Zweite Szene


[349] Boris und Hiob treten ein.


BORIS.

Die Krone Polen bricht mit uns den Frieden,

Dies ist das einzge, was hier wichtig ist,

Und das hat seine vorteilhafte Seite!

Den Handschlag, den ich nehme, geb ich auch,

Und halt ich meines Feindes Schwert gefesselt,

Wenn unsre Finger sich in Eintracht kreuzen,

So er nicht minder auch das meinige.


Zu den Bojaren.


Der Russe, denk ich, hat mit dem Sarmaten

Noch manches abzutun, er wird nicht fluchen,

Daß jetzt der Tag der Rechenschaft erscheint!

BASMANOW legt die Hand ans Schwert.

Mein Zar!

BORIS.

Nein, Basmanow, du bleibst daheim.

Ich kann nicht jeden Krieg an dich verschenken,

Die andern Adler wollen auch ihr Futter.


Zu Schuiskoi.


Schuiskoi, was meinst du, steigst du gern zu Pferd?

SCHUISKOI.

Mein Fürst!

BORIS.

Entscheide dich nicht allzu rasch,

Lies erst dies Blatt!


Hiob reicht Schuiskoi ein Papier.


Es ist ein Manifest!

Laut! Laut!

SCHUISKOI.

Nicht um die Welt!

BORIS.

Wenn ich nun bitte!

SCHUISKOI stotternd.

Von Gottes Gnaden, Wir Demetrius –

MSTISLAWSKI.

Mein Fürst, muß ich das hören?

BORIS.

Ists dir neu?

SCHUISKOI liest.

Entbieten dem betrognen Volk der Reußen –

BORIS.

Man hörts ja nicht! Wie willst du kommandieren,

Wenn du mit Kugeln Antwort schicken sollst?

SCHUISKOI laut und fest.

Als angestammter Zar und letzter Sproß

Aus Ruriks Blut den väterlichen Gruß.

Wasmaßen ein verwegener Betrüger –


[350] Setzt ab.


Nimm meinen Kopf!

BORIS.

Ich bat nur um die Zunge!

SCHUISKOI.

Die reiße ich mir aus, wenn du mich zwingst,

Den Herold dieses Buben abzugeben!

BORIS.

So laß denn sehn, wer besser lesen kann!


Reicht Mstislawski das Blatt.


Du gingst bei einem Deutschen in die Schule

Und wirst dem Meister Ehre machen, Knäs!


Einhelfend.


Wasmaßen ein verwegener Betrüger –

MSTISLAWSKI liest.

Wasmaßen ein verwegener Betrüger,

Den Iwan, Unser hocherlauchter Vater,

Vom Staube aufgelesen –

BORIS.

Das ist wahr!

Ich bin nur sein Geschöpf und will es bleiben,

Solang ich Atem hole!

MSTISLAWSKI liest.

Klug und schlau –

BORIS.

Von vorn! Ich hätts nicht unterbrechen sollen!

Noch einmal! Aber so, daß mans versteht!

MSTISLAWSKI liest.

Von Gottes Gnaden! Wir Demetrius,

Entbieten dem betrognen Volk der Reußen

Als angestammter Zar und letzter Sproß

Aus Ruriks Blut den väterlichen Gruß!

Wasmaßen ein verwegener Betrüger,

Den Iwan, Unser hocherlauchter Vater,

Vom Staube aufgelesen, klug und schlau

Sich alle Würden Unsres Reichs erkrochen

Und endlich gar den Thron, der Uns gebührt

Und der durch Meuchelmord erledigt schien,

Bestiegen und bis diesen Tag befleckt:

Als tun Wir hiedurch kund, daß Wir noch leben,

Durch Gottes ganz besondre Fürsehung

Dem Mörder in der Wiege schon entrissen,

Und daß Wir kommen, Rechenschaft zu fordern

Um Hochverrat von Boris Godunow.


Zerknittert das Blatt.[351]


BORIS nimmt es ihm aus der Hand.

Das tu dem Schreiber, aber nicht dem Blatt,

Man muß ein jedes Ding zu Ende bringen!


Liest fort.


Ermahnen Unsre Lieben und Getreuen

Zugleich, sich Unsren Fahnen anzuschließen,

Sobald sie können, und verwarnen jeden,

Uns Widerstand zu leisten, wenn er nicht

Gezwungen ist durch äußerste Gewalt.

Geloben auch bei Unserm Zaren-Wort

So überschwenglich gnädig Unsern Freunden,

Als Unsern Feinden fürchterlich zu sein.

Zwölf neue Fürsten werden Wir ernennen,

Wenn Wir in Moskau sind, und keiner soll

So reich und mächtig sein, daß Wir ihn nicht

Noch doppelt reicher, doppelt mächtger machen,

Wenn er sich ein Verdienst um Uns erwarb.

Wornach sich männiglich – Gegeben Krakau –


Absetzend.


Wie scheint die Mäusefalle euch gebaut?

Sehr gut, ihr Herrn, ihr dürft sie ruhig loben,

Doch hier ist Gift für diesen süßen Speck!


Hiob reicht ihm auf seinen Wink ein zweites Papier.


Das Protokoll von Uglitsch, aufgenommen,

Als Prinz Demetrius so jäh verstarb!


Reicht es Mstislawski.


MSTISLAWSKI sich weigernd, es zu nehmen.

Mein Zar, wir wissen –

BORIS.

Was? Noch wißt ihr nichts,

Die gute Meinung dank ich euch von Herzen,

Doch wünsch ich, daß ihr prüft!

MSTISLAWSKI schaut in das Blatt.

BORIS zu Schuiskoi.

Erschrickst du nicht,

Den dräuenden Gebieter zu erzürnen,

Wenn du für mich den Degen ziehst?

SCHUISKOI.

Mein Fürst,

Ich wünschte mir, die Sache wäre ernster,

Denn diesen Gegner husten wir noch um.

BORIS.

Meinst du?


[352] Zu Mstislawski, der gelesen und Basmanow das Blatt gereicht hat.


Was sagst du?

MSTISLAWSKI.

Etwas war mir neu,

Ich glaubte dieses Kind im Brand erstickt,

Und hier –

BORIS.

Du siehst, es hat sich selbst getötet,

In einem Anfall von Epilepsie

Mit einem Messer durch den Hals sich fahrend,

Das ihm die Amme eben dargereicht,

Weil es sich einen Apfel schälen wollte.

BASMANOW der gleichfalls gelesen hat und Schuiskoi das Blatt reicht.

So steht es fest durch sieben Zeugen! Plötzlich,

Wie das bei diesem Übel stets geschieht,

Zusammenzuckend und die Ader treffend,

Gab es sich selbst den Tod!

BORIS nimmt das Blatt wieder.

Genügt euch das?

SCHUISKOI.

Schick dieses Blatt anstatt des Heers nach Polen,

So hängen sie den Schurken selber auf!

BORIS.

Wie? Ist denn keiner offen mehr mit Uns?

Habt ihr die Fabel noch nicht ganz gehört?

So fragt bei eurem Ofenheizer an,

Ich steh dafür, der Mann erzählt sie aus.

MSTISLAWSKI.

Du meinst, daß Iwan zwei der Söhne hatte,

Die fast zu gleicher Zeit das Licht erblickten,

Den einen von der Zarin und den andern

Von einer Magd, und daß man sie vertauschte –

BORIS.

Das mein ich, ja! Und wenn sichs so verhält,

Was nützt dies Blatt?

SCHUISKOI.

Mein Ofenheizer wird

Die plumpe Lüge, wie ich selbst, verlachen,

Die ein lateinscher Bischof uns verbürgt.

BORIS.

Das ists! Der Bürge ist mir zu verdächtig,

Sonst – Bei den Wunden des Gekreuzigten,

Ich trüg ihm selber Salz und Brot entgegen

Und spräche: Habe Dank, daß du erscheinst,

Mich abzulösen! Denn ihr alle wißt,

Wie schwer ich mich entschloß, die Last der Krone

Zu übernehmen, die nur den nicht drückt,[353]

Dems an Verstand gebricht, um sie zu fühlen,

Und an Gewissen, ihr genug zu tun.

Ehrwürdger Patriarch, was sagte ich,

Als du sie mir zum neunten Male botst?

HIOB.

Du hieltst mir einen Totenkopf entgegen

Und sprachst: Verlocke den!

BORIS.

Bojaren, redet,

Griff ich so zu, wie Knaben nach dem Apfel?

SCHUISKOI.

Nein, schaudernd, wie man eine Schlange faßt.

BORIS.

War ich zu rasch, und hatten die Provinzen

Nicht Zeit, sich zu erklären?

BASMANOW.

Selbst Archangel

Hätt seine Boten drei Mal schicken können,

Und liegt am Ende der bewohnten Welt.

BORIS.

So wurden alle Stimmen denn gehört?

SCHUISKOI.

Und alle riefen aus: Wir sind verloren,

Wenn Boris nicht des Reiches sich erbarmt!

BORIS.

Auch ihr?

SCHUISKOI.

Die Mütter warfen ihre Kinder

Zu Boden, und die Väter setzten ihnen

Die Ferse auf den Nacken, als du gar

Nicht zu erbitten warst!

BORIS.

So hörte ich!

BASMANOW.

Ich sah es selbst.

HIOB.

Erlauchter Zar, man wirds

Verzeichnen in den Büchern der Geschichte

Und dich den einzgen Kronenweigrer nennen,

Der unter tausend Kronenräubern steht!

BORIS.

Verhüte Gott, daß man mir jemals schmeichle.

Zwar ist das alles wahr und noch viel mehr,

Denn Feodor, mein heilger Vorfahr, hatte

Nicht, wie ich sagte, um mich selbst zu schützen,

Die Zarin-Witwe, meine fromme Schwester,

Zur Erbin seines Reiches eingesetzt,

Er hat mich selbst ernannt!

HIOB.

Mein Fürst, ich weiß!

Es war der letzte Schmerz des toten Zaren,

Daß du den Schwur auf die Reliquien[354]

Verweigertest! Daher der Ungestüm,

Mit dem ich später in dich drang! Ich hatt es

Dem Sterbenden gelobt! Bojaren, staunt:

In einer Welt, wo Brüder sich ums Erbe

Ermorden, eh der Vater noch ganz kalt ist,

Wird Boris Godunow ein Reich geschenkt,

Und er verhehlt es euch und gibt es weiter!

BORIS.

Vergeßt nicht, daß ich viel erfahren hatte! –

Ich stand dabei, als Iwan seinen Sohn

Im Zorn mit eigner Faust darnieder schlug.

Es war in diesem Saal!


Zu Mstislawski.


Du sahst es auch,

Du warst zum ersten Male hier und wurdest

Mit Blut und Hirn bespritzt, die linke Wange

Besonders. O, ich seh es noch.


Zu Basmanow.


Du gleichfalls,

Nicht wahr? Ja wohl! Zu deinen Füßen fiel

Der schwere Hammer nieder, als der Vater

Ihn schaudernd von sich warf! Du wagtest nicht,

Zn zucken, aber deine Zehen waren

Getroffen, denn du hinktest später weg!

Nun, Iwan diente Gott, dem Herrn, wie keiner!

Wer sich so erniedrigt, um so sicher

Zn sein, erhöht zu werden? War er nicht

Fast lieber Küster, als Regent? Wenn wir

Des Nachts in unsren warmen Betten lagen,

Zog er den Strang der Glocke stundenlang

Und rief uns zum Gebet! Wenn wir des Leibes

Im Refektorium pflegten, las er hungernd

Und durstend die Vigilien! Und dennoch –

Die leidige Gewalt verführte ihn,

Und in Verzweiflung fuhr er hin, Gott steh

Uns allen bei, daß wir uns unsrer Macht

Nicht überheben!

HIOB.

Amen!

BORIS.

Feodor,[355]

Der Heilige dagegen, der ihm folgte,

Erlag aus Angst vor Sünden, die er nie

Beging, doch stets besorgte. Sein Gewissen

War allzu zart, er fragte unaufhörlich:

Verseh ich nichts? und wenn auch seine Taten

Viel reiner waren, als die edelsten

Gedanken von uns allen: ewig blieb

Ihm Ruh und Friede fern, und wie ein Brand,

Der keine Asche zeugt, sich zu bedecken,

Verglüht' er in der eignen Lauterkeit.

Er sprach zu mir auf seinem Totenbett,

Den Kopf des heiligen Romanus küssend:

Dies ist mein erstes und mein letztes Glück,

Auch ists das erste und das letzte Mal,

Daß ich mich meines Zaren-Rechts bediene,

Denn diesen Schädel hat vor meinem noch

Kein Mund berührt, er wurde erst entdeckt,

Und Gott verzeihe mirs in meiner Schwäche,

Daß ich den Gläubigen ihn vorenthalte,

Und daß er, statt in Gold und Edelsteinen

Zu glänzen, ruht in meiner magern Hand.

HIOB.

Er bitte für uns alle!

BORIS.

Wer das sah,

Der greift nicht hastig nach der goldnen Schlange,

Die niemals noch, wie sehr sie sich auch krümme,

Die widerspenstge Welt zusammendrückte,

Doch wohl das Haupt des Menschen, der sie trägt.

Nein, nicht das Flehen Moskaus, nicht das Drängen

Der ängstlichen Provinzen, nicht die Tränen

Der Zarin, meiner Schwester, nicht einmal


Zu Hiob.


Der Bann, mit dem du drohtest, hätte mich

Bewogen, vom geraden Weg zum Himmel

Noch einmal abzubiegen und die Stille

Des Klosters mit der Hölle zu vertauschen,

Die zu den Füßen eines Thrones gähnt:

Der Khan der goldnen Horde zwang mirs ab!

Ich konnte Iwans Werk, das neue Rußland,[356]

Nicht schmählig den Tartaren überlassen,

Die übermütig wurden, als sie hörten,

Daß ich die Zügel nicht ergreifen wollte,

Die man mir bot, so ward ich euer Zar,

Weil euch ein guter Hetman nötig schien!

SCHUISKOI.

Mein Fürst, es ist uns allen unvergessen!

BORIS.

Der Meister aber hat es nicht gewußt,

Der diese Mausefalle aufgerichtet,

Sonst hätt er sie noch schlauer ausgedacht.

Nun, Schuiskoi, dir vertrau ich denn das Heer,

Du, Basmanow, magst Tula für mich hüten,

Und du, Mstislawski, kannst mit Schuiskoi gehn.

Des neuen Manifests bedarf es nicht.

Wir können


Er hebt das des Demetrius in die Höhe.


dieses brauchen, wenn Wir nur

Die Namen ändern, denn Wir kommen auch,

Um Rechenschaft zu fordern, und ihr werdet

Beweisen, daß Wir noch am Leben sind.

Das Dutzend Fürsten werden Wir zwar nicht

Ernennen, doch – Wie heißt es? –


Er sieht hinein.


Keiner soll

So reich und mächtig sein, daß Wir ihn nicht

Doppelt so reich und doppelt so mächtig machen,

Wenn er sich ein Verdienst um Uns erwirbt.

Wornach sich männiglich – Gegeben Moskau –


Er verabschiedet die Bojaren, während alle, bis auf Hiob, gehen, wirft sich Schuiskoi ihm zu Füßen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 349-357.
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