(CVII.)

Die zweifelhaffte Unschuld.

[375] Der kluge Frantzos Siloh sagt / daß der Fürsten und Herren Rahtschläge gleich weren den Flüssen / deren schlanken Lauf wir wol sehen / wissen aber nicht aus welcher verborgnen Quelle sie herwallen / und ist also eine grosse Vermessenheit von so unbekanten Fügnissen / deren Ursachen uns gantz verborgen / aus Unbedacht zu urtheilen. Daher Salomon sagt in seinen Sprüchen am 25. 3. Der Himmel ist hoch und die Erde tieff / aber der Könige Hertz ist unerforschlich. Warum wir dieses folgender Erzehlung vorsetzen /wird zu Ende derselben erhellen.

2. Im Jahr 1617. haben etliche Stätte in Niederland / welche von Arminianern bewohnt / Soldaten geworben / vorhabens wieder die Gomaristen und Calvinisten einen Krieg anzufangen / daher die Herren Stände bewogen worden / durch Printz Mauritzen Christlöblichen Angedenkens / und etlichen aus ihren Mitteln / die Obrigkeit und Kirchendiener zu Zütphen /Utrecht / Oberissel und andern Orten ab- und andre ihrer Religion einzusetzen.

3. Unter allen hat sich allein zu Wehr stellen wollen Arnheim / ist aber von Graf Ernst von Nassau überrascht / und zu niederlegung der Waffen und Abdanckung der Soldaten gezwungen worden. Diese innerliche Unruhe ist dem Barnafeld beygemessen worden / daß er nemlich an N. Landenberg nach Utrecht geschrieben / und die Arminianer gewarnet / sie solten sich vorsehen / denn man ihr Gewissen[375] zwingen wolte etc. Es hatte aber dieser Johann Barnafeld den Titel eines Obersachwalters (Procureur General) welches der höchsten Ambter eines ist in gantz Niederland /bestehend in Handhabung der Landsfreyheiten / in den Versamlungen den Vertrag zu Vertrag zu thun /Rahtschläge zu stellen / und den gemachten Schluß bey den Landtägen zu verabfassen etc.

4. Dieser Barnafeld ist in Engelland als ein Gesandter der Vereinigten Niederland geschicket worden / da er gute Dienste geleistet. Nach seiner Wiederkunfft hat er zu Roterdam seine Rahtstelle aufgegeben / und den Titel deß Obersachwalters der vereinten Niederland fast wieder seinen Willen angenommen /mit dieser Bescheidenheit / daß er erstlich seiner Pflichte wolte erlassen seyn / wann man von Frieden mit dem König in Hispanien reden würde / und dann bedingte er / daß er sich ausser Land nicht wolte verschicken lassen.

5. Graff Mauritz und Graff Wilhelm von Nassau vermochten nichts / ohne seine Verordnung / und hinderte Barnafeld / daß erstgedachter Printz seine Raise in Engelland mit dem Grafen von Leycestre nicht dorffte fortstellen: deßwegen man ihm auch bedraute /und er alle anscheinende Gefahr großmütig ůberwunden. In seinem Vaterland / zu Gertrautenberg / Medemblick und Heusden hat er unterschiedlichmalen die Aufruhren gestillet / die Rottirer besänftiget / die Läger mit aller Notturfft versorget / und an allen Siegen der Niederländischen Heerzügen nicht geringen Antheil gehabt.

6. Nach dem er nun etliche Jahre seinem hohen und mühsamen Ambt mit allen treuen vorgestanden / hat er begehrt man solte ihn seiner Dienste erlassen / weil aber die Sachen noch sehr verwirret waren / ist er von allen Ständen bittlich gezwungen worden / sich dieser Ambtsbürde ferner zu unterziehen. Nach solchem ist er mehrmals in das Läger verschicket worden / wegen der Herren Stände eines und das andre zuberichten. In wärenden Kriegen sind über die Einkunfften deß Landes aufgewendet worden 26.[376] Millionen Gulden oder Floren / welche die Geldmittler für einen verzweiffelten Schuldenlast / und deßwegen die Fortsetzung deß Krieges für unerschwenglich gehalten.

7. Als man nun / wider verhoffen verglichen / das Niederland für frey / und dem König in Hispania keines wegs unterwürffig / erkennet werden solte / wurde Barnefeld zu den HHn. Gesandten aus Frankreich /Engeland / Dennemarck / Pfaltz / Brandenburg / etc. abgeschickt / der Spanischen Herren Gesandten Vortrag mit anzuhören. Weil ihme aber diese Handlung verdächtig / und er sich vieles Unheils besorgte / begehrte er nochmals die Erlassung seiner Dienste / und wolte sich nicht mehr bey den Versamlungen einfinden. Es wurde ihm aber von den HH. Ständen auferlegt / der Handlung ferners beyzuwohnen / wie er auch gethan / und solchen Schluß benebens andern Gesandten unterschreiben müssen.

8. Bey so lang wolgelaisten Diensten wurde er beschuldiget / daß er der Arminianer Sache wider den Printzen schützte / und ob er zwar gewarnet wurde /daß er darüber in Gefahr kommen möchte / hat er geantwortet / er wolle sein Thun auch bey seinen Feinden rechtfertigen / hette ein gutes Gewissen und fürchte sich nicht etc. Als er einsten im Hag / zu der Herren Stände Versamlung fahren wollen / wird er von etlichen Soldaten / aus Befehl besagter Herren Stände gefangen genommen / und zugleich auch selben Tag Romulus Hoderbert / und Hugo Grotius angehalten.

9. Als er nun in Verhafft / hat man die Arminianer aller Orten verfolgt / und vertrieben / und auch alle seine Befreunde von ihren Ambtern hin und wieder verstossen. Es werden aus allen Provintzien oder Landschafften 26. Richter erwehlet / welche über Barnefelds Verbrechen urtheilen / und ihm recht sprechen solten: massen er auch heimlicher Verrähterey beschuldiget werden wolte. Der König in Frankreich befahle seinem Gesandten / er solte in seinem Namen für Barnefeld bitten / im fall er in Lebens Gefahr[377] kommen möchte / welches er auch schrifftlich und mit beweglichen Ursachen gethan hat.

10. Im Jahr 1619. den 13. May wurde Barnefeld fůr Gericht gestellet / seine Anklage unn Verantwortung angehöret / berahtschlaget / und er endlich zum Tode verurtheilt. Die Binne war aufgerichtet / daß er aus dem Saal durch ein Fenster darauf gehen musste /und zwar ungebunden / mit dem Bannrichter seinem Diener / und dem Scharffrichter. Er hatte einen Nachtrock an von Damast / eine Schlaffhauben auf dem Haubt / und ein schwartz Wammes von Atlaß angezogen. Der Hof war mit Soldaten und viel Volcks angefüllet / diesem Trauerspiel zu zuschauen. Als er nun den Tod für Augen gesehen / hat er seine Augen aufgehoben / und gesagt: Ach Gott! wie kan es einem Menschen so übel ergehen? Er fuhle auf seine Knie /betete fast eine Viertelstunde zu GOtt / stunde darnach wieder auf / und sagte dem Volk: Ihr lieben Büger / ich bin Euch und meinem Vaterland / die Zeit meines Lebens / getreu gewesen: Ich sterbe nicht als ein Verräther / sondern deßwegen / weil ich eure Freyheit / besten Vermögens / geschützet habe. Nach solchen Worten hat er seinen Rock selbsten außgezogen / seinem Diener denselben / samt einem Ring / den er von seinem Finger gezogen / geschenket / ein Häublein von Sammet für die Augen gezogen / und nieder gekniet / mit erhabnen Händen sagend: Mein Gott /erbarme dich meiner! Der Henker hat hernach seinen Streich vollendet / und ihm etliche Stücke von den Fingern / mit dem Haubt abgehaut. Viel haben von den blutgefärbten Sand auf welchem er gerichtet worden / mit sich nach Hauß getragen.

11. Etliche haben gesagt / daß Printz Mauritz sich mit Barnefeld entzweyt / weil er ihm in das Angesicht gesagt / er were der Stände Knecht / darüber ihm der Printz einen Backenstreich versetzet / und er sich[378] verthaidiget. Ob dem also / ist unwissend / gestalt wir /wie Eingans ermeldet worden / den Verlauf dieser Geschichte zu sehen / die Ursachen und Quellen derselben nicht ergründen können.


12. Wer durch wolgelaiste Dienst' in und ausser Vaterland /

mit den schweren Sorgen Last sich gesetzt in Ehrenstand /

macht / durch eine böse That / die ihm leicht wird beygemessen /

alle Wolthat und Verdienst in windschnellem Nu vergessen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 375-379.
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