Neunte Szene

[687] KNIPPELDOLLINGER tritt herein. Guten Morgen, Gevatter! Ah! Das ist wohl ein Buch? Ja?

CASPAR BERNAUER. Und das ist wohl ein funkelnagelneues Wams?

KNIPPELDOLLINGER. Nun, wenn alte Leute nichts mehr machen ließen, würde mancher Schneider hungern! Sieht ins Buch. Herrje, wie kraus und bunt! Und das versteht Ihr, wie der Bischof?

THEOBALD tritt mit der Flasche ein und macht sich wieder zu tun.[687]

CASPAR BERNAUER. Ihr müßt immer fragen!

KNIPPELDOLLINGER. Wie alt das wohl ist?

CASPAR BERNAUER. Seit der Kreuzigung unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi sind jetzt verflossen eintausendvierhundertsechsundzwanzig Jahre, aber der Autor dieses Buches, das ist zu sagen der Urheber, nämlich der Mann, der es gemacht hat, war schon über vier hundert Jahre tot, bevor der Herr auf Erden im Fleisch unter uns erschien.

KNIPPELDOLLINGER. Macht an die zweitausend Jahre! Sollte mans glauben, daß es Leute gibt, die solche Bücher so lange aufheben? Es ist doch kein Gold! Denkt nur an all die Feuersbrünste und Überschwemmungen, an Pestilenz und Seuchen! Sieh, sieh!

CASPAR BERNAUER. Es gab immer gelehrte Männer!

KNIPPELDOLLINGER. Freilich, freilich! Was gabs nicht! Wenn man das so erwägt, Gevatter, und gehörig bedenkt – Ja, ja! Nicht wahr? Sagt selbst!

CASPAR BERNAUER. Ich weiß nicht, was Ihr meint!

KNIPPELDOLLINGER. Ho, ho! Besser, als ich! Damit kommt Ihr mir nicht durch. Nun, wie Ihr wollt! Wo bleibt denn mein Patchen? Die Muhme wird schon warten!

CASPAR BERNAUER. Ja, die hatte Grillen! Zu Theobald. Spring einmal zu ihr hinauf! Bring gleich das Besteck mit! Wir werdens brauchen.

THEOBALD ab.

KNIPPELDOLLINGER. Ihr geht nicht auch? Wir könnten zusammenrücken!

CASPAR BERNAUER. Mich kümmern bei einem Turnier nur die Beulen und Wunden, und die krieg ich hier schon zu sehen, denn man trägt mir die Krüppel her!

KNIPPELDOLLINGER. Aber der Herzog, der Herzog von Baiern –

CASPAR BERNAUER. Mich lüstet nicht nach seiner Bekanntschaft, und ich will ihm wünschen, daß er auch die meinige nicht suchen muß, denn dazu führt nur ein Rippenbruch! Heut abend ist das was anders.

KNIPPELDOLLINGER. Denkt Euch, hinter der alten Klostermauer, wo mein Vetter wohnt, hat man letzte Nacht einen Toten gefunden![688]

CASPAR BERNAUER. Da ist viel zu wundern! Kommen jemals Reichsknechte nach Augsburg, ohne daß es etwas gibt?

KNIPPELDOLLINGER. Wohl! Aber dieser ist so entstellt, daß man ihn gar nicht mehr erkennen kann!

CASPAR BERNAUER. So soll man drei Tropfen seines Blutes nehmen und sie um Mitternacht, mit einem gewissen Liquor vermischt, auf eine glühende Eibenkohle träufeln. Dann wird der Verstorbene im Dampf erscheinen, wie er leibte und lebte, aber in durchsichtiger Gestalt, gleich einer Wasserblase, mit einem dunkelroten Punkt in der Mitte, der das Herz vorstellt.

KNIPPELDOLLINGER. Ei! Ei! Habt Ihr den Liquor?

CASPAR BERNAUER. Wenn Ihr ihn hättet, so ließet Ihrs durch den Ratsweibel ausrufen!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 687-689.
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