Man fühlte sich außerordentlich angeregt und befriedigt von diesem Vortrage, der offenbar aus der Loge kam. General Voland hatte eine Menge von ähnlichen Entscheidungen zur Hand, zeichnete Wappen und ließ die Herrschaften rathen, was die Rebus derselben zu bedeuten hätten. Es währte lange, bis der Premierminister mit der Bemerkung hervortreten konnte:

Ich will wünschen, daß die Ritter vom Geiste eine so harmlose Fortsetzung der Freimaurerei sind, wie der würdige Chef unserer Justiz diese aus dem Kopfe des Muhamed und der Toleranz gegen die Thiere herleitet. Ein Zusammenhang mit den Jesuiten wäre schon bedenklicher. Man muß die Untersuchung abwarten, die leider umständlicher ausfallen wird, als mir im Interesse dieser Gebrüder Wildungen lieb sein kann, die zwei reichbegabte, an sich sehr edle und sonst des vollsten Genusses ihres Glückes würdige junge Männer sind.

Es lag eine solche düstre Wahrheit in diesen kräftig betonten Worten, deren Beziehung man wohl verstand, daß das Thema verlassen wurde und Propst Gelbsattel Zeit fand, sich zu seinen Antworten über die innere Mission[3413] zu sammeln, über die er angelegentlichst befragt wurde. Früher entschiedenster Gegner derselben hatte er sich vielleicht erst unterwegs in der Kutsche, die ihn zu Hofe fuhr, eine Brücke gebaut, um nun als ihr Verehrer aufzutreten und mit General Voland und andern Elementen der kleinen Cirkel jene Dialoge aufzuführen, in welchen man die Wahrheiten und Irrthümer der Zeit von allen Seiten beleuchtete, ohne die Kraft zu besitzen, davon irgend etwas Anderes im Leben auszuführen, als was eben der rastlose Drang des Adels-, Beamten- und Militairegoismus als einzige politische Richtschnur vorschrieb ...

Fürst Egon aber konnte nicht anders erwarten, als daß die Stände ihre Zustimmung zur Emission von einer Million Stadtkämmereischeinen geben würden. Die Bedingung wurde nur gestellt, daß die Stadt nun das ihr verbleibende alterthümliche Erbe auch einer neuen Verwerthung unterwürfe und die öffentliche Kontrole gestattete. Die Häuser in der Brandgasse sollten niedergerissen, neugebaut, neuorganisirt werden. Man wollte, daß nun auch alle alten Herbergen provisorischer Zustände gelüftet, die Spelunken lichtscheuer Bettlerexistenzen gereinigt würden. Dabei traf sich der eigne Fall, daß gerade ein Mann, der statt Bartusch's, des Blutsaugers, des bösen Drängers und Quälers der Brandgasse, ein Wohlthäter, Rettungsengel und milder Richter dieser Höhlen geworden war, nun in die Lage kam, an der materiellen Befriedigung der beiden Männer, die sich als[3414] die eigentlichen Herren der Brandgasse jetzt ergeben hatten, an dem Abkaufe dieser Erbschaft betheiligt zu werden.

Es war zuerst im November des vorigen Jahres gewesen, als sich die verdächtigen Wolken, die die Erscheinung Murray's begleitet hatten, allmälig verzogen. Ein reicher, angesehener Fremder, dem die heimischen Bekanntschaften den Glanz seines Namens mehrten, erbot sich in demselben Augenblicke zu einer ansehnlichen Kaution für ihn, als er durch die Zeugnisse Louis Armand's fast gezwungen war, einzugestehen, daß er im Forsthause bei Plessen nur von einem in Amerika verstorbenen Bruder des Schmieds Jakob Zeck und seiner Schwester Ursula Aufträge zu überbringen hatte und bei dieser Gelegenheit in die Lage kam, einen tückischen, mörderischen Schlag, den der Blinde auf seine Schwester ausführen wollte, durch jedes nächste ihm zu Gebote stehende Mittel zu hintertreiben. Diese Aussagen blieben unwiderlegt, da Louis Armand damals noch in dem Ansehen stand, ein Jugendfreund des Ministers zu sein. Die Aufträge, die Pax später von Charlotte Ludmer für seine Hohenberger Reise bekommen hatte, waren nicht auf eine Gewaltthat gerichtet. Vermuthete sie Friedrich Zeck in jenem Engländer, der sich ihrer Nichte so eifrig angenommen hatte, so konnte ihr nur an dessen Beobachtung, geräuschloser, vielleicht durch Geld oder durch stille Gewalt vermittelter Entfernung, nicht aber an einer Verhaftung liegen, die zuletzt Geständnisse zu Tage gefördert hätte verletzendster[3415] Art für lebende, in sorglose Sicherheit eingewiegte Personen. Deshalb hatte sie von Fritz Hackert nur unter der Hand erfahren wollen, ob nicht dieser Murray ein Gauner und an diesen und jenen Merkmalen erkennbar wäre. Besorgniß genug erweckte ihr Hackert's Schweigen, noch größere die Freigebung des Gefangenen auf ein bedeutendes Lösegeld. Endlich aber erhielt sie die Nachricht von Hackert, daß jener Fremde ein wirklich harmloser Emissär amerikanischer religiöser Vereine wäre, der am liebsten auf Kirchhöfen weile und sich mit dem Schicksale der Armen beschäftige. Gern hätte sie ihn selbst gesprochen, gern von ihm gehört, wann, wo, unter welchen Umständen jener Friedrich Zeck gestorben wäre, auf dessen Veranlassung er die schlimme Begegnung im Plessener Forst hatte, allein der gern und öfters bei ihr gesehene Hackert brachte ihr darauf hin eine wunderlich zustimmende Antwort des Sonderlings, der sie entnehmen konnte, daß hier in der That einer jener Bußprediger vorhanden war, der diese Gelegenheit benutzen wollte, nun auch ihr recht in's Gewissen zu reden. Auf die Gefahr hin, daß ihr dieser Mann von einer jenseitigen Welt sprechen konnte, schlummerte ihre Absicht, Murray kennen zu lernen, und ihre Furcht ein. Sie mochte solche »Quäker« nicht sehen.

Friedrich Zeck hatte nie die Absicht gehabt, sich etwa an Pauline von Harder und Charlotte Ludmer zu rächen. Es war eine wirkliche Frömmigkeit, die ihn erleuchtete. Es lag ihm im Leben nur noch an dem Loose des Knaben,[3416] den aufzusuchen ihn dasselbe Pflichtgefühl trieb, das die frömmelnde Fürstin Amanda einst ihr Testament hatte niederschreiben lassen. Wie er Hackerten finden mußte, erfüllte ihn freilich mit Schmerz genug. Er fand doch zuletzt einen verwilderten, trotzigen, aller Innerlichkeit baaren Sinnenmenschen, mit dem er sich, um sein besseres Gefühl zu wecken, wohl hütete, zu verfahren wie mit Auguste Ludmer. Die gewaltsame Unterwerfung unter seinen eignen edlen Geist hätte er wohl ausgeführt, er hätte nur seine Geschichte, die Namennennung der Mutter Hackert's anwenden dürfen, um den Hochmüthigen ganz in der Gewalt zu haben, aber er lehnte diese Gewalt ab, er fürchtete, etwas Künstliches in seine Entwickelung hineinzutragen. Er wollte seinen Sohn gewähren lassen und ihm selbst nur als eine Anlehnung seines eignen Wachsthums dienen. Die Erfolge dieser Erziehung waren im Beginn wenig ermuthigend. Er entsetzte sich genug, wie verworren, ja grundverdorben diese Seele war. Vor dem tiefeingewurzelten Pessimismus derselben schauderte ihn. Alles wäre schlecht, Jeder sähe nur auf seinen Vortheil, Alles löge und die Tugend wäre Maske, die nur die Dummen blendete! So lauteten seine stehenden Sätze, die er selbst mit der Nachwirkung der Gefühle verband, die ihm die Freude geweckt hatte, seinen räthselhaft verborgenen und sich ihm noch nicht ganz enthüllenden Vater damals auf dem Kirchhofe zu finden. Seine Menschenverachtung ging soweit, daß er selbst am Vater zu bohren, an dem zu wühlen, zu untergraben anfing und[3417] ihm gleichsam Fallen stellte, um die Schadenfreude zu genießen, auch ihn straucheln zu sehen, auch ihn auf Prahlerei und Eitelkeit zu ertappen. Er konnte nicht begreifen, warum Murray in der Brandgasse wohnen blieb und die drei Zimmer der Louise Eisold behielt. Er vermittelte manche Bestellung, die vom Vater für Kupferstecherarbeiten wieder übernommen wurde; aber wenn er sie nur langsam ausführte, wenn er hören mußte, daß den Vater dieser oder jener Vorfall in den Familienhäusern, bald auf Nr. 30, bald auf Nr. 50 in Anspruch genommen hatte, so konnte er das schadenfroheste Gelächter aufschlagen und alle Bemühungen, dieser Bande, wie er sie nannte, nützlich zu sein, als rein verlorene Mühe verspotten. Diesem Vieh, sagte er, ist sein Schmuz so behaglich wie dem Reichen seine Eiderdaunen. Kein Champagner gibt dem Schlemmer die Wollust, wie Diesen hier der erwärmende, scharf alle Nerven ergreifende und die Sinne in eine exaltirte Spannung versetzende Branntewein! Seht nur dies wonnige Überbeißen der Lippen, wenn diese Männer und Weiber aus ihrer Flasche getrunken haben! Seht dies Schmunzeln des Mundes und Runzeln der Augenbrauen, als wenn der Genuß brenne und Übelbehagen erwecke, aber es ist nur die Maske der süßesten Empfindung, die sie hebt und alle Phrasen von Entsagung und wahrem Menschenglück verlachen macht. Hört nur die zärtlichen Namen, mit denen die Flasche benannt wird, wie erwärmt sie von Tasche zu Tasche im Kreise umherwandert, wie treu sie mit auf die Arbeit, mit[3418] auf den Spaziergang genommen wird und wie sie immer die Lebensgeister wach erhält, wie sie zu hoffen, zu hassen, zu lieben lehrt. Ha! So ein Fluch, aus ganzer Seele losgelassen über die Welt und Alles, was in ihr lebt und krabbelt, kann aus keinem Dichtermunde bei aller Begeisterung kräftiger kommen wie aus dem mit Spiritus stimulirten Zustand dieser Menschen, die zuletzt, wenn die Spannkraft der Nerven nicht mehr aushält, erst Morgens in ein Zittern verfallen, dann Mittags über Magendrücken wimmern und zuletzt Abends überall Mäuse, Ratten sehen, Wanzen, Flöhe, Ungeziefer und dabei heulen und schreien: Es will mich was fressen, Hülfe! Hülfe! Ha, Papa, das ist dann der Säuferwahnsinn und die Geschichte ist aus. Die Kerle kommen in's Tollhaus; aber lustig, die Jungen machen's doch den Alten immer wieder nach! Man müßte die Nester alle ausnehmen, wenn die Brut noch halb in den Eiern sitzt, müßte ihnen allen den Kopf eindrücken oder sie in eine Anstalt zusammenthun, wo sie dann freilich wieder andere Laster lernen, die auch zu keinem seligen Ende führen. Vater, es gibt für diese Canaille der Wonnen, die dabei auch nichts kosten, gar zu viel!

Das war dann freilich eine Schilderung, grauenhaft genug und leider nur zu wahr! Aber der Vater hatte den wenig ausreichenden Trost, daß solche und ähnliche Äußerungen seines Sohnes noch mehr aus dessen immer mehr zunehmender Hinfälligkeit herrührten. Die Mondsucht hatte ihn nicht verlassen. Jede Anfrage bei erprobten[3419] Ärzten führte auf das Ergebniß, man müsse die Jahre abwarten und sich mit äußern Schadenverhütungen begnügen. Hackert blieb, da der Vater sein Inkognito nicht aufgab, in seiner Wohnung bei Zipfels. Friedrich Zeck wünschte nicht, daß sie zusammenzogen. Er fürchtete, daß dann Einer vom Andern beherrscht würde und die Alltäglichkeit bald den Reiz verdränge, den es doch für den Sohn hatte, einen Ort zu wissen, wo er sich in reineren Lebensfluthen manchmal baden konnte, führte ihn auch der Weg an Schmuz und Schlamm vorüber. Der Ekel, mit dem Hackert regelmäßig bei Zeck eintrat, that diesem wohl und immer hoffte er, es würde sich endlich in ihm der Entschluß zu einer That regen, zu irgend einem Aufschwunge, zu irgend einem ihn erhebenden Berufe. Sein Verhältniß zu Pax hatte Hackert keineswegs aufgegeben. Er gefiel sich zu sehr in den Zerstreuungen, die der Wandel eines solchen geheimen Agenten mit sich brachte. Da durfte er in aller Leute Karten sehen, über Stutzer lachen, die auf den Promenaden stolzirten und das ihnen gleichsam von der Polizei umgehängte Halsband unter der seidnen Cravatte verbargen, er durfte alle Spelunken des Elends, der Gaunerei, des zügellosen Vergnügens besuchen. Er war seit Jahren an diese Orte wie gebannt. Früher zog ihn da der Trieb der Theilnahme an den Ausschweifungen hinein, jetzt brauchte er sie nur in höherm Auftrage zu besuchen, aber magnetisch zogen sie ihn. Wenn er eine dumpfe Trommel in der Ferne hörte, das Schmettern einer Trompete, wenn die Geigen so[3420] weinerlich lockend strichen, behauptete er, nicht widerstehen zu können. Wenn die eigne Kraft zur Sünde aufhört, regt sich der Trieb, Andere zu verführen. Alte Buhlerinnen kuppeln, ehemalige Verbrecher geben an. Von allen diesen Erfahrungen wiederholte sich etwas an Hackert, nur daß er durch einen gewissen, man möchte ihn philosophischen Standpunkt nennen, bewahrt blieb, dabei in das völlig Gewöhnliche und Gemeine zu verfallen. Wenn er acht Tage in der Brandgasse beim Vater nicht gewesen war, fing diesen an zu bangen; er wußte, daß Fritz dann auf schlimme Rückfälle gekommen war, irgend einer Verlockung folgte, kein gutes Gewissen hatte; aber das bessere Gewissen überhaupt bei Hackert anzunehmen war schon ein Gewinn und immer hatte Zeck die Genugthuung, daß er endlich doch kam, matt und müde zwar, angeekelt von sich selbst, mismuthig, verstimmt und meist Geschichten mitbringend, die Murray zur Anknüpfung seiner Lieblingsbeschäftigung benutzte, den Werken der innern Mission, wie sie von ihm in ganz anderm Sinne als von den Modevereinen verstanden wurde; aber er kam doch, ruhte sich beim Vater doch aus, seufzte doch und wünschte sich nicht selten den Tod.

Otto von Dystra hatte vor seinen Reisen nach dem Tempelstein Sorge getragen, seinen alten Schützling mit Persönlichkeiten und Institutionen bekannt zu machen, die ihm nach zwei Seiten hin nützlich sein konnten, sowohl seine alte Kunstübung wieder aufzunehmen, wie die ihm eigne Bekehrungsmethode unter den sittlich[3421] Verwahrlosten ungestört zu betreiben. Im Besitz eines ausreichenden Vermögens arbeitete Murray nach Neigung. Da er nur die schwierigeren Auf träge annahm und sie mit großer künstlerischer Vollendung ausführte, ließ er sich in seinen Leistungen Zeit. Die Mußestunden, die er sich reichlich gönnte, verwandte er darauf, von den Vereinen, deren Mitglied er geworden war, Aufträge anzunehmen. Anfangs fügte er sich der Methode, die hier allgemein in diesem Fache der Seelsorge schon galt. Er brachte Notizen, empfahl die Hilfsbedürftigen, zeigte bald den Behörden, bald den Vereinen auffallende Misstände an, aber bald sah er, daß das Alles nur wie ein Tropfen auf einen heißen Stein war. Man gab und die Wirkung zischte auf und ließ nichts als ein wenig Rauch von Dank zurück. In den statistischen Tabellen der Vereine, ihren Programmen und Berichterstattungen nahmen sich diese Thatsachen freilich Wunder wie großartig aus. Da hieß es: Achtzig armen Wöchnerinnen Leinenzeug gegeben, dreihundert Kranke gepflegt, dreißig begraben und so und so und so vielen Waisen oder Witwen diese oder jene vorübergehende Wohlthat erwiesen! Murray sah bald ein, daß diese Methode auch zu dem scheußlichen Lügennetze der Zeit gehörte. Nur zu wahr traf in den meisten Fällen die Spottrede seines Sohnes ein, der diesen Theil der Menschheit in solcher auf die Symptome kurirenden Art für unverbesserlich erklärte. Gern hätte er die Macht des Christenthums zu Hülfe gerufen, aber zu seinem tiefsten Leidwesen erkannte er, daß in Europa[3422] das Christenthum eine viel unreinere gesellschaftliche Gestalt angenommen hat als jenseit des Meeres, wo sich nicht soviel kirchliche und politische Verwirrung und irdische nichtswürdige Entstellung in die reine Christuslehre gemischt hat. Wenn er den Armen und ergrimmten Nothleidenden mit Christus als dem Waizenkorn und dem wahren Brote des Lebens kam, so fand er selten einen guten Boden für diese Aussaat und mußte in hundert Fällen neunzigmal erleben, daß man ihm das Christenthum als eine durch die Weltlichkeit der Kirche, den Luxus der Geistlichen, die geheuchelte Frömmigkeit der Großen, der Armuth über und über verdächtig gewordene Institution darstellte und ihm mit einem Unglauben antwortete, der an die absolute Nichtslehre seines Sohnes für ihn schaudernd genug erinnerte.

Eines Tages kam ihm ein Lichtstrahl bessrer Hoffnung. Er hatte, es war im Frühjahr schon, bei einer Versammlung einen jungen Geistlichen reden hören, der als Prediger des Gefangnenhauses erst vor Kurzem eingetreten war. Er entsann sich des Namens Oleander sehr wohl. Er erinnerte ihn an Louis Armand, diesen liebenswürdigen jungen Freund, der vor einigen Monaten hatte aus einem Lande entfliehen müssen, das er mit so viel Hoffnungen betreten durfte. Friedrich Zeck war mit Louis Armand in Verbindung geblieben, hatte manchen Brief von ihm an Dystra, von Dystra wieder Einlagen an ihn bekommen; Zeck hatte Kunde von dem Bunde der Ritter vom Geiste und durfte vermuthen, daß auch Oleander zu ihm gehörte.[3423]

Man rühmte die Standhaftigkeit, mit der Oleander auf der Festung Bielau einen jungen, wegen Meuterei erschossenen Soldaten zum Tode begleitete. Seine Predigten fanden den allgemeinsten Beifall und segensreich sollte sich auch sein Wirken in den Zellen des Gefangnenhauses erweisen. Briefe, die Friedrich Zeck von Armand für Oleander erhielt, brachten ihn diesem jungen Geistlichen näher. Er sah ihn öfter, verstand sich mit seinen Meinungen über die Zeit und über die Menschen und zweifelte nicht, daß auch er zu dem vielbesprochenen Geheimbunde gehörte; denn er rühmte von sich, daß er durch Siegbert Wildungen und Louis Armand eine große Umwälzung seines Innern erfahren. Doch rückte das eigentliche Geheimniß des Bundes Zeck selber nicht näher, er wünschte es auch nicht. Zeck sah zu sehr seine Unwürdigkeit und trug diese Erkenntniß voll Demuth. Er war in demselben Falle wie Dystra. Beide wurden von dem Bunde benutzt, ohne daß sie in ihm lebten.

Wie erstaunte Friedrich Zeck im Laufe des Sommers, als nach längerm Zusammenwirken auf dem Gebiete der innern Mission Oleander eines Tages ihm doch ein sonderbares Zeichen machte, das er nicht verstand! Oleander hatte den Kupferstecher anfangs für einen respektablen Mann angesehen, von dem er nicht voraussetzen konnte, daß er mit dem Geheimniß, in das ihn Siegbert brieflich eingeweiht hatte, bekannt war. Später, als er sich bedeutender und charakterfester entwickelte, hatte er prüfend auf ihn geblickt, endlich im[3424] Laufe des Sommers gewagt, ihn mit dem Bundeszeichen zu begrüßen. Als Murray den Gruß nicht erwiderte, sagte Oleander:

Sie dienen den Rittern vom Geiste und gehören nicht zu ihnen?

Murray bestätigte diese Vermuthung und lehnte genauere Eröffnung ab ...

Oleander aber sagte:

Diese Ablehnung hilft Ihnen nichts, liebster Murray! Sie werden gewonnen, ohne daß Sie wollen. Noch muß ich nun selbst Anstand nehmen, mich zu offenbaren. Lassen Sie mir nur noch einige Wochen Zeit und ich will Ihnen dann sagen warum?

Aus den Wochen wurden Monate. Der Herbst war da, Ackermann hatte sich in der Residenz als Rodewald enthüllt. Abschied nehmend von Oleander hatte Rodewald des Begeisterten soviel von Murray gesprochen, so sehr gerühmt, daß in ihm eine große sittliche That verkörpert wäre, so sehr die Mäßigung gepriesen, mit der er noch jetzt eine ernste Aufgabe beherrsche und verwalte, daß Oleander sich seines Versprechens entsann und eines Abends, als er mit Friedrich Zeck durch die Laster- und Elendshöhlen der Brandgasse sich müde gepilgert hatte und da, wo man früher die Sendboten der Liebe die Treppe hinunterwarf, wenigstens die persönliche Sicherheit des guten Nachbars im dritten Hofe antraf (der schon in die Lage gekommen war, beraubt zu werden und Die, die ihn hatten nächtlich überfallen, in seiner Wohnung[3425] knebeln wollen, nicht angezeigt, sondern sie zu Freunden gewonnen hatte), zu Murray sagte:

Aber Sie, Mann des Friedens, wenn es wahr ist, daß Sie diese eisernen Stäbe – es war in Murray's Wohnung – hier vor Verbrechern schützen müssen, die Sie zu Ihren Freunden zu erheben vorziehen, statt in die Gefängnisse zu schicken, so muß ich auf mein Versprechen zurückkommen, Sie mit dem Bunde der Ritter vom Geiste bekannt zu machen!

Warum thun Sie Das erst jetzt? fragte Friedrich Zeck.

Weil ich an der unverbesserlichen Eitelkeit der Studirten leide; sagte Oleander. Es ist ein Gesetz unsres Bundes, nur Die zu gewinnen, die über uns stehen. Es hieß anfangs, die gesellschaftlich über uns stehen, doch hat Dankmar Wildungen die Vorschrift verbessert und jede andre Superiorität, auch die der Sitte und der Bildung, des Geistes und des Herzens zugestanden. Ich darf also nur Menschen gewinnen für den Bund, von denen ich mir sagen muß, daß sie irgendwie über mir stehen. Und ich Eitler, ich war fast so eitel wie sonst Propst Gelbsattel. Ich sage: sonst! Denn seitdem dieser große Mann erfahren hat, Ritter vom Geiste könnte man nur durch einen Menschen werden, der unter uns stünde, bemüht er sich, die Demuth selbst zu sein. Er duckt sich gegen Jedermann, sieht überall auf die Erde wie nach einem verlornen Groschen, möchte Jeden ermuntern, sich ihm zu nähern. Aber er macht, sagte neulich der Doktor Drommeldey in Tempelheide, er macht die sonderbare Entdeckung,[3426] daß er nicht nöthig hätte, zu den unter ihm Stehenden herabzusteigen. Niemand denkt daran, ihn für einen Größeren zu halten, als sich ...

Friedrich Zeck war in der Prüfung des Satzes, man müsse immer von den unter uns sich Fühlenden geworben werden, noch so verloren, daß er kaum daran dachte, die ihm von Oleander angethane Ehre abzulehnen. Oleander aber theilte ihm Geschichte und Bestand des Bundes mit, gab ihm die Erkennungszeichen, deutete ihm die Symbolik und wollte ihm schon das Gelöbniß abnehmen, den näher bezeichneten geheimen Pflichten des Bundes sich zu unterwerfen.

Staunend hatte Friedrich Zeck zugehört. Erst jetzt fiel ihm ein, er, ein Falschmünzer, ein entsprungener Verbrecher sollte sich in diesen Bund der edelsten Menschen stehlen? Unruhig sprang er auf und lehnte seine Betheiligung ab, indem er im Übrigen die heiligste Verschwiegenheit über das bereits Vernommene gelobte.

Billigen Sie die Idee nicht? fragte Oleander.

Ich bin ihrer nicht würdig, meine Kraft ist zu schwach. Lassen Sie! sagte Zeck.

Ihre Kraft zu schwach? erwiderte der junge Geistliche. Fühlen Sie denn nicht, daß im Grunde erst durch diese Schöpfung Das, was man innere Mission nennt, ein Ziel und einen Zusammenhang erhält? Wenn irgend etwas zur Glorie des Christenthums gethan werden kann, so bin ich gewiß keiner der Letzten, der freudig Hand an's Werk legt. Aber aus dem Geiste des Christenthums allein sind[3427] diese Thaten der Liebe nicht mehr zu fördern. Sie müssen, wie die Kreuzzüge einst, damit enden, daß wir das Grab und die Wiege des Heils in der ganzen Welt finden, nicht blos in dem ungläubig gewordenen Palästina. Die alten Templer waren zu der Erkenntniß gekommen, daß sich die Mission einer rein äußerlichen Fortpflanzung des Christenthums, die Mission der Heidenbekehrung, überlebt hat. Man sprach nun von innerer Heidenbekehrung, von Ketzerverfolgung, von Urchristenthum, man stiftete Sekten, Brüdergemeinden. Es waren falsche Wege zum rechten Ziel. Die Wahrheit ist die, daß eine vereinzelte Pflege des Unheils in der Welt nur wenig hilft. Das ganze Leben muß ergriffen wer den von dem Geiste der Erneuerung und Wiedergeburt. Wir können die Schäden der Gesellschaft nur heilen, wenn wir neue Luftströmungen durch die verdumpfte Existenz der Zeitgenossen ziehen lassen. Licht der Sonne, Blau des Himmels, Frische der Luft, was gibt es bessere Hülfsmittel bei Heilung leiblicher Schäden? Und mit den geistigen beginnen die leiblichen. Ich habe sonst über die Zeit geträumt. Ich bin ihr Walten geflohen. Ich habe verurtheilt, was mich aus meinem behaglichen Dämmerleben aufschreckte. Aber durch die Lehre von einer Religion des freien Geistes ist mir ein Stern aufgegangen. Ich sehe schon Tausende sich die Hände reichen auf wenige große Wahrheiten des Einverständnisses und der felsenfesten Überzeugung. Man handelt nach diesen Wahrheiten, Jeder nach seiner Fähigkeit, seinem Berufe, seinem Triebe. Nehmen wir, mein[3428] Freund, das Gebiet der Armuth und des geistigen Elendes! Arbeiten wir nicht für das Reich Gottes im Allgemeinen, nicht auf den unnützlich geführten Namen des Heilands, sondern für das Reich des heiligen Geistes, der nach den Tagen der Apostel uns als letzte Enthüllung der Offenbarung verheißen ist! Schaffen wir Menschen, freie, bewußte, die Erde zu lieben sich gedrängt fühlende Menschen und machen wir die Erde dieser Liebe werth! O ich möchte mit Engelzungen reden, um der Menschheit zu sagen, was die wahren Unholde sind, die uns an hellem Tage auf Erden Nacht machen und diese Gebrechen der Gesellschaft, diese Armuth und dies Elend anwachsen lassen so ungebührlich, daß es keine Fabel mehr scheint, wenn man sagt, der Herrscher der Erde trägt eine dunkelglühende Krone und sein Reich ist das des Feuers und des ewigen Todes.

Aus dieser Stunde ergab sich für Friedrich Zeck eine erneute Ermuthigung, aber auch manche ernste Pflicht, mancher Schmerz. Sein Sohn, der die Betheiligung des Vaters an dem verfolgten Bunde wohl merkte, hatte dagegen das Bitterste zu sagen. Er war es gewesen, der der Zeuge der ersten Einsetzung desselben gewesen, er hätte dieses rasch erblühte Wachsthum ja im Keime ersticken können! Der Vater, ohne das Geheimnißvolle an dem Bunde zu verrathen, erstaunte. Schmerzlich berührte ihn, wie Hackert auch auf diese Erfahrung seines Lebens hin nur mephistophelische Lichter fallen ließ. Dennoch erbot er sich zu der scharfen und ihn ganz erfüllenden Ironie,[3429] die wichtigste Korrespondenz des Bundes mit dem eignen Wappen der Polizei zu befördern. Hackert drückte auf die Briefe der Bundesglieder bald das Siegel Paxen's, bald das des Assessors Müller, bei dem er sich in gutem Kredit erhielt, bald das des Gerichtes selber. Glücklicher Weise waren die Briefcouverte, die man bei Dankmar hätte finden können, von diesem regelmäßig vernichtet worden.

Friedrich Zeck sollte nicht aufhören, in Verbindung mit den Schicksalen der Gebrüder Wildungen zu bleiben. Ihm, dem von den Vornehmsten der Gesellschaft seines für »fromm« erklärten Wirkens wegen beschützten Künstler, vertraute man den Stich der Kupferplatte, von welcher die Stadtkämmereischeine abgezogen werden sollten. An derselben, vom Tageslichte hellbeschienenen, Dächern gegenüber gelegenen Fensterbrüstung, wo einst Louise Eisold unter ihren Geschwistern genäht und gestickt hatte, ätzte der Engländer Murray in städtischem Auftrag die Kupferplatte, die Fritz Hackert oft mit dem ihm eignen Humor der Schadenfreude betrachtete und sagte:

Vater, nun erkenn' ich erst meine Vorliebe für Papiergeld! Die Pfaffen sagen, Gott hat die Welt aus Nichts erschaffen. Es war Das jener Jehovah, dem Das alle seine Juden noch jetzt nachthun. Bei Schlurck aßen die Philosophen, die aus Sein, Werden, Nichts und Dessert-Tortenkrumen und Käserinden die Welt schnitten! Hätt' er nur jetzt recht viel von Denen zu Freunden, die aus Nichts Papier und aus Papier Geld machen! Der Kredit kann zum Teufel noch mehr als das Denken. Eine Million! Das gibt[3430] Thalerscheine, Fünfthalerscheine, Funfzig-, Hundertthalerscheine! Dann nimmt man die alte gelbe Blechbüchse aus der Spittelkirche und steckt die ganze Bescheerung da hinein. Die Nachmittagskollekte von Kupferpfennigen ist schwerer als die Bundeskasse der Ritter vom Geiste. Haha! Vater, wie können Sie sich nur von dem Hokuspokus foppen lassen! Es kann Ihnen noch scharf zu Leibe gehen, wenn der Tempelherr Dankmar Wildungen zu beichten anfängt. Dem stolzen, eingebildeten Zwickelbart gönn' ich's. Sie setzen ihm scharf zu. Assessor Müller bietet ihm eine Cigarre nach der andern an im Verhör, aber die alten Universitätsfreunde rauchen zusammen und wenn das Protokoll gemacht werden soll, steht nichts auf dem Bogen. Der Assessor sagt: Alter Junge, es hilft nichts, so wirst du lange im zweiten Hof Nr. 23 sitzen, was unser Staatsgefängniß, aber auch das festeste ist. Ein Mal warf ich dem Ritter hundert Thaler in's Gesicht, weil er mir kein Pferd anvertrauen wollte! Er würgte lange an dem großen Gedanken, daß ich sie gestohlen hätte. Dann, als er merkte, daß ich blos ein elender Kerl bin, höchstens vor Desperation fähig zu Allem, ging er in sich und wollte meinen innern Menschen rühren, um meine Bettelpfennige oder Dukaten aus der Gewissens-Sparbüchse herauszuluchsen ... Ich war erst breiweich; denn, weiß der Henker, ich habe vor nichts so viel Furcht als vor dem Brummenmüssen im Loch. Ich könnte das Hängen besser vertragen als das Sitzenmüssen. Er wollte mir damals einen Gefallen thun und ich that ihm wieder einen,[3431] als er im Rathskeller mit allen Geistern der Weinkarte seinen Bund machte und Schmelzing schon Tendenz gerochen hatte. Nun sind wir quitt! Wenn Einer sich merkte, Papa, wo du die geheimen Kniffe bei der Platte anbringst, die Haken und Striche, die für Falschmünzerei Fußangeln sind! Verdient so ein Schnauzbart, daß um ihn sich Einer zwanzig Jahren Zuchthaus aussetzt und so eine Platte ansehen muß wie eine Tigerkatze in der Menagerie, die ihr Fleisch vor sich liegen hat und nicht fressen darf, weil der Wärter die Gabel drauf hält? Vater, wir sollten Geld machen! Aber Das hülfe uns nichts. Wenn wir's hätten, bliebst du hier doch auf 86 und verheirathet'st dich mit der Brandgasse und brächtest mit deinem wohlthätigen Siebschöpfen mein Erbe durch. Nur gut, daß die Landkarte hier bald gesprengt wird! Pulver müssen sie dazu nehmen, wenn die Brandgasse in die Luft springen soll, tausend Centner Minenpulver! Das wird eine Bescheerung geben, wenn einmal die Dächer hier herunterfliegen und nichts übrig bleibt als ein paar alte Hausschlüssel von Frau Mullrich und die Nachttöpfe von Madame Klapperfuß. Die unausgelösten Pfandzettel, die hier herumliegen, geben allein schon ein Feuerwerk für nächsten Königsgeburtstag. Wie lange dauert denn die Million, bis sie fertig ist?

Zeck war an seinem Sohne diese Ausbrüche von Schadenfreude gewöhnt. Sie mit Gewalt in ihm zu zerstören, wagte er nicht; denn bei jedem Gedanken, das Recht des Vaters anzuwenden und seinen Sohn die Übermacht eines[3432] reinen Herzens empfinden zu lassen, kam ihm die Erinnerung an die Folgen des Tages mit Auguste Ludmer. Er begnügte sich auch jetzt, lächelnd zu erwidern:

Wir werden gegen Ostern fertig sein ...

Auch mit dem Druck? fragte Hackert.

Grade mit dem Druck. Ich steche sechs Wochen an dieser Platte, dann zwölf an den größeren, der Druck ist langsam, da er kontrolirt wird und für jedes Blatt eine neue Nummer gesetzt werden muß ...

Mit Ausnahme der Zwanziger und Funfziger?

Die wieder ihre eigne Reihenfolge haben ... ich will wünschen, daß der Empfänger dann auf freien Fuß gestellt ist ...

Das könnte leicht fehlgehen. Aber Siegbert ist der älteste ... er hat die Vorhand ...

Als Flüchtling? Ich glaube nicht, daß man Jemanden, der in Untersuchung ist, eine Erbschaft auszahlt ...

Das müßte Schlurck wissen ...

Hackert kam auf sein Steckenpferd, das Rühmen und Preisen der Kenntnisse seines Pflegevaters ... Murray ließ ihn reden. Er wußte, daß dem Menschen nichts förderlicher ist, als sich gegenständlich zu machen. Er hatte den ganzen Entwickelungsgang seines Sohnes vor sich liegen, kannte auch seine Beziehung zur jetzigen Fürstin Hohenberg und hoffte auf Krisen, wo sich im menschlichen Gemüthe Gut und Böse in Kampf setzt und Eins ausgeschieden werden muß. Dafür, daß das schlimme Element in Hackert nicht die ausschließliche Oberherrschaft[3433] gewann, glaubte er gesichert zu sein und wär' es nur die dazwischen tretende Anhänglichkeit des Sohnes an den Vater und die Spannung, in der er ihn über seine Mutter erhielt, die einen Wall gegen das Böse abgaben. Um diesen Wall in Vertheidigungszustand zu erhalten, mußte Zeck nur Sorge tragen, daß ihn der Sohn nicht zu sich herabzog. Denn darauf legte es Hackert an. Durch Späße, Schilderungen, Vertraulichkeiten hoffte er, die sittliche Grenzwand zwischen sich und dem Vater nicht selten niederzureißen. Aber Zeck war in einem solchen Augenblicke wie taub oder er nahm die Bibel und las so lange laut in ihr, bis Hackert erst vor unaufhörlichem Lachen darüber zum Ärger kam, dann mit dem Fuße stampfend vom Ärger zur boshaften Parodie, zuletzt zum Schweigen und, wenn der Vater doch nicht aufhörte, in aller Stille sich von seinem Zimmer entfernte ... Diesen Geistern absoluter Verneinung imponirt bekanntlich Nichts so sehr als die Konsequenz.

In der That zog sich das Verfahren gegen Dankmar in die Länge. Entweder hatte man die Vorstellung eines großen Gewinnes, wenn man sich seines unternehmenden, jetzt ohnehin gereizten Wagemuthes versicherte oder man besorgte vollends, daß die Brüder, wenn sie die von ihnen erworbenen Mittel zu freier Verwaltung erhielten, dem Gemeinwesen unberechenbare Gefahren bringen würden. Die Weigerung Dankmar's, sich über die von ihm gestiftete »Verschwörung« auszulassen, seine absichtliche aber aufrichtige Erklärung, daß er die Mitglieder[3434] derselben nicht kenne, zogen die Verhöre in die Länge. Man fand im täglichen Volksleben immer neue Thatsachen, denen man eine Verbindung mit der großen Verschwörung zurechnete. Der Fürst von Hohenberg an sich war allen diesen Prozeduren fern. Er konnte weder gegen den Lauf der Gerechtigkeit etwas unternehmen, noch die geheimen Kanäle aller der Parteien durchkreuzen, die neben ihm im Lande mitregierten. Am Hofe, beim Adel, in der Bureaukratie gab es ein Drängen zu gewissen Zielen hin, dem er sich vergebens würde entgegengestemmt haben. Er behielt sich das Maaß von Macht vor, das für ihn in der Initiative der großen Politik lag, aber im Kleinen fand er täglich, daß auch er den Geistern, denen zu Nutzen, wenn auch nicht zu Liebe, er geredet und gehandelt hatte, sich unterordnen mußte. Er bedauerte, erzählte man, Dankmar's Schicksal, tadelte seine Hartnäckigkeit und fand es einstweilen ganz in der Ordnung, daß man die endlich auch vollendete und möglich gewordene Emission der Stadtkämmereischeine nicht in des Gefangenen oder seines flüchtigen Bruders Hand gab, sondern sie in der scharfbewachten Kasse des Justizamtes, das Dankmar zu verhören hatte, im Profoßhause selbst noch bis auf Weiteres aufbewahrte.

Murray und Oleander sahen in den Briefen, die sie selbst empfingen oder zu befördern hatten, welchen Antheil der Bund an dem Schicksale seines Stifters nahm. Was sie von dem Generalpächter Rodewald, von Dystra an Klagen und Beileidsbezeugungen empfingen, waren[3435] Beweise persönlichsten Antheils. Murray erfuhr von Rodewald im Laufe des Winters, daß ihm Fürst Egon zum Dank für die so umfassend angeordnete Wiederherstellung seines Kredits durch die unverhohlene Absicht lohne, sich aller seiner Güter zu entäußern! Seine Bemühungen, die zehn Jahre lang allerdings an sich nicht gestört werden durften, sollten durch einen Verkauf zum Nutzen irgend eines Andern, wahrscheinlich des Bankiers von Reichmeyer, ein für alle Mal abgeschnitten werden! ... Oleander'n schrieben Siegbert, Louis Armand, Leidenfrost unausgesetzt. Dankmar's versuchte Befreiung war eigentlich eine Bewähr der gegenseitigen Hülfe, die in den Satzungen der Ritter vom Geiste gefordert war. Gelbsattel, Voland, die Wundergläubigen oder Wunderbedürftigen, die Sternenseher am Tage, die Eulen im Sonnenglanz warteten auf diese Befreiung des neuen Propheten wie einst die Juden auf die Wunder des Heilandes. Sie wollten Zeichen sehen, ehe sie glaubten. Aber man kam dem Wunder darum doch nicht entgegen, man mehrte die Zahl der Riegel und Schlösser, man wollte wol, wie einst Egon am Hofe über Voland's Koketterie des Stillstandes mit der Bewegung bitterlächelnd sagte, man wollte wol »der Zauberkünste stärkste Proben.« Endlich, als Murray die Vollendung seiner Platten durch den gelungensten Druck gekrönt sah, als man in den Schränken der Gerichtskasse auf dem Profoßamte sie niederlegte und er von seinem Sohne des Spottes genug über den Magierstab eines Bosco, den er nun dem Gefangenen[3436] wünsche, hören mußte, war ihm, als merkte er hier und da die Annäherung eines endlichen Versuches, Dankmar Wildungen die ihm so hartnäckig vorenthaltene Freiheit wiederzugeben. Friedrich Zeck war erstaunt, eines Tages in seiner Wohnung einen unerwarteten Besuch zu finden. Es war im Monat Mai. Er glaubte zu träumen, als er auf derselben Galerie, auf die er sich, wie sonst, an dem glatten Stricke »hinaufleierte« von einem freundlichen Gruße bewillkommt wurde und Louise Eisold, seine frühere junge Wirthin es war, die ihm ein herzliches Guten Tag! Guten Tag! entgegenrief. Der Diamant, den er ihr einst für ein reines Glas Wasser geschenkt hatte, funkelte an ihrer Hand, aber blitzender noch leuchtete ihr Auge, als sie ihm wiederholt: Vater Murray! Vater Murray! Kennen Sie mich noch? zurief und er, als er endlich oben war und seine gleichgefaßte Vermuthung bestätigt fand, obenein sich noch stürmisch umarmt fühlte und von dem liebevollsten Kuß begrüßt.[3437]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 3403-3438.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Ritter vom Geiste
Die Ritter Vom Geiste (5-6); Roman in Neun Buchern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun B Chern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in 9 B Chern, Volume 1
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 2 (German Edition)
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 6 (German Edition)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon