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[340] Und es traf ein; kaum war die Galerie am folgenden Vormittag geöffnet worden, trat auch schon Don Pedro di San Montanjo Ligez festen, erhabenen Schrittes ein, strich an der langen Bilderreihe vorüber nach jenem Zimmer hin, wo die Dame mit dem Federhute aufgestellt war. Es verdroß ihn, daß der Platz vor dem Bilde schon besetzt war, daß er es nicht allein und einsam, Zug für Zug mustern konnte, wie er so gerne getan hätte. Ein junger Mann stand davor, blickte es lange an, trat an ein Fenster, sah hinaus nach dem Flug der Wolken und trat dann wieder zu dem Bilde. Es verdroß den alten Herrn etwas; doch – er mußte sich gedulden.

Er machte sich an andern Bildern zu schaffen, aber erfüllt von dem Gedanken an die Dame drehte er alle Augenblicke den Kopf um, zu sehen, ob der junge Herr noch immer nicht gewichen sei, aber er stand wie eine Mauer, er schien in Betrachtung versunken. Der Spanier hustete, um ihn aus den langen Träumen zu wecken; jener träumte fort, er scharrte etwas weniges mit dem Fuß auf dem Boden, der junge Mann sah sich um, aber sein schönes Auge streifte flüchtig an dem alten Herrn vorüber und haftete dann von neuem auf dem Gemälde.

»San Pedro! San Jago di Capostella!« murmelte der Alte, »welch langweiliger, alberner Dilettante!« Unmutig verließ er das Zimmer und die Galerie, denn er fühlte, heute sei ihm schon[340] aller Genuß benommen durch Verdruß und Ärger. Hätte er doch lieber gewartet! den Tag nachher war die Galerie geschlossen und so mußte er sich achtundvierzig lange Stunden gedulden, bis er wieder zu dem Gemälde gehen konnte, das ihn in so hohem Grade interessierte. Noch ehe die Glocken der Stiftskirche völlig zwölf Uhr geschlagen, stieg er mit anständiger Eile die Treppe hinan, hinein in die Galerie, dem wohlbekannten Zimmer zu und, getroffen! er war der erste, war allein, konnte einsam betrachten.

Er schaute die Dame lange mit unverwandten Blicken an, sein Auge füllte nach und nach eine Träne, er fuhr mit der Hand über die grauen Wimpern; »o Laura!« flüsterte er leise. Da tönte ganz vernehmlich ein Seufzer an seine Ohren, er wandte sich erschrocken um, der junge Mann von vorgestern stand wieder hier und blickte auf das Bild. Verdrüßlich, sich unterbrochen zu sehen, nickte er mit dem Haupt ein flüchtiges Kompliment, der junge Mann dankte etwas freundlicher, aber nicht minder stolz als der Spanier. Auch diesmal wollte der letztere den überflüssigen Nachbar abwarten; aber vergeblich, er sah zu seinem Schrecken, wie jener sogar einen Stuhl nahm, sich einige Schritte vom Gemälde niedersetzte, um es mit gehöriger Muße und Bequemlichkeit zu betrachten.

»Der Geck«, murmelte Don Pedro, »ich glaube gar, er will mein graues Haar verhöhnen.« Er verließ, noch unmutiger als ehegestern, das Gemach.

Im Vorsaal stieß er auf einen der Eigentümer der Galerie; er sagte ihm herzlichen Dank für den Genuß, den ihm die Sammlung bereitete, konnte sich aber nicht enthalten, über den jungen Ruhestörer sich etwas zu beklagen. »Herr B.«, sagte er, »Sie haben vielleicht bemerkt, daß vorzüglich eines Ihrer Bilder mich anzog; es interessiert mich unendlich, es hat eine Bedeutung für mich die – die ich Ihnen nicht ausdrücken kann. Ich kam, sooft Sie es vergönnten, um das Bild zu sehen, freute mich recht, es ungestört zu sehen, weil doch gewöhnlich die Menge nicht lange dort verweilt, und – denken Sie sich, da hat es mir ein junger böser Mensch abgelauscht, und kömmt sooft ich komme und bleibt, mir zum Trotze bleibt er stundenlang vor diesem Bilde, das ihn doch gar nichts angeht!«

Herr B. lächelte; denn recht wohl konnte er sich denken, wer den alten Herrn gestört haben mochte. »Das letztere möchte ich denn doch nicht behaupten«, antwortete er; »das Bild scheint[341] den jungen Mann ebenfalls nahe anzugehen, denn es ist nicht das erstemal, daß er es so lange betrachtet.«

»Wieso? wer ist der Mensch?«

»Es ist ein Herr von Fröben«, fuhr jener fort, »der sich seit fünf, sechs Monaten hier aufhält, und seit er das erstemal jenes Bild gesehen, eben jene Dame mit dem Federhut, das auch Sie besuchen, kömmt er alle Tage regelmäßig zu dieser Stunde, um das Bild zu betrachten. Sie sehen also zum wenigsten, daß er Interesse an dem Bilde nehmen muß, da er es schon so lange besucht.«

»Herr! sechs Monate?« rief der Alte. »Nein, dem habe ich bitter Unrecht getan in meinem Herzen, Gott mag es mir verzeihen; ich glaube gar, ich habe ihn unhöflich behandelt im Unmut. Und ist ein Kavalier, sagen Sie? Nein, man soll von Pedro de Ligez nicht sagen können, daß er einen fremden Mann unhöflich behandelte. Ich bitte, sagen Sie ihm – doch, lassen Sie das, ich werde ihn wieder treffen und mit ihm sprechen.«

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 2, München 1970, S. 340-342.
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