Geistliche.

[25] Geistliche betriegen 1) wenn sie bey Verlesung des Textes eine Brille auf die Nase setzen, oder ein Vergrösserungs-Glaß in die Hand nehmen, um denen Zuhörern weiß zu machen als ob sie ein sehr blödes Gesicht hätten, bey der Tractation aber solche weglegen, und dennoch alles verbotenus aus[25] einer Postill oder in der Bibel liegenden Concept herlesen. 2) Wenn sie alle Jahre eine neue Postill kauffen, daraus sie ihre Predigten nehmen oder herlesen, und nach Verfliessung desselben, solche entweder wieder verkauffen, oder, nach gehaltener Predigt, stückweiß ad loca secretiora bringen, damit man in ihrer Bibliothec so wohl bey ihren Leben, als vornehmlich nach denselben, ja keine Postille finden möge. 3) Wenn sie die bereits gehaltenen Predigten, aus Faulheit auf neue zu studieren, wieder, zum andern auch wohl zum drittenmal der Gemeinde vortragen. 4) Wenn sie zwar in ihren Predigten ruffen, thut Busse, glaubt an den HErrn JEsum, betet etc. niemals aber ihren Zuhörern weder die Art und Weise, wie sie es angreiffen sollen, noch den Process GOttes, den er in der Bekehrung eines Sünders hält und wie sich ein Sünder dabey verhalten müsse, deutlich vorstellen, weil nehmlich die wenigsten, welche Busse und Bekehrung predigen, solche selbsten in ihren Seelen empfunden haben. 5) Wenn sie unter dem Schein eines besondern Eyfers vor die Kirchen-Ordnung, manchen Personen den empfindlichsten Dort anthuen, andern aber bey eben dergleichen Gelegenheiten durch die Finger sehen. 6) Wenn sie solche Personen die entweder durch harte Anfechtungen, oder durch Verführung auf Irrwege, vornehmlich in der Lehre, gerathen sind, an statt selbige mit sanfftmüthigen Geiste zu ermahnen und in Liebe und Güte eines bessern zu unterrichten, mit den härtesten und empfindlichsten Schmähworten und verächtlichen[26] Nahmen belegen, wodurch sie nicht derselben Bekehrung, sondern vielmehr Verhärtung öffters zuwege bringen. 7) Wenn sie zwar gute Predigten halten, in ihren Lebens-Wandel aber das Gegentheil bezeugen, und also dadurch verursachen daß sich die schwachen daran ärgern, die Gottlosen öffters an der Bekehrung gehindert, beyde aber an der Wahrheit und Richtigkeit ihrer vorgetragenen Lehre zu zweiffeln veranlasset werden. 8) Wenn sie blosse eingepfarrte Edelleute, zum Præjudiz des Landes-Herrn nahmentlich in das öffentliche Kirchen-Gebet mit einschliessen um sich in derselben Grace zu setzen und öfftere Geschencke von ihnen zu erhalten. 9) Wenn sie die Zeit, die sie zur fleißigen Ausübung ihrer Amts-Verrichtung, Studiren auf die Predigten, Hauß-und Krancken-Besuchungen anwenden sollen, zur Verwaltung ihrer eigenen häußlichen und andern Geschäfften, oder wohl zu irdischen Belustigungen gebrauchen, wodurch der Gemeinde GOttes nicht geringer Schade zuwächset. 10) Wenn sie in denen Examinibus Candidatorum nur darauf sehen, daß der Candidat seine Thesin und Antithesin in Kopff habe, sich wenig aber darum bekümmern, ob derselbe gnugsame Wissenschafft und Erfahrung in Theologia morali, wie er zum Exempel mit Angefochtenen, Sterbenden etc. behörig umgehen soll, besitze, welches doch in der That nicht das geringste Stück ist, so in Predig-Amt erfordert wird. 11) Wenn sie, Alters oder anderer Umstände wegen, ihren Amte nicht mehr vorstehen können, und doch aus Geitz und um des zeitlichen Nutzens willen, keinen [27] Substituten annehmen wollen, dadurch sie das Wohl ihrer anvertrauten Seelen verwahrlosen. 12) Wenn sie ihre Söhne, Eydame oder Freunde zu Substituten annehmen, nach weiterer Beförderung aber derselben sich keinen anderweitigen Substituten wollen setzen lassen, unter dem Vorwand, daß sie nun wieder Kräffte hätten, ihrem Amte alleine vorzustehen. 13) Wenn sie in denen Examinibus Candidatorum, nachdeme sie vorhero einen zu examinirenden Articul in Quenstedt oder andern Systemate durchgelesen und sich dazu præpariret haben, dem Candidaten allerhand captiöse, grillenfängerische und unnütz Fragen vorlegen, um nur denselben, wenn er nicht aus den Steg-Reiff darauf zu antworten weiß, prostituiren und denn als einen zum Amte Untüchtigen ausschreyen zu können. 14) Wenn sie diejenigen Lehrer und Christen, so nebst der reinen Lehre auf ein thätiges Christenthum dringen, als Irr-Geister, Fanaticos etc. ausschreyen und dadurch zu wege bringen, daß viele von einem wahren Christen-Wandel abgehalten, und hingegen ihr Christenthum nur in die Reinigkeit der Lehre zu setzen veranlasset werden. 15) Wenn sie einen jeden, oder doch den reichesten von ihren Beicht-Kindern etwas geringes, z.E. ein Buch vor etliche Groschen zum Neuen-Jahr-Præsent geben, damit sie ein viel grössers Geschenck davor bekommen mögen, und also eine Bratwurst nach der Speck-Seite werffen.


Mittel: 1) Daß die Geistliche / an welchen man mercket daß sie ihr Amt nicht wie es seyn soll / vorstehen /durch die darzu verordnete Consistoriales, anfangs in Güte zur[28] Besserung ermahnet / hernach wenn dieses fruchtloß / durch Schärffe zu ihrer Pflicht angehalten werden. 2) Daß man bey denen Visitationen auch die Kirchen-Agenda sonderlich das öffentliche Kirchen-Gebet durchsehe. 3) Daß man bey Dispensirung der menschlichen Kirchen-Gesetze und in Bestellung derer Substituten / es nicht auf die Geistliche / sondern auf ein darzu verordnetes Consistorium ankommen lasse.

Quelle:
Hoenn, Georg Paul: Fortgesetztes Betrugs-Lexikon, worinnen die meisten Betrügereyen in allen Staenden nebst denen darwieder guten Theils dienenden Mitteln entdecket werden, Dritte Edition, Coburg 1730, [Nachdruck Leipzig 1981], S. 25-29.
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