Zehnte Szene


[761] Der Herold des Reichs tritt mit Gefolge auf, das Banner wird vor ihm hergetragen.


DER HEROLD schwingt nach allen Weltgegenden sein Schwert. Bei Acht und Bann, kein blankes Schwert, als dies!

ALLE RITTER bis auf Albrecht stecken die Schwerter ein.

DER HEROLD. Albrecht von Wittelsbach, Herzog von Baiern, erscheint vor Kaiser und Reich!

ALBRECHT tritt zögernd heran und steckt langsam sein Schwert ein. Ist hier die Schranke?

DER HEROLD. Sie ist überall, wo die Acht verkündet werden soll!

NOTHHAFFT VON WERNBERG und FRAUENHOVEN. Die Acht! Ists schon so weit!

Posaunenstöße.


PREISING zu Ernst. Was ist das noch?

ERNST. Mehr, als ich verlangte, fürcht ich!

STIMMEN. Ein Legat! Ein Legat des Heiligen Stuhls!

DER HEROLD. Und mit ihm der Bann der Kirche!

VIELE STIMMEN von Rittern und Reisigen. Acht und Bann zugleich! Da ists Zeit! Sie werfen die Waffen von sich.

DER LEGAT tritt mit Gefolge auf, eine brennende Kerze wird vor ihm hergetragen, er stellt sich zur rechten Hand des Herolds.

DER HEROLD entfaltet die Achterklärung. Wir Sigismund, von Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser, König von Ungarn, Böheim, Dalmatien, Slawonien und Bosnien, Markgraf von Mähren und Schlesien, Kurfürst von Brandenburg usw., Schirmvogt der Kirche, höchster Schiedsrichter auf Erden, tun kund hiemit: Nachdem du, Altrecht von Wittelsbach, allbereits vor dritthalb Jahren zu Regensburg in offenem Aufstand den Frieden des Reichs gebrochen und schwere Acht auf dein[761] Haupt herabgezogen hast, die Wir damals, obgleich schon verhängt, auf Fürbitte deines fürstlichen Herrn und Vaters noch zurückhielten; nachdem du weiter, unwürdig solcher Fürbitte und Unserer Gnade, in deinem Trotz wider menschliche und göttliche Ordnung beharrtest, Unserer gerechten Erwartung gemäß, in reuiger Unterwürfigkeit Versöhnung und Vergebung zu suchen; nachdem du endlich, um das Maß deiner Frevel zu häufen, Unsere Langmut aber bis auf den Grund zu erschöpfen, zum zweiten Mal mit blanker Waffe rebellisch im Felde erschienen bist: So gebieten Wir dir durch diesen Unseren offenen Brief, daß du angesichts desselben dein Schwert auf der Stelle zu den Füßen deines Herrn und Vaters niederlegen und als sein freiwilliger Gefangener Unseren letzten Spruch in Demut abwarten sollst. – Er setzt ab und sieht Albrecht an.

ALBRECHT bohrt sein Schwert in die Erde und stützt sich darauf.

DER HEROLD fährt fort. Widrigenfalls setzen Wir dich nunmehr aus Kaiserlicher Machtvollkommenheit aus dem Frieden in den Unfrieden, weisen dich hinaus auf die vier Straßen der Welt und erklären dich für vogelfrei –

ERNST. Willst du noch mehr hören, mein Sohn? Sag nein, und ich erhebe meinen Herzogsstab!

FRAUENHOVEN. Jetzt kommt das von den Tieren des Waldes und den Vögeln unter dem Himmel und den Fischen im Wasser!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Schau dich um! Sie gehen alle hinter sich! Keiner wirds mit dir tragen, als wir!

ALBRECHT. Wie sollten sie auch! Fangen doch die Berge zu wandeln an, um mich zu bedecken!

ERNST. Soll auch die Kirche den Mund noch öffnen? Soll die Kerze ausgelöscht, soll deine Seele dem ewigen Fluch übergeben, dein Name im Buch des Lebens getilgt werden?

ALBRECHT zu Nothhafft von Wernberg und Frauenhoven. Geht von mir, daß ich antworten kann!

FRAUENHOVEN. Haben wir das um Euch verdient? Teufel, es brennt!

ALBRECHT. Soll ich mich vor der Gewalt demütigen, weil Ihr neben mir steht? Mich mag sie noch heute zermalmen!

ERNST. Gewalt? Wenn das Gewalt ist, was du erleidest, so ist es eine Gewalt, die alle deine Väter dir antun, eine Gewalt, die[762] sie selbst sich aufgeladen und ein halbes Jahrtausend lang ohne Murren ertragen haben, und das ist die Gewalt des Rechts! Weh dem, der einen Stein wider sie schleudert, er zerschmettert nicht sie, sondern sich selbst, denn er prallt ab und auf ihn zurück. Oder bin ichs, der zu dir redet, ists nicht das ganze Deutsche Reich?

ALBRECHT. Seis so! Ich wußte nicht, daß der Tod darauf steht, eine Perle aufzuheben, statt sie zu zertreten, aber ich habs getan und wills büßen. Heran, Bär und Wolf, schießt auf mich herab, Adler und Geier, und zerfleischt mich! Nicht mit der Hand will ich mich wehren, wenn ihr tut nach des Kaisers Gebot!

ERNST. Hast du solche Eil, vor deinem Richter zu erscheinen? Noch hat er diese Toten und ihre Wunden nicht gezählt, und du weißt so gewiß, wie er dich empfangen wird?

ALBRECHT. O, ihn fürcht ich nicht, er wirds schon vergeben, daß ich sein liebstes Kind bei der Hand gefaßt habe, er weiß ja, wie schön und edel ers gemacht hatte!

ERNST. Mein Sohn, geh in dich! Es ist wahr, du kannst deine Schuld vergrößern, du kannst dir den Tod ertrotzen, oder dich, wer wills hindern, hinterrücks aus der Welt wegstehlen, du kannst aber auch alles wieder gut machen! Tus, o tus, fasse einen Entschluß, daß du vor deinen Ahnen nicht zu erröten brauchst, füge dich! Dies Schlachtfeld wird einst furchtbar wider dich zeugen, sie alle, die hier blutig und zerfetzt herumliegen, werden dich verklagen und sprechen: wir fielen, weil Herzog Albrecht raste! Weh dir, wenn sich dann nicht eine viel größere Schar für dich erhebt und deine Ankläger zum Verstummen bringt, wenn nicht Millionen ausrufen; aber wir starben in Frieden, weil er sich selbst überwand! Denn das hängt davon ab, daß du lebst, davon ganz allein!

ALBRECHT. Die Unschuldige sollte modern, und ich – – Welch ein Schurke wär ich, wenn ich auf Euch hörte!

ERNST. Du bist nicht, wie ein anderer, der die Gerechtigkeit dadurch versöhnen kann, daß et ihrem Schwert reuig den Hals darbietet, von dir verlangt sie das Gegenteil! Schau dies Banner an, es ist dein Bild und kann dichs lehren! Es ward aus demselben Faden gesponnen, woraus der letzte Reiter, der ihm folgt, sein Wams trägt, es wird einst zerfallen und im Wind[763] zerstäuben, wie dies! Aber das deutsche Volk hat in tausend Schlachten unter ihm gesiegt, und wird noch in tausend Schlachten unter ihm siegen, darum kann nur ein Bube es zerzupfen, nur ein Narr es flicken wollen, statt sein Blut dafür zu verspritzen und jeden Fetzen heilig zu haken! So ists auch mit dem Fürsten, der es trägt. Wir Menschen in unsrer Bedürftigkeit können keinen Stern vom Himmel herunter reißen, um ihn auf die Standarte zu nageln, und der Cherub mit dem Flammenschwert, der uns aus dem Paradies in die Wüste hinaus stieß, ist nicht bei uns geblieben, um über uns zu richten. Wir müssen das an sich Wertlose stempeln und ihm einen Wert beilegen, wir müssen den Staub über den Staub erhöhen, bis wir wieder vor dem stehen, der nicht Könige und Bettler, nur Gute und Böse kennt, und der seine Stellvertreter am strengsten zur Rechenschaft zieht. Weh dem, der diese Übereinkunft der Völker nicht versteht, Fluch dem, der sie nicht ehrt! So greife denn endlich auch in deine Brust, sprich: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir, aber ich wills büßen, ich will leben!

ALBRECHT. Hängt das von mir ab?

ERNST. Dies Wort ist mir genug! Gott wird dich stärken, und deine Witwe selbst wird für dich beten!

ALBRECHT. Meine Witwe?

ERNST. Was ich ihr im Leben versagen mußte, kann ich ihr im Tode gewähren, und ich tu es gern, denn ich weiß, daß sies verdient! Deine Gemahlin konnte ich nicht anerkennen, deine Witwe will ich selbst bestatten und für ewige Zeiten an ihrem Grabe einen feierlichen Totendienst stiften, damit das reinste Opfer, das der Notwendigkeit im Lauf aller Jahrhunderte gefallen ist, nie im Andenken der Menschen erlösche!

ALBRECHT. Ich will – Ich will, was ich noch kann! Gegen den Herold. Kaiserlicher Majestät meinen Respekt! Zu Ernst. Euch, mein Herr und Vater – Er will ihm das Schwert überreichen. Euch –

ERNST öffnet die Arme und schreitet ihm entgegen.

ALBRECHT weicht zurück und zieht. Nein, nein! Die Hölle über mich, aber Blut für Blut!

ERNST. Halt! Erst nimm den da! Er reicht ihm den Herzogsstab, den[764] Albrecht unwillkürlich faßt. Der macht dich zum Richter deines Vaters! Warum willst du sein Mörder werden!

PREISING. Herzog!

ERNST. So wars beschlossen! Und nicht bloß des Feierabends wegen! Ich brauch sein Ja! Kann ers mir in seinem Gewissen weigern, so stehts schlimm um mich!

ALBRECHT. Mich schwindelt! Nimm ihn zurück! Er brennt mir in der Hand.

ERNST. Trag ihn ein Jahr in der Furcht des Herrn, wie ich! Kannst du mich dann nicht lossprechen, so ruf mich, und ich selbst will mich strafen, wie dus gebeutst! Im Kloster zu Andechs bin ich zu finden!

ALBRECHT will niederknieen. Vater, nicht vor Kaiser und Reich, aber vor dir!

ERNST. Wart! wart! Mein Tagewerk war schwer, aber vielleicht leb ich noch übers Jahr! Geht; zu Preising, als er folgen will. Bleibt! An einem Mönch ists genug!

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 761-765.
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