Dritte Szene

[734] PREISING der sich zugleich mit Stachus erhebt. Ja, es ist aus! Das Glöcklein verstummt, das Kind tat seinen letzten Atemzug, und Ernst hat keinen Erben mehr, da er seinen Sohn verstieß. Dies ist eine schwere Stunde fürs Land! Gott schaue gnädig auf uns herab! Er ergreift das Dokument wieder. Nun wird er wohl gleich hier sein! Die ganze Nacht war er drüben! Er nimmt es aus dem Umschlag und entfaltets. Was ist das? Er liest. »Rechtlicher Beweis, geschöpft aus den Ordnungen des Reichs und anderen lauteren Quellen, daß die Agnes Bernauer oder Pernauer aus Augsburg wegen verbrecherischer Verleitung des jungen Herzogs Albrecht zu unrechtmäßiger Ehe, ja sogar, falls sich nichts Weiteres erhärten ließe, wegen bloßer Eingehung einer solchen im äußersten Falle gar wohl, zur Abwendung schweren Unheils, auf welche Weise es immer sei, vom Leben zum Tode gebracht werden dürfe!« Er setzt ab. O, nun begreif ich alles! Dieser Tote wird wieder töten, dieser Knabe, der nicht einmal seine Nürnberger Klapperbüchse mehr schütteln kann, wird das Mädchen nachholen! Schrecklich! Er sieht wieder hinein. Des jungen Herzogs! Er ist fünf Jahre älter, als sie, und hat vielleicht schon seine erste Schlacht gewonnen, bevor sie noch ihre letzte Puppe in den Winkel warf! Ärmste, welch ein Schicksal ereilt dich! Er blättert um. Wer hat sich denn unterschrieben? Adlzreiter! Kraitmayr! Emeran Nusperger zu Kalmperg! Große Juristen, würdig, zu Justinians Füßen zu sitzen und die Welt zu richten, wer wagte ihnen zu widersprechen! Sie ist verloren! Er sieht wieder hinein. Und gleich nach dem Regensburger Turnier abgefaßt! Ja, da trafen sie alle drei hier in München zusammen, ich hielts für Zufall, nun seh ich wohl, daß sie gerufen waren! Das sind schon dritthalb Jahre! Wie wenig mag sies noch erwarten! Er blättert noch einmal um. Unten das förmliche Todesurteil, dem nur noch der Name des Herzogs fehlt! Der wird nun wohl bald hinzukommen! Mich graust! Manch ähnliches Blatt hielt ich schon in der Hand, aber da ging dem strengen Spruch jedesmal eine Reihe schnöder Gewalttaten voran, man las viel von Raub, Mord, Brand und Friedensbruch, ehe man an die Strafe kam. Hier[734] könnte höchstens stehen: sie trug keinen Schleier und schnitt sich die Haare nicht ab! Ich weiß jetzt ja recht gut, wie's zugegangen ist! Und dennoch – Er liest wieder. Durchs Beil, durchs Wasser, ja durch einen Schuß aus dem Busch – Er setzt ab. Gibts denn gar kein anderes Mittel mehr?


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 734-735.
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