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[421] Sie stillte ihre Tränen, sie faßte sich mit Mühe, um zu sprechen. »Siehe«, sagte sie, »es war als ob ein feindliches Geschick alles nur so geordnet hätte, um mich recht unglücklich zu machen. Als du weg warst, hatte ich keine Freude mehr. Jene Abende mit dir waren mir so unendlich viel gewesen. Siehe, schon von dem ersten Moment an, als du in der lieben Muttersprache deinen Begleiter um Geld batest, von da an schlug mein Herz für dich; und als du mit so unendlichem Edelmut, mit so viel Zartsinn für uns sorgtest, ach, da hätte ich dich oft an mein Herz schließen und dir gestehen mögen, daß ich dich wie ein höheres Geschöpf anbete. Ich weiß nicht, was mir für dich zu tun zu schwer gewesen wäre; und wie groß, wie edel hast du dich gegen mich benommen! Du gingst, ich weinte lange, denn ein[421] schmerzliches Gefühl sagte mir, daß es auf immer geschieden sei; acht Tage, nachdem du abgereist warst, starb meine arme Mutter sehr schnell. Was du mir damals noch gegeben, reichte hin, meine Mutter zu beerdigen und ihr Andenken nicht in Unehre geraten zu lassen. Eine Dame, es war die Gräfin Landskron, die in unserer Nachbarschaft wohnte und von uns Armen hörte, ließ mich zu sich kommen. Sie prüfte mich in allem, sie durchschaute die Papiere meiner Mutter, die ich ihr geben mußte, genau; sie schien zufrieden und nahm mich als Gesellschaftsfräulein an. Wir reisten; ich will dir nicht beschreiben, wie mein Herz blutete, als ich dieses Paris verlassen mußte; es fehlten noch 14 Tage, bis die Zeit um war, die du zu deiner Rückkehr bestimmtest; dann wäre ich am Ersten auf den Platz gegangen, hätte dich noch einmal gesprochen, noch einmal von dir Abschied genommen! Es sollte nicht so sein, und als wir aus der St.-Séverin-Straße über den wohlbekannten Platz der École de Médecine hinfuhren, da wollte mein Herz brechen, und ich sagte zu mir: ›Auf immer!‹ Eduard! ich habe nie wieder von dir gehört, dein Name war mir unbekannt, du mußtest ja die Bettlerin längst vergessen haben; ich lebte von der Gnade fremder Leute, ich hatte manches Bittere zu tragen, ich trug es, es war ja nicht das Schmerzlichste! Als aber die Gräfin in diese Gegend auf ihr Gut zog, als Faldner sich um mich bewarb, als ich merkte, daß sie es gutmütig für eine gute Versorgung halte, vielleicht auch meiner überdrüssig war – nun – ich war ja nur ein einziges Mal glücklich gewesen, konnte nimmer hoffen es wieder zu werden, das übrige war ja so gleichgültig – da wurde ich seine Frau.« –

»Armes Kind! an diesen Faldner, warum denn gerade du mit so weicher Seele, mit so zartem Sinn, mit so viel gültigem Anspruch auf ein, zum mindesten edleres Los, warum gerade du seine Frau? Doch es ist so; Josephe, ich kann, ich darf keinen Tag mehr hier sein; ich habe ihn, bei allem, was er Rohes haben mag, einst Freund genannt, bin jetzt sein Gastfreund, und wenn auch alles nicht wäre, wir dürfen ja nicht zusammen glücklich sein!« Es lag ein unendlicher Schmerz in seinen Worten; er küßte die Augen der schönen Frau, nur um durch den Gram, der in ihnen wohnte, nicht noch weicher zu werden. »O nur noch einen Tag«, flüsterte sie zärtlich; »hab dich ja jetzt eben erst gefunden und du denkst schon zu entfliehen; nur noch einen Morgen wie dieser. Siehe, wenn du weg bist, da verschließt sich wieder die Türe meines Glücks auf immer; ich werde Hartes ertragen müssen,[422] und da muß ich doch ein wenig Erinnerung mir aufsparen, von der ich zehren kann in der endelosen Wüste.«

»Höre, ich will Faldner alles gestehen«, sprach nach einigem Sinnen der junge Mann. »Ich will ihm alles vormalen, daß es ihn selbst rühren muß; er liebt dich doch nicht, du ihn nicht und bist unglücklich; er soll dich mir abtreten. Mein Haus liegt nicht so schön, wie dieses Schloß; meine Güter kannst du vom Belvedere auf dem Dache übersehen, du verließest hier großen Wohlstand, aber wenn du einzögest in mein Haus, wollte ich dir meine Hände als Teppich unterlegen, auf den Händen wollte ich dich tragen, du solltest die Königin sein in meinem Hause, und ich dein erster, treuer Diener!«

Sie blickte schmerzlich zum Himmel auf, sie weinte heftiger. »Ach ja, wenn ich eine Ketzerin wäre und deines Glaubens, dann ginge es wohl, aber wir sind ja gut katholisch getraut worden, und das scheidet nur der Tod! O du großer Gott, wie unglücklich machen oft diese Gesetze! Welch eine Seligkeit mit dir, bei dir zu sein; immer für dich zu sorgen, an deinen Blicken zu hängen, und alle Tage dir durch zärtliche Liebe ein Tausendteil von dem heimzugeben, was du an meiner lieben Mutter und an mir getan.«

»Also dennoch auf immer«, erwiderte er traurig; »also nur noch morgen, und dann für immer scheiden?«

»Für immer«, hauchte sie kaum hörbar, indem sie ihn fester an ihre Lippen schloß.

»Hier also findet man dich, du niederträchtige Metze!« schrie in diesem Augenblick ein dritter, der neben dieser Gruppe stand. Sie sprangen erschreckt auf; zitternd vor Zorn, knirschend vor Wut, stand der Baron, in der einen Hand ein Papier, in der andern die Reitpeitsche haltend, die er eben aufhob, um sie über den schönen Nacken der Unglücklichen herabschwirren zu lassen. Fröben fiel ihm in den Arm, entwand ihm mit Mühe die Peitsche und warf sie weit hinweg. »Ich bitte dich«, sagte er zu dem Wütenden; »nur hier keine Szene; deine Leute sind im Garten, du schändest dich und dein Haus durch einen solchen Auftritt.«

»Was?« schrie jener, »ist mein Haus nicht schon genug geschändet durch diese niederträchtige Person, durch dieses Bettlerpack, das ich in meinem Haus hatte? Meinst du, ich kenne deine Handschrift nicht«, fuhr er fort, indem er ihr das Papier hinstreckte; »das ist ja ein süßes Briefchen an den Herrn Galan hier, an den Romanhelden. Also eine Dirne mußte ich heiraten,[423] die du unterhieltst, und als du ihrer satt warest, sollte der ehrliche Faldner sie zur gnädigen Frau machen; dann kommt man nach sechs Monaten so zufällig zu Besuch, um den Hörnern des Gemahls noch einige Enden anzusetzen. Das sollst du mir bezahlen, Schandbube; aber dieses Bettelweib mag immer wieder mit Teller und Laterne sich am Pont des Arts aufstellen, oder von deinem Sündenlohn leben. Meine Knechte sollen sie mit Hetzpeitschen vom Hof jagen!«

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 2, München 1970, S. 421-424.
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