(LXXXVII.)
Die Großmütige Gedult.

[314] Es scheinet daß großmütig und gedultig seyn / gantz widerige und zu gleicher Zeit unbefindliche Sachen; massen der Zorn / welcher der Gedult entgegen gesetzt wird / die Großmütigkeit befördert. Wie aber Zagheit und Grimm beysammen seyn können / also findet sich auch in nachgehender Erzehlung / Großmütigkeit und Gedult.

2. Nechst Dünkürchen in Flandern war auf einer gangbaren Strassen ein reicher Wirt / der durch seinen Fleiß aus deß Volckes Trunckenheit / ein köstliches Silberwasser / ich will sagen grosse Reichthum / gesamlet. Seine Tochter steurte[314] er bey seinen Lebzeiten reichlich aus / und hinter liesse seinem einigen Sohn so viel Geldes / daß er kein Wirt seyn / sondern einen höhern Stand durch seinen Degen suchen wolte. Dieses Vorhabens nimmt er Dienst zu Roß / bey Sinnebald / einem Edelmann / der damals für den Königin Hispanien geworben / und seine Güter der Orten liegen hatte. Bey diesem / seinem Rittmeister erweiset er sich in allen Begebenheiten so tapfer / und setzet von seinem Vermögen so viel mit zu / daß ihn Sinnebald zu lieben / und mitsich nach Brüssel zu nehmen Ursach hatte.

3. Dieser Rittmeister hatte eine Schwester Mannwarta benamet / und lebte auch Onegonda seine Mutter noch / die ihre Tochter gerne verheuraten wissen wolte. Angelot und Valorin / Edelleute gleiches Standes / aber ungleicher Sitten / meldeten sich zu selber Zeit umb diese Jungfrau an / und hatte keiner Ursach mit dem andern zu eifern / weil beede gleich abgewiesen worden / weil sie ihre Neigung Erkol einem sehr schönen Jüngling ertheilet hatte. Angelot aber hatte Sinnebald den Bruder / und Valorin Onegondam die Mutter auf seiner Seiten / daß Mannwarta von dreyen unterschiedlichen Orten / ihr Mutter / ihrem Bruder / und ihrer eignen Neigung vergeblich angelanget / ihres Hertzens Verlangen aber allein zu folgen entschlossen.

4. Vallorin wuste wol wie die verliebten gesinnet / und forschte / wo doch die Verachtung seiner so wol / als Angelots herkommen möchte. Entlich erkauft er einen Laqueyen / den er bey Mannwarta aus- und eingehen sahe / dz er ihme der Jungfrauen Briefe an Erkol lessen liese / und auf eine Zeit seinem Herrn einen entwendete / und Valorin verkaufte. Als er nun dieses Geheimniß erlernet / ist er so unbedachtsā / und weisset d'Mannwarta ihre Handbrieflein / welche sich nit wenig darüber erzörnet / und jn daher mehr zu hassen als zu lieben Ursach nahme; ja er weiset den Brief jrer Frau Mutter / die so bald jrem Sohn dem Sinnebald die Sache eröffnet / und Erkol sagen lässet / er sey viel ein zu schlechter Gesell / daß er ihrer Freundschafft solte fähig seyn: unehrliche Händel aber habe er von ihrer Tochter nit zu erwarten: Solte abstehen / oder einer mit Prügeln abschlägigen Antwort erwarten.[315]

5. Erkol war ein Pariß und Thersites / verzagt / vnd von schlechten Herkommen / daß er sich also mit solchen Worten schrecken / und Hasenartig verjagen lassen. Mannwarta aber frischte Angelot an / er solte sie an Valorin rächen. Valorin hingegen sahe / daß ihme Sinnebald zu wider / und hörete ihm übel nachreden; fordert ihn deßwegen mit einem Beystand fůr die Klingen. Sinnewald nimmt Andorin / den Eingangs gemeldten tapfern Wirts Sohn auf seine Seiten / und kommen diese viere auf den bestimmten Platz.

6. Valorin war ein guter Fechter / und begegnet Sinnebald mit solcher Behendigkeit / daß er ihn tödlich verwundet / ja gar erwürget hätte / wann nicht Andorin seinen Beystand zu Boden gebracht / und Sinnebald zu Hülffe kommen / daß Valorin den Degen geben / und sich der Mannwarte verzeihen müssen. Ob nun wol Sinnebald und seines Gegners Beystand sehr verwundet waren / sind sie doch beede wider geheilet / und zu völliger Gesundheit kommen. Andorin aber wurde wegen seiner Tapferkeit / daß er / nechst Gott / Sinnebald bey dem Leben erhalten / von Onegunda unnd Mannwarte gelobet und geehret.

7. Dieses begabe sich zu Winters Zeit. In dem herbey nahenden Vorjahre musste Sinnebald mit Andorin wider zu Felde ziehen. Es fügte sich aber daß dieser Rittmeister von dem Feinde gefangen / und von Andorin widerumb mit Leibs und Lebens Gefahr ledig gemachet wurde. Wer solte nun vermeinen / daß so grosse Dienste mit Undanck solten erkennet werden? Onegunda und Mannwarta erwiesen Andorin alle Gunst / und diese eine sondere Liebsneigung / ob er wohl nicht ihres Stands / und sich allein durch seine Tapferkeit selbst Adlen musste.

8. Angelot sahe einen andern Seitenbuler / der ihme die Schuhe austretten kunte; solchen nun aus dem Sattel zu heben / gibt er aus / Andorin rühme sich aller Orten / er habe Sinnebald bey Leben erhalten / und seine Schwester Mannwarta seye brünstig in ihn verliebt / dardurch dann dieser Rittmeister sich doppelt beleidigt befunden / und bespricht ihn hierüber.[316] Andorin war freyes Gemüts / sagte / daß er das erste ihme keinen Ruhm bringen könne / weil er gethan / was seine Schuldigkeit erfordert: das andre aber müsste er gestehen / daß seine Schwester sich so viel gedemütiget / und ihm mit grosser Höflichkeit begegnet / daß er für unverständig gehalten werden würde / wann er solche nicht ihr mit Aufwartung und möglichster Dienstleistung erwiderte; daß aber solche zu ehlicher Trauung außschlagen solle / müsse er dem Glück befehlen / welches mehrmahls die Unwürdigen dergleichen Hoheiten fähig mache / und die Tapfferkeit nit unbelohnet lasse. etc.

9. Hierüber ergrimmet Sinnebald / und vergisset / daß Andorin ein Soldat / der gute Proben gethan / und wolte die Sache mit ihme ausfechten. Andorin aber entschuldigte sich / mit dem Gehorsam / welchen er ihme / als seinem Rittmeister schuldig bittend sich mit Angelot / als den Stiffter dieses Hasses zu rächen; wie dann auch erfolgt / und ob wol Andorin einen Stoß in den Arm bekommen / so hatte er doch seinen zweymal verwundten Gegner das Leben bitten machen / und ihn zuversprechen gezwungen / daß er Mannwarta müssig gehen wolle: Mit diesem aber ist Sinnebald nit vergnügt / sondern erlässt ihn seiner Dienste / der Meynung / mit ihme zu fechten. Andorin hingegen wil nicht / weil er seiner Liebsten Bruder zu keinem Feinde haben wolte.

10. In dem nun Sinnebald nicht nachlässet / ziehet er in Holland / und erlangt nach einem Jahre den Titel eines Hauptmanns / inzwischen aber unterhält er seine Liebste mit Brieffen / welche billich der Abwesenden Zungen genennet werden. Mannwarta wartet dieses Freyers / und schaffet nit allein Angelot / sondern auch etliche andere Gelegenheiten ab. Es fügte sich aber daß Sinnebald an einer eilenden Schwindsucht dahin stirbt / und von seinen / als ein einiger Sohn mit grossem Leide zu Grab getragen wird.

11. Kurtze Zeit hernach gehet auch die Mutter den Weg alles Fleisches / und Mannwarta hinterbleibet die einige Erbin etlicher Ritterlicher Güter / welche alle Andorin mit grosmütiger Gedult erwartet / und mit dem Nahmen und Wappen Sinnebalds willig angetretten.[317]

12. Also war Erkol eine feige Memme / der keines Glücks werth / Valorin ein stoltzer auffgeblassener Gesell / der durch seine List gefallen. Angelot ein Verleumder / der durch seinen Mund zu schanden worden. Sinnebald ein unbedachtsamer Waghals / der ohne genugsame Ursach sein Leben auf die Spitze setzte. Andorin aber hat durch seine großmütige Tapfferkeit und langmütige Gedult / die Braut heimgeführet / welchem vielmehr als keinem andern nachzuahmen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXIV314-CCCXVIII318.
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