Vierter Gesang.

Der Homunkel und die Nixe.

[62] Wie es kam, daß ich entsagte

Einem leidlos-schönen Dasein

Und ins wirre krause Leben

Eurer Menschenwelt mich stürzte?

Leidlos-schön wohl war's, dies Dasein,

Aber freudlos ward's allmählich,

Und es lohnte sich nur wenig,

Auf dem öden Fels da sitzend,

In des Mondes goldnem Scheine

Sich die gold'nen Haare kämmend,

Seinen schönsten Sang zu singen.

Nur noch Wenige gelang es

Zu bezaubern, zu verlocken,

Von den wahrhaft Liebenswürd'gen:

War zu stark die Konkurrenz doch,[62]

Die gemacht in neuern Zeiten

Ward uns Nixen von der Halbwelt

Und von den Theaterdamen.

Und der Troß, der ganz gemeine,

All' der »Schiffer in dem Kahne«,

Welche da vorüberfuhren,

War mir, daß ich's nur gestehe,

Zu bornirt, zu schal, zu ledern:

Zu bezaubern die, zu ködern,

Lohnte sich nicht mehr der Mühe.

All' die heisern Bierbaßkehlen,

Die an meinem Fels vorüber

Schiffend Heine's »Lurlei« sangen,

All' die reisenden Philister,

Die aus aller Herren Ländern,

Rothe »Bädecker« in Händen,

Gaffend da vorüberkamen,

Meinen Felsen lorgnettirten,

Ach sie waren mir so lästig,

Wie der Schnackenschwarm des Rheines,

Der da schwärmt am Sommerabend.

Und schon fand ich fast allein mich;

Viele meiner Nixenschwestern

Hatten sich, geplagt von Langweil',

Aufs Französische geworfen,

Waren eine nach der andern

Schließlich nach Paris gegangen,

Um daselbst ihr Glück zu machen.[63]

Als dann endlich gar ein Steinbruch

Ward in meinem Berg eröffnet –

Hätt' ich da noch zögern sollen,

Selber auch Reißaus zu nehmen,

Selbst zu suchen auch das Weite?

Zur Theaterdame war ich

Bald nun selbst geworden, übte

Meine alte Kunst des Singens

Und Bezauberns auf den Brettern,

Und mit besserem Erfolge.

Aber sonst auch trieb das Schicksal

Mich umher und eig'ner Wille

Viel auf krausverworr'nen Pfaden.

Kommend aus dem Rheinstrom, stürzt' ich

In den größern mich des Lebens,

Plätscherte in tausend Wirbeln,

Rang und schlängelte hindurch mich

Zwischen Klippen, durch die Hochfluth

Tausend bunter Abenteuer

Mit der Leichtigkeit der Nixe.

Bunt, ja bunt und wechselreich war

Nun mein Leben! Bald mich glanzvoll

Auf des Daseins Gipfel wiegend,

Bald gesunken, schier verloren –

Bald in reichster Fülle schwelgend,

Bald so nackt im Leben stehend,

Und mit keiner größern Habe,

Als ich mein genannt vor Zeiten[64]

Auf des Rheines Grund als Nixe –

Ohne Leidenschaft, doch jener

Jo gleich umhergetrieben,

Die gehetzt ward von der Bremse,

Hascht' ich gierig nach dem Wechsel:

Heut ein Roß im Cirkus tummelnd,

Morgen wild den Cancan tanzend,

Uebermorgen mit bebrillter

Nase mich als Blaustrumpf gebend,

Oder als emanzipirtes

Mannweib, keck, gespornt, gestiefelt –

Als politische Agentin,

Nihilistin, als Walküre

Auf dem Schlachtfeld wilderregter

Oeffentlicher Tageskämpfe.

Schließlich auch als Dottoressa!

Nixe mit dem Doktorhute!

Ich studirte, promovirte,

Gab am Tag der Graduirung

Einen Festkommers – es fehlte

Nicht dabei an Jubelräuschen ...

Ueberdruß das Alles! Grille!

Von des Lebens Orgie war ich

Matt schier bis zum Ueberdrusse –

Nicht befriedigt, nicht gesättigt!

Lebensmüd, doch lebenssatt nicht!

Manchmal kam mir der Gedanke

Fromm zu werden – fromm und sittig,[65]

Tugendhaft – was man so nennt!« –

»Tugendhaft?« rief Munkel lachend,

Bei den Worten hier der Nixe;

»Tugendhaft mit diesen Schultern,

Dieser königlichen Büste? –

Aber sage (fuhr er fort),

Unverhohlen, schöne Nixe,

Sag', wie hieltst du's mit der Liebe?

Hast du viel geliebt im Leben?« –

»Kann ich lieben?« giebt zurück ihm

Lächelnd Lurlei. »Kann ich lieben,

Ich, die Nixe, ich die Tochter

Feuchter Kühle, kühler Feuchte?

Die Poeten, ach, verneinen's;

Doch ich selber kann's nicht sagen.

Oft versucht' ich es, zu lieben;

Und wenn es bisher nur wenig –

Oder gar nicht – mir gelungen,

Schöpf' ich Trost mir aus der Frage:

Lohnt sich's, einen Mann zu lieben?

Einer, dem ein Weib anhängen

Und an welchem es sich halten

Sollte, müßt' er nicht erst selber

Feststeh'n auf den eig'nen Füßen?

Müßt' er nicht als starke Säule

Der Beständigkeit erscheinen,

Daß vertrauensvoll mit weichen

Epheuranken sich die Liebe[66]

Sicher um ihn winden könnte?

Aber niemals an den Männern,

Die zu lieben ich versuchte,

Hab' ich solchen Halt gefunden.

Giebt es überhaupt nur irgend

Festen Halt im Menschenleben?

Wo ich dachte, Halt zu suchen,

Halt zu machen eine Weile,

Allzubald begann der Boden

Unter meinem Fuß zu schwanken.

Unglück' hatt' ich – Unglück bracht' ich.

Der Banquier, traun, den ich liebte, –

Den zu lieben ich versuchte –

Ward bankrott; der General,

Den ich liebte, ward geschlagen,

Der Minister ward gestürzt,

Und der Freiheitsheld gehangen.

Feuer- ward und Wasserschaden

Zum Verderb dem Oekonomen,

Durchfiel des Poeten Stück,

Ausgepfiffen ward der Mime.

O, ich glaube, daß, wenn einmal

Wirklich ich den Rechten fände,

Alsbald ihm ein Meteorstein

Fiel' aufs Haupt und ihn erschlüge!

Unbestand ist, ach, das alte,

Große Weltgesetz der Dinge.

Liebt denn auch der Mann je selber[67]

Festzuhalten, was sein eigen?

Im Beginne meiner Laufbahn

Da verrieth ein junger Garde-

Kapitän, den ich beinahe

Liebte, mich an seinen Oberst,

Dieser an den Adjutanten

Des Monarchen, eines Königs,

Dieser an den Fürsten selber.

Dieser Fürst, es war ein alter,

Kluger, weiser, schönheitskund'ger,

Kunsterfahrner Mann, Feinschmecker

In ästhet'schen Dingen. Heiter

Denk' ich immer noch der Scene,

Wie ich allzuerst gestanden

Und bestanden vor dem Kunstgreis.

Ward durch sie doch eingeleitet

Meines Daseins Glanzepoche!

Zu sich lud der edle Fürst mich;

Und als ich ihm nun, befangen,

Stand vor Augen, fing er an, mich

Ernst und sinnend zu betrachten,

Wie ein ausgegrab'nes Bildwerk.

Plötzlich mit der Fingerspitze

Auf die volle, feste, runde,

Florumhüllte Brust mir tippend,

Lispelt er die krit'sche Frage

Ernst in's Ohr mir: »Ist Natur ganz

All' der Reiz? Wie vielen Antheil[68]

Hat die Kunst an diesem Zauber?« –

Zürnend und erregt, aus meiner

Ernsten Bildwerksruhe tretend,

Aber schweigend, riß des Busens

Flor entzwei ich, und geblendet

Taumelt' er zurück vor einer

Schönheit, wie der Nixe sie

Gab Natur in Stromesgründen,

Nicht wie sie gefälscht der Schneider.

Und von diesem Augenblick war

Freund und Sklave mir der Kunstgreis.

Ja, es war die Glanzepoche

Meines Daseins, und es lohnte

Sich dabei wohl zu verweilen.

Aber wenig Monde später

Jagten leider diesen edlen,

Weisen, schönheitskund'gen Fürsten

Aus dem Land die Unterthanen.

Mich begnügen mußt' ich später

Mit der Freundschaft eines Schiffsherrn;

Eine Reise um die Welt

Macht' ich an des Freundes Seite.

Und die Reise, sie war lang,

Aber währte doch nicht ewig:

So erging es auch der Freundschaft.

Unbeständig ist der Seemann,

Wie das Meer, auf dem er segelt.

Ich versucht' es nun mit einem[69]

Luftschifffahrer; in der Gondel

Seines Luftballs saß ich furchtlos,

Als der kühnen Fahrt Genossin.

Hoch im Blauen riß der Luftball

Und wir stürzten; ach, der Wack're

Brach den Hals, ich ward gerettet.

In der Liebe so aus einem

Element in's and're kam ich:

Auf die See hinaus vom Lande,

Und von da hinauf ins Luftreich.

Aber höher noch zu steigen

War bestimmt mir. An der Seite

Eines schwärmenden Poeten

Macht' ich den Versuch, auf Flügeln

Der Begeist'rung mich zu schwingen

In die höchsten Regionen.

Doch die höchsten Regionen

Waren nicht mein Element. Nein!

Zur Natur zurückzukehren,

Zur Natur, der unverfälschten,

Unverbildeten, beschloß ich,

Und im schroffen Sinneswechsel

Ein Naturkind mir erlas ich,

Einen unverdorb'nen, armen,

Wackeren Slovakenknaben,

Der als Mäusefallenhändler

Barfuß in der Welt umherlief.

Dieses Kind zum höher'n Menschen[70]

Und zum Liebenden erzieh'n mir

Wollt' ich. Es mißlang. Der Junge,

Hoffnungsvoll auf halbem Weg schon

Der Gesittung, heimwärts floh er

Nach der fernen Slovakei,

Zu der braunen Marianka.

Nun, für den Verrath des Einen,

Schlachtet' ich ein Racheopfer,

Eine Männer-Hekatombe,

Welche sich um meinetwillen

Duellirt, zu Grund gerichtet,

Sich ertränkt, erhängt, erstochen,

Todtgeschossen und vergiftet,

Weil ich für ihr heißes Minnen

Kalt wie das bekannte Schneeweib

Blieb des heil'gen Franz Xaver.

Himmel, was für Kämpfe gab es

Mit den Schwärmern, mit den Thoren,

Welchen ich mein Herz versprochen

Irgendwann in toller Stunde,

Und die dann, wie Jude Shylok

Starr auf ihrem Schein bestehend,

Dies verschrieb'ne Fleischpfund grausam

Aus dem Leib mir schneiden wollten!« –

So und mit viel andern Worten

Und Erzählungen enthüllte

Ihrem aufmerksamen Hörer

Lurlei sich als problemat'sche[71]

Frau'nnatur – als fille de marbre,

Als ein Wesen, das doch immer

Neu als Nixe sich bewährte,

Als die Tochter feuchter Kühle,

Kühler Feuchte, schön, dämonisch,

Eins der echten Musterbilder

Von des Weib's »allmächt'ger Ohnmacht«.

Ihr Beruf war: nachzutrachten

Einem Ideal von Manne;

So versuchend stets, zu lieben,

Liebte nie sie, liebte immer.

Sie gehörte nicht zu Jenen,

Welche sterben, wenn sie lieben –

Nein, sie lebte von der Liebe.

Während Lurlei, harmlos plaudernd,

Preisgab so ihr tiefstes Wesen,

Hatte Munkel erst unmerklich,

Dann in immer stärkerm Grade

Blicken lassen sonderbare

Zeichen einer innern Unruh',

Die nicht im Zusammenhange

Schien mit dem, was Lurlei sagte,

Und die er nicht meistern konnte,

Trotz des hochgespannten Antheils,

Den er nahm an Lurleis Worten.

Stärker ward sein Puls und Herzschlag,

Ein gewisses Zucken spürt' er

Krampfig in den Fingerspitzen,[72]

Vor den Augen ward es gelb ihm,

Flimmernd gelb – ein Schwindel faßt' ihn ...

Lurlei merkt des Hörers Unruh',

Fragt befremdet, was ihm fehle.

»Nichts – o nichts!« versetzt er stockend,

Voll Verwirrung. Noch zu schwanken

Schien er, ob zu schweigen besser,

Ob zu reden – ob zu leugnen,

Ob es offen zu gestehen,

Was ihn überkam so seltsam.

Ei, verdient nicht Lurlei, seine

Schöne Retterin, Vertrauen?

»Sehr befremdlich,« sprach er zögernd,

Sehr befremdlich wird dich dünken,

Edle Schöne, mein Geständniß.

Diese Unruh', dies Erzittern,

Dieser stärk're Puls und Herzschlag,

Dieser Krampf der Fingerspitzen,

Dieses blendend-gelbe Flimmern

Vor den Augen, dieser Schwindel,

Wie ich's eben jetzt empfinde,

Nicht zum erstenmal befällt mich's.

Ein geheimnißvoll Symptom ist's

Meines eigenart'gen Wesens:

Es bedeutet ein merkwürd'ges,

Krankhaft aufgeregtes Ahnen« ...

»Und was ahnst du, edler Munkel?«

Fragt erstaunt, befremdet Lurlei.[73]

»Goldesnäh'!« versetzte Munkel.

Und sein Aug' blickt starr, ekstatisch,

Visionär! »Ja, Goldesnähe!

Goldesnäh' in reicher Fülle

Und von unschätzbarem Werthe!« –

Tiefer noch erstaunte Lurlei

Und auf Munkel starrt auch sie nun

Schweigend, mit weitoff'nen Augen

Einen Augenblick, dann spricht sie:

»Leerer Wahn nicht ist dein Ahnen!

Nein, sie täuscht dich nicht, die tiefe,

Die geheimnißvolle Regung,

Die dich fieberisch durchwittert!

Nah' zu Füßen ruht ein Goldschatz,

Uns an diesem Ort: ein Goldschatz,

Der von unnennbarem Werthe –

Ruht der Hort der Nibelungen!

Unter'm Lurleifelsen ruht er,

Und ich kenn' ihn lange, lange;

Doch zu heben ihn – versagt, ach,

War und ist es mir für immer,

Mir, der Nixe, und nicht minder

Ist's versagt den Menschenkindern!

Unergreifbar ist der Goldschatz,

Unerfüllbar die Bedingung,

Die den Hort zu eigen gäbe

Einem Wesen dieser Erde!« –

»Die Bedingung?« fragte Munkel,[74]

Gierig, vor Erregung zitternd;

»Nenn', o nenne die Bedingung!« –

»Wenig,« sagte Lurlei, »wenig

Wird dir's nützen, zu vernehmen

Die Bedingung. Doch vernimm sie:

»Altem Schicksalsspruch zufolge

Kann den Schatz ein Mensch nur heben:

Doch ein Mensch von solcher Herkunft,

Wie noch keiner ward gesehen,

Noch geseh'n wird werden künftig:

Heben soll den Schatz ein Mensch nur,

Der – gezeugt von keinem Vater!« –

»Der gezeugt von keinem Vater?

Dieses wäre die Bedingung?«

Kreischte Munkel. »Wär' es möglich?«

Und fortfuhr er, hochgemuthet:

»Wisse, Kind, da vor dir steht es,

Leibhaft, jenes Wunderwesen,

Das du nennst – das nie geseh'n ward,

Noch geseh'n wird werden künftig,

Wie du meinst. Ich selber bin es!

Bin gezeugt von keinem Vater!« –

»Du?« versetzte Lurlei zweifelnd,

Dacht' an geistige Verwirrung,

Dacht' an Größenwahn, an Irrsinn ...

Fortfuhr Munkel: »Bei dem Goldschatz,

Der da ruht – nichts And'res, Höh'res

Weiß ich, um dabei zu schwören –[75]

Eine Mutter zwar gebar mich,

Doch es zeugte mich kein Vater!

Nicht gezeugt – erzeugt, traun, ward ich!« –

Und nun gab er, hastig flüsternd,

Der Verwunderten getreue

Kunde von dem Schöpferkunststück,

Das in's Leben ihn gerufen.

Tief erregt vernimmt ihn Lurlei.

»Ist es so,« denkt sie im Stillen,

»Ist der Mann ein Ungezeugter, –

Welch' ein Fund für mich! Den gold'nen

Hort heb' ich mit seiner Hilfe;

Und muß ich ihn mit ihm theilen,

Ha, kein Weib und keine Nixe

Wär' ich, wenn ich die verlor'ne

Hälfte nicht zurückgewänne!« –

»Auserkor'ner, Hochbeglückter!«

Ruft sie, »hast du nicht begründet

Glorreich jenes ruhmgekrönte

Unternehmen zu des gold'nen

Nibelungenhorts Behebung?

Zwar du hast ihn nur behoben

Aus der Aktionäre Taschen –

Spärlich – und verlorst ihn wieder;

Doch nun werden wir ihn heben

Leibhaft, wie ihn birgt die Tiefe

Hier am Lurleifels im Rheine!

Du und ich – ja, ich und du:[76]

Eines mit des Andern Hilfe!« –

»Eines mit des Andern Hilfe!« –

»Und wir theilen dann?«

»Wir theilen!« –

Jetzo führte Lurlei Munkel

Aus der Grotte, wo sie saßen,

Abwärts tief in eine and're,

Durch viel mannigfach verschlung'ne

Enge unterird'sche Pfade.

Eine lange Holzspanfackel,

Angefacht mit Funken, welche

Lurlei schlug aus demantharten,

Demanthellen Rheineskieseln,

Warf ein spärlich Licht in's Nachtgrau'n

Dieser labyrinth'schen Gänge.

Jetzo auf dem tiefsten Grunde

Standen sie der dunklen Höhlung:

Ein natürlich Felsgewölbe

War's, gefügt aus Steingeschieben,

Die karfunkelähnlich gleißten,

Funkelten im Fackellichte.

Ob des Raumes nied'rer Wölbung

Hörte man des Rheines Brausen,

Der darüberhin da oben

Seine dunklen Wellen wälzte.

In des Raumes Mitte senkte

Sich der Grund. In der Vertiefung

Stand, goldglänzend, eine Urne.[77]

Um die Urne her geringelt

Lag ein mächtig großer Drache.

Seltsam war das Thier gestaltet:

Einen kleinen Kopf nur hatt' es,

Aber sechsunddreißig Schwänze.

Altersschwach, halbblind und blöde

Schien's, doch züngelt' es bedrohlich.

»Diesem altersschwach-halbblinden,

Blöden Drachen, sagte Lurlei,

Auszuzieh'n in muth'gem Angriff,

Oder auch mit schlauem Wagniß

Seine sechsunddreißig Schwänze,

Ist der Weg, der führt zum Horte.

Sich'rer ist's mit schlauem Wagniß.«

Sacht dann nahte sie, vertraulich,

Sich dem Unthier: zu erkennen

Schien's die einst vertraute Nixe,

Ließ von ihr den Kopf sich krauen.

Sie begann ein Lied zu trällern:

Glaub', es war die »Wacht am Rheine«,

Oder »Sollen ihn nicht haben«,

Oder sonst ein altes Rheinlied.

Er entschlummert, liegt gefesselt

Wie vom Zauber der Hypnose.

»Geh' an's Werk!« spricht Lurlei mahnend

Zum Genossen; »unzerreißbar

Ist der Bann, der jetzt ihn bindet.«

Und an's Werk ging dieser muthvoll:[78]

Zog dem Drachen aus die Schwänze,

Alle sechsunddreißig Schwänze,

Mühelos – sie saßen locker.

Und dann hob er, frohen Muthes,

Aus dem Grund die gold'ne Urne

Und durchmusterte mit Lurlei

Den gehob'nen, unschätzbaren

Hort, verzückt, vor Wonne bebend.

Von uralten Königskronen

Gleißt es, goldenen Monstranzen,

Kelchen, Bechern, ander'm Zierrath,

Alterthümlichem Geschmeide,

Reich besetzt mit großen, edlen

Steinen, Perlen und Korallen.

»O was giebt's da einzuschmelzen,

O was giebt's da zu verwerthen!«

Flüstert Munkel, mit den Blicken

Die Kleinodien verschlingend.

Und zu tiefst in seinem Innern

Regt unwiderstehlich, krankhaft,

Die Begierde sich, das Alles

Sein zu nennen – ganz sein eigen.

Und im selben Augenblicke

Regt dieselbe Gier im Herzen

Sich der Nixe – ganz zu eigen

Haben möchte sie den Schatz auch.

O geläng' es einzuschläfern

Durch den Zauber der Hypnose[79]

Kraft- und willenlos zu machen

Den Genossen, wie den Drachen! –

Ist sie nicht die Nixe Lurlei?

Kann sie nicht an dieser Stätte,

An dem Lurleifels erproben

Noch einmal den alten Zauber? –

Also kreuzten die Gedanken,

Die geheimsten, sich der Beiden.

Aber nichts verrieth ihr Antlitz.

Lächelnd gegenüber standen

Sie sich, heiter, wonnestrahlend.

Und beladen mit dem Schatze,

Gingen, wie beschwingt, den Irrpfad

Sie zurück zur Ufergrotte.

»Laß uns weilen,« sagte Lurlei,

»Hier am Strom, am schönen Strande,

Bis es tagt! Die Nacht ist lieblich:

Eine sternenklare Nacht ist's,

Eine Nacht, wie ich so viele

Hier durchlebt an trauter Stätte,

Ruhend auf dem Nixensteine,

Singend, mit dem gold'nen Kamme

Kämmend meine gold'nen Locken

In des Mondes gold'nem Scheine! –

Ach, es ist doch schön gewesen!

Ganz besaß ich, unverkümmert,

Damals jene sel'ge Kühle

Noch, die nixenhafte, reine,[80]

Des Gedankens, der Gefühle!

Aber seit in's Menschenleben

Ich mich stürzte, lernt' ich doch auch –

Mehr als ich zuvor gestand dir –

Menschlich fühlen; eine Schwüle

Ueberkommt mich oft, das Blut schießt

Heiß zum Haupt mir, heiß zum Herzen!

So in jenem Augenblicke,

Als ich dich, den Fahrtgenossen,

Springen sah vom hohen Schiffsbord

In des Rheines dunkle Fluten!

Da erfaßte mich ein Mitleid –

Mehr als Mitleid war's – die tiefste

Menschlich-wärmste Sympathie war's,

Die mich riß, unwiderstehlich,

Dir nach in des Stromes Wogen,

Dich zu retten, dich dem Dasein,

Dich der Welt zurückzugeben!«

Also Lurlei, und ein heller,

Warmer Blick voll Minnezaubers

Aus dem schönen Aug' der Nixe

Fiel auf Munkel. Dieser aber,

Tief im Innersten erwog er

Still das Wort, das Thun der Schönen.

Er durchschaute sie. Ihr Wesen

Und ihr Wollen war so klar ihm,

Wie das eig'ne. Und mit klugem

Sinn vereiteln die Entwürfe[81]

Wollt' er, welche spann die Nixe,

Wollte schlau sie selber fangen

In den Schlingen, die sie legte.

Und ein heimlich Stoßgebetlein

That er an der Musen Neunzahl,

Honigsüße schöne Worte,

Redensarten, fein gesponnen,

Ihm zu legen auf die Zunge:

Blüten einer Poesie,

Die in nebelgrauer Ferne

Hinter ihm lag – würz'ge Nelken

Auserles'ner Galant'rie,

Wie er längst nicht mehr sie übte,

Parfümirte Rosen, duft'gen

Tand, gesproch'nes Patchouli,

Fähig, selber einer Stromfei

Scharfe Sinne zu benebeln.

Duftschwül war die Nacht auch selber,

Sternenhell. Es glich der Himmel

Einem Sieb, durch dessen tausend

Löcher quoll der Glanz des Himmels.

Hingelehnt saß Lurlei lächelnd

Auf bequemem, grün bemoostem

Felsensitz am Grotteneingang;

Ihr zu Füßen der Homunkel.

Noch vom Schatze sprachen sie

Und wie sie im Morgengrauen

Heimlich fort ihn wollten schaffen –[82]

Niemand sollt' ihn schau'n, so lang' er

Ungeschmolzen, ungemünzt noch

Läg' in seiner Zauberurne.

»Kräfte fühl' ich,« sagte Munkel,

Hoch ihn hebend, »Kräfte fühl' ich,

Ihn durch eine Welt zu tragen!« –

»Wird er allzuschwer nicht lasten

Auf der Schulter dir?« sprach Lurlei.

»Allzuschwer?« rief Munkel lachend.

»Eher wird zu schwer dem Westwind

Einer Blume süßer Wohlduft,

Den er trägt auf seinen Schwingen,

Als ein Goldschatz Munkel's Schultern!« –

In demselben Augenblicke

Zeigt unfern in einer kleinen

Bucht des Strom's ein Fischerboot sich

Munkel's Blicken, das da ruhte

Wie verloren und vergessen.

Sehr erwünscht war dieser Fund ihm,

Mehr als er gestehen durfte;

Sagte blos: »In jenem Boote

Rudern wir, wohin's beliebt uns,

Mit dem Schatz in grauer Dämm'rung!« –

»Ach,« begann nach kleiner Pause

Munkel wieder, und ein Seufzer

Stahl dabei aus seiner Brust sich,

»Ach, ist dieser Schatz denn Alles?

Nicht mein einziger Gedanke[83]

Ist er, traun, in dieser Stunde,

Dieser schicksalvollen Stunde,

Die mich führt mit dir zusammen! –

Edle Retterin, Genossin,

Schöne Nixe, aus den Wellen

Hast du mich gezogen, aber

Nur um aus der kühlen Feuchte

Mich in heiße Glut zu stürzen,

Die vielleicht noch sich'rer tödtet!

Ruhe werd' ich erst gewinnen,

Glücklich werd' ich mich erst nennen,

Wenn des Schicksalsschwertes Spitze

Nicht mehr hängt an einem Haare

Ueber meinem Haupte, wie es

Hängt in diesem Augenblicke!

Diese Spitze, die mir droht,

Ist ein scharfes, schroffes, kaltes

Wort aus einem schönen Munde –

Und das Haar, an dem sie hängt,

Ach, es ist ein seideweiches,

Sonnstrahl-feines, gold'nes Härlein

Deines Hauptes, schönste Lurlei!« –

Ganz zu Füßen ihr sich werfend,

Laut aufseufzte Munkel: »Süßes

Götterweib, ich liebe dich!« –

Lurlei schwieg; doch hohe Wellen

Warf ihr Busen unter'm Anhauch

Dieses stürm'schen Liebesseufzers,[84]

Und ein Vogel im Gebüsche

Fuhr empor aus seinem Schlummer

Bei dem Laute dieses Seufzers.

»Darf ich's glauben?« lispelt Lurlei,

»Liebst du mich? und ist's die echte,

Wahre, die beschwingte Liebe,

Welche du für mich empfindest?

Nicht die niedrige, gemeine,

Die am Boden kriecht im Schlamme?

Ach, die Lieb' ist, wie der Falter,

Ohne Flügel nur ein Wurm!« –

»Schönste Nixe!« flehte Munkel,

O erbarme dich – erwarme!

Ach an deinen kühlen Busen

Locktest du mein heißes Herz!

Heile mich von meinem Harme!

Werde mein! Mit seid'nen Segeln

Führ' ich dich durch rauhe Wogen

Auf dem hohen Meer des Lebens!« –

»O erhebe dich!« versetzte

Lächelnd Lurlei; »nicht zu meinen

Füßen, wahrlich, ist die Stelle,

Deiner würdig, edler Munkel!« –

»Laß, o laß mich!« ruft er feurig:

Höher bin ich nie gestiegen,

Als da ich dir lag zu Füßen! –

O beglückt, wer je gesehen

Auf dem weißen Nixensteine[85]

Hell dein Haar im Winde wehen –

Und beglückt, wen deiner Töne

Zaubermacht zu dir verlockte –

Und beglückt, wer in der Tiefe

Fand den Tod in deinen Armen!

Einmal, einmal nur dich sehen

Möcht' ich so, auf deinem weißen

Fels im Mondlicht – selbst in leichtem

Kahn an dir vorüberschiffend,

Aufwärts blickend, nach dir schmachtend!« –

Lurlei, diesen Worten lauschend,

Still im Innersten erwägt sie

Klug die Worte des Homunkels.

Sie durchschaut ihn. All' sein Wesen,

All' sein Wollen ist so klar ihr,

Wie das eig'ne ...

»Gerne,« spricht sie,

Lieblich lächelnd, »gern erfülle

Deinen Wunsch ich, edler Munkel!« –

Und sie schickt sich an zu ihres

Felsens Höh' emporzuschreiten.

Unterdessen eilt zum Boote

Munkel, um es los zu machen,

In Bereitschaft es zu setzen.

Hastig dann zurück sich wendend,

Späht sein Auge nach dem Goldschatz

Mit den Blicken eines Greifen,

Drachen oder Arimaspen,[86]

Welcher lauernd Schätze hütet.

Doch der Goldschatz ist verschwunden,

Mit sich auf den Fels genommen

Hat ihn Lurlei. Seht die Nixe!

Munkel nicht allein vermag es,

Gold'ne Last zu tragen, müh'los,

Wie der West den Duft der Blume! –

Tief beschämt steht Munkel, merkend,

Daß ihm ebenbürtig Lurlei,

Ebenbürtig ihm an Schlauheit,

An energisch-festem Wollen ...

Traun, den »Schiffer in dem Kahne«

Muß er spielen nun in Wahrheit,

Muß empor zu Lurlei schmachten

Und zu ihrem gold'nen Horte.

Auf dem Felsen ruht die Nixe,

Ihr zu Füßen ruht die Urne.

Hoch am Himmel glüh'n die Sterne,

Lüfte wehen, Wasser rauschen,

Wie sie thun in solchen Nächten,

Wundervoll hebt an zu schlagen

Eine Nachtigall im Busche,

Wie sie schlägt in solchen Nächten.

Wird nicht auch die Nixe singen?

Nein; sie greift nur in die Urne,

Lächelnd, läßt die Kronen klingen,

Die Monstranzen und die Kelche,

All' die goldenen Geräthe,[87]

Sanft sie aneinander schlagend,

Wie man Cymbeln schlägt, nur leiser,

Etwa wie zu Elfentänzen:

Und es hallt in zaubervollen

Gold'nen Klängen durch die Nacht hin,

Uebertönt das Lied des Sprossers,

Der beschämt verstummt im Busche.

Dicht heran zum Born der Klänge

Rudert in Verzückung Munkel,

Blickt hinauf zu Lurlei schmachtend.

Auf ein Knie sich niederlassend,

Spricht er: »Wie unendlich schöner,

Schöne Nixe, bist du jetzo,

Als vor Zeiten! Wie unendlich

Lockender, verführerischer!

Einen gold'nen Kamm nur hattest

Damals du und gold'ne Strähne –

Und den gold'nen Glanz des Mondes:

Jetzo blinkt ein ganzer reicher

Gold'ner Schatz um dich, du Schöne!

Statt der einst'gen »gold'nen Lieder,«

– Wie man's nannte – »gold'nen Töne«,

Läßt du wesenhaft-gedieg'nes,

Echtes Gold nunmehr erklingen!

Wenn in den verscholl'nen Tagen

Viele schon der Strom verschlungen,

Die, im Kahn vorüberschiffend,

Dich erschauten, nach dir schmachtend,[88]

Selbst den bittern Tod verachtend,

Welches Loos muß dem erst fallen,

Der dich schaut im heut'gen Glanze,

Perle du in gold'ner Muschel!

War's doch nur das leichte Traumglück

Einer seligen Minute,

Was, die Sinne nur bezaubernd,

Du geboten den Verzückten,

Ihr bethörtes Herz zu laben:

Heute ruhst du auf dem Felsen

Gnadenreicher als Madonna,

Als des Glückes Göttin selber

Mit dem Füllhorn aller Gaben!

Sprich mein Urtheil, schönste Nixe!

Soll die Welle mich verschlingen,

Oder ist's vergönnt dem Schiffer

Sich zu dir emporzuringen,

Deine Höh' mit dir zu theilen,

Traut zu ruh'n an deiner Seite,

Wo die gold'nen Töne klingen?«

Und die Nixe winkte lächelnd.

Munkel eilt zu ihren Füßen,

Und verständnißinnig blicken

In die Augen sich die Beiden.

Niemals wird von diesen beiden

Ebenbürt'gen höher'n Wesen

Eins das and're überlisten!

Sollen sie auf ewig scheiden?[89]

Nein, sie reichen sich die Hände,

Schließen einen Bund, vereinigt

Zu genießen und zu wirken,

Zu besiegeln vor der Welt auch

Ihren Bund am Traualtare.

So verstanden sich in jener

Nacht bei linder Lüfte Wehen,

Bei der Wasser holdem Rauschen,

Bei der Sterne lichtem Scheinen,

Bei der Nachtigall Gesängen,

Bei des gold'nen Schatzes Klängen

Auf dem stillen Lurleifelsen

Der Homunkel und die Nixe.
[90]

Quelle:
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg 1889, S. 62-91.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Homunculus
Homunculus; Moderne Epos in Zehn Gesangen...
Homunculus; moderne Epos in zehn Gesängen (German Edition)

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon