Erste Szene.

[8] Die Tür tut sich behutsam auf, und ein ganz altes, feines, gebrechliches Frauenzimmer guckt scheu herein. Alles an ihr verschlissen und verblichen. Der große Schäferhut mit langen Bändern auf weißen, zotteligen Haaren. Den kirschroten Seidenschal hat sie kokett über Hüften und Unterarme gelegt, so daß man die eingeschnürte Figur sieht. Das Kleid in Seide mit großen, blauen Blumen reich gefalbelt. Reifrock, Stöckelschuhe. Wie die Prinzessin Trull sieht, daß alles schläft, kommt sie näher.


PRINZESSIN TRULL. Ah ... ah ... guten Morgen, Herr Minister ... Sie verbeugt sich und winkt gnädig nach allen Seiten.[8] Guten Morgen ... guten Morgen ... ich habe in Daunen und Seide geruht ... und Sie ... meine lieben Hofdamen ... sind noch ermüdet? ... oh ... so ermüdet ... ich blase dir Arom aus meinem Flakon ins Gesicht ... Düfte von Blumen ... Aurelie ... Düfte von Blumen ... Sie hat ein kleines Medizinfläschchen mit einer Etikette aus der Tasche gezogen. Du mußt erwachen ... es ist doch mein achtzehnter Jahrestag heute ... meine Fußspuren sind von Golde ... ich bin doch die Prinzessin Trull ... ich bin doch die Tochter des Königs von Araukanien ... Die alte Raschke ist im Bett aufgefahren und starrt auf das Spiel der Prinzessin Trull. Mein Vater ist doch Seine Majestät Orell-Anton I .... mein Vater wird Euch alle Gnade erweisen ... ich bin heute so jung ... ich bin doch so schön wie eine Tulpenblume ... und habe tausend Anbeter ... und tausend schöne Männer haben sich schon um meine Liebe das Herz durchschossen ... ich bin doch die schöne Prinzessin Trull ...

DIE ALTE RASCHKE bricht in Lachen aus und wirft nach ihr. Hundertausend Esel iaaen nach dir ... du weißhaarige Vettel ... hahahaha ... du verwelkte Prinzessin ... mit den dürren Strähnen am Halse ... das kann ja alles einmal gewesen sein ... wenn man's glauben kann, was du erzählst ... gewesen ist gewesen ... mit Gewesenem kannst du keine Krähe füttern ... Dohle verrückte ...[9]

PRINZESSIN TRULL. Warum stößt du mir denn meine Blumen um? ... ich werde es meinem Vater erzählen ... daß du renitent bist ... pfui ... eine Hofdame, die sich aufspielt ... laß mich nur in Ruh ... ich habe zu tun ... ich muß das Bild von Seiner Majestät, dem König von Araukanien wieder blank machen ... ich bin doch die Prinzessin Trull ...


Sie hat sich schweigend auf die Holzkiste gesetzt und beginnt ein schmutziges Bild mit einem

geringen Goldrahmen zu überwischen und es eifrig zu putzen.


Ich bin doch die Prinzessin von Araukanien ...

DIE ALTE RASCHKE. Jajaja ... putz' du hübsch das verraucherte Bild von Seiner Majestät, deinem Vater, wieder ein bissel reine ... daß man wenigstens erkennen kann, daß es ein Menschengesichte ist ... denn in dem bissel Armutgemäuer werden auch die Königsbilder schwarz ...

PRINZESSIN TRULL. Ja mein Gott ... liebe Aurelie ... die Zeit geht ohne Uhren ...

DIE ALTE RASCHKE. Stör' mir das Mädel nicht mit deinem Geplapper ... nein ... großartig dieses Nachtgetümmel ... es geht wieder einmal um in den Lüften draußen ...


Sie klettert aus dem Bett heraus, huscht ans Fenster, wischt an den Scheiben herum und sieht hinaus.


Sind denn die Mannsleute noch nicht da? ... [10] Sie huscht zu Rapunzel. Mädel ... mußt du nicht aufstehen ... Rapunzel ... denn wenn's die Christel etwa doch verschlafen sollte ...

RAPUNZEL im Schlafe. Ach ... die Christel verschläft's nicht, Großmutter ...

PRINZESSIN TRULL immer Blick und feine, magere Hände über das Bild in ihrem Schoß gehalten. Ja mein Gott ... liebe Aurelie ... die Zeit geht ohne Uhren ...

DIE ALTE RASCHKE unwirsch. Weiß der Himmel ... bei uns geht die Zeit ohne Uhren ... das muß wahr sein ... denn wir sitzen im Königreiche vom zerbrochenen Handbecken und den unverschmierten Ofenlöchern ... übrigens scher' dich oben in deine Bodenkammer, Prinzessin ... Einliegerin bist du ... in die Stube gehörst du bei Nacht gar nicht ... Sie ist wieder ins Bett gekrochen. Von draußen hört man durchs verhallende Sturmheulen noch immer wieder die schneidende Totentanzmelodie.

RAPUNZEL im Schlafe. Ich gerate ins Lachen ... ich gerate ins Tanzen ... ich kann mich nicht halten ... ich kann mich nicht halten ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 8-11.
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