Vorwort

[221] Man hat mich oft befragt, warum ich mir nicht Mühe gebe meine Stücke auf die Bühne zu bringen. Zur Antwort darauf ein Märchen, das ich in der Kindheit von meinem verstorbenen Vater hörte.

Ein Ritter kam an einen Palast, in dem er eine verzauberte Prinzessin zu finden hoffte, und wollte hinein. An dem ersten Tor verlangte der Wächter, zwar noch etwas zaghaft und mit zitternder Stimme, er solle seine Waffen zurücklassen, sonst dürfe er nicht weiter. Er gehorchte. An dem zweiten verlangte ein anderer, schon kecker und trotziger, er solle seine Rüstung ablegen. Er tats. An dem dritten trat ihm ein noch frecherer Gesell in den Weg und wollte ihm ohne weiteres die Arme auf den Rücken binden. Da aber war sein Langmut zu Ende. »Wenn das so fortgeht – rief er aus – so wird man drinnen von mir fordern, daß ich mich mit eigener Hand erhänge, und wie ich die Prinzessin dann noch erlösen und eine tüchtige Nachkommenschaft mit ihr erzeugen soll, sehe ich nicht ein.« Damit kehrte er um.

Ob er es tat, um für immer abzuziehen, oder bloß, um die Rüstung wieder anzulegen, die Waffen wieder aufzunehmen und geharnischt und gewappnet zurückzukehren, weiß ich nicht.

Fr. H.

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 221-222.
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