(CLXIX.)
Die wunderliche Rettung.

[261] Das Pulver ist dem Mahen-Samen gleich / welches von dem Lateinischen Wort pulvis, pulveris den Namen. Dieses ist der Menschen Donner / welcher Mauren / Thor und Türne fallen machet / und so wol zu den Begräbnissen[261] in Leid / als zu dem Gesundheit trincken / in Freude gebrauchet wird. Venus ist das Kupfer / auß welchem die metallne Stucke meinsten Theils gegossen sind; Der Ritz ist das Zündloch / und Mars ist das Eisen / auß welche die Kugel geschmiedet werden / ist also diese Rähtsel leicht zu verstehen.

2. Nachfolgende Geschichte ist fast unglaublich / hat sich aber doch / nach Außsage vieler warhafften Leute / folgender massen begeben. Einem Haubtmann in der Belägerung Ronan 1562. Namens Civille war den 15. Tag deß Weinmonats von dem Grafen Montegommery / welcher den Oberbefehl darinnen hatte / gebotten / den Wahl bey dem Thor S. Hilare / da der Turn bereit zu Grund geschossen / unnd vermuthlich der Feind auf die niedergelegte Mauren einen Anfall thun würde / zu vertheidigen / wie auch erfolget / daß der Streit 6. Stund gewehret.

3. Nach deme nun der Haubtmann Civille sich wol gehalten und grossen Widerstand gethan / wurde er mit einer Kugel durch den rechten Backen geschossen / die / nechst bey dem Gnicke / wider herauß gegangen / daß er darüber über den Wahl herab gefallen / da er von den Schantzgräbern / für tod eingeschart / und noch ein andrer Leichnam auf ihn geworffen worden / Clauder Forestier genannt / und also daß die Füsse deß einen zu deß andern Haubt zu liegen gekommen.

4. Dieser Civille wurde um 11. Uhr geschossen / und alsobald darauff begraben / und sind diese zween biß um 6. Uhre Abends verscharret gewesen / da sich nun der Feind zurucke gezogen / und die Soldaten sich in ihre Behausungen eingefunden: Da dann bey dem steinern Kreutz die Jungen mit den Pferden gewartet / und deß besagten Haubtmanns Diener nach seinem Herrn gefragt / welchem zur Antwort worden / daß er tod und begraben. Der Diener bittet im den Ort zu weisen / er wollte ihn ehrlich zur Erden bestatten / wie er solches zu thun versprechen müssen. Zu solchem Ende wurde ihm der Haubtmann Cere mit gegeben / den Ort der Begräbniß zu bedeuten.

5. Dieser getreue Diener Nicolas de la Varre genennet /[262] gräbet min beede Leichnam auf / und kan keinen für seinen Herrn erkennen / weil ihm das Geblüt in dem Angesicht erstarret / und die Erden sie gantz ungestalt gemachet / als sie nun vermeinten geirret zu haben / und diese beede wieder einscharren / ist deß Civille eine Hand herauß geblieben / weil die Gruben gar seicht / und der Haubtmann Cere stiesse solche Hand mit dem Fuß / daß sie auch mit der Erden solte bedecket werden / in dem siehet er einen großen dreyeckigen Diamant an dem Finger gläntzen / und erkannte Nicola seinen Herrn daran / grube ihn wieder aus der Erden / und in dem er ihn auf das Pferd hebet / befindet er daß er noch warm / und daß noch ein Odem in seiner Nasen. Hierüber erfreute er sich sehr / und eylet zu den Wundärtzten / zu erfahren / ob ihm noch möchte geholffen werden: Sie verzweiffeln aber alle an seiner Genesung / und weil sie wenig Artzney in der Stadt hatten / wolte keiner / bey so verzweiffelten Schaden Hände anlegen /

6. Von dar brachte Nicola seinen Herrn zu seiner Befreunden einen Coqueremont / da man ihn in ein Bett geleget / da er 5. Tage und so viel Nächte / ohne Rede und Bewegung geblieben. Seine Befreunde liessen die zween berührten Aertzte Guerente und Gras holen / und mit ihnen einen jungen Wundartzt J. Aveaux genamet / zu hören / ob nicht noch Mittel / diesen Begrabenen wieder von Todten auffzuerwecken. Der Meister Aveaux fühlte seine Wunden / und befande / daß solche durch den Halß gienge / daß er ihm einen Faden durchziehen müssen / welches der Krancke alles nicht empfunden. Den Mund machte man ihm mit Gewalt auf / und gosse ihm eine Fleischbrühe hinein. Als nun der Wundartzt Abends zu dem Schaden sahe / fande er / daß sich die Wund gereiniget / und daß die Geschwulst in dem Angesicht nidergesessen. Der Puls fande sich mit einem starcken Fieber.

7. Den sechsten Tag seiner Verwundung hat Civille angefangen die Augen auf zu thun / unnd seine Glieder gerecket /[263] wie einer der von einem tieffen Schlaff erwachet / und weil er eine gute Wart hatte / wurde es von Tag zu Tage besser. Inzwischen wurde die Stadt erobert / und kamen auch Soldaten in sein Hauß / dasselbe zu plündern / welches doch durch einen Leutenambt von den Schotten verhindert worden; doch muste Civille in eine Stuben in dem Hinterhause weichen / und dem Leutenambt Raum geben / und wurde er von jederman verlassen / ausser etlichen bösen Buben die ihn zum Fenster hinaus auf eine Miststätten geworffen / da er in dem Regen mit entblösten Haubt bey drey Tagen liegen müssen / wiewol er sich gantz nicht zerfallen.

8. Coqueremont war aus seinem Hause gewichen / nach deme man aber den Soldaten Friede zu halten durch offentlichen Trommenschlag gebotten / hat geeilet seinen Vettern Civille zu besuchen / und ihn gleich dem Job auf einen Misthauffen sitzen gefunden / welcher seine Schmertzen / sonderlich aber Hunger und Durst geklaget. Von dar wurde er wieder in dem Bette getragen / und mit Speiß und Getranck wol versehen / und das Fieber hatte durch den Durst und Hunger nachgelassen. Weil nun alles in der Stadt unsicher / lässet der Herr von Crosset sein Befreunder ihn in einem Sessel auf das Schiff tragen / und auf sein Schloß Crosset bringen.

9. Unterwegs hatte Civille grosse Schmertzen wegen der Kälte / und sahe den andern Tag mit Freuden das Schloß Crosset an / verhoffend sich alldar wieder zu erquicken; Es war aber eine alte Haußhalterin darinnen / welche den armen Krancken nicht wolte einlassen / weil sie hiervon keinen Befehl / liesse also den erfrohrnen / und verwundeten Haubtmann so lang in dem feuchten Wetter warten / biß einer von deß Herrn von Crosset Diener sie versicherte / daß es seines Herrn Befehl / sie solte Civille einnehmen / und nach möglichen Sachen / wol halten.

10. Dieses aber hat die alte Unholde nit gethan / und seiner / weil er keine Mittel sie zu bezahlen / schlecht oder fast gar nicht gewartet / daß die Wunden wiederum böß worden / und[264] das Fieber wiederkommen / daß er also nach so vielen außgestandenen Unglück / auß Verwarlosung hätte sterben müssen / wann nit der Herr von Crosset darzu gekommen / welcher den Wundartzt mit sich gebracht / und ihme einen Warter / samt aller Notturfft verschaffet / daß also dieser sein Nächster wol das Werck der Barmhertzigkeit an ihm gethan. Nach Verlauff etlicher Monat ist Civille so geheilet worden / daß er wieder in dem Schloß herum gehen können / mit grosser Verwunderung aller / die solche Geschichte gewust.

11. Sein Angesicht war fast abscheulich / weil sein rechtes Ohr / von dem Schuß gegen der Achsel geneiget / sein Mund stetig offen / und hat auch die Lippen / sonder grosser Mühe / nicht können zusammen bringen / und die Zähne aufeinander beissen. Es war ihme auch die rechte Hand zusammen gezogen / daß er die Finger nicht wol bewegen mögen / und konte das Haubt / ohne den gantzen Leib nicht wenden. Nachmals ist er bey andern seinen Vettern noch besser gehalten / und von seinem Diener Nicola / der zu Rovan gefangen gelegen / fleissiger bedienet worden / daß durch weichende Pflaster: und Behungen / die Nerven wieder gestärcket; zugleich auch ihm der Arm an einer Leitern außgedehnet / daß er fast völlig zu recht gekommen und 66. Jahre alt worden.

12. Bey so vielem übel hatte Civille nichts verlohren / als das Gehör und deß kleinen Fingers Bewegung. Dieses alles hat besagter Civille mit eigner Hand beschrieben / unnd darbey gesetzet etliche Verßlein / folgenden Begriffs.


Wer in deß Höchsten Hute sitzt /

Wird von der Engel Wacht beschützt /

Daß er in deß Todes Rachen /

kan der Todeszähne lachen.


Rähtsel.


Der Thier und Menschen Feind / ist von dem W. genennet /

und von der alten Hülff: Sein Zahn wie Feuer brennt /[265]

er nehret sich von Raub / ohn Nutzen weil er lebt /

und wo er geht und steht in steten Furchten schwebt.

Es raht ein jeder zu / der dieses Thier gekennet?


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 261-266.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon