(CV.)

Der erwůrgte Kayser.

[366] Gleich wie derjenige so ein gutes Weitzenbrod isset /nicht fraget wann es gesäet / oder an welchen Tag es eingeerndt worden: Also lieget wenig daran zu welcher Zeit eine oder die andre unter hier gesamlete Geschichten sich zugetragen / und in was Ordnung sie gesetzet / wann solche nur unsrem Vorsatz gemeß erfunden werden. Ob wir nun wol gewillt gewesen grosser Herren Geschichte nicht zu berühren / finden wir doch etliche von so wenigen beschrieben / und in unsere Sprache überbracht / daß wir solche hier auf diesen traurigen Schauplatz zu führen / nicht umgehen können.

2. Die Haubtperson dieses Trauerspiels sol seyn Sultan Osman Türkischer Käyser / seines[366] Alters 18. oder 19. Jahre / als er ein Gerücht erschallen lassen /er wolle ein Raißfart oder Wanderschafft nach Mecha in Arabien / da der Lügen Prophet Mahomet begraben lieget / antretten: und zu solchem Ende samlete er grosse Schätze / lässet alles Silber / Gold / Edelgestein / und was er schatzbares hatte / in 40. Kästen zusammen packen / und darmit (welches fast unglaubig denē der Türken Reichthum unbewust ist) beladen viel Gallerē / benebenst sonst gewöhnlicher Nohtturfft an Lebensmitteln / Pulver und andrer Geretschafft. Daß er aber ein andres Vorhaben im Sinn / wähnten viel aus dem / daß er seines Vatern Sultan Achmets Grab beraubte / und alles was Gelds wehrt heraus nahme / solche wie er das Volk glauben machte / zu deß Mahomets Grab zu stifften.

3. Nach diesem macht er Anstellung / daß in seinem abwesen Constantinopel sicher seyn und verbleiben solte / sendet also 10. Galeren auf das schwartze Meer / den Einfall der Cosaken zu verhüten: wie auch 10. andre Galeren auf das Ertz- oder Mittelmeer / sein Gebiet vor den Christen zu schirmen. Die Raise aber verzögerte er von Monat zu Monat / von Wochen zu Wochen / von Tage zu Tage / daß der gemeine Pöbel darwieder zu murren anfienge / wol wissend / daß die Raise in anderthalb Jahren nicht konte verrichtet werden / und daß der Reichthum deß gantzen Landes /ohne grosse Nachtheil dahin nicht gebracht würde.

4. Weil aber Osman kurtze Zeit zuvor eine Feldschlacht wieder die Polen verlohren hatte / kamen viel auf die Gedanken / er wolte den Sitz deß Türckischen Reichs von Constantinopel hinweg / und in einem andern fernerem Lande versichern. Daß diesem also /wurde durch einen Brief / welchen er an den Bassa zu Cairo in Egypten geschrieben / beglaubt / deß Inhalts / er solte ihm mit den Egyptischen Soldaten zu Wasser und Land entgegen kommen / weil er gesinnet /sich mit seinem und seines Vaters Schatz / von[367] Constantinopel / wegen vieler Ursachen zu erheben / und zu Cairo nieder zu lassen.

5. Solches Vorhaben öffnet er auch seinen drey vertrautsten Dienern Quessiltar Sillictar und Capaga /welche ihme dieses mit guten Gründen wiederrieten /mochten aber seiner Meinung nicht ändern / und /weil sie sahen / daß er den endlichen Schluß gemacht / und sie darüber in Ungnade kommen möchten /haben sie darein gewilliget / und das Haubt / nach ihrem Gebrauch tief geneiget.

6 Sillictar-aga war nun in grossem Ansehen / und entdeckte Sultan Osmans Vorhaben den vornemsten Haubtleuten und Richtern / und welcher gestalt die Galeeren geladen / und folgenden Tages abstossen solten. Darüber ein grosses Geschrey in der Statt entstanden / daß der Kaiser sie verlassen / und ihren Feinden zu Raub machen wolte etc. In einer Stund waren 8000. Soldaten Janissaren und Spahi / das ist Fußknechte und Reuter versamlet / welche den Kaiserlichen Pallast zu eileten / sich Sultan Osmans Person zu versichern. Als er solches verstanden / und von langer Zeit her befürchtet / sendet er einen von seinen Herren hinaus / zu vernehmen / was dieser Aufstand bedeuten solte. Die erbitterten Soldaten zerhauten diesen abgeordneten zu kleinen Stücken / als er kaum 2. oder 3. Wort gesprochen / wie auch noch etliche andre / die zu ihnen reden / und sie zur Ruhe vermahnen wolten.

7. Hierauf kam Sultan Osman an ein vergittert Fenster / die Ursach solches Aufstandes zu erkůndigen. Einer von den Haubtleutē sagte / daß er der Käiser Ursach were / in dem er die Schätze / welche sie von ihren Feinden erworben entführen / und den Kaiserlichen Sitz von Constantinopel hinweg bringen wolte. Daß er wol möge verraisen / solte aber die Barschafft / von welcher sie bezahlet werden solten / zu rucke lassen / und sie wolten wol einen andern Kaiser wehlen etc. Der Kaiser antwortete darauf / daß er von ihnen übel bedient were / daß er sie vielmals untreu erfunden / und feldflüchtig sehen müssen / daß seine Propheten von[368] der Statt Constantinopel Untergang weissagten: weil er aber seye / daß sein Abraisen solche Unruhe verursachet / wolte er bey ihnen verbleiben / und wurffe solches sein Versprechen schrifftlich von sich.

8. Hierauf heischten diese Rotierer drey Haubter der vornemsten Herren / deß Koja / Groß Vizirs / deß Quesillars-ago / und deß Tassarda / oder Geheimschreibers / weil sie ihme diese Raise geraten / oder ja nicht wiederrahten / nach diesem wolten sie ihr Begehren ferners eröffnen. Sultan Osman sagte daß diese unschuldig / und nicht bey ihm in dem Palast / muste aber hören / daß sie solche inständig begehrten / und darzu 24. Stunden Zeit ansetzten / mit bedrauen den Palast / oder Serrail zu übersteigen. Hierauf gehen die Soldaten an ihren Ort / und in dem Sultan Osman sich berahtschlagt und entschliesst ihnen die begehrten Haubter nicht zu geben / vergehet die benannte Zeit /und sie kamen in grösserer Anzahl für den Pallast /übersteigen denselben / eröffnen die Pforten / und lauffen für die Zimmer deß Kaisers und heischen nochmals vorgenannter Herren Haubter.

9. Der Türkische Kaiser sahe daß er sein Leben nicht versichern möchte / als mit dem Tod seiner liebsten Herren / giebt sie deßwegen hinaus / welche alsobald tyrannisch niedergehauet worden. Deß Sultans aber wurde der Zeit verschonet / doch hatten sie beschlossen einen andern zu wehlen / und zwar Sultan Mustapha / deß Osmans Vettern / welcher als ein Mönch in einer Cellen deß Pallasts verschlossen gehalten wurde.

10. Als sie nun diesen hervorbrachten und ihn sehr verzagt und in dem Angesicht entferbt sahen / brachten sie ihn Cherbet (das ist gesottnes Wasser mit Honig und Zucker) er aber vermeinte / man wolte ihm mit Gifft vergeben / und deßwegen nicht trincken /sondern bate man solte ihm das Leben fristen / er wolte sich gerne allen Zuspruchs zu der Kron / begeben: massen ein jeder lieber elend leben / »als in hohen Ehren bald sterben wil«. Nach dem nun dieser Mustapha klares Wasser getruncken / ist er wieder erquicket /[369] und von Janitssaren auf den Achseln getragen worden / mit dem gewöhnlichen Festgeschrey: Glük zu dem Könige Sultan Mustapha / etc. Dieses hörte Osman / und were von Zorn und Furcht / fast von Sinnen kommen.

11. Der neuerwehlte Kaiser lässet alle Gefangene loß / sich dadurch beliebet zu machen / und erwiese sich in diesem neuen Ehrenstand so großmütig / als klein er zuvor gewesen. Die Soldaten sagten / daß Sultan Osman were ein Zaou / das ist ein Verrähter oder Bundbrüchiger / ungetreuer Herr / der das Reich bestehlen / und den Feinden zueignen wollen: deßwegen sie ursach genommen diesen ab- und einen andern Kaiser einzusetzen. Das gemeine Volk glaubte diesen Worten / und liessen ihnen die neue Wahl gefallen /gestalt der gemeine Mann / jederzeit der Neurung begierig ist.

12. Inzwischen war Sultan Osman von allen seinen Rähten und Dienern verlassen / und weil er leichtlich erachten konte / wie es ferner möchte hergehen / verstellet er sich und ziehet einen weissen Küraß an /kommt damit in seines vertrauten Freundes der Janissaren Aga Haus / und beschicket den Ussin-Bassa /welchen er als einen beständigen Diener zum grossen Vezier machet / ob er wol nicht mächtig / ihn in solcher Würde zu handhaben. Diese drey berathschlagen / wie diese Sache ferners anzugehen / und beschliessen / daß diese beede den rottirten Janissaren Geld anbieten solten / nemlich jeden 60. Zekin oder Ducaten / und ihnen ihren Sold zu erhöhen. Es hatten aber diese beede ihren Vertrag kaum gethan / und ihres Kaisers gnädigen Willen eröffnet / als sie der Janissaren Ungnad im Werk erfahren / und von ihnen niedergesaibelt worden.

13. Nach diesem lauffen sie den abgesetzten Türkischen Kaiser zu suchen / nehmen ihn auch ohne ferners befragen gefangen / und bringen ihn für seinen Vettern Mustapha / der ihn nicht ansehen / noch anhören wil / sondern befihlt / man solte ihn hinweg führen / und mit ihm machen / was den Janissaren[370] belieben würde. Auf solchen Verlaub setzen sie ihn auf ein schlechtes Pferd / und bringen ihn mit grosser Beschimpfung / und Beschuldigung / daß er sie bestehlen wollen / in das Gefängnis. Unterwegs musste er sehen das Haubt seines besten Freundes Usan-Bassa auf einer Lantzen ihm vorführen / und achte dieser Herr / welchen zuvor alle mächtige dieser Welt fast gefürchtet / sich viel unglückseliger / als den geringsten Ruderknecht: Er ruffte den Soldaten / welche ihn bekleideten vielmals zu / sie solten ihn erwürgen /und mit dem Fatzolet / welches er selbst üm den Hals gebunden erdrosseln. Es wolte aber keiner / ohne Befehl / Hand anlegen.

14. Bald hernach kame der neue Vezier / welchen Mustapha erwehlet / und zeigte ihm an / daß er alsobald sterben müsse / und ob er zwar das Vorhaben seiner Raise / auf die bereit hingerichte Rähte schieben wolte / hat doch keine Entschuldigung geholffen. Er begehrte ein Gewehr / damit er nicht ungerochen sterben möchte / es wurden aber sechs darzu bestellte Gesellen eingelassen / wieder welche er sich mit Fäusten wehrte / biß er endlich übermannet / von einem seidnen Strang erwürget wurde. So bald solches geschehen / hat ihm der grosse Vezier ein Ohr abgeschnitten / und es in einem Fatzolet für Mustapha gebracht / ihn zu versichern / daß er nuhnmer Tod und sein Reich dardurch bestättiget worden.

15. Drey Wochen vor seinem Tod sahe Sultan Osman in einem Traum / wie er auf seiner Raise nach Mecha auf einem grossen Kameel sitzend / in den Lüfften geschwebet / weil sich das Kameel unter ihme entzogen / und die Zügel allein in der Hand gelassen /etc. Dieses wolte ihm niemand außlegen / als sein Vetter Mustapha / der als ein Drevis oder Türckischer Mönch ihm sagte daß das Kameel sein Reich bedeutete / welches ihm untergeben / und bald aus seinen Händen verlohren gehen würde / und ihm nur der Zaum darvon in Händen verbleiben / in deme bey seinen Lebenszeiten ein andrer zu dem Kaiserthum würde erhoben werden / etc.[371]

16. Die Lehre dieser Geschichte hat zu verstehen geben der weise König Alphonsus / wann er gesagt /daß die Zepter und Kron so schwer / daß wer sie samt der Gefahr und Sorgen Last recht erkenne / sie nicht solte in dem Wege aufheben / und viel lieber wehlen einen geringen / sichern und unbekanten / als einen hohen und beschwerlichen Stand / wie Seneca sagt:


Mich sättigt meine Ruh' / ich bin fast unbekänt

und lasse / wem beliebt / den Burgermeister Stand /

kommt nun der blasse Tod / und muß es seyn geschieden

so fahr' ich still dahin / und bin in mir zu frieden /

Weh dem der jederman bekannt mit Lobgerücht /

und doch in seinem Hertz sich selbsten kennet nicht.

Wol dem / den niemand nicht in seinem Lande kennet /

und der den Tugendruhm sein eigen Erbe nennet

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 366-372.
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