I

[45] Er ist jetzt Regierungsreferendar; ich weiß im Augenblick nicht einmal wo – irgendwo in der Provinz, im Westen, Holstein oder so. Damals, im Herbst Achtundachtzig, hatten wir uns beide gerade exmatrikulieren lassen. Ich wohnte derzeit in der Hollmannstraße, vis-à-vis vom Kammergericht, und grübelte über den ›Eigentumserwerb des Finders‹. Er aber ließ sich eine Arbeit aus dem Kirchenrecht geben! Damit imponierte er mir ganz ungeheuer. Mein Repetitor hatte mir gesagt: Kirchenrecht – ach, wissen Sie: Kirchenrecht sehen Sie sich überhaupt nur an, wenn Sie acht Tage vorher erfahren, daß Hinschius in der Prüfungskommission sitzt.

Wir nannten uns Vettern. Unsere Mütter waren auf jene raffinierte Art und Weise miteinander verwandt, die ernsteren und pietätvolleren Menschen immer neuen Anlaß zu angestrengtem Nachdenken und einen stets frisch bleibenden Stoff zu behaglicher Unterhaltung in Familienkreisen bietet. Auch wir beide hatten einmal in später Nachtstunde diese Frage ›angeschnitten‹, sie aber nicht eigentlich gelöst, sondern durch ein summarisches Verfahren – indem wir Brüderschaft tranken – ›erledigt‹.

Wir waren einander sehr unähnlich: fast in jeder Beziehung. Aber das konnte uns gerade so passen. Wir kamen immer gern zusammen und blieben dann gewöhnlich eine stattliche Reihe von[45] glücklichen Stunden vereint. Nur hatte es seine Schwierigkeiten, daß man sich sah. Er wohnte draußen in Charlottenburg bei seinen Eltern, ich, wie gesagt, am Kammergericht: da mußte man immer einige Anstalten vorher treffen.

So hatte ich ihm denn eines Tages, anfangs September Achtundachtzig – – Gott, das sind jetzt erst fünf Jahre her! Mir ist, als läge ein ganzes Menschenalter dazwischen! – hatt ich ihm also eine Karte geschrieben und ihn gebeten, abends halb acht zu mir zu kommen, bei mir zu essen, und dann wollten wir – losgehn.


Bis zum Nachmittag hatte mir der Eigentumserwerb des Finders zu einigen beschaulichen Stunden in der Bibliothek des Kammergerichts verholfen, dann zog ich mich um und ging aus, um etwas zum Abendessen einzukaufen. Das hab ich nämlich immer mit Vorliebe selber getan. Bei Schischin kaufte ich Kaviar und ging dann quer über den Damm, nach der Behrenstraße zu. Da muß an der andern Seite irgendein Juwelierladen sein, oder so was. Vor dem Schaufenster stand ein Mädchen. Diese Figur..? Ich trat neben sie –:

– Lore?

Sie wandte sich schnell um und – war es.

– Du ...? – rief sie, so erstaunt gedehnt, ungläubig fragend ...

– Ja – ich.

Sehr fest drückten und schüttelten wir uns dann die Hände. Freudig und herzlich sahen[46] wir uns in die Augen. Ja, wahrhaftig! – Wir waren gute, alte Bekannte – die Lore und ich. Die liebe Lore ...

Damals, vor drei, vier Jahren, als ich zuerst in Berlin war, im ersten Semester – ach, wie war das doch so herrlich schön gewesen – damals!


Weißt du noch, mein süßes Herz, wie alles sich

Hold begeben zwischen dir und mir?


Was lebten da für Verse wieder auf! War es nicht, als ob man damals – nur so zur Abwechselung – wie in einer Spieloper – auch Prosa gesprochen hätte?


Die Tage gingen und die Tage kamen:

ich war so still – was fiebert heut mein Sinn?

Was weckt in meiner Brust den Strom der Lieder?

Ja du! Du liebe Lore kehrtest wieder!


Durch das Gedränge, durch den Lärm der Friedrichstraße – oft getrennt durch entgegeneilende, hastige Menschen – so gingen wir jetzt nebeneinander, ohne viel zu sprechen und sahen uns von Zeit zu Zeit so von der Seite an – so prüfend: bist du es auch noch.. wirklich?

Und wenn sich unsere Augen trafen, lächelten sie ...

– Wo wohnst du denn jetzt?

Sie fragte nicht, wohin wir gingen.

Wir bogen in die Markgrafenstraße ein.


Also pünktlich halb acht Uhr erschien der Vetter. Er verspätete sich nie. Lore war bereits die dicke Freundin meiner dicken Wirtin.[47] Darin besaß sie eine unheimliche Routine – das kannt' ich schon. Sie half der guten Frau den Tisch decken und hielt gerade in beiden Händen Schüsseln und Teller, als der Vetter mit kurzem Klopfen a tempo in das Zimmer trat. Sie lachte ihm kordial – oder war es etwas frech? – entgegen. Er blieb stehn und sah sie an. – Er wunderte sich.

Ich mußte gleichfalls lachen, trat auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand:

– Das hättest du wohl nicht vermutet? Weißt du, wer das ist? – Das ist die Lore!

Nämlich, als ein genauer Kenner meiner sämtlichen Werke, welche damals aus einer – aber was für einer! – Gedichtsammlung bestanden, wußte er ganz genau, wer Lore war – auch hatt' ich ihm des öfteren von ihr erzählt. So schüttelte er ihr denn nach dieser Aufklärung sofort freundschaftlichst die Hand und er klärte ihr in wohlgesetzten Worten seine Freude, eine so berühmte Dichterliebe kennen zu lernen. Er zog sich dabei die Glacés aus.

Sie wurde ganz verwirrt. Davon wußte sie nämlich gar nichts. Das heißt, von den Versen wohl, aber nicht, daß inzwischen ein guter, alter Herr in Zürich die Schwäche gehabt hatte, sie zu drucken. In den Stunden, die wir bisher wieder beisammen gewesen waren, hatte ich noch keine Gelegenheit gefunden, sie von diesem bemerkenswerten bibliographischen Ereignis in Kenntnis zu setzen.

Ach, in diesem Momente sah sie unbeschreiblich[48] reizend aus! Ich klärte sie mit ein paar Worten auf – und da hatte sie eine rührende Freude. Sie wurde rot bis an ihre struppigen Locken und hielt in Gedanken immer noch die Fruchtschale mit den Weintrauben in der linken Hand. Mein Vetter stand vor ihr und war ganz verloren in ihren Anblick. Ich mußte lächeln ...

Dann saßen wir beim Abendbrot, Lore in der Mitte des Sofas, wir beide in den großen, altmodischen Mahagonisesseln. Wenn wir uns ein Butterbrot belegt hatten, lehnten wir uns zurück, es war zu unbequem, in den tiefen, weichen Sitzen vorgebeugt am Tisch zu bleiben. –

Es war das eine jener Situationen, die man nie im Leben wieder vergißt, eine jener Stimmungen, die sich einem späterhin, unter ganz veränderten Verhält nissen, in ganz anderen Zuständen, immer wieder – wie unfertige Erinnerungen – plötzlich ins Bewußtsein schieben. –

Das Zimmer, das ich damals bewohnte, war zweifenstrig und sehr tief. Das Meublement stammte aus den fünfziger, sechziger Jahren, war aber im Sinne dieser Zeit sehr elegant und solid. Es war alles dunkles Mahagoni: der Bücherschrank, der ›Silberschrank‹, der altmodische ›Sekretär‹ – selbst die Rahmen des großen sechsteiligen Bettschirmes – alles von demselben dunkelroten Holze. An der einen Langseite des Zimmers, flankiert von dem Sekretär[49] und dem Silberschrank, stand das Sofa, auf dem jetzt die liebe Lore saß, gegenüber vor der verhängten Flügeltür das Bett, umstellt von dem gewaltigen, mit dunkelgrünem, vielgefaltenem Musseline bespannten Bettschirm. Dieser Bettschirm hatte mir gleich bei der ersten Besichtigung des Zimmers mächtig imponiert.

Nun wollte sie durchaus die gedruckten Verse sehn. Sie flüsterte mir ins Ohr: Ist auch das dabei:


O Lore! Kind! – Es rauschen die Pandekten –


– Bitte laut! – rief der Vetter.

Und sie sagte laut, pathetisch, aber ohne uns anzusehn:


O Lore! Kind! – Es rauschen die Pandekten –

Und du in deiner Sofaecke lachst?

O Gott, wenn sie zu Hause das entdeckten!

Kind, sei doch ernst! Du weißt nicht, was du machst!


– Hast ein gutes Gedächtnis! Ja, das ist auch dabei.

– Ja? Ach, du bist doch noch immer ein zu lieber Kerl, du ... Aber zeig mir – so zeig sie mir doch nun endlich mal!

Sie wies auf die Bücher hin. Es lagen nicht wenige umher.

– Ich hab sie nicht hier ... wirklich nicht!

– Unter all den vielen?

Es machte einige Schwierigkeiten, ihr klar zu machen, daß die Bibliotheksverwaltung des Kammergerichts bisher von einer Anschaffung meiner Lieder – Abstand genommen habe. Man wäre in der gerichtlichen Medizin noch[50] nicht so weit, und auf die Phänomenologie pathologischer Zustände sei bis jetzt erst von einigen wenigen Kriminalisten irgendwelcher Wert gelegt. Ich nannte Lombroso ...

– Diese Matrosentaille, Fräulein Lore, steht Ihnen ganz reizend! – sagte mein Vetter plötzlich mit seiner schönen, tiefen Baßstimme. Er war mit Essen fertig, hatte sich eine Zigarette angezündet und hielt nun den Augenblick zur Anknüpfung einer liebenswürdigen Unterhaltung mit dem Mädchen für gekommen. Ich hatte in dem Augenblick den Eindruck, als ob mein Vetter eigentlich vorzüglich in dies alte, gediegene und vornehme Mobiliar hineinpasse ... Mahagoni!

Sie lachte über das Kompliment des Vetters ... mit diesem hellen Ton derber, sprühendster Lebensfreude – sie war vergnügt!

Und er fuhr fort:

– Das gefällt mir von Ihnen, Fräulein Lore, daß sie jetzt, wo alle Damen nach der Mode in turmhohen Stehkragen herumlaufen, daß Sie den Hals frei tragen ...

– Frei ist der Hals – frei –– ist – der – Hals! – sang ich dazwischen.

– Ja, wissen Sie, mein Herr – sagte die Lore zum Vetter – ich bin durchaus der Ansicht der Frau Baronin von Suttner und anderer hochgestellter Damen, daß es die höchste Zeit ist, daß wir anfangen, uns freier zu bewegen und uns überhaupt dem Staate nützlich machen. Meinen Sie nicht auch?[51]

Der Vetter fuhr bei dieser Frage ordentlich zusammen. Er hatte vornübergebeugt dagesessen und aufmerksam die Matrosentaille gemustert.

– Ja, ja – sagte er – gewiß, aber.. sehen Sie da ... da fehlt ein Knopf.

Und er sah sie vorwurfsvoll an, vorwurfsvoll trotz seines liebenswürdigen Lächelns. Das paßte ihm nicht.

Sie lachte sorglos auf. – Dann sagte sie, zu mir gewendet:

– Ich konnte doch nicht wissen, daß ich dir begegnen würde. Das ist meine schlechteste Taille, meine älteste – versicherte sie dem Vetter.

– Aber Graf Arnim sagt immer, jedesmal, wenn ich zu ihm komme: Gnädiges Fräulein, sagt er – die Matrosentaille – nur die Matrosentaille. Anders lad ich Sie gar nicht ein! – Und wenn ich zu Paul Thumann komme ...

Jetzt war sie in ihrem Fahrwasser. Ich kannte das. Und während sie so den unerschöpften Schwall ihrer Rede über den etwas verdutzten Vetter ausgoß und sich einmal wieder gründlich satt renommierte, betrachtete ich sie, in meinen Sessel zurückgelehnt, von der Seite – sah sie mir eigentlich jetzt erst mal wieder ordentlich an. Vorhin, unser Beisammensein zu zweien war dazu – na, wie soll ich sagen? – zu kritiklos gewesen.

Wie alt mußte sie denn eigentlich sein? Damals – damals war sie fünfzehn, sechzehn gewesen – ja, ja – damals. Hm ...[52]

Da war man auch selber noch jung gewesen – ein Keilfuchs der Liebe.

Jetzt? – Lustig war sie ja immer noch, leicht ausgelassen, mit jener hinreißenden Vorliebe für Tätlichkeiten ... Aber – ja, wie alt mußte sie also jetzt sein? Neunzehn, sicher neunzehn, wenn nicht älter. Vielleicht hatte sie doch geschwindelt, die Geschichte mit der Konfirmation, die sie damals frisch erlebt haben wollte, lag weiter zurück. Wenn sie überhaupt wahr war: der Rittmeister, der sie in der Gepäckdroschke aus der Kirche abgeholt hatte, und so ... na!

Und während der ganzen letzten drei, vier Jahre war sie also nicht vom Berliner Straßenpflaster heruntergekommen. Bös! – Hm. Ja, ich hatte auch schon vorhin die Empfindung gehabt – vorhin, wie sie sich so burschikos auf das corpus juris setzte und mit den Beinen baumelte –: früher hatte das doch einen ganz anderen Anstrich gehabt. Oder lag es an mir? Kam es daher, daß ich früher, vor vier Jahren noch keine Ahnung gehabt hatte: was in dem corpus juris alles stand, und jetzt ... Aber nein! Das wußt ich ja immer noch nicht. Das hatte damit sicher nichts zu tun. An mir konnte es nicht liegen.

Sie trug jetzt Stirnlocken, Ponys. Und gerade ihre Stirn, und wie sich die braunen, spröden Haare so unregelmäßig, so kapriziös schief daran ansetzten – das war so drollig hübsch gewesen – früher.[53]

Ach und dann hatte ihr da irgend so'n Pferdejude – als ›Künstlerin‹ verkehrte sie wahrscheinlich mit solchem Gesindel – der es sich nicht viel hatte kosten lassen wollen, ein Paar riesige silberne Steigbügel als Ohrringe verehrt. Pfui, wie gemein das aussah, darauf hatt' ich vorhin gar nicht geachtet. Und sie fühlte sich verpflichtet, die Dinger zu tragen! A!

Diese Ohrringe und diese Ponys – na: Geschmack war ja nie ihre starke Seite gewesen, und bummlich in ihrem Anzuge war sie immer noch.

Lore fuhr indes in ihrer Rede fort. Sie erzählte meinem Vetter gerade, wie liebenswürdig der Graf Perponcher gewesen sei, als er im letzten Winter ihren Kopf modelliert hatte ... aber nur den Kopf ...

Ich versank wieder in Gedanken. Ja, dieser Kopf! – Ein Bild kam mir in die Erinnerung, ein liebes, freundliches Bild – von damals. Das mußte in einem der Restaurationsgärten am Tiergarten gewesen sein – Charlottenhof oder so. Da waren wir hinausgegangen, am Wasser entlang, ganz langsam, nebeneinander.. Eine Stunde vorher hatten wir uns kennen gelernt. Da draußen waren wir fast allein, es war anfangs Mai und noch recht frisch. Aber die Sonne schien, und die Lore setzte ihren Winterhut ab. Da sah ich zum erstenmal, wie die Sonne in ihren braunen Haaren blinkte, und daß sie blaue Augen hatte. Und da bat ich mit gefalteten Händen:[54]

– Bitte, sagen Sie mir nun Ihren Vornamen.

Und sie antwortete:

– Ich heiße Lore. – –

Das war natürlich eine Lüge. Sie hieß gar nicht Lore, sie hieß Berta. Aber der Name Lore gefiel ihr gerade. Im höheren Sinne sprach sie also doch die Wahrheit: hätte sie nicht ihr Wesen gefälscht, wenn sie mir auf meine Frage ihren richtigen Namen genannt hätte?

Für mich aber gehörte von diesem Augenblicke an jener Name zur Illusion. Lore! Wie bei dem Klange wieder alles lebendig wurde! Und doch – zum Teufel! – war ich denn nicht gerade dabei, mir diese ... Illusion kritisch zu zerstören?

Ich sah meinen Vetter an. Wie er vorgebeugt dasaß und sie mit fröhlichen Augen betrachtete, wie er lächelnd auf ihr närrisches Geplapper horchte ... Heiliges Kreuz: er hatte seine Zigarette ausgehen lassen! – Den hat's jetzt – dacht' ich.

Was erzählte sie denn eigentlich?

Gestern hatte sie der Graf – sie konnte den Namen nicht behalten, es war so'n französischer – zu Tisch gebeten und ihr fest versprochen, sie nachher Seiner Majestät vorzustellen. Dem sei sie neulich schon aufgefallen, wie sie bei einer Kavallerieübung auf dem Tempelhofer Felde immer vor ihm hergeritten wäre. Wer ist denn die schneidige Dame? – hätte er gefragt. Aber sie habe dem Grafen leider abschlägig antworten müssen. Denn, wissen Sie – fügte sie mit[55] genialer Aufrichtigkeit hinzu – meine Toilette ist zurzeit wirklich nicht in dem Stande.

– Ach du – wandte sie sich plötzlich an mich – da muß ich dir wirklich eine Geschichte erzählen ... eine Geschichte! Denk dir folgendes. Ich sitze gestern nachmittag ganz harmlos bei Kranzler und trinke meinen Kaffee. Kommt ein großer, schwerfälliger Herr mit dunkelblondem Vollbart herein, und weil sonst kein Platz ist, setzt er sich an meinen Tisch. Na ... wir kommen ins Gespräch und natürlich auch auf die Politik. Da entwickelt der Mensch denn Ansichten.. Ansichten sag ich dir.. nicht zum Blasen! Eine Zeitlang hör' ich mir das ja mit an, schließlich aber wurd' es denn doch zu bunt! Ich stand auf und sagte: Mein Herr, bevor ich weiter mit Ihnen spreche, muß ich Sie doch bitten, sich mir vorzustellen. Da hätt'st du mal seine Verlegenheit sehen sollen. Er wurde ganz rot, stand auf und stammelte: Mein Name ist Richter, Eugen Richter ... Na ja – sag ich – das merkt man. – Zahlte und ging.

Alles dieses brachte sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und in einem drolligen Tone blasierter Nachlässigkeit vor, als wolle sie andeuten, daß sie auf all das durchaus keinen besonderen Wert lege und weit davon entfernt sei, sich etwa darauf irgendwie etwas einzubilden.

Ich wußte von früher, daß sie unheilbar ungnädig wurde, sobald man das geringste ihrer[56] Worte in Zweifel zog. Ich legte also die Stirn in Falten, hörte aufmerksam zu und fragte sie, als sie schließlich einmal inne hielt, nach dem Befinden Anton von Werners.

Die Antwort lautete zufriedenstellend. Besonders mein Vetter schwamm darob in Wonne. Er bewunderte sie einfach.

Die Wirtin klopfte und trat ein. Ob sie abräumen solle? Es war zehn Uhr geworden. Lore leistete ihr sofort bereitwilligst Hilfe.

Als die beiden mit Tellern und Schüsseln verschwunden waren, sprang mein Vetter auf.

– Mensch, das ist ja – er mußte aus vollem Herzen lachen – so etwas ist ja noch gar nicht dagewesen! Sag mal: und sie selber glaubt an all das ... wie?

– Welche Frage! Wenn sie sich morgen zur Hofdame ernannt fände, sie würde sich darüber keinen Augenblick wundern. Ich persönlich halte sie auch zu einem solchen Posten für hervorragend qualifiziert. Ihr Wuchs ist tadellos und ein redliches Streben nach dem Höheren nicht zu verkennen.

Mein Vetter war plötzlich ernst geworden. Nachdenklich steckte er sich eine neue Zigarette an:

– Ja, aber.. diese Unordentlichkeit in ihrer Kleidung? Weißt du, sowas gibt mir doch immer zu denken.

– So? Mir nicht.

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Berlin 1913, S. 45-57.
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