(XXXVIII.)
Der listige Rath.

[140] Es ist fast nichts in dieser Welt / das nicht schändlichst solte mißbrauchet werden / und je besser die Gabe Gottes / je böser und grösser ist der Mißbrauch. Die heilige Schrifft wird mißbraucht durch alle Ketzereyen Essen und Trincken; durch Wollust unn überfluß; die Kleider zu Stoltz und Pracht; deß Menschen Verstand durch List und Trug. Diese letzte Gabe ist unter den allerübertreflichsten / wie aus dem Gegenstand zu ersehen / daß ja kein grösseres Elend / als wann ein Mensch seiner Vernunfft beraubt und unsinnig wird. Unter den[140] Mißbrauch und listigen Gebrauch deß Verstands ist folgende Begebenheit billich auch zu zehlen.

2. Die Genueser haben den Ruhm / daß sie sehr listige Leute sind / daher das Sprichwort sagt / daß zu Genua sey ein Wasser ohne Fische / viel Bäum ohne Früchte / der Lufft ohne Vögel / Weiber ohne Schamhaftigkeit / und Männer ohne Treu und Glauben / die auch Honig aus den Steinen erzwingen können / wie sie in dem Sprichwort reden. Zu einem solchen Fuchsen hatte seine Zuflucht ein reicher Kauffherr / der wegen einer grossen Post angeklagt wurde / wie folgen soll.

3. Ein Kauffmann zu Florentz hatte sich mit andrer Leute Vorlehen für einen reichen Mann halten lassen / herrlich gelebt / und nach seinen Tod wenig hinterlassen / daß der Schulden mehr / als zu bezahlen / nach dem Sprichwort: Es ist nit alles Gold was gleisset. Dieser hatte drey Söhne / die noch viel Bretter aus dem Schifbruch ergriffen / und sich gerettet / daß ihnen die Armut nit über den Kopf zusammen geschlagen.

4. Die Noth hat ein Weib / das heist Verkauff / und erzeugt einen Sohn / der heißt Gib wolfeil. Also machten sie zu Gelt / was sie kunten / und entflohen nach Genua / bevor der Ubelstand ausbrache / und hatten sie bey zehen tausend Kronen zusammen gerafft / und ihres Vatters Glaubigern das Nachsehen gelassen. Ihre Freystadt suchten sie bey Vespasian / einem reichen Handelsmann zu Genua / der mit ihren Vatter viel gehandelt / und wegen seiner Anforderung vergnüget worden / damit er ihnen rahten und helffen solte / welches er auch zu thun versprochen / und nach Möglichkeit gehalten.

5. Erstlich räht er ihnen / sie solten das Gelt welches sie ihm zu getreuen Händen vertraut / nit zertheilen / damit der Fluß / welcher in viel Bäche abgetheilet werde / nicht verseige und außtrockne / daß sie auch zu thun bewilligt / und Vespasian gesagt: er solte keinem / ohn der andren Einwilligung / einigen Heller verabfolgen lassen. Zum andern solten sie unter seinem Namen handlen / damit ihr Gelt wegen der vätterlichen Schuld versichert / so wolte er sie lehren von der Abnutzung dieses Haubtguts wol und ehrlich (nach Gebrauch[141] der Genueser / wolte er sagen nüchtern und mässig) leben / daß sie in kurtzer Zeit reiche Leute werden solten.

6. Also verblieben diese drey Brüder in brüderlicher Einigkeit / und folgten deß Alten Raht. Setzten sich in eine geringe Behausung / hielten das gantze Jahr Fasttäge / und machten Gold mit den Zähnen / ich wil sagen / sie erůberigten viel mit Hunger leiden. Inzwischen lernen sie nach und nach wie der Wucher zu erjagen / wie andre Kauffleute einander überlisten / und führt sie ihr Lehrmeister getreulich an / daß sie nach Beschaffenheit der Sachen wol bestunden.

7. Mincio der Mittlere unter diesen dreyen Brüdern / war zwar in der Handlung den andern gleich / hatte aber etwas mehrers absonderlich aus ihres Hauses Grundfall errettet / und wolte seinen Antheil allein haben / der Hoffnung mehr damit zu gewinnen. In dem er mit diesen Gedancken umgehet / fällt ihm bey / daß er wol alles haben / und seine Nahrung über Meer suchen möchte / hat deßwegen ein ferners Absehen / und wunderliche Anschläge zu selben zu gelangen / massen der Geitz ihm zu Sinne brachte / wie er seinen Bruder listig bestelen möchte.

8. Er sagte einsten zu seinen Brüdern / daß Vespasian sich verdächtig machte / in dem er ihr Gelt nutze / ihnen darvon gebe / was er selbsten wolte / und den besten Gewinn für sich behalte / nach der Ordnung der Liebe / welche von sich selbsten anfahe. Der Handel über Meer sey gefährlich / und ein Spiel in welchem der am meinsten verliehre / so alles gewinnen wil: Es solte sicherer seyn / das Gelt an ein liegendes Haab zu wenden / und dardurch das wandelbare Glück gleichsam anzuanckern /

9. Passerin und Alde seine Brüder liessen ihnen diesen Vorschlag gefallen / und befragten sich / wo etwann ein Landgut zu verkauffen / und finden eines / Namens Cerial zwischen Albenga und Luan / deß Hertzogs von Oria Flecken gelegen / welche um 4000. Ducaten gebotten worden. Mincio bittet seine Brüder / daß sie den Ort besehen solten / und wolte er hernach dingen / und wo möglich / wol einkauffen / Diesen Vorschlag eröffnen sie Vespasian / der solches für wol gethan hält /[142] und saget / daß alle ihre Parschfft verhanden / und dahin wol könte verwendet werden / massen er ihn nicht mehr wünschte / als ihren Nutzen zu schaffen.

10. Dieses nahme Mincio wol in acht / und sagte auf eine Zeit / daß sie ihren Haußzinß zahlen müssten / unn weil die andern 2. nach Cerial abfahren wolten / unn bey Vespasian vorüber giengen / sagten sie zu Vespasian / er solte ihm verabfolgen lassen / was er begehren würde. Auf dieses Wort nimmt Mincio gegen einen Schein die 10000. Kronen / und tritt in ein Schiff / welches nach Sicilien Segelfertig lage / wol wissend / daß seine Brüder in vier oder fünff Tagen nicht wiederkommen würden.

11. Nachdem nun Passerin und Alde zurucke nach Genua kommen / ihren Bruder nit zu Hauß finden / und von Vespasian verstehen / daß er zu Außzahlung der erkaufften Güter / das Gelt alles weggenommen / und ein Papierlein dargegen hinterlassen / sprechen sie Vespasian hart zu / warum er ihm so viel abfolgen lassen / da ihr Befehl nur auf 50. oder 60. Kronen vermeint gewesen / welches aber nicht außgedruckt worden / und beschuldigten ihn / er lege mit Mincio unter der Decke / und habe Theil an ihrem abgetrogenem Gute.

12. Hierüber kommen sie für den Richter / und klagen Vespasian / auf daß er wider ihren Befehl das Gelt alles verabfolgen lassen / und begehren ihre 2/3 weil Mincio für mehr nit als seinen Antheil zu befehlen gehabt / und beruffen sich auf den Schein / welchen Vespasian gegen den 10000. Kronen außgehändiget / in welchem er sich verschreibt / keinen ohn den andern / das zu treuen Händen anvertraute Geld / auszuzahlen.

13. Unter andern fragte Vespasian einen Hochgelehrten / dem Titel nach / aber mehr zahnbrecherischen als Gesetze erfahrnen Doctor zu Raht. Dieser Zenon (also war sein Nam) pflegte die unheilsamen Schäden zu heilen / und gab ihm einen listigen Einschlag / welchen alle andere / die er zuvor hierüber befragt / nit ausgesinnet. Er sagte / daß er gegen 100. Kronen an seine Stell stehen / und die Sache erhalten wolle / durch das Erbiten wann Passerian und Alde ihren Bruder Mincio / vermög der Handschrifft wieder stellen würden / so wolte er ihnen ihr Gelt[143] noch einmal bezahlen / weil er keinen ohn den andern einigen Heller auszuhändigen schuldig.

14. Weil nun die Brüder Mincio nit stellen könten / ist Vespasian von der Klag gelediget worden / und das Urtheil ergangen: Werden Klägere ihren Bruder wieder stellen / und zu Ausantwortung der 10000. Kronen einwilligen machen / Krafft deß Beklagten Handschrifft / so soll selber die strittige Summa ihnen dreyen ins gesamt zu bezahlen schuldig seyn / mit Vergleichung der Schäden.

15. Also gehet es nach dem Sprichwort: Unrecht Gut kommet selten auf den dritten Erben / und haben diese Brüder ihres Vatters Glaubigern entwendet / was ihnen wieder ist entwendet worden. Ob Mincio sich darmit bereichert / meldet der Italianische Scribent nit / vermuthlich aber ist er mit demselbigen Schiff / welches / wie Bericht einkommen / hernach untergangen / auch ersoffen / oder ja um solchen Reichthum kommen / daß er wenig fröliche Stunden darbey gehabt. Die Betrüger sind gern Goldmacher / sie wollen das Kupffer und Bley in Gold verwandlen / und verwandlen das Gold und Silber in Rauch und Aschen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXL140-CXLIV144.
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