Achte Szene.

[70] Die Tür wird von außen leise geöffnet. Rapunzel tritt ein. Sie ist ganz verschämt. Der Fremde blickt sie scharf an und lacht für sich.


DIE LEUTE durcheinander. Nein ... Rapunzel ... nein, Rapunzel ...

RAPUNZEL. Ich komme doch wieder ...

DIE WIRTIN. Warum kommst du denn wieder?

RAPUNZEL. Hier ... habt Ihr das Tüchel ... ich mag's nicht mehr ... es ist eine Lüge ... die Wirtin ist ein Lügenmaul ... alle Menschen sind Lügenmäuler ... ich stehle nie ... ich arbeite ... aber wenn auch nur ein Verdacht an dem Tüchel klebt, mag ich's nicht mehr ...[70]

DER WIRT. Ist es wahr, was der Herr gesagt hat?

RAPUNZEL. Mir ist ganz egal, was die Leute reden ...

DER WIRT. Daß dich der Herr an einem Stricke zieht ...

RAPUNZEL. Der feine Herr hier? ... Sie wird plötzlich sehr verlegen. Wie heißt denn der feine Herr überhaupt?

DER GENDARM. Herr Johannes Habundus ... kommt aus Mountains ... wo die großen Diamanten im Sande blitzen ...

RAPUNZEL. Der sollte mich am Stricke halten? ...

DER WIRT. Nein, nein ... nicht am Stricke ... aber er hält dich an einen feinen Faden angebunden ...

RAPUNZEL lachend. Der könnte mich meinetwegen an einen feinen Faden angebunden halten ... das wäre mir schon recht ... jetzt kann ich mir den Herrn doch wenigstens einmal genau besehen ... ansehen kost' ja nichts ... ja ... und kann dann endlich ruhig nach[71] Hause gehen ... Sie geht zur Türe halb hinaus, zögert aber und dreht noch einmal um. Jetzt weiß ich wenigstens genau, wie der feine Herr aussieht ... aber gestohlen hab' ich niemals in meinem ganzen Leben ... das sag ich euch allen mutig ins Gesichte ... und das Tüchel soll mir kein Mensch mehr um den Hals binden ... und wenn's friert, daß es prasselt ... Sie zögert noch immer und blickt immer wieder den Fremden an. Ja ... der könnte mich meinetwegen an einen feinen Faden angebunden halten ... wenn das nicht einer aus Cappadocien ist, da weiß ich nicht! ... Ab.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 70-72.
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