Vorrede.

Die Larve ist nicht mehr nöthig, mit welcher sich Usong in der ersten Auflage bedeckt hat. Man weiß überall, und ich begehre es nicht zu verhehlen, daß ich einige Gedanken über die vornehmsten Regierungsformen in eben so vielen Geschichten vorzutragen mir vorgenommen gehabt habe. Die Misbräuche der Despotischen Gewalt, und einige Räthe diese fürchterliche Art der Regierung zu mildern, schien sich die Geschichte eines Morgenländischen Fürsten am besten zu schicken, da eben die unumschränkte Macht die einzige ist, die diese Gegenden vom Anfange der Dinge her kennen, so daß sie ein Erbe der ältesten Zeiten, und nicht eine neuerliche auf den Untergang der Freyheit gegründete Gewalt ist. Die Wahl des Fürsten war freylich in meiner Willkühr, ich wählte auch einen König, der würklich grosse Eigenschaften besaß, und dessen wesentliche Geschichte, eben diejenige ist, unter welcher ich meine Gedanken vortrage. Er, und seine Art zu regieren, waren nicht so allgemein bekannt, daß der Wohlstand mich zu sehr hätte einschränken können, wann ich etwas mehr von ihm und von seinen Anstalten schreibe, als die ernsthafte Geschichte mir vorsagt. Ich blieb aber dennoch bey den morgenländischen Sitten, und selbst die Einrichtung des Staates ist entweder nach China geschildert, oder sie ist würklich unter den Enkeln Usongs in Persien wahr gewesen: denn das costume zu verletzen ist eine Freyheit, die man auch dem Racine verdacht hat, wann er sie nahm. Wann man einer Erdichtung die Würde einer Geschichte geben will, so muß man sie allerdings der Geschichte so ähnlich machen, daß der Unterscheid nicht zu anstößig in die Augen fällt.


In dieser jetzigen Auflage ist etwas weniges verändert und vermehrt worden. Ich hatte bittere Kritiken vor mir liegen, die mir Anlaß hätten geben können, mich zu bessern, wenn sie auf die würklich fehlhaften Stellen meines kleinen Werks gefallen wären. Auch den Druckfehlern, die man als Verbrechen mir angeschrieben hat, werde ich schwerlich entgehen. Nur die Engelländer, die über den Mangel an Einbildungskraft geklagt haben, verfehlen gänzlich meines Zweckes, der auf keine Geschöpfe der Einbildung geht. Freunde der Tugend, der Freyheit, und des Glückes der Menschen, werden vielleicht der Absicht zu lieb die Fehler verzeihen, die andre begierig samlen.


Bern den 9. Junii

1777.

Haller.

Quelle:
Albrecht von Haller: Usong. Reutlingen 1783.
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