Erster Auftritt

[116] Gasse. Valere und Hanswurst.


VALERE zu Hanswurst. Mache fort! Was soll das Zaudern? / Du weist, daß mir jede Minute heute kostbar ist. / Schäm dich, und sey doch nicht immer dem Schlafe ergeben Ermuntert ihn.

HANSWURST welcher immer im Gehen geschlaffen hat, und nunmehr erwacht. Ja! gnädiger Herr! / ich komme schon! / aber das hab ich doch nie erlebt, was sie anfangen, bey ihnen soll der Mensch gar keinen Schlaf haben. / Wer wird dieß ertragen können? / es ist doch wahrhaftig nicht erlaubt, was sollen wir denn schon wieder auf der Gasse, da der Tag selbst noch nicht munter ist?

VALERE. Du fragest noch? das ist wohl ein Zeichen? daß du kleinen Antheil an deines Herrn Liebesgeschäften nimmst.

HANSWURST. Liebesgeschäfte? / das ist alles wohl recht, aber ist denn nicht den ganzen Tag hindurch Zeit genug zu lieben? / ich bin auch verliebt, aber an meinem Schlafe laß ich mir nichts benehmen, ja ich schlafe bey Nacht, damit ich am Tage munter carasiren kann.

VALERE. Du weist aber so gut, als ich, daß meine Liebe zu vielen Gefahren ausgesetzt ist, als daß ich beym Tage ihrerwegen etwas unternehmen könnte.

HANSWURST. Und ich glaube, die Nachtamouren sind weit gefährlicher, als die am Tage, denn die Nacht ist des Menschen Feindin.

VALERE. Du nimmst die Sache auf der schlimmen Seite; weist du denn nicht, daß einzig die Morgenstunden mir bisher verhülflich gewesen, meine unschätzbare Henriette zu sprechen, oder ihr doch wenigstens einen Brief behändigen zu lassen, weil sie den ganzen Tag hindurch sich auch nicht eine Minute lang von der Seite ihres eigensinnigen und närrisch-furchtsamen Vaters entfernen darf: weist du nicht, daß sowol ihr als mein Vater unsrer Liebe gänzlichen entgegen ist, und daß Beyde allen unseren Unternehmungen auf das genauiste nachspähen; es ist also die Minute unmöglich zu versäumen, die ich meiner Zärtlichkeit zum Nutze verwenden kann; und dir soll es soviel als mir darum zu thun seyn, weil eben deine Liebste bey Henriette in Diensten stehet.

HANSWURST. Das weiß ich alles wohl, aber der Mensch muß nothwendiger schlafen, als lieben; ich schlafe gerne zu Nacht meine Portion weg, hingegen bin ich bey Tage frisch, wie der Vogel in der Luft. Sie aber gnädiger Herr! seufzen die ganze Nacht hindurch, und eh der Tag anbricht, steigen sie schon zum Bethe heraus, schlafen am ganzen Tage nicht, und sind doch auch nicht gänzlich munter, sondern gehen herum, wie ein Schatten; verzeihen sie, solche Liebhaber sind beym Frauenzimmer nicht allezeit angenehm, denn sie werden die schläfrigen Liebhaber genannt, das Frauenzimmer gönnt einem Liebhaber zu Nacht gerne seinen Schlaf, wenn es nur weiß, daß er bey Tage recht munter und lebendig ist.

VALERE. Aber, zum Teufel! du ungeschickter Sittenlehrer, wie oft soll ich dir es noch sagen, daß die Umstände meiner Liebe mich hier so früh eintreffen heissen.

HANSWURST. Warum? was wollen sie itzt vor dem Hause? mit Fräulein Henriette[116] können sie doch nicht sprechen, wollen sie also das Gebäude betrachten, oder ist ihre verliebte Einbildung gar so groß, daß sie glauben, das Fräulein am Fenster zu sehen? wie jüngst ein gewisser Herr, der einem Budel in zweyten Stock einen Kuß hinaufgeworfen hat, in Meinung, daß er ein Fräulein in einem schwarzen Saloppe zum Fenster herausschauen sehe.

VALERE. Possereyen! / du sollst es gleich hören, warum ich mich so früh hieher begeben. Zieht einen Brief aus der Tasche. Hier ist ein Brief, diesen sollst du alsogleich der Henriette überbringen, und auf eine Antwort warten.

HANSWURST. Das ist leicht gesagt, aber schwehr gethan, ich? ich sollt der Henriette einen Brief übergeben? ich? der ich mich im Hause nicht einmal darf blicken lassen; das wag ich gewiß nicht, ich hab die letzte Ehr noch nicht vergessen, die mir der alte Herr hat anthun lassen, wie ich dem Fräulein hab wollen einen Brief bringen; zum größten Glücke, daß ich ihm aus den Augen kamm, weil ich vor Aengsten in den Keller fiel, sonst hätte er mich gewiß todtschlagen lassen; und der Hausmeister, der ist gar ein Balsam von einem Flegel.

VALERE. Pfuy schäm dich! du, der du solange Soldat gewesen, und dich jederzeit im Felde so wohl gehalten hast, du fürchtest nun einen alten Mann und einen Hausmeister? /

HANSWURST. Im Felde und hier ist es ganz etwas anders, wenn einer im Felde auf mich loßgieng, schlug ich ihn todt, aber das geht hier nicht an; geben sie mir Erlaubniß, daß ich dem alten Herrn und dem Hausmeister den Hals brechen darf, so sollen sie Henrietten in einer Stunde haben, aber daß ich mir aus Respect gegen ihren künftigen Herrn Schwiegerpapa soll Arm und Bein entzwey schlagen lassen, das ist einmal kein Begehren.

VALERE. Den Brief muß Henriette bekommen, es gehe auch wie es wolle.

HANSWURST. Was wird denn auch so Wichtiges darinn enthalten seyn, als der Verliebten Gewöhnliches / mein Engel! / ich schmachte; / meine Schöne! / mein Leben! / meine Gebietherin! / ich küsse sie in Gedanken; / mein Abgott! / schenken sie mir ihr Herz? / ich schwöre ihnen ewige Treue; / ich sterbe; / hohl mich der Teufel! / und dergleichen verliebte Possen. Und es ist doch alles umsonst, denn erstens läßt euer Gnaden Herr Papa diese Heyrath nicht zu; und zweytens wissen sie schon, daß der alte Hasenkopf seine Tochter keinem andern, als dem Dummkopfe gibt, der aus Absicht dieser Verbindung hieher gereißt ist, und sogar beym Alten im Hause wohnet.

VALERE. Was meinen Vater betrift, so wird er endlich auch seine Einwilligung dazu geben, und von Henrietten bin ich versichert, daß sie den erzdummen Heinzenfeld gewiß nicht ehlichen werde; und kurz, ich habe einen Weg, ihrem Vater, meinem Vater, und dem seyn sollenden Bräutigam durch den Sinn zu fahren.

HANSWURST. Den Weg wollt ich doch auch gerne wissen; morgen müssen sie zum Regimente abreisen, und bis sie etwa wieder einmal hieher kommen, wird Henriette nicht allein schon die Frau von Heinzenfeld, sondern vielleicht gar eine Mama von 40 bis 50 Kindern seyn. Lassen sie die ganze Sach beyseite, leben sie ruhig, vergessen sie Henrietten, ich will meiner Lisette auch vergessen; was ligt an einem Frauenzimmer; der Soldatenstand trift überall etwas von dem weiblichen Geschlechte an.

VALERE. Wo mein Regiment ligt, ist nichts von Schönen befindlich.

HANSWURST. Lassen sie es gut seyn, wenn auch noch nichts dort ist, sobald die Weibsbilder wissen, wo ein Regiment ligt, so reisen sie schon selbst zu, denn der Cupido fängt gleich zu recroutiren an.

VALERE. Ich bin nicht so leichtsinnig wie du, mein Herz hat Henrietten die Treu geschworen, mein Herz wird sie auch nicht brechen. Mit einem Worte, ich gehe morgen zum Regimente ab, und ich entführe heute in der Nacht Henrietten, in gegenwärtigem Briefe ist enthalten, auf was Art ich die Sache anschicken will.

HANSWURST nachdenkend. Wahrhaftig! / das läßt sich hören; / das ist der beste Gedanke, da halt ich auch mit; sie entführen das Fräulein, und ich die Lisette, / das ist gerade ein viersitziger Wagen voll Schelmen. / Aber wenn wir –

VALERE. Kein Aber! es ist alles so veranstaltet, daß wir nichts zu besorgen haben, überbringe nur geschwind den Brief.

HANSWURST. Gnädiger Herr, das ist unmöglich; / es wird schon Tag, und ausser[117] der Nacht trau ich mir nicht in das Haus zu kommen.

VALERE. Geh! mache fort! seh, wie du in das Haus kömmst, und ob es gleich deine Schuldigkeit ist, mir zu dienen, so geb ich dir dennoch drey Ducaten, wo du diesen Brief richtig bestellest.

HANSWURST nachrechnend. Drey Ducaten betragen beyläufig 43 Siebenzehner / gesetzt, vom Alten bekomm ich 25 und vom Hausmeister auch 25 Prügel / das sind 50. – 43 Siebenzehner für 50 Prügel, kömmt der Schlag auf einen Siebenzehner, und 7 Pruegel gehen drein. – Es sey! die Bezahlung ist gnug, hab ich doch schon einmal beym Regimente 50 Prügel umsonst aushalten müssen; Zum Valere. wo haben sie den Brief? geben sie ihn her, ich trage ihn hinein.

VALERE gibt dem Hanswurst den Brief. Hier hast du ihn, mache fort, ich erwarte dich hier. Valere bleibt in Gedanken stehen.

HANSWURST. Ich werde bald wieder zurückkommen Will in des Hasenkopfs Haus gehen, und da solches verschlossen ist, macht er eine zornige Mine, und will auf der andern Seite der Bühne abgehen.

VALERE ruft den Hanswurst zurück. Wo gehst du hin Hanswurst?

HANSWURST. Ich will einen Schlosser hohlen, daß er mir das Haus aufsperrt, denn es ist noch verschlossen.

VALERE. Du Thor! was für ein närrischer Einfall. Bleib hier, klopf sachte an, es wird doch Niemand ausser dem Hausmeister herbeykommen, und vielleicht ist es eben dieser, der mittels eines kleinen Geschenkes den Brief dem Fräulein selbst behändigt.

HANSWURST. Das kann seyn; einmal hat er würklich einen Brief von mir angenommen, und ihn richtig übergeben, ob ihm aber immer zu trauen ist, das steht im Zweifel; denn ein Hausmeister ist drey Vierteljahr grob, und ein Vierteljahr höflich.

VALERE. Laß es gut seyn, durch Geld läßt sich vieles zu Stande bringen. / Geh! poche an!

HANSWURST klopft an des Hasenkopfs Haus, zu Valere. Ich höre schon wen kommen.


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 116-118.
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