[599] Assad und Hakam treten auf.
ASSAD.
Welch eine Pracht! O Hakam, schau dich um!
Was das für Häuser sind und was für Gassen!
Kaum glauben kann ichs, daß die Wunderstadt
Von Menschenhand erbaut ward und noch minder,
Daß sie ein Menschenfuß betreten darf –
HAKAM.
Und stehst doch selbst darin, und obendrein
Mit Füßen, die nicht gar zu sauber sind!
ASSAD.
Schau, dort das Minarett! Der Halbmond drauf,
Sieht er nicht ganz so aus, als hätt man ihn
So von der Himmelsdecke weggerissen?
Und drüben der Palast! Ein Fenster ist
So groß, wie meiner Eltern Hütte war,
Und sieh! ein Blumengarten auf dem Dach!
Oft führte mich nach Bagdad schon der Traum.
Fast jedes Mal, wenn ich vor Schlafenszeit
Ein Märchen hörte –
HAKAM.
Nun, dann weißt du hier
Gewiß Bescheid und kannst mir ohne Zweifel
Den Brunnen zeigen, der aus sieben Röhren
Statt Wassers Wein verspritzt und den ein Baum
Beschattet, der, sobald man ihm nur winkt,
Die Früchte fallen läßt, die man sich wünscht,
Heut Feigen, morgen Datteln oder Trauben.
Denn Märchen hörtest du ja alle Abend
Und gabst dem blinden Araber, wenn er
Nicht gleich von selbst begann, dein bißchen Brot,
Damit er nur erzählte und nicht schwieg!
ASSAD.
Oft war ich hier im Traum, doch niemals sah
Ichs so! O nein, ich sah mein Dorf vergrößert,
Auch wohl verschönert, doch –[599]
HAKAM.
Ich hätte mir
Dies alles noch viel prächtger vorgestellt.
Die Häuser sind denn doch, soviel ich sehe,
Aus Steinen aufgebaut und nicht von Gold,
Das Straßenpflaster scheint mir nicht von Silber.
Und auch der Kot ist ganz gemeiner Kot.
ASSAD in Gedanken versinkend.
Und dennoch! Einmal!
HAKAM.
Einmal? Was denn einmal?
Ein Pudel! Siehst du? Ganz so, wie bei uns!
Vier Beine! Keine sechs! Und Kopf und Schwanz!
ASSAD.
Einmal sah ichs schon so! Das war ein Traum!
Gewiß gibts keinen buntern!
HAKAM.
Nun?
ASSAD.
Ich ging
Durch eine Straße, breit, wie jene dort,
Und endlos, wie der Tigris. Staunend blickt ich,
Wie jetzt, die wunderbaren Dinge an,
Die mir bei jedem Schritt entgegentraten,
Die Menschen aber, die mir auf der Straße
Begegneten, die blieben alle stehn
Und sahn auf mich!
HAKAM.
Auf dich?
Lacht.
ASSAD.
Du lachst zu früh,
Das Beste kommt erst! Ja, sie drängten sich
Um mich herum, sie zeigten mit den Fingern
Auf mich und flüsterten, es ward zuletzt
Ein dichter Knäuel. Ich erschrak und dachte:
Du lagst zur Nacht in einem Ährenfeld
Und hast gewiß noch einen Halm im Haar,
Auf, säubre dich! Schnell trat ich an ein Fenster,
Das fast die halbe Straße spiegelte,
Und sah hinein. Da – Nun ists Zeit, zu lachen!
HAKAM.
Worüber denn?
ASSAD.
Weil ich – Ich schäme mich,
Es dir zu sagen, Hakam!
HAKAM.
Sahst du aus,
Als ob du dich noch nie gewaschen hättest?[600]
ASSAD.
O nein! O nein! Ich trug ein Feierkleid,
So schön, als wär es aus der Morgenröte
Herausgeschnitten und besetzt mit Sternen –
HAKAM.
Das hast du wieder abgelegt!
ASSAD.
Fast hätt ich
Vor meinem eignen Bilde ehrfurchtsvoll
Mich in den Staub geworfen, doch – Genug!
Mehr sag ich nicht!
HAKAM.
So warst du Prinz im Traum!
Ich bin einmal geflogen! Beim Propheten,
Das möcht ich auch mal träumen! Weißt du, Assad,
Was ich dann täte?
ASSAD.
Ei, wie kann ich wissen,
Was du im Traume tun wirst!
HAKAM.
Unsern Herrn
Würd ich langsam zu Tode peitschen lassen,
Und während das geschähe, Feigen essen!
Nein, Datteln, denn die Datteln haben Steine,
Und diese spiee ich ihm ins Gesicht!
ASSAD.
Pfui, schäme dich!
HAKAM.
Denkst du nicht mehr daran,
Wie gräßlich wir bei ihm gehungert haben?
Ein Schneider könnt mich durch die Nadel fädeln,
So dünn bin ich geworden bei dem Filz!
Und du, du schwitztest ja noch heut für ihn,
Hätt er dich auch nur sonntags satt gemacht!
ASSAD.
Ich habs ihm schon vergeben!
HAKAM.
Ja?
ASSAD.
Mir deucht,
In Bagdad hab ich keinen Magen mehr!
Ich aß noch nichts, und dennoch knurrt er nicht!
HAKAM.
Das freut mich sehr, dann brauch ich nicht zu teilen!
Steh still!
ASSAD.
Was willst du?
HAKAM.
Deine Tasche leeren,
Ich hab mir etwas darin aufbewahrt!
Er zieht Früchte aus Assads Tasche hervor.
ASSAD.
Woher hast du die Früchte?[601]
HAKAM.
Aus der Quelle,
Aus der ich alles hatte, was bisher
Uns noch das Leben fristete: ich nahm
Sie weg, wo ich sie fand! Die Hökerin
Am Tor war eingeschlafen, die den Wandrern
Das Obst verkauft. Hätt ich sie wecken sollen?
Sie war vielleicht gerade Sultanin!
Ich griff in ihren Korb und steckte dir,
Was ich erwischte, in den Sack. Du hast
Es nicht bemerkt. Sie noch viel weniger!
ASSAD.
Ich hoff, das ist nur Spaß!
HAKAM.
Was wär es sonst?
Es wächst ja gutes Obst in deiner Tasche!
ASSAD greift selbst hinein und zieht einen Becher hervor.
HAKAM.
Auch sitzt ein Goldschmied drin, der Becher macht!
ASSAD.
Hakam!
HAKAM.
Gib her!
ASSAD.
Den Becher kenne ich!
HAKAM.
Wir haben gestern morgen draus getrunken!
ASSAD.
Und unser Wirt – hat er ihn dir geschenkt?
HAKAM.
Nein! Er vergaß es! Doch du siehst, ich machte
Den Fehler wieder gut!
ASSAD.
Du stahlst den Becher?
HAKAM.
Ich nahm ihn mit, als ich, um meinen Stock
Zu holen, noch einmal ins Zimmer ging.
Du weißt, ich hatt den Stock da
Lacht.
stehen lassen!
Begreifst du nun, warum ich, statt mich rechts
Zu wenden, wie's der gute Mann uns riet,
Den Weg zur Linken einschlug?
ASSAD.
Schuft!
HAKAM.
Ei was!
Meinst du, ich bin mit dir geflohn, weil ich
Verhungern will? Dies ist der Ort für mich!
Mit jeder Straße eine neue Welt!
Wenn man in einer mit dem Bambusrohr
Als Dieb gebläut wird, kann man in der andern
Trotzdem für einen halben Heilgen gelten!
Hier ist man, wenn man sich einmal versieht[602]
Und das, was einem Nachbar zugehört,
Als Eigentum behandelt, nicht sogleich
Ein Popanz für die Alten und die Jungen:
Das trieb mich her, wie dich die Träumerei!
Hier hat man Raum!
ASSAD wirft den Becher weg.
HAKAM.
Was machst du da? Was machst du?
Er will ihn aufheben.
ASSAD packt ihn.
Nichts da! Wag einen Schritt! Wag einen Laut,
So sag ich –
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