Zweite Szene

[245] STIMME DER MUTTER barsch. Um diesen Liederjahn werd ich mich nicht um allen Schlafbringen vollends ... wie spät denn ... ich bin ein altes Weib ... brauch meinen Schlaf ... brauche die seligen Augenblicke im Arm meines Gottes ... was ist denn ... kommt Josua ...

GEORGINEL. Nein, Mutter ... bleib doch nur auf dem Sofa liegen ... ich denke, du bist zu Bett gegangen ...

DIE MUTTER tritt aus der Tiefentür heraus. Ich geh auch zu Bett jetzt ... unsinniges Zeug hat mich hin und her gejagt ... auf dem dummen Sofa ... man liegt gar nicht schlafen ... rein nur in Ohnmacht ... die einen erfaßt, wenn man wartet und duldet ... ach Gott ... wer weiß, was für Geister schon gleich am Kindsbette standen ... sich schon am Mutterbette um den Neugeborenen gerissen ... damit sie ihn führen ... anstatt der Mutter ... damit sie ihm den Unglücksweg zeigen ... dem geliebten Kinde ... Geheimnis flechten ... die Mutter steht hilflos ... kann immer nur staunen ... unschuldig bin ich an diesem Verhängnis ... eine Mutter hat gar keine Macht ... ich mag auch nicht ewig nur schelten und seufzen ... Schlaf will ich jetzt ... ich dächte, du gingst jetzt auch zu Bette ...

GEORGINEL. Muttel ... du siehst noch immer wie die geisternde Schwermut aus ... du mußt jetzt allen Kummer vergessen ...

DIE MUTTER. Vergiß nur den Kummer ...

GEORGINEL. Muttel ... ich mag keine törichte Jungfrau sein ...

DIE MUTTER. Das verstehe ich nicht ... Sie geht ans Fenster und schiebt die Vorhänge weg. es ist doch längst Mitternacht durch ... es ist doch ganz nutzlos ... auch wenn du noch wartest ...[246]

GEORGINEL in sich gebunden. Mutter ... das war ein Tag ... und ist eine Nacht ... die macht Kinder zu Greisen ... die möchte auch meine braunen Haare schneeweiß färben ... nicht ... siehe ... Mutter ... habe ich Runzeln im Angesicht ... sind meine braunen Haare schneeweiß geworden ... nein ... wie er auch kommen mag ... aus Hölle und Abgrund ...

DIE MUTTER. Du bist wie verzückt ...

GEORGINEL. Mutter ... ich fühle jetzt gar keinen Kummer mehr ...

DIE MUTTER starrt Georginel an. Du ... schön, wer's so kann ... gutes Ding ... herrlich, wenn die Jugend das Erdenleben mit allen Blößen und Schmerzen noch immer meistert ... herrlich, wie deine jungen Blicke sich neu aufschließen ...

GEORGINEL einen Moment plötzlich weinend. Muttel ... gelt nein ... die Qual hat mir meine Haare nicht bleich gemacht ... hat mir keine Runzeln in mein Gesicht gegraben ... ich sehe noch immer schön und jung aus ... nicht, Mutter ... daß ich ihn verlocke ... der Tag und die Nacht hat mich heimlich ganz in die Glorie Klarheit hinein gehoben ...

DIE MUTTER streichelt sie. Schön, wer das sagen kann ... liebes Kind ...

GEORGINEL inbrünstig. Kleines Muttel ... glaub es ... ich kann es ... wie er auch kommen mag ... aus Hölle und Abgrund ... nicht Musik ist in der sehnenden Brust ... kein Meer von Tönen, wie Josua sagt ... ein Meer von Gefühl will seine Lüste und Leiden einhüllen ...

DIE MUTTER sie anstaunend. Du verscheuchst meine Wut ... nach diesem heillosen, leeren, zerrütteten Tag ... nach diesem Festtag voll Hohn ... ach ... nach dieser Schmach[247] seines Feiertages wieder Tag und Nacht zu versumpfen ... Sie zwingt sich zur Ruhe. na ... hüll seine Lüste und Leiden ein ... jetzt gehe ich schlafen ... hülle mich auch ein ... durch deine Herzleuchte seltsam erhellt ... aber morgen werd ich ihm die Mutterliebe aufkündigen ... das verlaß dich ... weißt du, was ich eben träumte ...

GEORGINEL. Ach träumen ... dabei spricht die dumpfe Welt zuviel mit ... wach und klar bin ich jetzt ...

DIE MUTTER. Gar nicht sprach die wirre Welt mit ... der Traum wollte meine zornige Art auch nur dämpfen ... denk dir ... da kommt wie ein dunkler Schattenriß gegen weißes Lichtergefunkel vor einem Bahnhof ... ein klappriger Schimmel ... eine zerschläterte Droschke ... der Kutscher hatte schon viel Gesindel gefahren ... und steigt auch ein Kerl aus ... nicht nur ein Liederjahn oder Nachtbruder etwa ... oder Säufer und Hurer ... einer, dem die Haare zu Berge stehn ... von Furien geprescht ... springt aus der Droschke ... kriecht wieder 'nein ... will das Mordpaket von dem Rücksitze greifen ... stößt es zurück ... nimmt es neu in die Arme ... stürzt unbezahlt fort ... du ... ich stehe ... und zittere ... und sehe plötzlich ... auf dem Bocke der Alte ist Gott ... der Heiland ... der Herr Jesus Christus ... der lächelt ... hat dem Mörder richtig zur Flucht verholfen mit seiner Mähre ... jetzt gehe ich aber ... sonst kommt mir der Sohn doch noch über den Hals ... in seinem erbärmlichen Zustand ... und ich will jetzt schlafen ... ich mag diese Nacht nicht mehr wütend werden ...


Georginel lacht in sich.


DIE MUTTER kehrt sich noch einmal zurück. Fast eine andre bist du in diesen Stunden geworden ... gehe nur auch jetzt ... und leg dich ... und Gott sei allen Sündern gnädig ... Sie lacht. guten Morgen kann man bald sagen ... laß es noch Nacht sein ... daß wir ruhen ... gute Nacht, liebes Kind ...

GEORGINEL. Gute Nacht, gutes Muttel ...[248]

DIE MUTTER. Plagen machen ein demütig Herz ... ob man will, oder nicht ... Geduld muß man üben ...

GEORGINEL ihr nachblickend. Gute Nacht, gutes Muttel ... Mutter in die Tiefe ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 245-249.
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