Achte Szene

[442] SCHUISKOI.

Ehrwürdge Väter dieses armen Reichs,

Großmächtige Bojaren, teures Volk,

Kein Wort, bevor ich betete.


Kniet vor der Marien-Säule.


RURIK.

Das ist

Ein frommer Prinz.

OTREPIEP.

O weh! O weh! O weh!

Ein böses Zeichen!

OSSIP.

Was ist denn geschehn?

OTREPIEP faßt Rurik und Ossip bei der Hand, heimlich.

Die heilge Jungfrau schüttelte das Haupt,

Als Schuiskoi seinen Blick zu ihr erhob,

Das zeigt mir, daß sie seinen Arm verschmäht,

Wir sind verloren, er ist nicht der Mann.

RURIK.

Barmherzger Himmel!

OTREPIEP.

Still! Ich prüfe ihn![442]

OSSIP.

Da steht er auf!

OTREPIEP.

Fürst Schuiskoi, sagt uns an,

Warum Ihr eben flehtet.

SCHUISKOI.

Das ist ein

Geheimnis zwischen Gott und mir!

OTREPIEP.

Ich habe

Ein gleiches einzusetzen.

SCHUISKOI.

Du, wie das?

OTREPIEP.

Die heilge Jungfrau hat das Haupt bewegt,

Als du dein Knie in Andacht vor ihr bogst,

Und wenn du mir bekennst, um was du batst,

So sag ich dir, ob sie genickt, ob nicht.

SCHUISKOI.

Sprich du zuerst.

OTREPIEP.

Da hättest du es leicht,

Uns zu betrügen.

SCHUISKOI.

Aber du wohl nicht,

Wenn ich der erste bin.

OTREPIEP.

Ich nicht! Ich habe

Mich diesen beiden Männern anvertraut,

Die mögen zeugen.

SCHUISKOI.

Nun, es sei darum!

Ich betete nicht aus dem Kirchenbuch,

Ich sprach, wie öfter schon im Drang der Schlacht:

Wenns einen Bessern gibt, so schick ihn her,

Und leime mir den Degen in die Scheide,

Sonst – Damit sprang ich auf.

OTREPIEP.

Heil, Schuiskoi, Heil!


Zu Rurik und Ossip.


Was sagt ich euch?

RURIK.

Die heilge Jungfrau habe

Den Kopf geschüttelt.

OSSIP.

Und du riefst: O weh!

OTREPIEP.

Weil ichs mißdeutete! Doch das beweist:

Sie kennt in Rußland keinen bessern Mann.

VOLK.

Heil! Heil!

SCHUISKOI.

Zum wenigsten kann ich den Degen

Noch ziehn, er sitzt nicht fest.


Tuts.[443]


OTREPIEP.

So folgt ihm auch

Und zeigt ihm, daß ihrs wollt!


Zu Rurik und Ossip.


Nun: Nieder –

RURIK.

Nieder –

OTREPIEP.

Bist du ein Hammel? Wer denn wohl?

RURIK.

Der Zar?

OTREPIEP.

Wer sonst, Freund?


Ihm ins Ohr.


Nieder dieser After-Zar!

RURIK.

Ei freilich! Nieder dieser After-Zar!

SCHUISKOI.

Nicht vorschnell, Freunde. Ziemen will es sich,

Daß ich mich vor euch allen reinige,

Wie ich es tat vor den Verbündeten,

Die sich mir eigen schwuren, bis zum Tod.

Zunächst mein Dank, daß ihr in solcher Zahl

Erschienen seid, denn ich bin es gewesen,

Der so geheimnisvoll euch laden ließ.

Ihr werdet mich nun fragen, denn ihr müßt,

Wenn ihr nicht wieder schmählig irren wollt,

Ihr werdet fragen, wie es kommt, daß ich

Dem Mann mich gestern beugte, dem ich jetzt,

Ich leugn es nicht, an Kron und Leben will!

RURIK UND OSSIP.

Nicht doch, erlauchter Fürst. Was kümmerts uns?

SCHUISKOI.

Hoch ehrt mich dies Vertraun, doch darf ichs nicht

Mißbrauchen, und so wenig ich die Beichte

Verschluckte, wenn ein allzugütger Priester

Mir sagte: Geh, ich absolvier dich so,

So wenig werd ich mir es jetzt erlassen,

Mein Herz vor euren Angen umzuwenden,

Damit ihr sehen könnt, was es verbirgt.

Auf eure erste Frage sag ich nun:

Ich ward betört, wie ihr, doch nicht so leicht

Und, ihr erlaubt, auch nicht so schnell.

RURIK UND OSSIP.

Herr Gott,

So spricht ein Knäs zu uns! Heil, Schuiskoi, Heil!

SCHUISKOI.

Es klang zwar seltsam, abenteuerlich[444]

Und wunderbar, daß Iwans letzter Prinz,

Von dem man kaum noch wußte, wo er ruhte,

Auf einmal wieder blühend in das Leben

Getreten sei, als hätt er nur zum Spiel

Die ernste Toten-Maske vorgenommen

Und sie hinweg geworfen, wie es galt;

Es klang unglaublich, sag ich, doch es war

Darum nicht gleich unmöglich, suchten doch

Die Portugiesen ihren König auch

Im Sande Afrikas, und plötzlich klopfte

Er wieder an die Tore Lissabons.

Drum fand ichs ganz natürlich, daß das Volk,

Daß ihr, liebwerte Freunde, euch im Jubel

Um seine Fahne schartet und dem [Mustschik],

[Die] unsres Reichs-Archives Schlüssel führt,

Die Prüfung seines Titels überließt.

RURIK.

Es war natürlich!

OSSIP.

[Nur in der Luft!]

RURIK.

Man hätt uns warnen sollen, nicht?

SCHUISKOI.

Ei wohl!

Doch, statt zu warnen, zog der Adel mit.

Ich nicht. Wir nicht. Wir rückten ihm im Feld

Entgegen, taten unsre Schuldigkeit,

Wie je, und hatten doch kein Glück. Dort stehen

Zwei Feldherrn, welche ihre Siege jetzt

Nicht mehr zu zählen pflegen, und der dritte,

Obgleich ein Ährenleser gegen sie,

Schlug auch nicht oft umsonst. Für alle schien

Der Stern sich zu verdunkeln, der uns sonst

So hell geleuchtet hatte. Schimpflich fast

War manche Niederlage, und wir fanden

Nicht größre Kunst und höhre Tapferkeit,

Wie viele, als wir eben selber hatten,

Und Trost und Hoffnung fielen uns. Das schien

Auch uns zuletzt ein Zeichen, daß das Recht

Im Lager unsres Gegners sei!

RURIK.

Wer hätte

Nicht so gedacht![445]

SCHUISKOI.

Und dennoch wars verkehrt!

Es war ein Zeichen, daß der Himmel endlich

Von Boris Godunow sein Antlitz wandte

Und ihm in seinem Grimm das Schwert zerbrach.

Noch wankte ich

...

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 442-446.
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